Leitsatz (amtlich)
Zur Schadensschätzung bei Verletzung eines vertraglich eingeräumten Kraftfahrzeugvertriebsrechtes.
Normenkette
BGB §§ 249, 252; ZPO § 287
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 6. Januar 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte ist Generalimporteur für C.-Jeep-Fahrzeuge und -Zubehör für die Bundesrepublik Deutschland. Am 7. und 14. Dezember 1989 schloß sie mit der Klägerin einen Direkt-Händlervertrag. Darin erhielt die Klägerin das ausschließliche Vertriebsrecht für fabrikneue C.-Erzeugnisse für ein bestimmtes Vertragsgebiet. Der Vertrag bezieht sich unter anderem auf die Gebiete K., B. und H..
Im Mai 1990 kündigte die Beklagte der Klägerin die Vertragsgebiete K. und B.. Auf den Widerspruch der Klägerin erklärte die Beklagte im Juli 1990, aus der Kündigung keine Rechte herleiten zu wollen. Am 26. Oktober 1990 teilte die Beklagte der Klägerin schriftlich mit, sie wolle in B. einen weiteren Vertragshändler einsetzen. Dies geschah dann zum 15. Januar 1991 aufgrund eines Vertrages vom 12. Dezember 1990 mit der Firma Auto F. GmbH.
Am 9. August 1991 informierte die Beklagte die Klägerin, daß sie auch im Kreis W. und gegebenenfalls im Raum H. neue Händler einsetzen werde. In H. setzte sie sodann ab 1. März 1992 die Firma Hö. GmbH & Co. KG ein.
Am 31. August 1992 kündigte die Beklagte den Vertrag mit der Klägerin ordentlich zum 31. Dezember 1993. Am 26. Oktober 1992 kündigte die Beklagte den Vertrag mit der Klägerin zudem fristlos. Die Unwirksamkeit dieser Kündigung und eine Pflicht der Beklagten, Schadensersatz zu leisten, sind durch Urteil des Landgerichts Mainz rechtskräftig festgestellt worden.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin von der Beklagten im Wege der Stufenklage Auskunft darüber, welche Geschäfte die Beklagte über C.-Erzeugnisse in den Gebieten K., B. und H. mit anderen Direkthändlern als der Klägerin geschlossen hat, und nach Erteilung der Auskunft Schadensersatz in noch zu bestimmender Höhe. Die Klägerin macht hierzu geltend, die Beklagte habe die weiteren Händler in den ihr zugewiesenen Handelsvertretergebieten vertragswidrig eingesetzt und ihr dadurch Schaden zugefügt.
Das Landgericht hat dem Auskunftsantrag durch Teilurteil überwiegend stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage dagegen insgesamt abgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Der Klägerin stünden die geltend gemachten Ansprüche auf Auskunftserteilung und Schadensersatz nicht zu. Die Klägerin sei zur Geltendmachung ihrer vermeintlichen Schadensersatzansprüche auf die begehrte Auskunft nicht angewiesen. Die Klägerin hätte ihren Schadensersatzanspruch konkret nach dem ihr entgangenen Gewinn berechnen müssen. Erforderlich, aber auch ausreichend sei hierfür, daß die Klägerin darlege, welchen Gewinn sie nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen ohne die Einsetzung der weiteren Vertragshändler mit Wahrscheinlichkeit hätte erwarten können. Hierzu hätte es genügt, die bisherigen Umsätze der Klägerin mit C.-Erzeugnissen und die wahrscheinlich weitere Entwicklung vorzutragen. Die von der Klägerin mit der Auskunftsklage erstrebte Kenntnis über die von der Beklagten mit den weiter eingesetzten Vertragshändlern getätigten Geschäfte sei dagegen für die Verfolgung der Schadensersatzansprüche ohne Bedeutung. Auf den Streit der Parteien über den räumlichen Umfang des Alleinvertriebsrechts, die sachliche Berechtigung der Einsetzung weiterer Vertriebshändler und den Eintritt der Verjährung komme es deshalb nicht an.
Mit der Aberkennung des Auskunftsanspruchs werde auch dem vom Landgericht noch nicht beschiedenen Schadensersatzanspruch die Grundlage entzogen. Die Klage sei deshalb insgesamt abzuweisen.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht verkennt nicht, daß nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Auskunftsanspruch aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben gegeben ist, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, daß der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im ungewissen ist und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewißheit erforderliche Auskunft zu erteilen (Senat, Urteil vom 2. April 1957 – VIII ZR 60/56, NJW 1957, 1026; BGH, Urteil vom 26. September 1991 – I ZR 149/89, NJW 1992, 429 unter IV 2 a; Senat, Urteil vom 10. Februar 1993 – VIII ZR 47/92, NJW-RR 1993, 678 unter C).
Das Berufungsgericht nimmt auch zu Recht an, daß der Klägerin ein Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung zustehen kann, wenn die Beklagte durch den Einsatz weiterer Vertragshändler das der Klägerin vertraglich eingeräumte Alleinvertriebsrecht verletzt hat (vgl. Senat, Urteil vom 25. Mai 1988 – VIII ZR 360/86, NJW-RR 1988, 1077 unter A I).
2. Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht dagegen, soweit es ein Auskunftsrecht der Klägerin verneint, da die von der Klägerin erstrebte Kenntnis für die Verfolgung ihrer Schadensersatzansprüche ohne Bedeutung sei.
Die Klägerin hat nach §§ 249, 252 BGB Anspruch auf Ersatz des Gewinns, der ihr dadurch entgangen ist, daß die Beklagte unter Verletzung des Alleinvertriebsrechts der Klägerin C.-Erzeugnisse an andere Vertragshändler verkauft hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, daß bei Verletzung eines vertraglich eingeräumten Kraftfahrzeug-Vertriebsrechtes für eine Schadensschätzung die Entwicklung des Absatzes der in Frage stehenden Fahrzeuge im ehemaligen Verkaufsgebiet des in seinem Vertriebsrecht verletzten Unternehmens von Bedeutung ist. Einen gewichtigen Anhaltspunkt für den Umfang der dem Eigenhändler durch verbotene Konkurrenztätigkeit anderer Vertragshändler entgangenen Geschäfte stellen, worauf die Revision zutreffend hinweist, die Geschäfte dar, die in der fraglichen Zeit in dem geschützten Vertragsgebiet geschlossen worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 1991 – I ZR 149/89, NJW 1992, 429 unter IV 2 a; vgl. auch Senat, Urteil vom 3. April 1996 – VIII ZR 3/95, NJW 1996, 2097 unter A I 2 b). Dies schließt nicht aus, daß bei der Schadensbeurteilung ein besonderer Einsatz der anderen Händler oder deren spezielle Betriebssituation ebenfalls zu berücksichtigen sind. Hinreichenden Aufschluß über die Geschäfte, die die an ihrer Stelle eingesetzten Händler getätigt haben, vermag die Klägerin aber nur aufgrund entsprechender Auskünfte der Beklagten zu erlangen. Der Aufwand für eine solche Zusammenstellung hält sich für die Beklagte in zumutbarem Rahmen (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 1991 aaO). Die Beklagte schuldet deshalb, soweit sie das Alleinvertriebsrecht der Klägerin verletzt und sich damit schadensersatzpflichtig gemacht hat, der Klägerin Auskunft über die mit anderen Vertragshändlern abgeschlossenen Geschäfte.
3. Rechtsirrig ist die Auffassung des Berufungsgerichts, mit der Aberkennung des Auskunftsanspruchs werde auch dem vom Landgericht noch nicht beschiedenen Schadensersatzanspruch die Grundlage entzogen.
Das Rechtsmittelgericht ist zwar befugt, bei Ansprüchen, die in der Form der Stufenklage hintereinander gestaffelt sind, die noch beim unteren Gericht anhängigen Ansprüche der zweiten oder dritten Stufe selbst abzuweisen, wenn es zur Abweisung des Anspruchs der ersten Stufe gelangt, mit dessen Verneinung die durch den ersten Anspruch bedingten weiteren Ansprüche ohne weiteres entfallen (BGHZ 30, 213, 215). Ein solcher Fall ist hier aber nicht gegeben. Selbst wenn die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Auskunft hätte, entfiele dadurch – wie auch das Berufungsgericht erkennt – noch nicht der Schadensersatzanspruch insgesamt.
III. Da die Verneinung des Klageanspruchs von der Begründung des Berufungsgerichts nicht getragen wird, war die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Das Berufungsgericht wird nunmehr insbesondere Feststellungen über den räumlichen Umfang des Alleinvertriebsrechts, die sachliche Berechtigung der Einsetzung weiterer Vertriebshändler und den Eintritt der Verjährung zu treffen haben. Bei der Zurückverweisung hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Hübsch, Dr. Leimert, Wiechers, Dr. Wolst
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 22.11.2000 durch Zöller, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 519114 |
BB 2001, 115 |
NJW 2001, 821 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 686 |
MDR 2001, 283 |
WRP 2001, 168 |
PVR 2001, 201 |