Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Frage, ob ein Antrag auf Zulassung der Berufung verworfen werden darf, wenn die Begründung dieses Antrags innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO bei dem Oberverwaltungsgericht, nicht aber bei dem Verwaltungsgericht eingeht.
I.
1. Der Beschwerdeführer wandte sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegen eine abfallrechtliche Anordnung. Seine Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 23. Oktober 2002 ab. Der Rechtsmittelbelehrung des Urteils ist unter anderem zu entnehmen, dass die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils durch Einreichung einer Begründung bei dem Verwaltungsgericht schriftlich darzulegen sind. Gegen das ihm am 4. November 2002 zugestellte Urteil stellte der Beschwerdeführer am 4. Dezember 2002 bei dem Verwaltungsgericht einen Antrag auf Zulassung der Berufung, den er mit Schriftsatz vom 6. Januar 2003 – einem Montag – begründete. Entgegen der Rechtsmittelbelehrung in dem verwaltungsgerichtlichen Urteil und entgegen § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO übermittelte er den Schriftsatz per Telefax am 6. Januar 2003 um 22.23 Uhr nur an das Oberverwaltungsgericht, nicht aber an das Verwaltungsgericht. Das Oberverwaltungsgericht verwarf den Zulassungsantrag mit Beschluss vom 10. Januar 2003 als unzulässig und führte aus, der Beschwerdeführer habe nicht innerhalb der in § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO bezeichneten Frist bei dem Verwaltungsgericht die Gründe dargelegt, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes (§ 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO) sei richtiger Adressat der Begründung allein das Verwaltungsgericht.
Am 30. Januar 2003 beantragte der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist und führte aus, der geschiedene Ehemann seiner Prozessbevollmächtigten habe den Brief am 6. Januar 2003 auf seinem Nachhauseweg noch bei dem Verwaltungsgericht einwerfen wollen, habe dies später aber vergessen, da er mit einem anderen als dem vorgesehenen Verkehrsmittel gefahren sei. Über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Oberverwaltungsgericht bislang noch nicht entschieden.
2. Am 13. Februar 2003 hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der er eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG rügt. Er führt aus, die Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe nicht abgewartet werden können, weil andernfalls eine Verfristung der Verfassungsbeschwerde drohe. § 124a Abs. 4 VwGO sei verfassungswidrig. Während nach einer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung die Begründung bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen sei (§ 124a Abs. 3 VwGO), habe der Gesetzgeber ohne sachlichen Grund normiert, dass die Begründung von Anträgen auf Zulassung der Berufung bei dem Verwaltungsgericht erfolgen müsse. Diese Ungleichbehandlung sei systemwidrig und daher verfassungswidrig. Zumindest hätte das Oberverwaltungsgericht § 124a Abs. 4 VwGO verfassungskonform auslegen müssen. Auch habe das Oberverwaltungsgericht bereits ein eigenes Aktenzeichen vergeben gehabt und ihm eine Eingangsmitteilung zukommen lassen. Es habe deshalb den Schriftsatz nicht unberücksichtigt lassen dürfen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die aufgeworfenen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. BVerfGE 65, 219 ≪225≫). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
Mit Blick auf § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde, soweit sich der Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren noch auf Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beruft. Über diesen Antrag hat das Oberverwaltungsgericht noch nicht entschieden, so dass er einer Beurteilung durch das Bundesverfassungsgericht unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entzogen ist.
Soweit man die Verfassungsbeschwerde bezüglich der Rüge, § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO sei verfassungswidrig, als zulässig begreifen mag, ist sie jedenfalls unbegründet. Die Anwendung und Auslegung des § 124a Abs. 4 VwGO im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 oder Art. 103 Abs. 1 GG. Mit § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO hat der Gesetzgeber eindeutig und unmissverständlich bestimmt, bei welchem Gericht die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung zum Zwecke der Fristwahrung einzureichen ist. Sinn und Zweck dieser Regelung ergeben sich aus der Stellungnahme des Bundesrates und der Gegenäußerung der Bundesregierung zu § 124a Abs. 3 Satz 2 VwGO in seiner im Regierungsentwurf vom 22. Juni 2001 vorgesehenen Fassung (BTDrucks 14/6393). Nach dieser Bestimmung ist die Begründung der vom Verwaltungsgericht im Urteil zugelassenen Berufung, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Der Bundesrat hatte ausgeführt, es erscheine sinnvoll, mit der Aktenübersendung von der ersten in die zweite Instanz bis zum Ablauf auch der Berufungsbegründungsfrist zu warten; es sei regelmäßig problemloser, den Beteiligten eine etwa zur Vorbereitung der Begründung erforderliche Akteneinsicht bei dem ortsnahen erstinstanzlichen Gericht zu gewähren (vgl. Nr. 13 der Stellungnahme des Bundesrats, BTDrucks 14/6854 S. 5). Diesem Vorschlag hat die Bundesregierung nicht zugestimmt, weil es sinnvoll sei, dass die Akten in diesem Fall nach dem Eingang der Berufung an das Oberverwaltungsgericht übersandt werden, damit der Vorsitzende des Senats gegebenenfalls über einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nach § 124a Abs. 3 Satz 3 VwGO entscheiden könne (BTDrucks 14/6854 S. 9). Insoweit unterscheidet sich die Begründungsfrist für die zugelassene Berufung von der nicht verlängerbaren Begründungsfrist für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Sinn und Zweck der Regelung des § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO ist es demgegenüber, den Beteiligten innerhalb der zweimonatigen Begründungsfrist für den Zulassungsantrag eine Akteneinsicht bei dem ortsnahen Verwaltungsgericht zu ermöglichen. Bleiben die Akten bis zur Vorlage der Begründung des Zulassungsantrags beziehungsweise bis zum Ablauf der Begründungsfrist beim Verwaltungsgericht, wird überdies gewährleistet, dass sie während der gesamten, nicht verlängerbaren Begründungsfrist für eine Akteneinsicht zur Verfügung stehen; bei einer vorzeitigen Versendung an das Oberverwaltungsgericht ist dies nicht der Fall (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, NVwZ-RR 2003, S. 156).
Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der unterschiedlichen Regelungen in § 124a Abs. 3 und 4 VwGO ist nicht ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer der Zugang zu der Berufungsinstanz unzumutbar oder sachlich nicht gerechtfertigt erschwert wird (siehe zu der vergleichbaren Regelung des § 132 Abs. 3 Satz 2 VwGO a.F. beziehungsweise § 133 Abs. 3 Satz 2 VwGO n.F. ebenso BVerfGE 65, 219 ≪225≫). Auch der Umstand, dass dem Beschwerdeführer von dem Oberverwaltungsgericht bereits ein Aktenzeichen mitgeteilt und ihm der Eingang des Antrags bestätigt worden war, gebietet ein anderes Verständnis des § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO nicht (vgl. BVerfGE 65, 129 ≪225≫), wobei dahinstehen mag, ob der eindeutige Wortlaut der Vorschrift, die in der Rechtsmittelbelehrung des Verwaltungsgerichts zutreffend wiedergegeben wurde und über deren Auslegung der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer nicht im Unklaren sein konnte (vgl. VGH Baden-Württemberg, NVwZ-RR 2003, S. 156; OVG Nordrhein-Westfalen, NWVBl 2003, S. 65; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 29. April 2002 – 1 Q 20/02 – JURIS; Bayerischer VGH, Beschluss vom 20. September 2002 – 7 ZB 02.1219 – JURIS; Sächsisches OVG, Beschluss vom 29. November 2002 – 1 B 667/02 – JURIS; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Auflage, § 124a, Rn. 44; Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/v.Albedyll, VwGO, 2. Auflage 2002, § 124a Rn. 70), eine abweichende Auslegung überhaupt zuließe.
Verfassungsrechtlich unbedenklich war es im vorliegenden Fall schließlich, den Antrag auf Zulassung der Berufung zu verwerfen, obwohl die Begründung dieses Antrags das Oberverwaltungsgericht noch innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erreicht hatte. Das Oberverwaltungsgericht war nur verpflichtet, den Schriftsatz des Beschwerdeführers im ordentlichen Geschäftsgang an das Verwaltungsgericht weiterzuleiten (vgl. BVerfGE 93, 99 ≪115≫). Selbst dann hätte der per Telefax am letzten Tag der Frist um 22.23 Uhr beim Oberverwaltungsgericht eingegangene Schriftsatz die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO aber nicht mehr wahren können.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hohmann-Dennhardt
Fundstellen
Haufe-Index 952200 |
NJW 2003, 2303 |
NVwZ 2003, 728 |
BayVBl. 2003, 538 |
DVBl. 2003, 861 |
SächsVBl. 2003, 164 |
www.judicialis.de 2003 |