Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 10.12.1998) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 10. Dezember 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger verlangt aus eigenem und aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau von der beklagten Bank die Rückabwicklung eines Realkreditvertrages.
Zur Finanzierung des Kaufpreises für eine im August 1992 gekaufte Eigentumswohnung nahmen der Kläger und seine Ehefrau mit Vertrag vom 9./13. November 1992 bei der Beklagten ein Darlehen über 126.000 DM auf, das durch eine Grundschuld in derselben Höhe abgesichert wurde. Eine Widerrufsbelehrung im Sinne des Haustürwiderrufsgesetzes wurde den Darlehensnehmern nicht erteilt. Am 17. Februar 1998 wurde das Darlehen abgelöst. Mit Einschreiben vom 10. März 1998 widerriefen die Darlehensnehmer gemäß § 1 HWiG in der bis zum 30. September 2000 geltenden Fassung (im folgenden: a.F.) ihre auf Abschluß des Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärungen.
Der Kläger begehrt die Erstattung erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen und entstandener Aufwendungen in Höhe von insgesamt 175.843,19 DM zuzüglich Zinsen. Er macht geltend, zum darlehensfinanzierten Kauf der Eigentumswohnung durch einen ständig für die Beklagte tätigen Makler überredet worden zu sein. Dieser sei nach einem telefonischen Gesprächsangebot zweimal unaufgefordert in seiner Wohnung erschienen und habe den Kontakt zur Beklagten vermittelt. Weil die Widerrufsvorschrift des Verbraucherkreditgesetzes im Streitfall nicht anwendbar sei, könne auf das Haustürwiderrufsgesetz zurückgegriffen werden.
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter. Der erkennende Senat hat das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften über ein Vorabentscheidungsersuchen in dem Verfahren XI ZR 91/99 (Senatsbeschluß vom 29. November 1999, WM 2000, 26) ausgesetzt. Das mittlerweile ergangene Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 13. Dezember 2001 ist abgedruckt in WM 2001, 2434.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf die bereits vom Landgericht vertretene Auffassung ein Widerrufsrecht des Klägers und seiner Ehefrau verneint. Bei dem streitbefangenen Darlehen handele es sich um einen Realkredit im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG. § 7 VerbrKrG finde deshalb keine Anwendung. Der Rückgriff auf § 1 HWiG sei wegen der Vorrangregelung in § 5 Abs. 2 HWiG ausgeschlossen.
II.
1. Diese Beurteilung hält, soweit sie ein Widerrufsrecht gemäß § 1 Abs. 1 HWiG a.F. wegen der Subsidiaritätsklausel in § 5 Abs. 2 HWiG verneint, rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar entspricht sie der Auslegung der §§ 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG, 5 Abs. 2 HWiG, wie sie der Senat in seinem Vorlagebeschluß vom 29. November 1999 (aaO) an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften bei ausschließlich nationaler Betrachtung befürwortet hat. Sie berücksichtigt aber nicht, daß mit dem Haustürwiderrufsgesetz die Richtlinie 85/577/EWG des Rates betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen vom 20. Dezember 1985 (im folgenden: Haustürgeschäfterichtlinie) in nationales Recht umgesetzt worden ist und die Vorschriften des Haustürwiderrufsgesetzes daher richtlinienkonform auszulegen sind.
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat mit Urteil vom 13. Dezember 2001 (WM 2001, 2434) entschieden, daß die Haustürgeschäfterichtlinie dahin auszulegen ist, daß sie auf Realkreditverträge anwendbar ist, so daß dem Verbraucher bei solchen Verträgen das Widerrufsrecht nach Art. 5 der Richtlinie eingeräumt werden muß und dieses für den Fall, daß der Verbraucher über das Widerrufsrecht nicht gemäß Art. 4 der Richtlinie belehrt wurde, nicht auf ein Jahr nach Vertragsschluß befristet werden darf.
Die vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vorgenommene Auslegung der Hautürgeschäfterichtlinie ist für die nationalen Gerichte bindend. Sie gebietet es, wie der Senat in seinem Urteil vom heutigen Tage in der Sache XI ZR 91/99 entschieden und im einzelnen begründet hat (siehe dort unter II. 2.), § 5 Abs. 2 HWiG richtlinienkonform einschränkend auszulegen. Dies hat in der Weise zu geschehen, daß Kreditverträge insoweit nicht als Geschäfte im Sinne des § 5 Abs. 2 HWiG anzusehen sind, die „die Voraussetzungen eines Geschäfts nach dem Verbraucherkreditgesetz” erfüllen, als das Verbraucherkreditgesetz kein gleich weit reichendes Widerrufsrecht wie das Haustürwiderrufsgesetz einräumt. Durch die in § 5 Abs. 2 HWiG enthaltene Subsidiaritätsklausel werden die Widerrufsvorschriften des Haustürwiderrufsgesetzes daher nur dann verdrängt, wenn auch das Verbraucherkreditgesetz dem Verbraucher ein Widerrufsrecht gewährt.
Dies gilt, wie der Senat in seinem Urteil vom heutigen Tage in der Sache XI ZR 91/99 näher ausgeführt hat (dort unter II. 3.), auch für Fälle wie den vorliegenden, in dem nach dem für die Revision zugrunde zu legenden – streitigen – Sachverhalt die Haustürsituation nur bei der Vertragsanbahnung, nicht hingegen beim Vertragsabschluß vorlag. Der Sachverhalt unterfällt damit nicht unmittelbar dem Anwendungsbereich der Haustürgeschäfterichtlinie. Eine „gespaltene Auslegung”, nach welcher das Ergebnis der richtlinienkonformen Auslegung auf Sachverhalte beschränkt bleiben soll, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, widerspricht aber der durch das nationale deutsche Recht geforderten Gleichbehandlung der verschiedenen Haustürsituationen.
Es kann offenbleiben, ob das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften über den Wortlaut des Tenors hinaus im Lichte der Entscheidungsgründe dahingehend zu verstehen ist, daß auch die Befristung der Ausübung des Widerrufsrechts in § 2 Abs. 1 Satz 4 HWiG a.F. der Richtlinie widerspricht, und ob auch dem noch durch eine richtlinienkonforme Gesetzesanwendung Rechnung getragen werden könnte. Der mit Erklärung vom 10. März 1998 erfolgte Widerruf lag nämlich noch innerhalb der Monatsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 4 HWiG a.F., deren Lauf mit der Ablösung des Darlehens am 17. Februar 1998 begonnen hatte.
2. Keinen Erfolg hat die Revision dagegen mit der auf § 551 Nr. 7 ZPO a.F. gestützten Rüge, weder das landgerichtliche Urteil noch die Entscheidung des Berufungsgerichts enthielten Ausführungen „zu dem Vortrag des Klägers zur Nichtigkeit des Darlehensvertrages”. Die Revision übersieht, daß hierzu im vorliegenden Verfahren nichts vorgetragen ist.
III.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.) und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F.).
Dieses wird, da die Umstände des Vertragsschlusses zwischen den Parteien streitig sind, zunächst Feststellungen zu den Voraussetzungen des Widerrufsrechts gemäß § 1 HWiG a.F. zu treffen haben.
Sollte danach ein Widerrufsrecht zu bejahen sein, wird das Berufungsgericht bei der Prüfung der sich aus § 3 HWiG (in der bis zum 30. September 2000 geltenden Fassung) ergebenden Rechtsfolgen des Widerrufs zu berücksichtigen haben, daß § 9 VerbrKrG (in der bis zum 30. September 2000 geltenden Fassung) gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG auf Realkreditverträge im Sinne dieser Vorschrift nicht anwendbar ist (Edelmann BKR 2002, 80, 83; Felke MDR 2002, 226, 227; Fischer ZfIR 2002, 15, 22 f.). Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Senatsurteile vom 17. September 1996 (insbesondere BGHZ 133, 254, 259 ff. und XI ZR 197/95, WM 1996, 2103) insoweit nicht einschlägig. Diese Urteile betreffen nicht Realkreditverträge, sondern die Finanzierung einer Gesellschaftsbeteiligung, bei der der Darlehens- und der Beteiligungsvertrag aufgrund besonderer Umstände als ein verbundenes Geschäft anzusehen waren. Um ein solches Geschäft handelt es sich hier nicht.
Nach ständiger langjähriger Rechtsprechung mehrerer Senate des Bundesgerichtshofs sind der Realkreditvertrag und das finanzierte Grundstücksgeschäft grundsätzlich nicht als zu einer wirtschaftlichen Einheit verbundene Geschäfte anzusehen (BGH, Urteile vom 18. September 1970 – V ZR 174/67, WM 1970, 1362, 1363; vom 12. Juli 1979 – III ZR 18/78, WM 1979, 1054; vom 13. November 1980 – III ZR 96/79, WM 1980, 1446, 1447 f.; vom 9. Oktober 1986 – III ZR 127/85, WM 1986, 1561, 1562; vom 31. März 1992 – XI ZR 70/91, WM 1992, 901, 905 und vom 19. Mai 2000 – V ZR 322/98, WM 2000, 1287, 1288). Denn bei einem Immobilienkauf weiß auch der rechtsunkundige und geschäftsunerfahrene Laie, daß Kreditgeber und Immobilienverkäufer in der Regel verschiedene Personen sind. Dem hat der Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er in § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG bestimmt hat, daß die Regelungen über verbundene Geschäfte (§ 9 VerbrKrG) auf Realkredite im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG keine Anwendung finden.
Der Widerruf des Realkreditvertrages berührt die Wirksamkeit des Kaufvertrages über die Eigentumswohnung deshalb grundsätzlich nicht. Die gebotene richtlinienkonforme Auslegung des § 5 Abs. 2 HWiG ändert daran nichts. Sie hat nicht zur Folge, daß das Verbraucherkreditgesetz für Geschäfte der vorliegenden Art generell nicht zu beachten wäre. Haustürwiderrufs- und Verbraucherkreditgesetz stehen insoweit vielmehr ebenso nebeneinander wie Haustürgeschäfte- und Verbraucherkreditrichtlinie (vgl. Pfeiffer EWiR 2002, 261, 262). Ob der Kaufvertrag aus anderen Gründen unwirksam ist, was für die Rückabwicklung des Realkreditvertrages nach § 3 HWiG von Bedeutung sein kann, wird das Berufungsgericht gegebenenfalls noch zu prüfen haben.
Unterschriften
Nobbe, Bungeroth, Müller, Joeres, Mayen
Fundstellen
Haufe-Index 749346 |
BKR 2002, 579 |
ZBB 2002, 331 |