Leitsatz (amtlich)
Der Eigentümer eines Grundstücks ist hinsichtlich der von einem darauf befindlichen Baum (hier: Birken) ausgehenden natürlichen Immissionen auf benachbarte Grundstücke Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB, wenn er sein Grundstück nicht ordnungsgemäß bewirtschaftet. Hieran fehlt es in aller Regel, wenn die für die Anpflanzung bestehenden landesrechtlichen Abstandsregelungen eingehalten sind.
Ein Anspruch auf Beseitigung des Baums lässt sich in diesem Fall regelmäßig auch nicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis herleiten.
Hält der Grundstückseigentümer die für die Anpflanzung bestehenden landesrechtlichen Abstandsregelungen ein, hat der Eigentümer des Nachbargrundstücks wegen der Beeinträchtigungen durch die von den Anpflanzungen ausgehenden natürlichen Immissionen weder einen Ausgleichsanspruch gem. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in unmittelbarer Anwendung noch einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch gem. § 906 Abs. 2 Satz 2 analog (Abgrenzung zu BGH, Urt. v. 27.10.2017 - V ZR 8/17, ZfIR 2018, 190).
Normenkette
BGB § 1004 Abs. 1, § 906 Abs. 2 S. 2; NRG BW § 16 Abs. 1 Nr. 4a, Abs. 2 in der bis zum 11.2.2014 geltenden Fassung
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 01.08.2018; Aktenzeichen 19 S 3/16) |
AG Maulbronn (Urteil vom 13.11.2015; Aktenzeichen 2 C 425/14) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des LG Karlsruhe - Zivilkammer XIX - vom 1.8.2018 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des AG Maulbronn vom 13.11.2015 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt der Kläger.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke, die in Baden-Württemberg belegen und mit Wohnhäusern bebaut sind. Auf dem Grundstück des Beklagten stehen in einem Abstand von mindestens zwei Meter zu der Grenze drei ca. 18 Meter hohe, gesunde Birken. Wegen der von den Birken auf sein Grundstück ausgehenden Immissionen verlangt der Kläger mit dem Hauptantrag die Entfernung sämtlicher, hilfsweise der seinem Grundstück am nächsten stehenden Birke(n). Weiter hilfsweise beansprucht er eine monatliche Zahlung von jeweils 230 EUR in den Monaten Juni bis November eines jeden Jahres.
Rz. 2
Das AG hat die Klage mit allen Anträgen abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das LG dem Hauptantrag stattgegeben. Mit der von dem LG zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, möchte der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 3
Nach Ansicht des sachverständig beratenen Berufungsgerichts ergibt sich ein Beseitigungsanspruch des Klägers aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die durch die Birken verursachten Immissionen stellten eine Eigentumsbeeinträchtigung dar, die nur durch die Entfernung der Bäume wirksam unterbunden werden könne. Die Einwirkungen seien dem Beklagten als Störer zuzurechnen. Hierfür genüge zwar seine Stellung als Grundstückseigentümer alleine nicht. Er habe aber die bewusste Entscheidung getroffen, sich die Birken in ihrem Bestand zu Eigen zu machen und als Lebensraum und Nahrungsquelle für Vögel und Insekten zu erhalten. Den Kläger treffe keine Duldungspflicht gem. § 1004 Abs. 2 BGB i.V.m. § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB. Durch den Pollenflug zwischen März und Juni, das Herausfallen der Samen und Früchte aus den Zapfen der Birke in dem Zeitraum von August bis September, das Herabfallen der leeren Zapfen (sog. "Würstchen") sowie der Blätter und Birkenreiser und den hierdurch zusätzlich erforderlichen Reinigungsaufwand werde sein Grundstück wesentlich beeinträchtigt. Im Vergleich zu anderen Bäumen stellten Birken aufgrund ihrer kleinteiligen Pollen, Samen und Blätter eine erheblich größere Belastung dar. Dass die landesrechtlich für Birken vorgeschriebenen Grenzabstände, die gemäß der hier noch anwendbaren Bestimmung des § 16 Abs. 1 Nr. 4a i.V.m. Abs. 2 Satz 1 NRG-BW a.F. aufgrund der Innerortslage zwei Meter betrügen, eingehalten seien, lasse weder die Störereigenschaft des Beklagten noch die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung entfallen. Dies folge aus Art. 124 EGBGB. Die Vorschrift lasse nämlich ausdrücklich nur weitere Beschränkungen des Eigentums durch landesrechtliche Vorschriften zu, erlaube es jedoch nicht, dem Nachbarn Rechte zu nehmen, die sich für ihn aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch ergäben. Zudem dienten die Abstandsflächen nur dem Schutz des Nachbargrundstücks vor Verschattung, nicht jedoch der Abwehr von Einwirkungen in den räumlichen Bereich des Grundstücks. Diese unterfielen § 906 BGB. Eine Duldungspflicht des Klägers gem. § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB scheide aus, weil der Birkenbewuchs nicht ortsüblich sei.
II.
Rz. 4
Die Revision hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des Urteils des AG.
Rz. 5
1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger keinen Anspruch gem. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB auf die mit dem Hauptantrag verlangte Beseitigung der drei Birken.
Rz. 6
a) Richtig ist allerdings, dass das Grundstück des Klägers durch die von dem Berufungsgericht festgestellten Immissionen der Birken beeinträchtigt wird. Es steht der Verurteilung gem. § 1004 Abs. 1 BGB auch nicht entgegen, dass es grundsätzlich dem in Anspruch Genommenen überlassen bleibt, auf welchem Weg er die Beeinträchtigungen abwendet. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sind nämlich keine Maßnahmen ersichtlich, die die Einwirkungen gleichermaßen unterbinden könnten wie die beantragte Entfernung der Bäume. In einem solchen Fall kann von dem zur Unterlassung Verpflichteten die Vornahme einer konkreten Handlung verlangt werden (vgl. BGH, Urt. v. 12.12.2003 - V ZR 98/03, NJW 2004, 1035, 1037; Urt. v. 10.6.2005 - V ZR 251/04, ZMR 2013, 395 Rz. 10).
Rz. 7
b) Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte sei als Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB für die von den Birken ausgehenden Immissionen auf das Grundstück des Klägers verantwortlich.
Rz. 8
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats folgt die Störereigenschaft, wie im Ausgangspunkt auch das Berufungsgericht nicht verkennt, nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht. Von den Fällen des unmitttelbaren Handlungsstörers abgesehen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 5.7.2019 - V ZR 96/18, juris Rz. 25) ist vielmehr die Feststellung erforderlich, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer oder -besitzer die Verantwortung für das Geschehen aufzuerlegen. Dies ist dann zu bejahen, wenn sich aus der Art der Nutzung des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, eine "Sicherungspflicht", also eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen, ergibt. Mit der Sicherungspflicht ist keine Sorgfaltspflicht im schuldrechtlichen Sinne gemeint, die von dem Grundstückseigentümer oder -besitzer verletzt worden sein muss. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Grundstückseigentümer oder -besitzer nach wertender Betrachtung für den gefahrenträchtigen Zustand seines Grundstücks verantwortlich ist, er also zurechenbar den störenden Zustand herbeigeführt hat (vgl. zum Ganzen BGH, Urt. v. 9.2.2018 - V ZR 311/16, WM 2018, 1761 Rz. 7 m.w.N.).
Rz. 9
bb) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn es - wie hier - um durch Naturereignisse ausgelöste Störungen geht. Ob den Grundstückseigentümer für natürliche Immissionen eine "Sicherungspflicht" trifft und er damit Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB ist, ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Maßgebend sind hierbei vor allem die Konfliktlösungsregeln des öffentlichen und privaten Nachbarrechts sowie die Art der Nutzung der benachbarten Grundstücke und die vorbeugende Beherrschbarkeit der Störung. Dabei ist entscheidend, ob sich die Nutzung des Grundstücks, von dem die Beeinträchtigungen ausgehen, im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält (BGH, Urt. v. 14.11.2003 - V ZR 102/03, BGHZ 157, 33, 42; Urt. v. 28.11.2003 - V ZR 99/03, ZfSch 2004, 153, 154 f.; Urt. v. 9.2.2018 - V ZR 311/16, WM 2018, 1761 Rz. 8). So hat der Senat die Störereigenschaft verneint bei Umstürzen nicht erkennbar kranker Bäume infolge von Naturgewalten (Urt. v. 23.4.1993 - V ZR 250/92, BGHZ 122, 282, 284; s. aber auch BGH, Urt. v. 17.9.2004 - V ZR 230/03, BGHZ 160, 232) oder bei dem Übergreifen von Insekten auf das Nachbargrundstück (Urt. v. 7.7.1995 - V ZR 213/94, NJW 1995, 2634). An der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung eines Grundstücks fehlt es, wenn die in dem jeweils einschlägigen Landesnachbarrechtsgesetz vorgeschriebenen Grenzabstände für Anpflanzungen nicht eingehalten sind (BGH, Urt. v. 14.11.2003 - V ZR 102/03, BGHZ 157, 33, 43; Urt. v. 27.10.2017 - V ZR 8/17, ZfIR 2018, 190 Rz. 11).
Rz. 10
cc) Ob ein Abwehranspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB wegen Immissionen von Anpflanzungen in Betracht kommt, wenn die vorgeschriebenen Abstandsgrenzen - wie hier gem. § 16 Abs. 1 Nr. 4a i.V.m. Abs. 2 Satz 1 NRG-BW aF - eingehalten sind, ist umstritten.
Rz. 11
(1) Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass allein die Einhaltung des nach Landesrecht maßgeblichen Grenzabstandes den Abwehranspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB nicht ausschließt (vgl. Roth in Staudinger, BGB [2016], § 906 Rz. 170; Staudinger/Albrecht, EGBGB [2018], Art. 124 Rz. 38; NK/BGB/Ring, 3. Aufl., § 906 Rz. 246; Wenzel, NJW 2005, 241, 242; Endres, Eigentumsfreiheitsklage contra Naturschutz, S. 50; Horst, NZM 2018, 217, 218). Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass auch bei Einhaltung der Abstandsvorschriften der Nachbar durch unterschiedlichste Einwirkung auf sein Grundstück erheblich beeinträchtigt sein könne (vgl. Schäfer, Nachbarrechtsgesetz Nordrhein-Westfalen, 17. Aufl., vor B §§ 40 bis 48, Rz. 5).
Rz. 12
(2) Nach der Gegenauffassung führt die Einhaltung der Grenzabstände dazu, dass ein Abwehranspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist, wobei die Begründungen hierfür divergieren. Teilweise wird insoweit schon eine nach § 1004 BGB abwehrbare Eigentumsbeeinträchtigung verneint (vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 1990, 144, 145; OLG Düsseldorf, NJWE-MietR 1996, 2, 3; Staudinger/Gursky, BGB [2012], § 1004 Rz. 58; Soergel/Münch, BGB, 13. Aufl., § 1004 Rz. 174; Dehner, Nachbarrecht [Dezember 2012], B § 16 S. 20). Andere halten die Einwirkungen von gesetzmäßig unterhaltenen Bepflanzungen für unwesentlich i.S.v. § 906 Abs. 1 BGB und verneinen deshalb einen Abwehranspruch gem. § 1004 Abs. 1 BGB (vgl. OLG Düsseldorf, NZM 2001, 717, 718; Birk, Nachbarrecht für Baden-Württemberg, 6. Aufl., II S. 40; Bassenge/Olivet, Nachbarrecht in Schleswig-Holstein, 13. Aufl., § 29 Rz. 6).
Rz. 13
dd) Für die Entscheidung des Meinungsstreits ist von dem oben dargelegten Grundsatz auszugehen, dass der Eigentümer eines Grundstücks hinsichtlich der von einem darauf befindlichen Baum ausgehenden natürlichen Immissionen auf benachbarte Grundstücke Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB ist, wenn er sein Grundstück nicht ordnungsgemäß bewirtschaftet. Hieran fehlt es in aller Regel, wenn die für die Anpflanzung bestehenden landesrechtlichen Abstandsregelungen eingehalten sind (so im Ergebnis auch bereits BGH, Urt. v. 7.7.1995 - V ZR 213/94, NJW 1995, 2633, 2634).
Rz. 14
(1) Ob sich die Nutzung des Grundstücks, von dem die Beeinträchtigungen ausgehen, im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält, lässt sich nicht allein aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch entnehmen. Inhalt und Umfang des Anspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB ergeben sich bei der Beurteilung von Einwirkungen, die von einem Nachbargrundstück ausgehen, aus den gesetzlichen Regelungen des Nachbarrechts als Ganzes. Das Nachbarrecht ist durch einen Ausgleich der einander widerstreitenden Interessen der Nachbarn gekennzeichnet und findet sich deshalb nicht nur als Bundesrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 906 ff. BGB), sondern auch in den jeweiligen Landesgesetzen, die in Art. 1 Abs. 2 und Art. 124 Satz 1 EGBGB dem Landesgesetzgeber vorbehalten sind. Nur in dem hiernach gegebenen Rahmen kann der Eigentümer Beeinträchtigungen abwehren (vgl. BGH, Urt. v. 12.6.2015 - V ZR 168/14, NJW-RR 2016, 24 Rz. 7).
Rz. 15
(2) Dies gilt auch für die Beeinträchtigungen, die von den auf den Grundstücken befindlichen Pflanzen ausgehen. Die in den jeweiligen Landesnachbargesetzen enthaltenen Abstandsregeln sind Ausdruck des Gebots gegenseitiger Rücksichtnahme unter Berücksichtigung der lokalen Besonderheiten (vgl. Birk, Nachbarrecht für Baden-Württemberg, 6. Aufl., II S. 40). Werden die hier festgelegten Grenzen eingehalten, handelt es sich in aller Regel um eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Grundstücks. Für Immissionen von Pflanzen, die die Abstandsgrenzen einhalten, ist der Grundstückseigentümer nach der von dem Gesetzgeber vorgenommenen Wertung deshalb regelmäßig nicht verantwortlich. Hieran ändert es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nichts, dass die Abstandsregelungen vorrangig zum Ziel haben, den Nachbarn vor dem Entzug von Luft und Licht (sog. "negative" Immissionen) zu schützen (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 10.7.2015 - V ZR 229/14, ZfIR 2015, 798 Rz. 15; s. auch Hinz, JR 1997, 137, 138), und dass die von Bäumen ausgehenden "positiven" Immissionen wie beispielsweise Laub und Pollen auch dann die Grenze zum Nachbargrundstück überschreiten können, wenn die Abstandsvorschriften eingehalten worden sind (vgl. Weick, NJW 2011, 1702, 1706). Entscheidend ist, dass Anpflanzungen, die die Grenzabstände einhalten, von dem Gesetzgeber als zulässige Grundstücksnutzung und damit als ordnungsgemäße Bewirtschaftung angesehen werden. Hiermit wäre es nicht zu vereinbaren, den Grundstückseigentümer wegen der - abgesehen von der als solchen rechtmäßigen Anpflanzung - nur auf natürlichen Vorgängen beruhenden Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks als Störer anzusehen.
Rz. 16
(3) Art. 124 Satz 1 und 2 EGBGB, wonach das Eigentum an Grundstücken zugunsten des Nachbarn noch anderen als den im Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmten Beschränkungen - insb. im Hinblick auf den Grenzabstand von Bäumen - unterworfen werden kann, gebietet, anders als das Berufungsgericht meint, keine abweichende Beurteilung. Richtig ist zwar, dass der Landesgesetzgeber nicht dem Nachbarn Rechte nehmen kann, die sich aus § 1004 Abs. 1 BGB ergeben (BGH, Urt. v. 22.2.2019 - V ZR 136/18, NZM 2019, 350 Rz. 22). Darum geht es hier jedoch nicht. Vielmehr stellt sich die (Vor-)Frage, ob ein Grundstückseigentümer für natürliche Immissionen überhaupt verantwortlich ist, wenn der nach dem Landesnachbarrecht vorgeschriebene Grenzabstand eingehalten ist. In diesem Fall ist er regelmäßig schon nicht Störer, so dass es bereits an einem Beseitigungsanspruch gem. § 1004 Abs. 1 BGB fehlt und der von dem Berufungsgericht beschriebene Konflikt zwischen den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs und den landesrechtlichen Vorschriften nicht besteht.
Rz. 17
(4) Bestätigt wird die Auffassung des Senats durch die Vorschriften des § 907 und § 910 BGB.
Rz. 18
(a) Nach § 907 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks verlangen, dass auf den Nachbargrundstücken nicht Anlagen hergestellt oder gehalten werden, von denen mit Sicherheit vorauszusehen ist, dass ihr Bestand oder ihre Benutzung eine unzulässige Einwirkung auf sein Grundstück zur Folge hat. Genügt eine Anlage den landesgesetzlichen Vorschriften, die einen bestimmten Abstand von der Grenze oder sonstige Schutzmaßregeln vorschreiben, kann die Beseitigung der Anlage erst verlangt werden, wenn die unzulässige Einwirkung tatsächlich hervortritt. Gemäß § 907 Abs. 2 BGB gehören aber Bäume und Sträucher nicht zu den Anlagen i.S.d. § 907 Abs. 1 BGB. Auch wenn es sich bei § 907 Abs. 2 BGB um eine - nicht verallgemeinerungsfähige - Spezialvorschrift zu dem speziellen Abwehranspruch aus Abs. 1 handelt (vgl. BGH, Urt. v. 12.12.2003 - V ZR 98/03, NJW 2004, 1035, 1036; Urt. v. 18.6.2014 - , NJW 2014, 3780 Rz. 15), lassen sich hieraus Rückschlüsse auf die hier zu entscheidende Frage der Störereigenschaft des Grundstückseigentümers ziehen. Nach den Gesetzesmaterialien beruht die Ausnahme nämlich darauf, dass der Grundstückseigentümer gegenüber den Einwirkungen, die von einem Baum ausgehen, "durch § 861" (= § 910 BGB) "und durch den Vorbehalt des § 866 für die Landesgesetze" (= Art. 124 EGBGB) "hinlänglich geschützt" sei (vgl. Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Band III, 1899, S. 158 f.). Dies spricht dafür, dass der Grundstückseigentümer für natürliche Einwirkungen auf das Nachbargrundstück, die von § 910 BGB (Überhang) nicht erfasst werden, regelmäßig nicht verantwortlich ist, wenn die Anpflanzungen mit dem Landesnachbarrecht in Einklang stehen, insb. den Abstandsvorschriften genügen (vgl. auch bereits BGH, Urt. v. 7.7.1995 - V ZR 213/94, NJW 1995, 2633; ebenso Dehner, Nachbarrecht, [Dezember 2012], B § 16 S. 19).
Rz. 19
(b) In diese Überlegungen fügt sich die Rechtsprechung des Senats, wonach der Grundstückseigentümer, der es zugelassen hat, dass Zweige oder Wurzeln über die Grundstücksgrenze hinüberwachsen konnten und zu Beeinträchtigungen geführt haben, als Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB zu qualifizieren ist (vgl. BGH, Urt. v. 28.11.2003 - V ZR 99/03, ZfSch 2004, 153, 155; Urt. v. 26.11.2004 - V ZR 83/04, NZM 2005, 318, 319; Urt. v. 14.6.2019 - V ZR 102/18, zur Veröffentlichung bestimmt). Dies beruht entscheidend darauf, dass der Eigentümer aufgrund der Spezialregelung des § 910 BGB dafür Sorge tragen muss, dass Baumwurzeln oder Zweige nicht über die Grenzen seines Grundstücks hinauswachsen. Hierzu ist er im Rahmen der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Grundstücks gehalten (vgl. BGH, Urt. v. 28.11.2003 - V ZR 99/03, ZfSch 2004, 153, 155; Urt. v. 14.6.2019 - V ZR 102/18, zur Veröffentlichung bestimmt).
Rz. 20
2. Das Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig (§ 561 ZPO). Sind die für die Anpflanzung bestehenden landesrechtlichen Abstandsregelungen eingehalten, lässt sich ein Anspruch auf Beseitigung der Bäume in aller Regel - und so auch hier - nicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis herleiten.
Rz. 21
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats haben die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn insb. durch die Vorschriften der §§ 905 ff. BGB und die Bestimmungen der Nachbarrechtsgesetze der Länder eine ins Einzelne gehende Sonderregelung erfahren. Daneben kommt eine allgemeine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme aus dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses nur dann zum Tragen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint (vgl. BGH, Urt. v. 14.11.2003 - V ZR 102/03, BGHZ 157, 33, 35; Urt. v. 29.6.2012 - V ZR 97/11, NJW-RR 2012, 1160 Rz. 20 m.w.N.; Urt. v. 10.7.2015 - V ZR 229/14, NJW-RR 2015, 1425 Rz. 16). Geht es um die Beeinträchtigung durch Bäume, setzt ein Anspruch auf deren Beseitigung jedenfalls voraus, dass der Kläger wegen der Bäume ungewöhnlich schweren und nicht mehr hinzunehmenden Beeinträchtigungen ausgesetzt ist (vgl. BGH, Urt. v. 10.7.2015 - V ZR 229/14, NJW-RR 2015, 1425 Rz. 16).
Rz. 22
b) Die Voraussetzungen für diese Ausnahme liegen nicht vor. Da es insoweit keiner weiteren Feststellungen bedarf, kann der Senat die hierzu erforderliche Würdigung selbst vornehmen.
Rz. 23
aa) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts führen die von den Birken ausgehenden Immissionen auf das Grundstück des Klägers dazu, dass der Dachboden des dort befindlichen Hauses nicht wie üblich einmal pro Jahr, sondern mindestens zwei- oder dreimal gereinigt werden muss. Die Reinigung der Dachrinne habe nicht nur zweimal, sondern drei- bis viermal zu erfolgen. Ein erhöhter Reinigungsbedarf bestehe zudem bei den Lichtschächten zu den Kellerfenstern und der Holzterrasse. Besonders aufwendig sei die Reinigung der sich seitlich am Haus befindenden Kiestraufen, weil die Birkenpollen nicht einfach herausgenommen werden könnten. Der Senat verkennt nicht, dass die festgestellten Einwirkungen auf das Grundstück des Klägers als erheblich einzustufen sind. Dies hat der Kläger aber nach der Wertung des Gesetzgebers hinzunehmen. Es handelt sich um Immissionen, die gerade für Birken nicht untypisch sind, auch wenn sie über die Einwirkungen anderer Bäume hinausgehen. Der Gesetzgeber hat in § 16 Abs. 1 Nr. 4a i.V.m. Abs. 2 Satz 1 NRG-BW a.F. eine ausdrückliche Regelung dazu getroffen, welche Grenzen ein Grundstückseigentümer bei der Anpflanzung von Birken einhalten muss. Könnte der Nachbar gleichwohl wegen der von Birken typischerweise ausgehenden Einwirkungen gestützt auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis Beseitigung verlangen, würde die von dem Gesetzgeber getroffene Wertentscheidung unterlaufen.
Rz. 24
bb) Auf die von dem Berufungsgericht offen gelassene Frage, ob der Kläger und seine Tochter an einer Birkenpollenallergie leiden, kommt es nicht an. Selbst wenn dies zugunsten des Klägers unterstellt wird, hat er aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis keinen Anspruch auf Beseitigung der Bäume. Hierfür kann dahinstehen, ob die individuelle gesundheitliche Disposition des aktuellen Nutzers eines Grundstücks im Rahmen des Gebots nachbarlicher Rücksichtnahme überhaupt herangezogen werden kann (grundsätzlich verneinend etwa VG Hannover, Urt. v. 10.7.2012 - 7 A 5059/11, juris Rz. 49; Staudinger/Albrecht, BGB [2018], Art. 124 EGBGB Rz. 38). Es ist jedenfalls einem Grundstückseigentümer, der einen Baum unter der Beachtung der in dem Nachbarrecht vorgeschriebenen Abstandsgrenzen gepflanzt hat, im Allgemeinen nicht zuzumuten, diesen wegen einer Allergie des Nachbarn zu beseitigen. Es handelte sich um eine Maßnahme, die sich insb. bei hoch gewachsenen Bäumen (hier: 18 Meter) angesichts der Wuchszeit im Falle einer Neupflanzung faktisch als irreparabel darstellte. Zudem erwiese sich die Maßnahme als nutzlos, sobald das Nachbargrundstück von anderen Personen bewohnt wird.
Rz. 25
3. Das Berufungsurteil kann deshalb keinen Bestand haben und ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht hätte die Abweisung des Hauptantrags durch das AG bestätigen und die Berufung jedenfalls insoweit zurückweisen müssen. Da es hierzu keiner weiteren Feststellungen bedarf, entscheidet der Senat in der Sache selbst (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Rz. 26
4. Zu den von dem Kläger hilfsweise gestellten Anträgen auf Beseitigung von lediglich zwei Birken bzw. von einer Birke und auf Zahlung eines monatlichen Betrages von 230 EUR für die Monate Juni bis November eines jeden Jahres hat das Berufungsgericht - von seinem Ausgangspunkt folgerichtig - keine Entscheidung getroffen. Auch diese Anträge sind abzuweisen, so dass die Berufung zurückzuweisen und damit das Urteil des AG in vollem Umfang wiederherzustellen ist.
Rz. 27
a) Der Senat ist nicht gehindert, über die Hilfsanträge zu entscheiden. Legt nämlich - wie hier - die beklagte Partei gegen ihre Verurteilung nach dem Hauptantrag Revision ein, so ist ohne Weiteres auch der auf einem einheitlichen Sachverhalt beruhende Hilfsantrag der klagenden Partei Gegenstand des Revisionsverfahrens (vgl. BGH, Urt. v. 24.1.1990 - VIII ZR 296/88, NJW-RR 1990, 518, 519; Urt. v. 17.9.1991 - XI ZR 256/90, NJW 1992, 112, 113).
Rz. 28
b) Der Kläger kann von dem Beklagten nicht Beseitigung von nur zwei Birken bzw. von einer Birke verlangen, da es auch insoweit an den Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB bzw. für einen Anspruch aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis fehlt. Das oben zu dem Hauptantrag Ausgeführte gilt entsprechend.
Rz. 29
c) Der Kläger hat gegen den Beklagten auch keinen Anspruch auf eine Entschädigung von monatlich 230 EUR in den Monaten Juni bis November. Hält der Grundstückseigentümer die für die Anpflanzung bestehenden landes-rechtlichen Abstandsregelungen ein, hat der Eigentümer des Nachbargrundstücks wegen der Beeinträchtigungen durch die von den Anpflanzungen ausgehenden natürlichen Immissionen weder einen Ausgleichsanspruch gem. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in unmittelbarer Anwendung noch einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch gem. § 906 Abs. 2 Satz 2 analog.
Rz. 30
aa) Nach der Rechtsprechung des Senats kann zwar einem Grundstückseigentümer für den erhöhten Reinigungsaufwand infolge des Abfallens von Laub, Nadeln, Blüten und Zapfen von den Bäumen eines Nachbargrundstücks unter Umständen ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog zustehen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der in Anspruch genommene Grundstückseigentümer für die Eigentumsbeeinträchtigung verantwortlich und damit Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB ist. Dies war in den bislang von dem Senat entschiedenen Fällen jedenfalls deshalb zu bejahen, weil die Bäume unter Verletzung der einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen unterhalten wurden und sich die Nutzung des Grundstücks deshalb nicht mehr im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hielt (BGH, Urt. v. 14.11.2003 - V ZR 102/03, BGHZ 157, 33, 43; Urt. v. 27.10.2017 - V ZR 8/17, ZfIR 2018, 190 Rz. 18). Hier sind jedoch die Abstandsvorschriften eingehalten, so dass eine Verantwortung des Beklagten für die Beeinträchtigungen des Grundstücks des Klägers ausscheidet.
Rz. 31
bb) Auch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in unmittelbarer Anwendung ergibt sich kein Entschädigungsanspruch des Klägers. Nach dieser Vorschrift kann der Eigentümer, der eine Einwirkung gem. § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB zu dulden hat, von dem Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt. Hier hat der Kläger aber die natürlichen Immissionen der Birken bereits deshalb hinzunehmen, weil der Beklagte für sie nicht verantwortlich ist (s. oben II.1.b). Damit scheidet ein Entschädigungsanspruch gem. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB aus, denn dieser setzt voraus, dass der Nachbar die Immissionen nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB dulden muss.
Rz. 32
Soweit dem Urteil des Senats v. (ZfIR 2018, 190 Rz. 12) Abweichendes entnommen werden kann, wird daran nicht festgehalten.
III.
Rz. 33
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 13509762 |
BGHZ 2020, 155 |
NJW 2020, 607 |
DNotI-Report 2019, 174 |
JurBüro 2019, 610 |
MittBayNot 2020, 227 |
NZG 2019, 6 |
NZM 2019, 890 |
ZAP 2019, 1220 |
ZMR 2020, 76 |
ZfIR 2019, 3 |
ZfIR 2020, 20 |
JZ 2019, 677 |
JZ 2020, 41 |
JuS 2020, 687 |
MDR 2019, 11 |
MDR 2020, 25 |
NJ 2019, 5 |
VersR 2020, 369 |
WuM 2019, 719 |
GV/RP 2020, 405 |
KomVerw/LSA 2020, 238 |
NJW-Spezial 2020, 2 |
RÜ 2020, 86 |
RdW 2020, 94 |
ZNotP 2022, 286 |
BBB 2020, 52 |
FSt 2020, 201 |
FuBW 2020, 218 |
FuHe 2020, 252 |
FuNds 2020, 254 |
ImmWert 2019, 35 |
KomVerw/B 2020, 237 |
KomVerw/MV 2020, 237 |
SchAZtg 2020, 101 |
SchAZtg 2020, 127 |