Verfahrensgang
AG Wildeshausen (Urteil vom 29.01.2009; Aktenzeichen 4 C 280/08 (IV)) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin wird eine Missbrauchsgebühr in Höhe von 500 EUR (in Worten: fünfhundert Euro) auferlegt.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine amtsgerichtliche Kostengrundentscheidung.
1. Der Stromversorger der Beschwerdeführerin kündigte an, die Stromversorgung wegen eines Zahlungsrückstandes zu unterbrechen. Das Amtsgericht untersagte dies mit einstweiliger Verfügung vom 25. Juni 2008. Der Stromversorger stellte daraufhin den Antrag nach §§ 936, 926 ZPO anzuordnen, dass die Beschwerdeführerin binnen einer bestimmten Frist Klage zu erheben habe. Das Amtsgericht setzte der Beschwerdeführerin eine Frist von vier Wochen. Die am 22. Oktober 2008 rechtzeitig eingereichte Klage wurde wegen nicht vollständig aufgeklärter Schwierigkeiten mit der Verbuchung der Gerichtskosten zunächst nicht zugestellt; die Zustellung erfolgte erst am 19. August 2009. Der Stromversorger beantragte nach Fristablauf die Aufhebung der einstweiligen Verfügung (§ 926 Abs. 2 ZPO).
Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. Januar 2009 hielt das Amtsgericht mit dem hier angegriffenen Urteil vom selben Tage die einstweilige Verfügung aufrecht, legte aber der Beschwerdeführerin die Kosten des Aufhebungsverfahrens auf. Zwar könne der Beschwerdeführerin die wesentliche Verzögerung des Prozesses nicht als schuldhaftes Versäumnis zugerechnet werden. Sie hätte aber versuchen müssen, den offensichtlichen Fehler bei der Überweisung aufzuklären.
2. Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde vom 3. April 2009 eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Die gegen § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßende Kostenentscheidung sei objektiv willkürlich.
Entscheidungsgründe
II.
1. Zu der Verfassungsbeschwerde hat der Gegner des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.
2. Aus der beigezogenen Akte ergibt sich, dass der Stromversorger, dem anders als der Beschwerdeführerin die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts offen stand, mit am 19. März 2009 dem Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zugestelltem Schriftsatz Berufung eingelegt hat. Die Verfassungsbeschwerde enthält hierüber keine Mitteilung.
3. Das Landgericht entschied mit Urteil vom 9. Juli 2009, das amtsgerichtliche Urteil zu ändern und die einstweilige Verfügung aufzuheben; die Kosten des Rechtsstreits wurden der Beschwerdeführerin auferlegt. Das Urteil stützt sich darauf, dass die Klage nicht zugestellt wurde und die Voraussetzungen für eine „demnächst” im Sinne von § 167 ZPO erfolgende Zustellung nicht vorlagen.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie ist unzulässig.
1. Eine gerichtliche Entscheidung kann im Kostenpunkt selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, wenn sich der behauptete Verfassungsverstoß ausschließlich auf die Kostenentscheidung bezieht und die Entscheidung in der Hauptsache davon nicht berührt wird (vgl. BVerfGE 74, 78 ≪89 f.≫; BVerfGK 5, 10 ≪12 f.≫). Aufgrund der vom Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin in der Verfassungsbeschwerde gemachten Angaben ging das Bundesverfassungsgericht zunächst davon aus, dass der Rechtsweg im Sinne von § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erschöpft ist, da die Beschwerdeführerin gegen die sie belastende Kostenentscheidung fachgerichtlich nicht mehr vorgehen konnte (§ 99 Abs. 1, § 511 ZPO). Die – erst nach Anordnung der Zustellung der Verfassungsbeschwerde mitgeteilte – Entscheidung des Landgerichts vom 9. Juli 2009 stellte sich insoweit als erledigendes Ereignis dar, weil sie das amtsgerichtliche Urteil zu Lasten der Beschwerdeführerin abänderte, so dass die Kostenentscheidung ihre Berechtigung erhielt.
2. Der Rechtsweg war jedoch in Wirklichkeit nicht erschöpft, als die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde erhob. Vielmehr befand sich die Sache zu diesem Zeitpunkt bereits in der Berufungsinstanz.
a) Vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde ist nicht nur der in der maßgeblichen Prozessordnung vorgesehene Rechtsweg zu erschöpfen. Der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität erfordert vielmehr auch, dass der Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung durch die Fachgerichte zu erwirken. Im Rahmen des Zumutbaren (vgl. BVerfGE 77, 275 ≪282≫; 85, 80 ≪86≫) muss der Beschwerdeführer bereits während des Ausgangsverfahrens alle prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, um den Verfassungsverstoß zu verhindern oder die geschehene Grundrechtsverletzung zu beseitigen (vgl. BVerfGE 22, 287 ≪290 f.≫; 81, 97 ≪102 f.≫; 112, 50 ≪60≫).
b) Vor diesem Hintergrund hätte die Beschwerdeführerin zunächst von der Möglichkeit der Anschlussberufung (§ 524 ZPO) Gebrauch machen müssen. Dadurch hätte sie eine Überprüfung der sie belastenden Kostenentscheidung herbeiführen können (vgl. BGHZ 17,392 ≪397≫). Ihr war die Einlegung der Anschlussberufung auch zumutbar (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 9. Januar 2006 – 1 BvR 2483/05 –, NJW 2006, S. 1505).
Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass schon die Berufungseinlegung durch die Gegenseite die Möglichkeit eröffnete, dass die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene – wohl objektiv willkürliche – Kostenentscheidung des Amtsgerichts entweder geändert oder aufgrund einer abweichenden Entscheidung des Landgerichts in der Hauptsache nachträglich gerechtfertigt würde (vgl. Heßler, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 524 Rn. 35 m.w.N.).
IV.
Dem Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin wird eine Gebühr in Höhe von 500 EUR auferlegt, weil die Verfassungsbeschwerde missbräuchlich im Sinne von § 34 Abs. 2 BVerfGG erhoben wurde.
Das Bundesverfassungsgericht muss es nicht hinnehmen, bei der Erfüllung seiner Aufgaben durch eine sinnentleerte Inanspruchnahme seiner Arbeitskapazität behindert zu werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. November 1995 – 2 BvR 1806/95 –, NJW 1996, S. 1273 ≪1274≫; stRspr). Im vorliegenden Fall ist es zu einer Zustellung der Verfassungsbeschwerde an den Gegner des Ausgangsverfahrens und an das Landesjustizministerium gekommen, weil der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin die Berufungseinlegung nicht mitgeteilt hat. Noch in Schriftsätzen vom 3. und 21. September 2009 verschweigt der Prozessbevollmächtigte den Zeitpunkt der Zustellung der Berufungsschrift. Von einem Rechtsanwalt, der das Mandat zur Führung eines Prozesses vor dem Bundesverfassungsgericht annimmt, ist zu verlangen, dass er vollständig und wahrheitsgemäß vorträgt und die Erfolgsaussichten einer beabsichtigten Verfassungsbeschwerde eingehend abwägt (vgl. BVerfG, a.a.O.).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Bryde, Schluckebier
Fundstellen
NVwZ 2010, 6 |
AUR 2010, 227 |
BerlAnwBl 2010, 133 |