Leitsatz (amtlich)
Zur Ersatzfähigkeit von Rechtsverfolgungskosten, die dem Geschädigten durch die anwaltliche Geltendmachung von Ansprüchen gegen seinen eigenen Unfallversicherer entstehen.
Normenkette
BGB § 249
Verfahrensgang
LG Osnabrück (Urteil vom 26.01.2005; Aktenzeichen 2 S 678/04) |
AG Meppen (Entscheidung vom 10.09.2004; Aktenzeichen 3 C 720/04) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Osnabrück vom 26.1.2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 12.2.2000, bei dem er erheblich verletzt wurde. Die Beklagte ist der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners, dessen volle Haftung außer Streit steht. Der Kläger beauftragte seinen Rechtsanwalt auch mit der Geltendmachung von Ansprüchen gegen seine private Unfallversicherung. Diese zahlte ihm nach Begutachtung seines Gesundheitszustands eine Invaliditätsentschädigung von 57.258,71 EUR. Der Kläger verlangt Ersatz des insoweit angefallenen Anwaltshonorars von 1.098,69 EUR. Das AG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass Rechtsanwaltskosten, die dem Geschädigten aufgrund der Geltendmachung von Ansprüchen gegen den eigenen Unfallversicherer entstehen, nicht zu den infolge des Schadensereignisses adäquat kausal angefallenen und gem. § 249 Satz 2 BGB a.F. zu ersetzenden Rechtsverfolgungskosten zählen, weil es dabei nicht um die Durchsetzung eines auf Schadensersatz gerichteten Anspruchs gehe, sondern um die Geltendmachung einer vertraglichen Leistung. Im Übrigen habe der Kläger auch nicht dargetan, weshalb die Einschaltung eines Rechtsanwalts im Streitfall erforderlich gewesen sei.
II.
Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Da das schädigende Ereignis vor dem 1.8.2002 eingetreten ist, bestimmt sich der Umfang der auf §§ 7 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1 BGB, 3 Nr. 1 PflVG beruhenden Ersatzpflicht der Beklagten nach den Vorschriften der §§ 249 ff. BGB in der seinerzeit geltenden Fassung (Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB). Ist wegen der Verletzung einer Person Schadensersatz zu leisten, kann der Geschädigte gem. § 249 Satz 2 BGB a.F. Ersatz der erforderlichen Herstellungskosten verlangen, d.h. insb. die Kosten für notwendige Heilbehandlungen sowie Kur- und Pflegekosten. Daneben umfasst der zu ersetzende Schaden gem. § 252 BGB auch den entgangenen Gewinn. Wird infolge einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit die Erwerbsfähigkeit des Verletzten aufgehoben oder gemindert oder tritt eine Vermehrung seiner Bedürfnisse ein, so ist ihm darüber hinaus gem. § 843 BGB Schadensersatz durch Entrichtung einer Geldrente zu leisten.
Zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten zählen grundsätzlich auch die durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (BGH v. 8.11.1994 - VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348 [350 ff.] = MDR 1995, 150; v. 1.10.1968 - VI ZR 159/67, VersR 1968, 1145 [1147]; BGHZ 39, 73 [74]; Urt. v. 23.10.2003 - IX ZR 249/02, BGHReport 2004, 231 = MDR 2004, 276 = VersR 2004, 869 [871], jeweils m.w.N.) hat der Schädiger allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren.
Teil der Schadensabwicklung ist auch die Entscheidung, den Schadensfall einem Versicherer zu melden. Ist es aus Sicht des Geschädigten erforderlich, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, so gilt dies grundsätzlich auch für die Anmeldung des Versicherungsfalles bei dem eigenen Versicherer (vgl. zur Kaskoversicherung OLG Hamm ZfS 1983, 12; OLG Karlsruhe VRS 1977, 6 [9]; v. 22.12.1989 - 14 U 168/88, MDR 1990, 720 = VersR 1991, 1297; v. 27.6.1990 - 1 U 317/89, NZV 1990, 431; LG Kaiserslautern v. 22.2.1991 - 2 U 317/90, DAR 1993, 196 [197]; Böhm, DAR 1988, 213 f.; Notthoff, VersR 1995, 1399 [1401 f.]; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 118 Rz. 33; Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke, BRAGO, 20. Aufl., Stichwort: "Kaskoversicherung", Anm. 2, jeweils m.w.N.; Bamberger/Roth/Grüneberg, BGB, § 249 Rz. 75; zur Sachversicherung bei Brandschäden LG Münster v. 23.5.2002 - 12 O 94/02, VersR 2003, 98 f.). Auch die dadurch anfallenden Rechtsverfolgungskosten können entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ersatzfähig sein, nämlich dann, wenn sie adäquat kausal auf dem Schadensereignis beruhen und die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe unter den Umständen des Falles erforderlich war (BGH, Urt. v. 18.1.2005 - VI ZR 73/04, MDR 2005, 751 = BGHReport 2005, 785 = VersR 2005, 558). Macht der Geschädigte gegenüber seinem Versicherer eine Forderung geltend, die zwar nach den Versicherungsbedingungen begründet ist, vom Schädiger aber nicht zu ersetzen ist, weil es insoweit an einem Schaden des Geschädigten fehlt, ist allerdings auch zu prüfen, inwieweit die durch die Anmeldung entstandenen Anwaltskosten dem Schädiger als Folgen seines Verhaltens zugerechnet werden können. Im Vordergrund steht dabei das Interesse des Geschädigten an einer vollständigen Restitution (BGH, Urt. v. 20.4.2004 - VI ZR 109/03, MDR 2004, 934 m. Anm. Timme/Hülk = BGHReport 2004, 1080 m. Anm. Lemcke = VersR 2004, 876; v. 6.7.2004 - VI ZR 266/03, MDR 2004, 1413 = BGHReport 2004, 1478 m. Anm. Rehborn = GesR 2004, 412 = VersR 2004, 1180 [1181], m.w.N.; Urt. v. 25.10.1996 - V ZR 158/95, MDR 1997, 237 = NJW 1997, 520).
2. Im Falle der Verletzung einer Person ist die Grenze der Ersatzpflicht dort zu ziehen, wo die Aufwendungen des Geschädigten nicht mehr allein der Wiederherstellung der Gesundheit, dem Ersatz entgangenen Gewinns oder der Befriedigung vermehrter Bedürfnisse dienen. Dies kann der Fall sein, wenn der Geschädigte Kosten aufwendet, um von seinem privaten Unfallversicherer Leistungen zu erhalten, die den von dem Schädiger zu erbringenden Ersatzleistungen weder ganz noch teilweise entsprechen. Das ist zu erwägen, wenn dem Geschädigten nach den Vertragsbedingungen seiner Unfallversicherung ein Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung zusteht, insoweit ein Ersatzanspruch - etwa unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs vermehrter Bedürfnisse - gegen den Schädiger nach Lage des Falles aber nicht besteht. Ob diese Voraussetzungen hier gegeben sind, lässt sich den bisher getroffenen Feststellungen nicht entnehmen. Dies wird das Berufungsgericht zu klären haben.
3. Eine Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten kann im Einzelfall aber auch dann in Betracht kommen, wenn es an einer derartigen Entsprechung zwischen der Leistung des eigenen Versicherers und dem vom Schädiger zu ersetzenden Schaden fehlt. Ein solcher Fall kann gegeben sein, wenn der Geschädigte etwa aus Mangel an geschäftlicher Gewandtheit oder sonstigen Gründen wie Krankheit oder Abwesenheit nicht in der Lage ist, den Schaden bei seinem Versicherer selbst anzumelden (BGH v. 8.11.1994 - VI ZR 3/94, MDR 1995, 150 = VersR 1995, 183 [184]). Vorliegend hat das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Ersatz der Rechtsverfolgungskosten für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen seinen privaten Unfallversicherer verneint und ausgeführt, die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe sei hierfür nicht erforderlich gewesen, denn der Kläger hätte die Ansprüche selbst geltend machen können. Zu den erheblichen Verletzungen, dem Inhalt der Gutachten und dem Verhalten des Unfallversicherers fehle es an substantiiertem Sachvortrag.
Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg. Das Berufungsgericht überspannt die Darlegungslast des Klägers. Dieser hat nämlich vorgetragen, er sei aufgrund seiner schweren Verletzungen, von denen die Beklagte gewusst habe, auf unbestimmte Zeit nicht in der Lage gewesen, sich selbst um die Geltendmachung und Wahrung seiner Ansprüche zu kümmern. Nach den erstinstanzlichen Feststellungen, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, befand sich der Kläger für längere Zeit in stationärer Krankenhausbehandlung. Diese Umstände hat das Berufungsgericht nicht ausreichend bedacht. Seine Beurteilung, die Rechtsverfolgungskosten seien nicht erforderlich gewesen, begegnet bei dieser Sachlage durchgreifenden Bedenken und kann deshalb keinen Bestand haben. Die Aufhebung und Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die Umstände des Streitfalls umfassend zu würdigen und ggf. noch fehlende Feststellungen zur Erforderlichkeit der Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe nachzuholen.
Fundstellen
Haufe-Index 1484619 |
NJW 2006, 1065 |
BGHR 2006, 654 |
AnwBl 2006, 357 |
MDR 2006, 929 |
NZV 2006, 244 |
VRS 2006, 321 |
VersR 2006, 521 |
ZfS 2006, 448 |
AGS 2006, 256 |
NJW-Spezial 2006, 160 |
PA 2006, 65 |
RVGreport 2006, 236 |
VRA 2006, 56 |
VRR 2006, 224 |
ZGS 2006, 123 |
r+s 2006, 305 |
KammerForum 2006, 112 |