Leitsatz (amtlich)
a) Zu den Voraussetzungen einer Zurückverweisung durch das Berufungsgericht.
b) Durch die Neuregelung in § 87 Abs. 1 Satz 2 GWB n.F. ist die Zuständigkeit eines Nichtkartellgerichts für ein vor dem 1. Januar 1999 anhängig gewordenes Verfahren entfallen, in dem sich eine kartellrechtliche Vorfrage stellt, in dem aber unter Geltung des alten Rechts keine Aussetzung mehr ausgesprochen worden ist.
Normenkette
ZPO §§ 539-540, 261 Abs. 3 Nr. 2; GWB § 87 Abs. 1 S. 2 (F: 26. August 1998), § 96 Abs. 2 (F: 24. September 1980)
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Aktenzeichen 2 U 209/98) |
LG Oldenburg (Aktenzeichen 17 O 465/98) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 2. Dezember 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Deutsche Bundespost Telekom, deren Rechtsnachfolgerin die Klägerin ist, schloß im Dezember 1993 mit dem Beklagten einen Vertrag über die Überlassung von Bestandsdaten von Telefonkunden in den neuen Bundesländern. Mit der Klage beansprucht die Klägerin das vertraglich vereinbarte Entgelt in Höhe von 208.533,40 DM. Der Beklagte erhebt Mängelrügen und macht geltend, der Vertrag sei nach § 138 BGB und nach § 134 BGB i.V. mit § 26 Abs. 2 und 4 GWB a.F. (jetzt § 20 Abs. 1 und 4 GWB) nichtig.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, nachdem es zuvor darauf hingewiesen hatte, daß zur Klärung kartellrechtlicher Vorfragen auch eine Aussetzung nach § 96 Abs. 2 GWB a.F. in Betracht komme. Das Berufungsgericht hat dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, der der Beklagte entgegentritt.
Entscheidungsgründe
I. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht ausgeführt, das Landgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, den Rechtsstreit nach § 96 Abs. 2 GWB a.F. auszusetzen. Den entsprechenden Aussetzungsantrag des Beklagten habe es nicht beschieden. Nachdem zuvor eine Entscheidung über den Aussetzungsantrag angekündigt worden sei, stelle die Sachentscheidung darüber hinaus eine das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verletzende Überraschungsentscheidung dar. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 96 Abs. 2 GWB a.F. sei rechtlich geboten gewesen. Die anstehenden kartellrechtlichen Fragen seien in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht hinreichend geklärt gewesen, um auch von einem Nichtkartellgericht beantwortet werden zu können. Der Rechtsstreit sei auch ohne Klärung der kartellrechtlichen Fragen nicht entscheidungsreif; die Frage einer Nichtigkeit nach § 138 BGB lasse sich nur unter Einbeziehung der kartellrechtlichen Wertungen beantworten; die Voraussetzungen für Gewährleistungsansprüche des Beklagten seien nicht schlüssig dargetan.
II. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an den inzwischen zuständigen Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle.
1. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht darin einen Verfahrensfehler gesehen, daß das Landgericht über den Aussetzungsantrag des Beklagten nicht entschieden hat. Denn in der erfolgten Sachentscheidung durch das Landgericht liegt die konkludente – vom Landgericht allerdings nicht begründete – Ablehnung der Aussetzung. Auch ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Die Parteien waren durch prozeßleitende Verfügung darauf hingewiesen worden, daß keine Verweisung an das zuständige Kartell-Landgericht, sondern nur eine Aussetzung zur Klärung einer kartellrechtlichen Vorfrage (§ 96 Abs. 2 GWB a.F.) in Betracht komme, worüber nach der mündlichen Verhandlung entschieden werde. Dies ist entsprechend der Ankündigung geschehen.
2. Es bedarf keiner Entscheidung, ob das Landgericht im Streitfall von einer Aussetzung absehen durfte; denn jedenfalls hätte der darin liegende Verfahrensfehler das Berufungsgericht nicht veranlassen dürfen, das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (§§ 539, 540 ZPO).
a) Dem Beklagten stand im Berufungsverfahren die Rüge des § 529 Abs. 2 ZPO zur Seite. Wurde unter der Geltung des § 96 Abs. 2 GWB a.F. in einem Rechtsstreit, in dem sich eine kartellrechtliche Vorfrage stellte, vom Nichtkartellgericht in der Sache entschieden, statt das Verfahren auszusetzen, konnte die unterlegene Partei mit der Berufung die Rüge der sachlichen Unzuständigkeit erheben, wenn sie nicht in erster Instanz rügelos verhandelt hatte (§ 529 Abs. 2 ZPO; vgl. BGHZ 37, 194, 196 f. - Spar). Der Beklagte hat sich die Rügemöglichkeit dadurch erhalten, daß er in erster Instanz vorab die Unzuständigkeit des Landgerichts Oldenburg gerügt und hilfsweise die Aussetzung des Verfahrens beantragt hatte (vgl. K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl., § 96 Rdn. 32; Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl., § 95 GWB Rdn. 3).
b) Ob das Landgericht die kartellrechtliche Vorfrage ausnahmsweise selbst entscheiden durfte oder – wie das Berufungsgericht gemeint hat – zwingend hätte aussetzen müssen, kann offenbleiben. Denn jedenfalls hätte das Berufungsgericht diesen Verfahrensfehler nicht zum Anlaß nehmen dürfen, die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
aa) Leidet das erstinstanzliche Verfahren an einem wesentlichen Mangel, kann das Berufungsgericht das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zurückverweisen (§ 539 ZPO). An die Zurückverweisung, die – anders als in den Fällen des § 538 ZPO – die Ausnahme sein soll, ist dabei jedoch ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BGHZ 31, 358, 362; Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl., § 539 Rdn. 1). Sie kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn dem Berufungsgericht eine Entscheidung ohne weitere Sachaufklärung möglich ist (BGH, Urt. v. 4.2.1986 - VI ZR 220/84, NJW 1986, 2436, 2437). Im Streitfall konnte das Berufungsgericht das Verfahren ebenso wie das Landgericht nach § 96 Abs. 2 GWB a.F. aussetzen. Einer Zurückverweisung bedurfte es hierfür nicht. Auch die anderen Einwände des Beklagten, über die abschließend nach Klärung der kartellrechtlichen Vorfragen zu entscheiden gewesen wäre, machten eine weitere Sachaufklärung – wie sich aus den Gründen des Berufungsurteils ergibt – nicht erforderlich.
bb) Im Streitfall stellt sich die Zurückverweisung noch aus einem weiteren Grund als ermessensfehlerhaft dar: Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts am 2. Dezember 1998 war das Sechste Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26. August 1998 (BGBl. I S. 2521) bereits verabschiedet. Es stand bereits fest, daß dieses Gesetz nach seinem Artikel 4 am 1. Januar 1999 in Kraft treten und in der dann geltenden Fassung nicht mehr zwischen Kartellstreitsachen und Streitigkeiten, in denen sich eine kartellrechtliche Vorfrage stellt, unterscheiden, vielmehr auch letztere Streitigkeiten den Kartellgerichten in ausschließlicher Zuständigkeit zuweisen würde (§ 87 Abs. 1 Satz 2 GWB n.F.). Dies bedeutete, daß für Verfahren, in denen bei Inkrafttreten der Neuregelung eine Aussetzung noch nicht ausgesprochen war, die bestehende eingeschränkte Zuständigkeit des Nichtkartellgerichts – entgegen § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO – entfallen würde; denn nach dem Inkrafttreten der Neuregelung bestand die Möglichkeit der Aussetzung nach § 96 Abs. 2 GWB a.F. nicht mehr, so daß die Sache an das nunmehr zuständige Kartellgericht zu verweisen oder die Klage – wenn ein entsprechender Antrag nicht gestellt wurde – als unzulässig abzuweisen war (Wiedemann/Bumiller, Handbuch des Kartellrechts, § 60 Rdn. 67; Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl., § 95 GWB Rdn. 1; zu dem Fall, daß das Nichtkartellgericht bereits vor dem 1.1.1999 ausgesetzt hat: BGH, Urt. v. 14.3.2000 - KZR 8/99, Umdr. S. 4 f.). Da bereits abzusehen war, daß das Landgericht eine Aussetzung vor dem 1. Januar 1999 nicht mehr aussprechen würde, lief die Zurückverweisung allein darauf hinaus, den Rechtsstreit vom Landgericht an das seit 1. Januar 1999 zuständige Landgericht Hannover zu verweisen (ZustVO-Justiz v. 22.1.1998 [Nds.GVBl. S. 66], zuletzt geändert durch VO v. 10.6.1999 [Nds.GVBl. S. 128]). In dieser besonderen, durch die bevorstehende Änderung der Zuständigkeit geprägten prozessualen Situation hätte das Berufungsgericht den Rechtsstreit nicht an das Landgericht zurückverweisen dürfen, sondern hätte entweder selbst die zu dem damaligen Zeitpunkt noch mögliche Aussetzung aussprechen oder den Rechtsstreit nach dem 1. Januar 1999 auf Antrag selbst an das zuständige Kartellgericht verweisen müssen.
3. Da die kassatorische Entscheidung des Berufungsgerichts keinen Bestand haben kann, ist sie aufzuheben (§ 565 Abs. 1 ZPO). Nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Verweisung an das nunmehr zuständige Kartellgericht beantragt hat, ist der Rechtsstreit nicht an das Oberlandesgericht Oldenburg, sondern an den Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle zurückzuverweisen (BGHZ 49, 33, 39 - Kugelschreiber; BGH, Urt. v. 3.11.1981 - KZR 33/80, WuW/E 1898, 1900 - Holzpaneele). Zwar ist in Niedersachsen nur die erstinstanzliche Zuständigkeit für Kartellstreitsachen konzentriert. Der Verordnungsgeber hat aber erkennbar von der Möglichkeit, auch die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte zu konzentrieren (§ 93 GWB), nur deswegen keinen Gebrauch gemacht, weil er davon ausging, im Hinblick auf die erstinstanzliche Konzentration beim Landgericht Hannover könnten Berufungen in Kartellstreitsachen nur beim Oberlandesgericht Celle und nicht bei den Oberlandesgerichten Oldenburg und Braunschweig anfallen. Zwar trifft dies jedenfalls nach neuem Recht nicht mehr zu, weil inzwischen auch nach dem Gesetzeswortlaut die materielle an die Stelle der formellen Anknüpfung getreten ist (§ 91 Satz 2 GWB) mit der Folge, daß auch eine in erster Instanz von einem Nichtkartellgericht entschiedene Rechtsstreitigkeit nach § 87 Abs. 1 GWB von dem beim Oberlandesgericht zu bildenden Kartellsenat (§ 91 Satz 1 GWB) zu entscheiden ist. Da beim Oberlandesgericht Oldenburg aber ein Kartellsenat nicht gebildet worden ist, geht der Senat davon aus, daß es dem Willen des Verordnungsgebers entspricht, die Kartellstreitigkeiten auch in zweiter Instanz zu konzentrieren (vgl. BGH WuW/E 1898, 1900 - Holzpaneele).
Unterschriften
Geiß, Melullis, Ball, Tepperwien, Bornkamm
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 09.05.2000 durch Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2000, 1316 |
BGHR |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2000, 1149 |
WRP 2000, 757 |
WuW 2000, 737 |