Entscheidungsstichwort (Thema)
VOB/B. Vertragsstrafe bei schuldhafter Überschreitung des Fertigstellungstermins. Absehen von Zurückverweisung an erste Instanz bei Verfahrensverzögerung aufgrund gerichtlicher Verfahrensfehler
Leitsatz (amtlich)
a) Eine Vertragsstrafe ist nicht verschuldensunabhängig vereinbart, wenn sie in einer Klausel unter Bezugnahme auf § 11 VOB/B von der Überschreitung des Fertigstellungstermins abhängig gemacht wird und die VOB/B vereinbart ist (Bestätigung von BGH, Urt. v. 13.12.2001 - VII ZR 432/00, BGHZ 149, 283 [287] = BGHReport 2002, 362 = MDR 2002, 575).
b) Das Berufungsgericht kann im Einzelfall zur Vermeidung einer mit dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes nicht im Einklang stehenden Verfahrensverzögerung gehalten sein, von einer Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht abzusehen. Von einer Zurückverweisung kann insb. dann abzusehen sein, wenn eine lange Verfahrensdauer auf gerichtliche Verfahrensfehler zurückzuführen ist.
Normenkette
VOB/B § 11 Nr. 2; ZPO § 540 a.F.
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 25.07.2003; Aktenzeichen 24 U 39/98) |
LG Darmstadt |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 24. Zivilsenats in Darmstadt des OLG Frankfurt v. 25.7.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Die Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden gem. § 8 GKG a.F. nicht erhoben.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt restlichen Werklohn. Die Beklagte übertrug ihr 1994 die Putz- und Stuckarbeiten an ihrem Alten- und Pflegeheim. Die Auftragssumme betrug 153.143,78 DM. Die VOB/B war vereinbart. Die Klägerin hat zunächst Zahlung von 589.035,57 DM verlangt. Das LG hat die Klage am 27.11.1997 abgewiesen. Mit der Berufung hat die Klägerin noch einen Anspruch i.H.v. 573.505,23 DM verfolgt. Die Beklagte hat eine Werklohnforderung von 246.740,96 DM errechnet und verschiedene Abzüge vorgenommen, darunter Abzüge wegen eines Sicherheitseinbehalts von 11.551,90 DM und wegen einer Vertragsstrafe von 11.394,21 DM. Unter Berücksichtigung dieser Abzüge und der Abschlagszahlungen kommt sie zu einer Überzahlung von 14.208,54 DM.
Das Berufungsgericht hat die Klage in seinem ersten Urteil dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und den Rechtsstreit an das LG zurückverwiesen. Dieses Berufungsurteil hat der Senat aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen (BGH, Urt. v. 6.12.2001 - VII ZR 452/00, BGHReport 2002, 271 = BauR 2002, 456 = NZBau 2002, 153 = ZfBR 2002, 254). Nach erneuter mündlicher Verhandlung hat das Berufungsgericht wiederum ein Grundurteil erlassen und die Sache an das LG zurückverwiesen. Dagegen wendet sich die Revision der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an einen anderen Senat des Berufungsgerichts.
Auf das Schuldverhältnis finden die Gesetze in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB). Auf das Verfahren der Berufung sind die am 31.12.2001 geltenden Vorschriften anzuwenden (§ 26 Nr. 5 EGZPO). Auf das Verfahren der Revision sind die Vorschriften nach Maßgabe des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses v. 27.7.2001 anzuwenden (§ 26 Nr. 7 EGZPO).
I.
Das Berufungsgericht meint, es sei durch die Senatsentscheidung v. 16.12.2002 nicht am Erlass eines erneuten Grundurteils gehindert. Die Klage sei dem Grunde nach gerechtfertigt. Nach der von der Beklagten selbst vorgenommenen Berechnung ergebe sich ein jedenfalls zu zahlender Betrag von 8.737,57 DM. Die Beklagte habe die Vertragsstrafe und den Sicherheitseinbehalt zu Unrecht von dem Werklohn abgezogen. Die formularmäßige Vereinbarung einer verschuldensunabhängigen Vertragsstrafe sei unwirksam, es liege ein Verstoß gegen § 9 AGBG vor. Der weitere Sicherheitseinbehalt sei unberechtigt, weil die Gewährleistungsfrist abgelaufen sei, ohne dass die Beklagte Mängel angezeigt habe. Über die Berechtigung der weiteren Ansprüche müsse das LG befinden.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Ein Grundurteil darf nur ergehen, wenn die Klageforderung mit hoher Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe besteht (BGH, Urt. v. 21.12.2000 - VII ZR 488/99, BGHReport 2001, 188 = MDR 2001, 385 = BauR 2001, 667 = NZBau 2001, 211 = ZfBR 2001, 177). Dazu enthält das Berufungsurteil erneut keine tragfähigen Feststellungen.
1. Rechtsfehlerhaft ist das Berufungsgericht der Meinung, die Vertragsstrafenvereinbarung sei gem. § 9 AGBG unwirksam. Die in den Besonderen Vertragsbedingungen der Beklagten KEVM (B) BVB geregelte Vertragsstrafenvereinbarung hält der Inhaltskontrolle stand. In der Revision ist davon auszugehen, dass die Vertragsstrafe mit dem nachfolgend dargestellten Inhalt vereinbart ist und ein rechtzeitiger Vorbehalt erklärt worden ist. Beides ist streitig. Das Berufungsgericht trifft dazu keine Feststellungen.
a) Ziff. 4 der KEVM (B) BVB hat folgenden Wortlaut:
4. Vertragsstrafen (§ 11)
Der Auftragnehmer hat als Vertragsstrafe für jeden Werktag der Verspätung zu zahlen:
4.1 bei Überschreitung des Fertigstellungsfrist 0,1 vom Hundert des Endbetrages der Abrechnungssumme (Bruttosumme).
4.2 ...
4.3. Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 10 % v.H. der Abrechnungssumme (Bruttosumme) begrenzt.
b) Mit Ziff. 4 der KEVM (B) BVB ist keine verschuldensunabhängige Vertragsstrafe vereinbart. Der Senat hat bereits in dem vom Berufungsgericht nicht berücksichtigten Urt. v. 13.12.2001 (BGH, Urt. v. 13.12.2001 - VII ZR 432/00, BGHZ 149, 283 [287] = BGHReport 2002, 362 = MDR 2002, 575) entschieden, dass die Regelung des § 11 Nr. 2 VOB/B nach ihrem Sinn und Zweck die im Vertrag an anderer Stelle getroffene Vertragsstrafenvereinbarung ergänzt, wenn die Parteien nichts Anderes vereinbart haben. Mit der ergänzenden Regelung des § 11 Nr. 2 VOB/B ist vereinbart, dass die Vertragsstrafe den Verzug des Auftragnehmers voraussetzt. Dieser setzt dessen Verschulden voraus.
Die Parteien haben durch den Klammerzusatz nach Ziff. 4 deutlich gemacht, dass § 11 VOB/B Anwendung findet.
c) Die Vertragsstrafenklausel ist auch nicht aus anderen Gründen unwirksam. Die Vertragsstrafenobergrenze von 10 % ist zwar unangemessen hoch. Jedoch führt das aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht zur Unwirksamkeit der Vereinbarung (vgl. BGH, Urt. v. 23.1.2003 - VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311 [324 ff.] = BGHReport 2003, 594 = MDR 2003, 804 = CR 2003, 647). Der Vertrag ist vor dem Bekanntwerden der Entscheidung des Senats v. 23.1.2003 geschlossen worden.
2. Damit steht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht fest, dass die Klägerin überhaupt noch Werklohn verlangen kann. Das Grundurteil kann schon aus diesem Grund keinen Bestand haben. Ob es aus anderen Gründen unzulässig war, kann dahin stehen.
a) Der Senat weist darauf hin, dass Bedenken gegen den Erlass des Grundurteils auch insoweit bestehen, als sich das Berufungsgericht mit der geltend gemachten Werklohnforderung dem Grunde nach nicht auseinander gesetzt hat. Ein Grundurteil darf nur ergehen, wenn alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sind (BGH, Urt. v. 2.10.2000 - II ZR 54/99, NJW 2001, 224). Das Berufungsgericht hat sich insb. mit den zahlreichen Einwendungen gegen die Berechtigung der Nachforderungen dem Grunde nach nicht auseinander gesetzt.
b) Ferner hat das Berufungsgericht sich rechtsfehlerhaft nicht damit auseinander gesetzt, ob es in der Sache selbst entscheiden sollte. Die Entscheidung zwischen der Zurückverweisung nach § 538 ZPO a.F. und der eigenen Sachentscheidung durch das Berufungsgericht gem. § 540 ZPO a.F. steht in dessen pflichtgemäßem Ermessen. Dabei ist der mit der Zurückverweisung verbundene zusätzliche Zeit- und Kostenaufwand gegen den Verlust einer Tatsacheninstanz abzuwägen. Wenn sich das Berufungsgericht für eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO a.F. entscheidet, muss es zur Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens den maßgeblichen Gesichtspunkt der Prozessökonomie erwägen und erkennen lassen, dass es die Alternative zwischen einer Zurückverweisung und einer eigenen Sachentscheidung nach § 540 ZPO gesehen hat (vgl. BGH, Urt. v. 20.12.1956 - III ZR 87/55, BGHZ 23, 36 [50]; Urt. v. 30.3.2001 - V ZR 461/99, MDR 2001, 801 = BGHReport 2001, 492 = NJW 2001, 2551 [2552]).
III.
Das Urteil des Berufungsgerichts ist aufzuheben. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 S. 2 ZPO.
Der Senat weist darauf hin, dass das Berufungsgericht gehalten ist, dem Grunde und der Höhe nach abschließend zu entscheiden. Ein weiteres Grundurteil wäre verfahrensfehlerhaft. Eine erneute Zurückverweisung der Sache würde zu einer weiteren, nicht mehr hinnehmbaren Verzögerung des gesamten Verfahrens führen. Bei seiner Entscheidung, ob es von einer Zurückverweisung nach § 540 ZPO a.F. absieht, muss das Berufungsgericht auf die berechtigten Interessen der Parteien Rücksicht nehmen. Dabei muss es vor allem auch das Interesse der klagenden Partei im Auge behalten, in einer angemessenen Zeit einen vollstreckbaren Titel über die geltend gemachten Ansprüche zu erhalten. Wenn die Gerichte durch verfahrensfehlerhafte Entscheidungen maßgeblich selbst an der Verzögerung mitgewirkt haben, wird häufig allein das Absehen von einer Zurückverweisung zur Vermeidung einer mit dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes nicht im Einklang stehenden Verfahrensverzögerung (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 25.7.2003 - 2 BvR 153/03, NJW 2003, 2897) sachdienlich sein. Im Einzelfall kann sich das dem Berufungsgericht in § 540 ZPO a.F. eingeräumte Ermessen so reduzieren, dass nur noch die Entscheidung, von einer Zurückverweisung abzusehen, ermessensfehlerfrei ist. So wäre es hier. Das Verfahren ist nunmehr über sieben Jahre anhängig. Die Verzögerung ist im Wesentlichen auf das fehlerhafte Verfahren und die ihm folgenden Entscheidungen des Berufungsgerichts, mit denen eine Sachaufklärung nicht erreicht wurde, zurückzuführen. Den Parteien ist jegliche weitere Verzögerung durch eine erneute Zurückverweisung nicht zuzumuten. Sie haben einen Anspruch darauf, dass das Berufungsgericht die Sache nunmehr fördert und selbst entscheidet. Ein schützenswertes Interesse einer Partei, das Verfahren beim LG fortzusetzen, ist nicht erkennbar.
Fundstellen
DB 2004, 2810 |
BGHR 2004, 1472 |
BauR 2004, 1500 |
BauR 2004, 1611 |
NJW-RR 2004, 1537 |
IBR 2004, 490 |
ZfIR 2004, 832 |
MDR 2004, 1371 |
MDR 2007, 253 |
ZfBR 2004, 790 |
BTR 2004, 232 |
BrBp 2004, 516 |
KommJur 2004, 386 |
NJW-Spezial 2004, 311 |
NZBau 2004, 613 |
BauRB 2005, 1 |
JbBauR 2005, 338 |
JbBauR 2006, 347 |