Leitsatz (amtlich)
Das Prozessgericht darf eine Klage wegen fehlender Prozessfähigkeit des Klägers ohne dessen Anhörung nur dann als unzulässig abweisen, wenn es ihn zum Termin geladen und mit der Ladung analog § 34 Abs. 3 Satz 2 FamFG auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen hat.
Bevor das Prozessgericht die Klage einer prozessunfähigen Partei als unzulässig abweist, hat es diese auf das Fehlen ihrer ordnungsgemäßen Vertretung sowie auf die Möglichkeit zur Behebung des Mangels durch die Bestellung eines Betreuers hinzuweisen, dessen Aufgabenkreis auf die Führung des Rechtsstreits beschränkt werden kann. Danach ist der Partei noch die Zeit einzuräumen, die sie benötigt, um einen Betreuer durch das Betreuungsgericht bestellen zu lassen (Fortführung von BGH, Urt. v. 23.2.1990 - V ZR 188/88, NJW 1990, 1734, 1736; Beschl. v. 17.11.2011 - V ZR 199/11, FamRZ 2012, 631, 632 Rz. 12).
Normenkette
ZPO § 56 Abs. 1; FamFG § 34 Abs. 3 S. 2; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 07.12.2011; Aktenzeichen 2 U 19/11) |
LG Köln (Urteil vom 11.01.2011; Aktenzeichen 21 O 144/10) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des OLG Köln vom 6.12.2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien bilden eine Erbengemeinschaft. Zu dem Nachlass gehört ein Hausgrundstück. Der Kläger macht gegen den Beklagten Ansprüche auf Zahlung eines Entgelts für die alleinige Nutzung des Grundstücks geltend. Seiner Klage auf Zahlung von 16.217,77 EUR (Rückstände) zzgl. Zinsen sowie der zum Monatsersten künftig fällig werdenden Beträge von 217,63 EUR hat das LG i.H.v. 9.803,46 EUR zzgl. Zinsen sowie wegen der künftig fälligen Zahlungen in vollem Umfang stattgegeben. Gegen dieses Urteil haben der Beklagte Berufung und der Kläger Anschlussberufung eingelegt.
Rz. 2
Das OLG hat vor dem Hintergrund einer im Jahr 2008 von dem AG (Vormundschaftsgericht) angeordneten, auf die Beschwerde des Klägers im Jahr 2009 jedoch wieder aufgehobenen Betreuung beschlossen, ein psychiatrisches Gutachten zu dessen Prozessfähigkeit einzuholen. Da der Kläger sich einer psychiatrischen Begutachtung nicht unterziehen wollte, hat das OLG diesen Beschluss aufgehoben. Den Antrag des Klägers, ihm einen Prozesspfleger zu bestellen, hat der Senatsvorsitzende zurückgewiesen. Das OLG hat danach unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Klage als unzulässig abgewiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 3
Das Berufungsgericht meint, die Klage sei als unzulässig abzuweisen, weil hinreichende Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit des Klägers bestünden, die zu dessen Lasten gingen. Nach den Feststellungen in den im Betreuungsverfahren eingeholten Gutachten und Stellungnahmen des LGarztes R. sei die Prozessfähigkeit des Klägers zweifelhaft. Diese Zweifel seien nicht auszuräumen. Eine weitere Aufklärung sei nicht möglich gewesen, da der Kläger sich mit einer Begutachtung seiner Person nicht einverstanden erklärt habe und trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens und seiner Ladung im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen sei.
II.
Rz. 4
1. Die Revision gegen das Berufungsurteil ist - ungeachtet der möglicherweise fehlenden Prozessfähigkeit des Klägers - zulässig, da auch eine Partei, deren Prozessfähigkeit in der Vorinstanz verneint worden ist, wirksam ein Rechtsmittel einlegen kann, um eine andere Beurteilung zu erreichen (st.Rspr.: vgl. BGH, Urt. v. 22.12.1982 - V ZR 89/80, BGHZ 86, 184, 186; Urt. v. 23.2.1990 - V ZR 188/88, BGHZ 110, 294, 295; BGH, Urt. v. 4.11.1999 - III ZR 306/98, BGHZ 143, 122, 123).
Rz. 5
2. Das Rechtsmittel hat auch Erfolg.
Rz. 6
a) Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings Ermittlungen zur Prozessfähigkeit des Klägers aufgenommen und seine Würdigung auf die im Betreuungsverfahren erstellten Gutachten des Sachverständigen R. gestützt.
Rz. 7
aa) Der Einwand der Revision, das Berufungsgericht habe keinen Anlass zur Prüfung der Prozessfähigkeit des Klägers gehabt, weil dafür konkrete Anhaltspunkte vorliegen müssten, woran es hier schon angesichts der uneingeschränkten Sachbezogenheit seiner Anträge und seines Vorbringens in den Tatsacheninstanzen gefehlt habe, ist unbegründet.
Rz. 8
Richtig ist allerdings, dass nach der Lebenserfahrung Störungen der Geistestätigkeit Ausnahmeerscheinungen sind, so dass im Allgemeinen von der Prozessfähigkeit der Partei auszugehen und anderes nur dann anzunehmen ist, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Prozessunfähigkeit vorliegen könnte (vgl. BGH, Urt. v. 9.1.1996 - VI ZR 94/95, NJW 1996, 1059, 1060; v. 4.11.1999 - III ZR 306/98, BGHZ 143, 122, 124). Dem Prozessgericht, das den Mangel der Prozessfähigkeit einer Partei nach § 56 Abs. 1 ZPO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen hat (vgl. BGH, Urt. v. 22.12.1982 - V ZR 89/80, BGHZ 86, 184, 189; BGH, Urt. v. 4.11.1999 - III ZR 206/98, BGHZ 143, 122, 124), ist jedoch ein weiter Beurteilungsspielraum bei der Feststellung einzuräumen, ob solche Anhaltspunkte vorliegen. Eines solchen Entscheidungsspielraums bedarf es schon deswegen, weil die von dem Gericht verkannte Prozessunfähigkeit einer Partei die Nichtigkeitsklage gegen ein Sachurteil begründet (vgl. hierzu nur PWW/Gehrlein, ZPO, 5. Aufl., § 579 Rz. 3 m.w.N.). Demgemäß stand der Umstand, dass der Kläger in diesem Rechtsstreit durch seinen Rechtsanwalt zur Sache "vernünftig" vorgetragen hat (was allerdings nicht in gleicher Weise auf den nachfolgenden persönlichen Vortrag zu den seine Prozessfähigkeit betreffenden Bedenken des Berufungsgerichts zutrifft), der Aufnahme von Ermittlungen zu dessen Prozessfähigkeit nicht entgegen.
Rz. 9
bb) Unbegründet sind auch die auf die fehlende wissenschaftliche Begründung gestützten Beweiseinreden der Revision gegen die gutachterlichen Stellungnahmen des Sachverständigen R. sowie der Vorwurf, dass das Berufungsgericht ungeachtet dessen das Gutachten kritiklos übernommen habe.
Rz. 10
Richtig ist allerdings, dass die vor der Bestellung eines Betreuers gem. § 280 FamFG einzuholenden Gutachten wissenschaftlich begründet sein müssen, wozu auch eine differentialdiagnostische Klärung und eine Klassifizierung der Diagnose gehören (vgl. BGH, Beschl. v. 19.1.2011 - XII ZB 256/10, NJW-RR 2011, 649, 650 Rz. 13). Ob die von dem Berufungsgericht als Grundlage für die Beurteilung der Prozessfähigkeit des Klägers herangezogenen Gutachten sowie Stellungnahmen des Sachverständigen R. diesen Anforderungen genügen, mag zweifelhaft sein. Richtig ist auch, dass das Prozessgericht allein auf der Grundlage eines in einem anderen Verfahren erstellten Gutachtens eine Beweislastentscheidung zu Ungunsten einer Partei, dass sich deren Prozessfähigkeit nicht feststellen lasse, nur dann treffen darf, wenn es keine anderen erschließbaren Erkenntnisquellen gibt (BGH, Urt. v. 9.1.1996 - VI ZR 94/95, NJW 1996, 1059, 1060; v. 4.11.1999 - III ZR 306/98, BGHZ 143, 123, 124). So verhielt es sich hier jedoch. Eine weitere sachverständige Erkenntnisquelle für die Entscheidung, ob bei dem Kläger eine seine Prozessfähigkeit ausschließende krankhafte Störung der Geistestätigkeit vorlag, stand dem Berufungsgericht nämlich nicht zur Verfügung, weil der Kläger sich mit der angeordneten Begutachtung nicht einverstanden erklärt hatte und eine Partei nicht verpflichtet ist, sich zur Feststellung ihrer Prozessfähigkeit sachverständig untersuchen zu lassen (vgl. BGH, Urt. v. 23.2.1990 - V ZR 188/88, NJW 1990, 1734, 1736 - insoweit nicht in BGHZ 110, 294 ff. abgedruckt; BGH, Urt. v. 24.4.1952 - IV ZR 156/51, NJW 1952, 1515; v. 9.5.1962 - IV ZR 4/62, NJW 1962, 1510, 1511; v. 8.12.2009 - VI ZR 284/08, FamRZ 2010, 548 Rz. 9).
Rz. 11
Vor diesem Hintergrund durfte das Berufungsgericht nach dem ihm allein zur Verfügung stehenden Gutachten des Sachverständigen R., der bei dem Kläger eine paranoide Entwicklung bei querulatorischer Persönlichkeit diagnostiziert hatte, die zu einem ausgeprägten Realitätsverlust geführt habe, wodurch die freie, eigenverantwortliche Willensbestimmung ausgeschlossen sei, zu dem Ergebnis gelangen, dass sich die Prozessfähigkeit des Klägers nicht feststellen lasse.
Rz. 12
b) Begründet sind dagegen die auf eine Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gestützten Angriffe der Revision.
Rz. 13
aa) Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht die Prozessfähigkeit des Klägers ohne dessen Anhörung verneint hat.
Rz. 14
(1) Unbegründet ist allerdings der Vorwurf, das Berufungsgericht habe das Schreiben des Klägers mit der Bitte, die richterliche Anordnung zum persönlichen Erscheinen aufzuheben, weil er wegen einer Körperbehinderung und Pflegebedürftigkeit nicht reisefähig sei, nicht zur Kenntnis genommen. Es hat dieses Schreiben in seinem Urteil dahin gewürdigt, dass der Kläger mit dem auf ein ärztliches Attest gestützten Vorbringen sich - wie in anderen Verfahren - einer richterlichen Anhörung zur Beurteilung seiner Prozessfähigkeit entziehen wolle. Richtig ist jedoch der Einwand der Revision, das Berufungsgericht hätte nur dann zu diesem Schluss kommen und ohne eine persönliche Anhörung des Klägers entscheiden dürfen, wenn es Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung festgestellt hätte. Daran fehlt es hier.
Rz. 15
(2) Die Rüge einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ist jedoch - unabhängig von der Richtigkeit der von dem Kläger vorgelegten ärztlichen Bescheinigung - aus einem weiteren rechtlichen Gesichtspunkt begründet. Das Prozessgericht darf die Prozessunfähigkeit einer Partei, für die ein gesetzlicher Vertreter nicht bestellt ist, grundsätzlich nur feststellen, wenn es die Partei zuvor persönlich angehört hat (BGH, Urt. v. 4.11.1999 - III ZR 306/98, BGHZ 143, 122, 125; BVerfG, BVerfGK 6, 380, 383). Das schließt zwar eine Entscheidung ohne Anhörung nicht stets aus. Das Prozessgericht darf eine Klage wegen fehlender Prozessfähigkeit des Klägers ohne dessen Anhörung aber nur dann als unzulässig abweisen, wenn es ihn zum Termin geladen und mit der Ladung analog § 34 Abs. 3 Satz 2 FamFG auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen hat.
Rz. 16
Die Erforderlichkeit eines solchen Hinweises folgt aus Art. 103 Abs. 1 GG. Dieses Verfahrensgrundrecht soll sicherstellen, dass die Parteien ihr Verhalten im Prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Der Einzelne soll nicht nur Objekt richterlicher Entscheidung sein, sondern vor der Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen. Art. 103 Abs. 1 GG enthält insofern weitere Garantien als die, sich irgendwie zur Sache einlassen zu können (BVerfG, BVerfGK 6, 380, 383; BGH, Beschl. v. 28.5.2009 - I ZB 93/08, NJW-RR 2009, 1223 Rz. 6).
Rz. 17
Welche Anforderungen sich daraus ergeben, dass jede Partei vor einer Entscheidung des Gerichts über ihre Prozessfähigkeit persönlich zu Wort kommen und vor einer Überraschungsentscheidung geschützt sein muss, ist allerdings in der Zivilprozessordnung nicht im Einzelnen geregelt. Die verfassungsrechtlich gebotene Mitwirkung der Partei im Verfahren vor der richterlichen Entscheidung über ihre Prozessfähigkeit erfordert es, insoweit die Vorschriften über das Gebot zur Anhörung der Partei im Betreuungsverfahren (§§ 278 Abs. 1 Satz 1, 34 FamFG) analog anzuwenden (so auch Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 56 Rz. 8). Nach § 34 Abs. 3 FamFG darf das Gericht nur dann ohne Anhörung das Verfahren beenden, wenn der Beteiligte unentschuldigt dem zu diesem Zweck anberaumten Termin ferngeblieben ist und er zuvor auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen worden ist. Diesem Maßstab genügt das Verfahren des Berufungsgerichts nicht. Ein Hinweis an den Kläger, dass das Gericht im Falle seines Ausbleibens ohne seine Anhörung möglicherweise nach Aktenlage zu seinen Lasten entscheiden wird, ist nicht ergangen. Dem Kläger sind dadurch in dem Verfahren zu gewährende Mitwirkungsmöglichkeiten vorenthalten worden, was nach dem Vorstehenden eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG bedeutet.
Rz. 18
bb) Die Revision rügt zudem zu Recht, dass das Berufungsgericht die Klage wegen seiner Zweifel an der Prozessfähigkeit des Klägers durch Prozessurteil abgewiesen hat, ohne diesem zuvor hinreichende Gelegenheit gegeben zu haben, für seine ordnungsgemäße Vertretung zu sorgen. Auch dadurch hat das Berufungsgericht den Kläger in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Rz. 19
(1) Da die prozessunfähige Partei sich nicht eigenverantwortlich zu äußern vermag, kann ihr das rechtliche Gehör nur durch die Anhörung eines gesetzlichen Vertreters gewährt werden. Art. 103 Abs. 1 GG verlangt deshalb von den Gerichten, eine im Rechtsstreit bislang unterbliebene Gewährung rechtlichen Gehörs nachzuholen, sofern die Auslegung des Verfahrensrechts dies ermöglicht (BGH, Urt. v. 9.11.2010 - VI ZR 249/09, NJW-RR 2011, 284 Rz. 7; BAG NJW 2009, 3051 Rz. 5). Nachdem das Berufungsgericht von einer Prozessunfähigkeit des Klägers ausging, hätte es durch seine weitere Verfahrensgestaltung dafür Sorge tragen müssen, dass dem Kläger das bisher fehlende rechtliche Gehör gewährt wird (BGH, Urt. v. 9.11.2010 - VI ZR 249/09, a.a.O., 285).
Rz. 20
Hat eine prozessunfähige Partei keinen gesetzlichen Vertreter, muss das Prozessgericht ihr Gelegenheit geben, für eine ordnungsgemäße Vertretung zu sorgen. Bevor es ihre Klage als unzulässig abweist, hat es die Partei auf das Fehlen ihrer ordnungsgemäßen Vertretung (§ 51 Abs. 1 ZPO) sowie auf die Möglichkeit zur Behebung des Mangels durch die Bestellung eines Betreuers nach § 1896 BGB hinzuweisen, dessen Aufgabenkreis auf die Führung des Rechtsstreits beschränkt werden kann (vgl. BayObLG Rpfleger 2001, 234; BAG NJW 2009, 3051, 3052 Rz. 12). Danach ist der Partei noch die Zeit einzuräumen, die sie benötigt, um einen Betreuer durch das Betreuungsgericht bestellen zu lassen (vgl. BGH, Urt. v. 23.2.1990 - V ZR 188/88, NJW 1990, 1734, 1736; Beschl. v. 17.11.2011 - V ZR 199/11, FamRZ 2012, 631, 632 Rz. 12; BGH, Urt. v. 9.11.2010 - VI ZR 249/09, NJW-RR 2011, 284, 285 Rz. 9).
Rz. 21
(2) Hiergegen hat das Berufungsgericht verstoßen, indem es die Klage sogleich durch Prozessurteil abgewiesen hat. Der Zeitraum zwischen der Ablehnung des Antrags des Klägers auf Bestellung eines Prozesspflegers am 8.11.2011 und der letzten mündlichen Verhandlung vom 7.12.2011 war vor dem Hintergrund unzureichend, dass selbst die Bestellung eines vorläufigen Betreuers durch einstweilige Anordnung nach § 300 FamFG nicht ohne eine ärztliche Stellungnahme und eine vorherige Anhörung des Betroffenen durch das FamG zulässig ist, was eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.
Rz. 22
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bestand für den Kläger nicht bereits zuvor Anlass, sich für diesen Rechtsstreit vorsorglich um die Bestellung eines Betreuers zu bemühen. Hat eine Partei im Beschwerdeverfahren die Aufhebung einer für alle Aufgabenbereiche angeordneten Betreuung erreicht, muss sie nicht von ihrer Prozessunfähigkeit ausgehen und von sich aus die Bestellung eines Betreuers mit einem beschränkten Aufgabenbereich beantragen. Nachdem der Kläger durch seinen Rechtsanwalt in diesem Rechtsstreit sachbezogen vorgetragen und das LG deshalb keinen Anlass gesehen hatte, an der Prozessfähigkeit des Klägers zu zweifeln, war das Berufungsgericht gehalten, wenn es diese Frage anders beurteilte, dem Kläger die für die Bestellung eines Betreuers nötige Zeit einzuräumen.
Rz. 23
(3) Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist auch nicht deswegen zu verneinen, weil das Prozessgericht ausnahmsweise sogleich durch Prozessurteil entscheiden darf, wenn feststeht, dass entweder der Mangel der Vertretung der prozessunfähigen Partei nicht behoben werden kann oder dass der zu bestellende Vertreter die bisherige Prozessführung nicht genehmigen wird (vgl. BGH, Urt. v. 23.2.1980 - V ZR 188/88, NJW 1990, 1734, 1736). Das ist von dem Berufungsgericht nämlich nicht festgestellt. Davon, dass der Kläger sich auch einer möglichen Bestellung eines Betreuers allein für diesen Rechtsstreit widersetzen würde, kann nicht ausgegangen werden, weil er durch den Antrag auf Bestellung eines Verfahrenspflegers nach § 57 ZPO seine Bereitschaft zur Mitwirkung im Verfahren durch einen gesetzlichen Vertreter zu erkennen gegeben hat. Auch die Genehmigung der bisherigen Prozessführung durch den zu bestellenden Vertreter ist angesichts des Erfolgs der Rechtsverfolgung in erster Instanz eher wahrscheinlich. Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob dann, wenn das Betreuungsgericht auch auf den Antrag des Klägers hin die Bestellung eines Betreuers mit einem beschränkten Aufgabenkreis ablehnen, das Berufungsgericht jedoch an seinen Zweifeln an der Prozessfähigkeit des Klägers festhalten sollte, dem Kläger in entsprechender Anwendung des § 57 ZPO ein Prozesspfleger zu bestellen wäre (vgl. BAG NJW 2009, 3051, 3052 Rz. 14).
III.
Rz. 24
Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 ZPO). Die notwendigen Prozesshandlungen sind nachzuholen. Erst danach wird entweder erneut durch Prozessurteil oder - falls die Zweifel an der Prozessfähigkeit des Klägers behoben oder dessen ordnungsgemäße Vertretung sichergestellt sein sollten - über die Sache selbst zu entscheiden sein.
Fundstellen
Haufe-Index 6461106 |
MDR 2014, 615 |