Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an eine wirksame formularmäßige Einschränkung der Rechte des Bürgen aus § 776 BGB.
Normenkette
BGB § 776; AGBG § 9
Verfahrensgang
LG Traunstein |
OLG München |
Tenor
Auf die Revisionen der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 5. April 2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als deren Verurteilung zur Zahlung über die Beträge von 160.000 DM (Beklagter zu 1) sowie 40.000 DM (Beklagte zu 2), jeweils zuzüglich der zuerkannten Zinsen seit dem 10. September 1998, hinaus bestätigt worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte zu 1 übernahm mit formularmäßiger Erklärung vom 6. Oktober 1994 gegenüber einer Rechtsvorgängerin der Klägerin (fortan: Klägerin) die selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Höchstbetrag von 200.000 DM für alle bestehenden, künftigen und bedingten Ansprüche der Klägerin aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung gegen R. H. Die Beklagte zu 2 erteilte am selben Tage eine entsprechende Bürgschaft über 50.000 DM. Ziffer 8 dieser Verträge lautet:
„Stundung und Freigabe von Sicherheiten
Der Bürge wird von seiner Bürgschaftsverpflichtung nicht frei, wenn die Bank dem Hauptschuldner Stundung gewährt, andere Bürgen aus der Haftung entläßt oder sonstige Sicherheiten freigibt, insbesondere, wenn die Bank Verfügungen über Gegenstände zuläßt, die dem Pfandrecht der Bank unterliegen und dies im Rahmen der ordnungsgemäßen Durchführung und Abwicklung der Geschäftsverbindung zum Hauptschuldner oder zur Wahrung berechtigter Belange des Hauptschuldners oder der Bank geschieht. Der Bürge wird ebenfalls nicht frei, wenn die Bank Sicherheiten aufgibt, um eine sich aus anderen Sicherungsverträgen ergebende Freigabeverpflichtung zu erfüllen.”
Die Klägerin gewährte dem Hauptschuldner am 6. Oktober 1994 ein am 30. Oktober 1995 zur Rückzahlung fälliges Darlehen von 200.000 DM sowie am 30. November 1994 einen Kontokorrentkredit über 100.000 DM mit einer Laufzeit bis 31. August 1995. Die Forderungen aus diesen Verträgen sind durch Zahlungen der Beklagten erloschen.
Am 2. Februar 1996 erhielt der Hauptschuldner ein weiteres Darlehen über 200.000 DM. Mit Vertrag vom 25. März 1996 wurde ihm auf dem bisherigen Konto ein Kontokorrentkredit in Höhe von 100.000 DM bis 31. Januar 1997 und durch Vereinbarung vom 2. Oktober 1997 in Höhe von 50.000 DM bis 31. März 1998 zur Verfügung gestellt. Die Urkunden über die genannten Verträge bezeichnen als Sicherheiten die Bürgschaften der Beklagten vom 6. Oktober 1994 und sind von den Beklagten als Bürgen unterzeichnet worden. Darüber hinaus ist in den Verträgen vom 2. Februar und 25. März 1996 als Sicherheit die Verpfändung der in dem Safe Nr. 154/6 enthaltenen Wertpapiere des Hauptschuldners gemäß dessen Erklärung vom 21./22. Juli 1993 erwähnt.
Die Klägerin hat die Darlehensverträge wegen Zahlungsverzugs des Hauptschuldners gekündigt und die Beklagten aus den Bürgschaften in Anspruch genommen. Die verpfändeten Wertpapiere hat sie freigegeben. Das Berufungsgericht hat das der Klage stattgebende erstinstanzliche Urteil bestätigt. Der Senat hat die Revisionen der Beklagten nur insoweit angenommen, als der Beklagte zu 1 zur Zahlung von mehr als 160.000 DM und die Beklagte zu 2 zur Zahlung von mehr als als 40.000 DM, jeweils zuzüglich Zinsen, verurteilt worden sind.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen der Beklagten führen im Umfang der Annahme zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Wie der Senat in dem die Annahme der Revision betreffenden Beschluß vom 7. Juni 2001 ausgeführt hat, ist das angefochtene Urteil rechtlich nicht zu beanstanden, soweit es angenommen hat, daß die Beklagten sich mit den in den Verträgen vom 2. Februar 1996, 25. März 1996 und 2. Oktober 1997 enthaltenen Erklärungen im Rahmen der vereinbarten Höchstbeträge wirksam für die jeweiligen Hauptschulden verbürgt haben. Das Berufungsgericht hat weiter rechtlich einwandfrei festgestellt, daß der Klägerin in dem geltend gemachten Umfang eine fällige Forderung gegen den Hauptschuldner zusteht. Einwendungen, die gemäß §§ 767, 768, 770 BGB beachtlich sein könnten, haben die Beklagten nicht erhoben.
II.
Die Revision rügt jedoch zu Recht, das Berufungsgericht habe nicht beachtet, daß die Beklagten bis zum Betrag von insgesamt 50.000 DM gemäß § 776 BGB von ihrer Haftung frei geworden sein können. Nach dem Vorbringen der Beklagten, zu dem das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat, ist die dort vorgesehene Rechtsfolge eingetreten.
1. Gemäß § 776 Satz 1 BGB wird der Bürge insoweit frei, als der Gläubiger ein für die Hauptforderung bestelltes Pfandrecht aufgibt und der Bürge aus dem aufgegebenen Recht nach § 774 BGB hätte Ersatz erlangen können.
a) Unstreitig hat die Klägerin ihr Pfandrecht an den Wertpapieren des Hauptschuldners freiwillig aufgegeben. Nach der für die revisionsrechtliche Prüfung maßgeblichen Darstellung der Beklagten ist davon auszugehen, daß ohne diese Rechtshandlung die Forderung der Gläubigerin mit dem Pfandrecht an den Wertpapieren (§ 774 Abs. 1 Satz 1, §§ 412, 401 BGB) bei Erfüllung des Bürgschaftsanspruchs auf sie übergegangen wäre und die Verwertung der Papiere einen Erlös von 50.000 DM erbracht hätte. Dieser Erlös wäre den Beklagten entsprechend dem Verhältnis ihrer Höchstbetragsbürgschaften zugeflossen (vgl. BGHZ 137, 292), so daß der Beklagte zu 1) danach 40.000 DM erhalten hätte und die Beklagte zu 2) 10.000 DM. Wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Insolvenz des Hauptschuldners stehen die Wertpapiere nicht zur Befriedigung der Regreßansprüche zur Verfügung.
2. Durch die Unterschriften auf den Kreditverträgen vom 2. Februar 1996, 25. März 1996 und 2. Oktober 1997 wurden wirksame Haftungsverpflichtungen der Beklagten mit dem Inhalt der Bürgschaftsverträge vom 6. Oktober 1994 begründet. Die Parteien haben die Wirkungen des § 776 BGB durch die in Ziffer 8 jener Verträge enthaltene Klausel nicht wirksam ausgeschlossen.
a) Der Senat hat mit Urteil vom 2. März 2000 (BGHZ 144, 52) – in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – entschieden, daß ein formularmäßiger genereller Verzicht auf die Rechte aus § 776 BGB nach § 9 AGBG unwirksam ist, weil er den Bürgen entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Ein solcher allgemeiner Ausschluß der dem Bürgen zustehenden Rechte kann allerdings rechtlich haltbar sein, sofern er sich lediglich auf Sicherheiten bezieht, die dem Kreditinstitut nicht aufgrund einer gesonderten Sicherungsvereinbarung, sondern schon nach dem Inhalt seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen zustehen (BGHZ 144, 52, 56).
b) Die in den Bürgschaftsverträgen enthaltene Formularbestimmung erwähnt § 776 BGB nicht, sieht jedoch weitgehend dieselben Rechtsfolgen vor, die sich bei einem gänzlichen Ausschluß der Vorschrift ergeben. Danach soll der Bürge ganz allgemein nicht frei werden, wenn die Bank andere Bürgen aus der Haftung entläßt oder sonstige Sicherheiten freigibt. Die Voraussetzung, daß die Bank ihrem Pfandrecht unterliegende Gegenstände freigibt und dies im Rahmen der ordnungsgemäßen Durchführung und Abwicklung der Geschäftsverbindung zum Hauptschuldner geschieht, wird nur als ein möglicher Anwendungsfall unter anderen beschrieben. Damit fehlt es an einer hinreichend konkreten gegenständlichen Begrenzung auf Sachverhalte, bei denen eine Einschränkung der gesetzlichen Rechte des Bürgen auch unter Beachtung seiner berechtigten Interessen vertretbar erscheint. Die Klausel ist infolgedessen insgesamt unwirksam; die Voraussetzungen, unter denen eine sprachliche und inhaltliche Teilung in Betracht kommt, liegen nicht vor. An die Stelle der Formularbestimmung tritt die gesetzliche Vorschrift des § 776 BGB (§ 6 Abs. 2 AGBG).
III.
Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden.
1. Die Klägerin hat behauptet, die Freigabe der Wertpapiere sei mit Zustimmung der Beklagten erfolgt. Trifft dies zu, haben die Beklagten mit ihrer Einverständniserklärung insoweit auf ihre Rechte aus § 776 BGB individualvertraglich wirksam verzichtet. Die entsprechenden Voraussetzungen hat die Klägerin zu beweisen. Das Berufungsurteil enthält dazu keine Feststellung.
2. Sollte die neue Verhandlung ergeben, daß sich die Beklagten dem Grunde nach zu Recht auf § 776 BGB berufen, werden sie den Beweis führen müssen, daß sie in dem behaupteten Umfang aus den Wertpapieren Befriedigung hätten erlangen können.
Unterschriften
Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof, Fischer, Raebel
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 25.10.2001 durch Preuß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 657810 |
BB 2001, 2498 |
DStR 2002, 96 |
NJW 2002, 295 |
BGHR 2002, 68 |
EWiR 2002, 153 |
KTS 2002, 127 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 2378 |
WuB 2002, 231 |
ZIP 2001, 2168 |
DNotZ 2002, 381 |
JA 2002, 353 |
MDR 2002, 228 |
BKR 2002, 25 |
ZBB 2001, 491 |