Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachschaden aus Verkehrsunfall. Reparaturkosten. Wiederbeschaffungsaufwand. Ersatz eines den Wiederbeschaffungswert übersteigenden Reparaturaufwands. Qualifizierte Reparatur. Integritätszuschlag bis zu 30 %
Leitsatz (amtlich)
Übersteigt der Kraftfahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs, können dem Geschädigten Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungsaufwand des Fahrzeugs liegen, grundsätzlich nur dann zuerkannt werden, wenn diese Reparaturkosten konkret angefallen sind oder wenn der Geschädigte nachweisbar wertmäßig in einem Umfang repariert hat, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigt. Anderenfalls ist die Höhe des Ersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt.
Normenkette
BGB § 249
Verfahrensgang
LG Bochum (Urteil vom 11.05.2004; Aktenzeichen 11 S 55/04) |
AG Bochum |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des LG Bochum v. 11.5.2004 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger begehrt Ersatz restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall, für den die Beklagten in vollem Umfang einzustehen haben.
Die für die fachgerechte und vollständige Reparatur des Fahrzeugs des Klägers erforderlichen Kosten schätzte der Kfz-Sachverständige auf 6.044,41 EUR ohne Mehrwertsteuer. Zum Ausgleich des Wertunterschiedes "neu für alt" bei den Ersatzteilen sah der Sachverständige einen Abzug von 185,79 EUR vor. Für die voraussichtliche Reparaturdauer ging er von neun bis zehn Arbeitstagen aus. Den Wiederbeschaffungswert schätzte er auf 5.450 EUR inkl. Mehrwertsteuer, den Restwert des Fahrzeugs auf 1.000 EUR. Der Kläger ließ das Fahrzeug in einen verkehrssicheren und fahrbereiten Zustand versetzen. Dafür wendete er 1.800 EUR zzgl. 288 EUR Mehrwertsteuer auf.
Der Kläger begehrte von den Beklagten die Reparaturkosten i.H.v. 5.858,62 EUR ohne Mehrwertsteuer gemäß Gutachten unter Berücksichtigung des Abzugs "neu für alt" (6.044,41 EUR minus 185,79 EUR), die von ihm für die durchgeführte Reparatur bezahlte Mehrwertsteuer i.H.v. 288 EUR sowie weitere Kosten, die nicht mehr im Streit sind.
Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm die geschätzten Reparaturkosten zu erstatten seien, da diese 130 % des Wiederbeschaffungswerts nicht überstiegen und er sein Fahrzeug tatsächlich repariert habe. Eine vollständige Reparatur des Fahrzeugs sei nicht erforderlich. Die Mehrwertsteuer sei zu erstatten, da sie tatsächlich angefallen sei.
Das AG hat einen Ersatzanspruch in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands (Wiederbeschaffungswert abzgl. Restwert) des Fahrzeugs bejaht und dem Kläger weitere 752,73 EUR zzgl. 5 % Zinsen seit dem 21.1.2004 (dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung) zugesprochen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das LG das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich des Zinsbeginns auf 26.7.2003 abgeändert und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Anspruch auf Ersatz der geschätzten Reparaturkosten und der für die durchgeführte Reparatur gezahlten Mehrwertsteuer weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat dem Kläger nur den Wiederbeschaffungsaufwand zuerkannt, weil die erforderlichen Reparaturkosten für eine ordnungsgemäße Instandsetzung des Fahrzeugs über dem Wiederbeschaffungswert lägen und der Kläger weder vollständig noch fachgerecht repariert habe. Dies sei Voraussetzung für die Abrechnung von Reparaturkosten bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswerts. In Umkehrung der Rechtsprechung des BGH (BGH v. 15.10.1991 - VI ZR 67/91, BGHZ 115, 375 ff. = MDR 1992, 132), dass die Reparatur nicht in einen sinnvollen und einen nicht sinnvollen Teil aufgespalten werden könne, müsse bei einer nicht in vollem Umfang und nicht ordnungsgemäß durchgeführten Reparatur der Grundsatz gelten, dass der Geschädigte einen Integritätszuschlag nur für eine insgesamt wirtschaftlich sinnvolle, vollständig sach- und fachgerecht durchgeführte Reparatur verlangen könne. Der Kläger könne deshalb lediglich nach dem Wiederbeschaffungsaufwand abrechnen, denn der Restwert bleibe nur bei einer Abrechnung von Reparaturkosten bis zum Wiederbeschaffungswert außer Acht.
Allerdings könne der Kläger die in dem vom Sachverständigen geschätzten Wiederbeschaffungsaufwand enthaltene Mehrwertsteuer gem. § 249 Abs. 2 S. 2 BGB ersetzt verlangen. Diese werde zwar vom Sachverständigen mit 16 % i.H.v. 613,79 EUR berechnet. Erwerbe der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug von einem Privatmann, der keine Mehrwertsteuer bezahle, sei deshalb der Wiederbeschaffungsaufwand um diesen Betrag zu kürzen. Da der Kläger kein neues Fahrzeug erworben habe, könne aber auf der Grundlage der Differenzbesteuerung des § 25a UStG die Mehrwertsteuer pauschal mit 2 % des Wiederbeschaffungswerts auf 90 EUR angesetzt werden. In dieser Höhe sei Umsatzsteuer für die Kosten der Teilreparatur vom Kläger tatsächlich gezahlt worden. Deshalb könne er den Wiederbeschaffungsaufwand einschließlich der Mehrwertsteuer ersetzt verlangen. Darüber hinausgehende für die Teilreparatur aufgewendete Mehrwertsteuer könne er hingegen nicht verlangen, da die Grenze seines Ersatzanspruches der Wiederbeschaffungsaufwand sei.
II.
Die Revision des Klägers bleibt erfolglos.
1. Mit Urteil vom heutigen Tag hat der erk. Senat in der Sache - VI ZR 70/04, entschieden, dass der Geschädigte Ersatz eines den Wiederbeschaffungswert übersteigenden Reparaturaufwands nur dann verlangen kann, wenn die Reparaturen fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt werden, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat. Davon geht das Berufungsgericht zutreffend aus. Auch seine weitere Auffassung, dass der Kläger bei fiktiver Schadensberechnung lediglich Schadensersatz in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands - also abzgl. des Restwerts - verlangen könne, trifft im Ergebnis zu.
a) Bei der Frage, welchen Aufwand der Geschädigte für die Reparatur seines Fahrzeugs ersetzt verlangen kann, ist - wie der Senat im Urteil - VI ZR 70/04 (BGH, Urt. v. 15.2.2005 - VI ZR 70/04) vom heutigen Tag ausgeführt hat - zum einen das Verhältnis der Reparaturkosten zum Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs zu berücksichtigen (BGH v. 15.10.1991 - VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364 [367] = MDR 1992, 131); zum anderen ist zu bedenken, dass regelmäßig nur die Reparatur des dem Geschädigten vertrauten Fahrzeugs sein Integritätsinteresse befriedigt (BGH v. 15.10.1991 - VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364 [371] = MDR 1992, 131; v. 8.12.1998 - VI ZR 66/98, MDR 1999, 293 = VersR 1999, 245 f.; v. 17.3.1992 - VI ZR 226/91, MDR 1993, 313 = VersR 1992, 710; OLG Hamm v. 29.4.1991 - 13 U 193/90, NZV 1991, 351 [352] = DAR 1991, 333 [334]; Medicus, Jus 1973, 211 [212]; Weber, DAR 1991, 11). Deshalb steht es mit den Grundsätzen des Schadensrechts im Einklang, dass dem Geschädigten, der eine Reparatur nachweislich durchführt, die zur Instandsetzung erforderlichen Kosten zuerkannt werden können, die den Wiederbeschaffungswert bis zu 30 % übersteigen (BGH v. 15.10.1991 - VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364 [371] = MDR 1992, 131). Allerdings kann ein solcher Integritätszuschlag bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs nur verlangt werden, wenn die Reparaturen fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt werden, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat.
b) Repariert der Geschädigte - wie im Streitfall - sein Fahrzeug nicht fachgerecht oder nur unvollständig, beweist er zwar durch die Weiternutzung des unvollständig reparierten Fahrzeugs sein Interesse an der Mobilität. Dieses kann aber im Allgemeinen durch die Beschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs in vergleichbarer Weise befriedigt werden. Hingegen kommt in einem solchen Fall dem für den fraglichen Zuschlag maßgeblichen Gesichtspunkt, dass der Geschädigte besonderen Wert auf das vertraute Fahrzeug lege, weil dieses zuverlässig und gut gewartet sei, was er im Falle eines Gebrauchtwagenkaufs unter Umständen missen müsste (BGH v. 8.12.1998 - VI ZR 66/98, MDR 1999, 293 = VersR 1999, 245 f.), keine entscheidende Bedeutung mehr zu. Übersteigt der erforderliche Reparaturaufwand den Fahrzeugwert, kann deshalb - nach den im Senatsurteil vom heutigen Tag (BGH, Urt. v. 15.2.2005 - VI ZR 70/04) dargelegten Grundsätzen - Ersatz dieses Reparaturaufwands nur verlangt werden, wenn der Geschädigte durch eine qualifizierte Reparatur der oben beschriebenen Art sein Integritätsinteresse nachweist. Entspricht die Reparatur diesen Anforderungen nicht, kann eine fiktive Schadensabrechnung auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens nur bis zur Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands erfolgen. Ein darüber hinausgehender Schadensausgleich ließe das Gebot der Wirtschaftlichkeit und das Verbot der Bereicherung außer Acht.
aa) Insofern liegt der Sachverhalt in einem entscheidenden Punkt anders als im Senatsurteil v. 29.4.2003 - VI ZR 393/02 (BGH v. 29.4.2003 - VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395 ff. = BGHReport 2003, 792 = MDR 2003, 1048). Dort hat der Senat entschieden, dass Qualität und Umfang der Reparatur jedenfalls so lange keine Rolle spielen, als die geschätzten Reparaturkosten zwar den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzgl. Restwert), nicht aber den Wiederbeschaffungswert übersteigen. In einem solchen Fall kann der Geschädigte nämlich grundsätzlich nach den zur Schadensbehebung erforderlichen Kosten abrechnen, wenn er das Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt und weiter nutzt. Dann ist auch der Restwert nicht abzuziehen, weil er sich - wie in den Senatsurteilen BGHZ 154, 395 ff. und 115, 364, 371 ff. (BGH v. 29.4.2003 - VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395 ff. = BGHReport 2003, 792 = MDR 2003, 1048; v. 15.10.1991 - VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364 [371 ff.] = MDR 1992, 131) dargelegt - im Rahmen einer solchen Schadensberechnung lediglich als hypothetischer Rechnungsposten darstellt.
bb) Demgegenüber ist eine grundlegend andere Betrachtungsweise in Fällen wie dem vorliegenden geboten, in dem die für eine Schadensbehebung erforderlichen Kosten den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs übersteigen. Zwar steht es dem Geschädigten auch in solchen Fällen frei, in welcher Weise er den Schaden beseitigen will. Doch können dem Geschädigten Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungsaufwand des Fahrzeugs liegen, grundsätzlich nur dann zuerkannt werden, wenn diese Reparaturkosten konkret angefallen sind oder wenn der Geschädigte nachweisbar wertmäßig in einem Umfang repariert hat, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigt. Anderenfalls ist die Höhe des Ersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt.
Hiernach hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht dem Kläger nur den Wiederbeschaffungsaufwand zuerkannt.
2. Da der Kläger keine tatsächliche Ersatzbeschaffung vorgenommen hat, besteht gem. § 249 Abs. 2 S. 2 BGB auch kein Anspruch auf die von ihm geltend gemachte Mehrwertsteuer. Die Mehrwertsteuer ist - entgegen der Auffassung der Revision - nur zu ersetzen, wenn sie bei einer Wiederbeschaffung tatsächlich angefallen wäre. Ohne Durchführung der Ersatzbeschaffung hat der Geschädigte hingegen nur einen Anspruch auf den Netto-Wiederbeschaffungsaufwand.
Auch der Meinung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger ein Anspruch jedenfalls zustehe, soweit die gezahlte Mehrwertsteuer dem als Kosten der Ersatzbeschaffung geschätzten Mehrwertsteuersatz entspreche, ist nicht zu folgen. Da nur der Kläger Revision eingelegt hat, wirkt sich die Auffassung des Berufungsgerichts im vorliegenden Fall allerdings nicht aus. Sie steht aber in Widerspruch zu § 249 Abs. 2 S. 2 BGB, wonach die Umsatzsteuer nur zu ersetzen ist, soweit sie tatsächlich angefallen ist, wobei eine Kombination von konkreter und fiktiver Schadensabrechnung nicht zulässig ist (BGH, Urt. v. 15.7.2003 - VI ZR 361/02, MDR 2003, 1414 = BGHReport 2004, 17 = DAR 2003, 554).
Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich nichts Anderes aus dem Senatsurteil v. 20.4.2004 (BGH, Urt. v. 15.7.2003 - VI ZR 109/03, MDR 2004, 934 = BGHReport 2004, 1080 = VersR 2004, 876). In diesem Urteil hat der Senat klargestellt, dass auch im Falle des wirtschaftlichen Totalschadens die Naturalrestitution in Form der Ersatzbeschaffung in Frage kommt und nicht nur die Kompensation gem. § 251 Abs. 1 BGB. § 249 Abs. 2 S. 2 BGB bleibt im Fall der Kompensation außer Betracht, findet aber grundsätzlich Anwendung im Fall der Naturalrestitution durch Ersatzbeschaffung (Luckey, VersR 2004, 1525 [1526]).
3. Nach alledem ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1331370 |
BGHZ 2005, 170 |
NJW 2005, 1110 |
BGHR 2005, 700 |
EBE/BGH 2005, 103 |
ZIP 2005, 666 |
DAR 2005, 268 |
VRS 2005, 331 |
VersR 2005, 1598 |
ZfS 2005, 385 |
KfZ-SV 2006, 29 |
NJW-Spezial 2005, 160 |
SVR 2005, 227 |
ZGS 2005, 232 |
r+s 2005, 174 |