Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verletzung von Verfahrensgrundrechten im Strafprozess anlässlich der Entscheidung über ein Befangenheitsgesuch.
I.
Der Beschwerdeführer ist durch das Landgericht am 17. Juni 2005 u. a. wegen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden.
Am letzten Verhandlungstag hatte der Sitzungsstaatsanwalt nach seinem Schlussvortrag beantragt, den ausgesetzten Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer wieder in Vollzug zu setzen. Nach Angaben des Beschwerdeführers hat die Vorsitzende der Strafkammer daraufhin erklärt, diesem Antrag im Falle einer Verurteilung folgen zu wollen. Er – der Beschwerdeführer – solle sich deshalb “in der Nähe” aufhalten.
Anschließend wurde dem Beschwerdeführer das letzte Wort erteilt, und das Gericht nahm die Urteilsberatung auf. Diese brach es ab, nachdem der Verteidiger des Beschwerdeführers einen Beweisantrag angekündigt hatte.
Der Verteidiger stellte nach Wiedereintritt in die Verhandlung den Beweisantrag und lehnte die Vorsitzende wegen ihrer Äußerung zum Antrag der Staatsanwaltschaft wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Den Befangenheitsantrag wies das Landgericht gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig zurück. Die Vorsitzende habe – entgegen dem Antragsvorbringen – lediglich auf die Möglichkeit hinweisen wollen, dass der Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt werden könne. Diese Äußerung sei ungeeignet, den Anschein einer Voreingenommenheit zu erwecken.
Bis zum Wiedereintritt in die Hauptverhandlung war der Prozess in der Zeit von 11.45 Uhr und 13.36 Uhr unterbrochen.
Die Beweisaufnahme wurde erneut geschlossen, die Verfahrensbeteiligten erhielten Gelegenheit zur Äußerung, und dem Beschwerdeführer wurde ein zweites Mal das letzte Wort gewährt. Nach Beratung wurde dann das Urteil verkündet.
Die Revision des Beschwerdeführers gegen das landgerichtliche Urteil verwarf der Bundesgerichtshof. Die auf § 338 Nr. 3 StPO gestützte Verfahrensrüge befand der Bundesgerichtshof für unbegründet. Zwar habe das Ablehnungsgesuch nicht nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO verworfen werden dürfen. Dies sei jedoch – auch mit Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG – unschädlich, da die Zurückweisung als unzulässig im Ergebnis zu Recht erfolgt sei. Das Landgericht hätte den Befangenheitsantrag wegen Verspätung nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO zurückweisen müssen. “Unverzüglich” gestellt im Sinne des § 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO wäre das Gesuch nur dann gewesen, wenn es der Beschwerdeführer vor dem erstmaligen Ergreifen des letzten Wortes angebracht hätte.
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde rügt einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 1 GG.
Die willkürliche Anwendung des § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO im Verfahren über das angebrachte Befangenheitsgesuch habe dem Beschwerdeführer den gesetzlichen Richter entzogen. Der Grundrechtsverstoß habe im Urteil fortgewirkt. Zugleich sei der Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden.
Der Bundesgerichtshof habe den Grundrechtsverstößen nicht abgeholfen. Zudem sei seine Annahme, das Befangenheitsgesuch sei verspätet, willkürlich. Da es zu keinen Verzögerungen im Verfahren gekommen sei, sei das Gesuch “unverzüglich” im Sinne des § 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO angebracht worden. Aus der willkürlichen Rechtsanwendung folge eine eigenständige Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 1 GG durch das Revisionsgericht.
2. Die Aufhebung der gerichtlichen Entscheidungen erstrebt der Beschwerdeführer auch im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
III.
1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt.
Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig, teilweise unbegründet.
a) Unzulässig ist sie, soweit sie eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Anspruch rügt, im Verfahren vor dem Revisionsgericht Gehör zu finden.
Die behauptete Gehörsverletzung durch den Bundesgerichtshof hätte dem Beschwerdeführer Anlass geben müssen, das Verfahren nach § 356a StPO anzustrengen. Da Letzteres offensichtlich unterblieben ist, ist – entgegen § 90 Abs. 2 BVerfGG – der Rechtsweg nicht erschöpft.
b) Soweit die Verfassungsbeschwerde einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und im landgerichtlichen Verfahren eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht, ist sie unbegründet.
aa) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG garantiert den gesetzlichen Richter. Ein Angeklagter kann aus dieser Garantie den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Behandlung seiner Sache durch das hierzu – im Vorhinein – durch das Gesetz festgelegte Gericht herleiten (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juni 2005 – 2 BvR 625/01 u. a. –, BVerfG-K 5, 269 ≪279≫). Verletzt ist dieser Anspruch, wenn dem Angeklagten der gesetzlich bestimmte Richter – willkürlich – entzogen wird (vgl. BVerfGE 82, 286 ≪299≫). Dies kann vor, aber auch während des laufenden Verfahrens geschehen.
Zu einer Entziehung des gesetzlichen Richters im Verfahren – und damit einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG – kommt es u. a. dann, wenn das Gericht ein gegen ein Mitglied des Spruchkörpers angebrachtes Befangenheitsgesuch willkürlich als unzulässig behandelt, obwohl das Antragsvorbringen zu einer materiellen Prüfung des Gesuchs genötigt hätte (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juni 2005 – 2 BvR 625/01 u. a. –, a. a. O., S. 280 ff.; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 2006 – 2 BvR 836/04 –, StraFo 2006, S. 232, 234 ff.). Eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt deshalb vor, weil das Gericht über den zulässigen Befangenheitsantrag in anderer Besetzung zu entscheiden gehabt hätte als über das unzulässige Gesuch. Während das unzulässige Ablehnungsgesuch gemäß § 26 a Abs. 2 Satz 1 StPO durch das Gericht zurückgewiesen wird, ohne dass der abgelehnte Richter ausscheidet, befindet über den zulässigen Befangenheitsantrag das Gericht ohne Mitwirkung des Abgelehnten, § 27 Abs. 1 StPO.
Entgegen der in der Verfassungsbeschwerde geäußerten Annahme ist im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer – obwohl das Landgericht dessen gegen die Vorsitzende des Landgerichts angebrachtes Befangenheitsgesuch zu Unrecht nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig zurückgewiesen hat – Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verletzt worden. Es fehlt an der für eine solche Verletzung erforderlichen Entziehung des gesetzlichen Richters. Über das vom Beschwerdeführer angebrachte Befangenheitsgesuch haben die Richter entschieden, die von Gesetzes wegen hierfür vorgesehen waren. Das fälschlicherweise nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO verworfene Gesuch wäre nämlich vom Gericht in identischer Besetzung über § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO als unzulässig abzulehnen gewesen. Wie der Bundesgerichtshof in seiner Revisionsentscheidung zutreffend ausgeführt hat, war das Ablehnungsgesuch verspätet.
Über den Zeitpunkt, zu dem die Ablehnung eines für befangen gehaltenen Richters erklärt werden muss, gibt § 25 StPO Auskunft. Nach § 25 Abs. 1 StPO kann ein Richter ohne weitere zeitliche Beschränkung im erstinstanzlichen Verfahren bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse abgelehnt werden. Danach hat eine Ablehnung im Falle des Auftretens neuer, bis dahin nicht bekannter Befangenheitsgründe gemäß § 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO unverzüglich zu erfolgen. Nach dem letzten Wort kann – was verfassungsrechtlich unbedenklich ist (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts 23. September 1987 – 2 BvR 814/87 –, NJW 1988, S. 477) – eine Ablehnung nicht mehr formuliert werden.
“Unverzüglich” angebracht ist nach tradierter und ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur die “ohne schuldhaftes Zögern” erklärte Ablehnung. Dabei sei – so der Bundesgerichtshof – im Interesse einer zügigen Durchführung des Verfahrens ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BGHSt 21, 334, ≪339, 344 f.≫). Zwar müsse einem Angeklagten im Regelfall – nicht zuletzt mit Blick auf den Grundsatz des fairen Verfahrens – eine gewisse Zeit zum Überlegen, zur Konsultation mit seinem Verteidiger und zum Abfassen des Ablehnungsgesuchs eingeräumt werden (vgl. BGHSt 45, 312 ≪315≫). Dies entbinde ihn jedoch nicht von der Pflicht, den Befangenheitsantrag so schnell wie möglich anzubringen, um so das Gericht in die Lage zu versetzen, eine Entscheidung treffen zu können, ohne dabei den strafrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz zu verletzen. Deshalb seien Ablehnungsgesuche bei unterbrochener Hauptverhandlung mitunter außerhalb der Termine zu Protokoll der Geschäftsstelle zu erklären (vgl. BGH NStZ 1993, S. 141; 1996, S. 47, 48).
Gegen diese Rechtsprechung ist – nicht zuletzt, weil sie unter Wahrung des Fairnessgebots und von Art. 103 Abs. 1 GG der vorrangig im Interesse des Angeklagten liegenden Verfahrensbeschleunigung dient – von Verfassungs wegen nichts zu erinnern.
Gemessen an ihr war das Befangenheitsgesuch des Beschwerdeführers nicht unverzüglich gestellt. Dem Beschwerdeführer ist im Zusammenhang mit der Anbringung des Befangenheitsantrags ein schuldhaftes Zögern zur Last zu legen. Kenntnis von den Umständen, die die Befangenheit der Vorsitzenden der Strafkammer aus seiner Sicht besorgen ließen, erlangte der Beschwerdeführer nach den “ersten” Schlussvorträgen der Verfahrensbeteiligten. Vor dem Hintergrund, dass bei normalem Verfahrensgang mit Ergreifen des allein als Verfahrenshandlung vor Urteilsverkündung noch ausstehenden letzten Wortes für ihn die Möglichkeit zur Stellung eines Befangenheitsantrags nicht mehr eröffnet sein würde, durfte der Beschwerdeführer diesen Moment zur Anbringung seines Ablehnungsgesuchs nicht verstreichen lassen. Zumindest wäre er verpflichtet gewesen, um eine Verfahrensunterbrechung zur Vorbereitung seines Gesuchs nachzusuchen und dieses anschließend – aber zeitlich vor dem letzten Wort – anzubringen. Dass er dies nicht getan hat, begründet die Verspätung im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO.
Der Umstand, dass das Landgericht die nach dem letzten Wort aufgenommene Urteilsberatung abgebrochen hat, wieder in die Beweisaufnahme eingetreten ist und zwischen der Kenntniserlangung von dem Befangenheitsgrund durch den Beschwerdeführer und der Stellung des Ablehnungsantrags letztlich nur knapp zwei Stunden lagen, vermag an der Verspätung nichts zu ändern. Die gesetzliche Pflicht, ein Befangenheitsgesuch unverzüglich anzubringen, soll einer unangemessenen Verzögerung des Strafverfahrens vorbeugen, die daraus erwächst, dass das Gericht prozessuale Zwischenentscheidungen treffen muss. Gegen sie ist nicht erst dann verstoßen, wenn es bei nachträglicher Sachverhaltsbewertung im Verfahren tatsächlich zu Verzögerungen gekommen ist.
Da das Landgericht bei seiner Entscheidung über das Ablehnungsgesuch dem Beschwerdeführer nicht den gesetzlichen Richter entzogen hat, haften auch seinem Urteil und der Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs keine Verstöße gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG an.
bb) Dass das Ablehnungsgesuch zu Recht als unzulässig zurückgewiesen wurde, schließt zugleich aus, dass die strafgerichtlichen Entscheidungen auf einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG beruhen.
2. Da die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg hat, erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Broß, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 1573337 |
NStZ-RR 2006, 379 |