Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 20.10.2006; Aktenzeichen 20 B 1840/06) |
VG Köln (Beschluss vom 15.08.2006; Aktenzeichen 11 L 1169/06) |
Tenor
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Oktober 2006 – 20 B 1840/06 – und der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 15. August 2006 – 11 L 1169/06 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Köln zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Gründe
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind Beschlüsse in einem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren, durch die ein Antrag auf die vorläufige Verpflichtung abgelehnt wurde, die Beauftragung des Beschwerdeführers als Fluglotse zu verlängern.
I.
1. Der am 27. Juli 1949 geborene Beschwerdeführer war befristet bis zum 31. Juli 2006 zur Durchführung der Flugverkehrskontrolle auf dem Sonderflughafen Oberpfaffenhofen beauftragt (§ 31b Abs. 1 Satz 2 LuftVG).
Im Januar 2006 beantragte der Beschwerdeführer die Verlängerung seiner Beauftragung um ein Jahr. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (im Folgenden: Bundesministerium) lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Regularien ließen leider eine Beschäftigung über das 57. Lebensjahr hinaus nicht zu.
2. Der Beschwerdeführer erhob Verpflichtungsklage auf Verlängerung seiner Beauftragung und beantragte nach § 123 VwGO, seine Beauftragung vorläufig zu verlängern.
a) Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 26. Juli 2006 ab. Mit dem angegriffenen Beschluss lehnte es auch den Antrag im Eilverfahren ab.
Ein Anspruch des Beschwerdeführers auf Verlängerung seiner Erlaubnis scheide aus. Auch einen Anspruch auf Neubescheidung habe der Beschwerdeführer nicht. Das Bundesministerium dürfe seiner Ermessensausübung eine Höchstaltersgrenze von 57 Jahren zugrunde legen.
b) Der Beschwerdeführer legte gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Beschwerde ein, die das Oberverwaltungsgericht zurückwies.
Der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch auf weitere Beauftragung. Auch ein Anspruch auf Neubescheidung stehe dem Beschwerdeführer nicht zu. Das Bundesministerium habe zulässigerweise sein Ermessen an einer generalisierenden Altersgrenze ausgerichtet.
Die Altersgrenze knüpfe an wissenschaftliche Erkenntnisse über altersbedingte Leistungsminderungen an, die verallgemeinerbar seien. Zugleich werde mit der Pauschalierung dem Umstand Rechnung getragen, dass die mit fortschreitendem Alter eintretenden Minderungen der Belastbarkeit nicht ohne weiteres fassbar seien und deshalb in periodischen Tauglichkeitsuntersuchungen nicht zwingend zu Tage träten.
Es sei nicht ermessensfehlerhaft, dass das Bundesministerium möglichen Besonderheiten in der Person des Beschwerdeführers und in den Verhältnissen des Sonderflughafens Oberpfaffenhofen keine entscheidungsrelevante Bedeutung beigemessen habe. Angesichts der in Rede stehenden Gefahrenlagen sei es zulässig, auf derartige Differenzierungen zu verzichten.
3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG. Eine Höchstaltersgrenze von 57 Jahren finde in § 31b Abs. 1 Satz 2 LuftVG keine Stütze. Die Heranziehung der Höchstaltersgrenze im Fall des Beschwerdeführers sei zudem unverhältnismäßig.
4. Die Bundesregierung und das Bundesverwaltungsgericht hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantwortet. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.
1. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit des Beschwerdeführers.
a) Die Ablehnung des Antrags auf Beauftragung und die diese bestätigenden Beschlüsse greifen in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG ein.
Dem Schutz der Berufsfreiheit unterfallen auch Berufe im öffentlichen Dienst (vgl. BVerfGE 7, 377 ≪397 f.≫; 39, 334 ≪369≫; 84, 133 ≪147≫; 96, 189 ≪197≫; 96, 205 ≪210 f.≫) sowie staatlich gebundene Berufe, deren Angehörige mit der Wahrnehmung bestimmter Hoheitstätigkeiten betraut sind (vgl. BVerfGE 7, 377 ≪398≫; 64, 72 ≪82 ff.≫; 73, 301 ≪315 f.≫; 110, 304 ≪321≫). Auch der Zugang zu der in § 31b Abs. 1 Satz 2 LuftVG geregelten Beleihung wird von Art. 12 Abs. 1 GG erfasst.
Die Bestimmung eines Höchstalters für die Beauftragung von Fluglotsen ist nicht Teil der staatlichen Organisationsentscheidung, die dem grundrechtlichen Schutz entzogen ist (vgl. BVerfGE 7, 377 ≪397 f.≫; 39, 334 ≪369≫; 73, 280 ≪294≫). Sie legt ein Kriterium für die Besetzung von Stellen fest, deren Verfügbarkeit auf einer vorangegangenen Organisationsentscheidung beruht.
b) Der in der Anwendung der allgemein festgelegten Altersgrenze liegende Eingriff in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Ungeachtet des Umstands, dass derartige Altersgrenzen in materieller Hinsicht verfassungsrechtlich zulässig sein können (vgl. BVerfGE 9, 338 ≪343 ff.≫; 64, 72 ≪82 f.≫; 103, 172 ≪184 ff.≫; BVerfGK 4, 219 ≪221 f.≫; BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 26. Januar 2007 – 2 BvR 2408/06 –), ist hier maßgebend, dass der in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltene Gesetzesvorbehalt nicht gewahrt ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts reichen normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften als Grundlage von Beschränkungen der Berufswahlfreiheit nicht (vgl. 80, 257 ≪266≫). Eine ständige Verwaltungspraxis, die sich in abstrakt-generell gefassten Vorgaben einer festen Altersgrenze niederschlägt, kann verfassungsrechtlich nicht anders bewertet werden. Dabei kann dahinstehen, ob diese Praxis als Konkretisierung des Kriteriums der Eignung oder als Einengung der Ermessensausübung zu verstehen ist.
Die Behörde hat die Altersgrenze als starre und ausnahmslos geltende Begrenzung zugrunde gelegt und die Gerichte haben dies in den angegriffenen Entscheidungen gebilligt. Den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts für Eingriffe in die Berufswahlfreiheit ist damit nicht Rechnung getragen.
2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 357 ≪361 ff.≫; 79, 365 ≪366 ff.≫).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 1722762 |
NVwZ 2007, 804 |