Verfahrensgang
Tenor
1. Die Beschlüsse des Thüringer Oberlandesgerichts vom 5. September 2003 – 1 Ws 266/03 – und des Landgerichts Erfurt vom 13. Juni 2003 – StVK 54/03 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Erfurt zurückverwiesen.
2. Der Freistaat Thüringen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Berechnung der Strafzeit des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung von im Ausland verbüßter Abschiebungshaft.
I.
1. Der Beschwerdeführer wurde am 9. Februar 1994 vom Landgericht Mühlhausen wegen gemeinschaftlichen Mordes in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Freiheitsberaubung sowie gemeinschaftlicher Bedrohung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher versuchter Nötigung zu einer Einheitsjugendstrafe von acht Jahren verurteilt. Das Amtsgericht Erfurt setzte durch Beschluss vom 25. August 1998, rechtskräftig seit dem 28. August 1998, den bis dahin noch nicht verbüßten Strafrest zum 1. September 1998 zur Bewährung aus. Wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wurde der Beschwerdeführer durch das Amtsgericht Eisenach am 14. Juli 1999 zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Das Urteil ist seit dem 6. April 2000 rechtskräftig. Des Weiteren wurde der Beschwerdeführer am 19. November 1999 vom Amtsgericht Tiergarten wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Diese Entscheidung ist seit dem 13. Juni 2000 rechtskräftig.
Am 28. Oktober 1999 wurde die Strafrestaussetzung der Jugendstrafe widerrufen. Der Beschwerdeführer flüchtete am 1. Dezember 1999 in die USA. Das Amtsgericht Erfurt erließ daraufhin am 16. Dezember 1999 einen Vollstreckungshaftbefehl, mit dem auch international nach dem Beschwerdeführer gefahndet wurde. Am 7. Juli 2000 wurde durch den United States District Court, Eastern District of Washington, ein Haftbefehl zur Vorbereitung des Auslieferungsverfahrens erlassen. Der Beschwerdeführer wurde am 26. August 2000 in den USA festgenommen. Zu einem förmlichen Auslieferungsbegehren der Bundesrepublik Deutschland kam es in der Folge nicht, weil das Auslieferungsverfahren am 11. September 2000 in ein Abschiebungsverfahren nach US-amerikanischem Recht überging. Seit diesem Tag wurde der Beschwerdeführer in den USA in Abschiebehaft gehalten und am 29. Juli 2001 in Begleitung von US-Marshals nach Deutschland abgeschoben, wo er von deutschen Beamten in Empfang genommen wurde, die ihn der weiteren Strafvollstreckung zuführten. In den USA hatte der Beschwerdeführer erfolglos ein Asylverfahren angestrengt.
2. Das Landgericht Erfurt lehnte am 13. Juni 2003 die Anrechnung der in den USA erlittenen Abschiebehaft auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe nach § 450a Abs. 1 StPO ab und rechnete nur die 17 Tage vom 26. August bis 11. September 2000 währende Haft zur Vorbereitung eines Auslieferungsverfahrens im Anrechnungsmaßstab 1:1 an. Seit dem 12. September 2000 habe sich der Beschwerdeführer in einem nach inneramerikanischem Recht durchzuführenden Abschiebungsverfahren befunden, das nicht durch die Strafverfolgung veranlasst gewesen sei und in keinem inneren Zusammenhang mit dieser stehe. Anlass für dieses Verfahren sei allein der Verstoß des Beschwerdeführers gegen ausländerrechtliche Bestimmungen der USA gewesen, namentlich falsche Angaben (nämlich Verschweigen der Vorstrafe wegen Mordes) auf dem Visumsantrag und Ablauf des 90 Tage gültigen Touristenvisums. Dass diese Tatsachen den US-Behörden erst im Laufe des Auslieferungsverfahrens offenbar geworden seien, spiele demgegenüber keine Rolle, ebenso wenig, dass er auf dem Flug nach Frankfurt am Main von US-Marshals begleitet und den deutschen Behörden übergeben worden sei.
3. Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wurde vom Thüringer Oberlandesgericht mit dem durch die Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss vom 5. September 2003 verworfen. In seiner Begründung folgt das Oberlandesgericht dem Landgericht darin, dass für eine Anrechnung nach § 450a StPO nicht ausreichend sei, dass die Entfernung des Beschwerdeführers aus den USA faktisch auch die Vollstreckung der gegen ihn in Deutschland verhängten Jugendstrafe habe möglich werden lassen. Es müsse eine Mittel-Zweck-Beziehung zwischen der Auslandshaft und der Strafvollstreckung im Inland bestehen, die vorliegend nicht gegeben sei. Dies sei auch dann nicht der Fall, wenn die deutsche Strafvollstreckung von den beteiligten ausländischen Behörden bewusst in Kauf genommen worden oder sogar erwünscht gewesen sei. Selbst wenn sich feststellen ließe, dass die amerikanischen Behörden mit der Abschiebehaft neben der ausländerrechtlich motivierten Entfernung des Beschwerdeführers aus den Vereinigten Staaten die Ermöglichung der Strafvollstreckung in der Bundesrepublik Deutschland erstrebt hätten, wäre nach Auffassung des Gerichts eine Anrechnung nicht möglich. Aus dem Wortlaut des § 450a Abs. 1 StPO ergebe sich, dass allein eine Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung oder nach Satz 2 „zugleich zum Zwecke der Strafverfolgung” anzurechnen sei; jeder weitere Zweck, so der Vollzug ausländerrechtlicher Bestimmungen, schließe eine Anrechnung aus. Dies sei auch gerecht und wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Hinblick auf Verurteilte, die nicht im Ausland Haft erlitten hätten, geboten. Etwas anderes gelte nur, wenn das Abschiebeverfahren zu sachfremden Zwecken eingesetzt worden wäre und mit großer Wahrscheinlichkeit nur angeordnet worden sei, um ein aufwändiges Auslieferungsverfahren zu vermeiden, dessen Voraussetzungen ebenfalls vorgelegen hätten. Der Beschwerdeführer habe jedoch selbst nicht geltend gemacht, dass die Abschiebehaft in den USA rechtswidrig gewesen sei oder die Gründe für seine Abschiebung sachlich nicht zuträfen. Sei die Abschiebehaft aber grundsätzlich rechtmäßig gewesen, komme es auf weitere mögliche Motive der amerikanischen Behörden nicht an. Eine Anrechnung nach § 51 Abs. 1 oder Abs. 3 StGB sowie § 52a JGG komme ebenfalls nicht in Betracht, da das Urteil des Landgerichts Mühlhausen zum Zeitpunkt der Abschiebehaft bereits rechtskräftig gewesen sei.
II.
Der Beschwerdeführer sieht sich in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 103 Abs. 3 sowie Art. 19 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.
Tatsächlich sei seine Haft in den USA durch das Auslieferungsbegehren der Bundesrepublik Deutschland veranlasst gewesen; deswegen sei sie auch in vollem Umfang auf seine Haftzeit anzurechnen. Allein der Umstand, dass er am 1. September 2000 einen Asylantrag gestellt habe, habe dazu geführt, dass die deutsche Regierung auf ein förmliches Auslieferungsverfahren verzichtet habe. Dass er jedenfalls auch zum Zwecke der Strafverfolgung inhaftiert gewesen sei, ergebe sich auch daraus, dass ihm verwehrt worden sei, gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt zu werden, was ansonsten durchaus üblich sei. Das Oberlandesgericht habe sich nicht ausreichend mit seinem Beschwerdevortrag auseinander gesetzt, die US-amerikanischen Behörden seien durchaus bereits vor seiner Festnahme über seine ausländerrechtlichen Verstöße informiert gewesen, ohne dies zum Anlass einer Festnahme zu nehmen. Hier habe weiterer Aufklärungsbedarf bestanden, zumal das Oberlandesgericht selbst davon ausgehe, bei einer Abschiebehaft, die nur zum Schein vollstreckt werde, komme eine Anrechnung in Betracht. Eine funktionale Verfahrenseinheit liege ebenfalls vor, da die vom Amtsgericht Eisenach verhängte Freiheitsstrafe von acht Monaten wegen Taten erfolgt sei, die in den USA nicht strafbar seien, was gerade Gegenstand seines Asylbegehrens gewesen sei.
III.
Das Justizministerium des Freistaates Thüringen hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
Entscheidungsgründe
B.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG.
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist der Rechtsweg erschöpft (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist auch offensichtlich begründet.
1. Entscheidungen über die Berechnung der Strafzeit betreffen ebenso wie die Anrechnung von Untersuchungshaft und anderen Freiheitsentziehungen den Umfang der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe. Sie berühren damit grundsätzlich die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit der Person. Dieses Freiheitsrecht beeinflusst als objektive, für alle Bereiche des Rechts geltende Wertentscheidung (vgl. BVerfGE 10, 302 ≪322≫) auch die Auslegung und Anwendung von Vorschriften, die auf die rechtstechnische Umsetzung und die Kontrolle der Rechtmäßigkeit freiheitsentziehender Maßnahmen gerichtet sind.
Hat ein Gericht eine zeitige Freiheitsstrafe verhängt, legitimiert das rechtskräftige Urteil höchstens bis zum einmaligen Ablauf des ausgesprochenen Zeitraums den Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen. Unterbleibt eine gebotene Anrechnung, wird das Urteil insoweit doppelt vollstreckt. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet notfalls auch eine verfahrensübergreifende Anrechnung erlittener Freiheitsentziehungen (vgl. grundlegend BVerfGE 29, 312 ≪316 f.≫ zur Anrechnung von im Ausland erlittener Auslieferungshaft; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. September 1998 – 2 BvR 2232/94 –, NStZ 1999, S. 24 f., zur Anrechnung verfahrensfremder Untersuchungshaft ≪funktionale Verfahrenseinheit≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juli 1999 – 2 BvR 1368/98 –, NStZ 1999, S. 570 f., zur Frage der Anrechnung einer Freiheitsentziehung nach dem Unterbringungsgesetz auf Jugendstrafe).
Für die richtige Berechnung der Strafzeit sind die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde und daneben die Justizvollzugsanstalten als Vollzugsbehörden verantwortlich (§ 451 Abs. 1 StPO und § 36 Abs. 1 Satz 2 StVollstrO). Gemäß §§ 458 Abs. 1, 462a Abs. 1 StPO, § 85 Abs. 6 JGG ist die Strafvollstreckungskammer zur Entscheidung berufen, sofern Zweifel über die Anrechnung einer im Ausland erlittenen Freiheitsentziehung gemäß § 450a Abs. 1 StPO bestehen. Ob die tatsächlichen Voraussetzungen des § 450a StPO im Einzelfall vorliegen, beurteilen die Fachgerichte grundsätzlich in eigener Zuständigkeit. Ihre Entscheidungen unterliegen einer vollständigen Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht. Das Bundesverfassungsgericht greift jedoch ein, wenn die Gerichte von einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung über die Bedeutung eines Grundrechts ausgehen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫) oder Erwägungen anstellen, die der Bedeutung der Grundrechte insgesamt nicht genügen.
2. Gemessen an diesen Maßstäben halten die eine Anrechnung versagenden Entscheidungen einer Überprüfung nicht stand.
a) Es ist die einhellige Auffassung von Rechtsprechung und Literatur, dass bei der Anrechnung von Untersuchungshaft oder vergleichbarer Freiheitsentziehung vor Rechtskraft des Urteils gemäß § 51 StGB bzw. § 52a JGG ein großzügiger Maßstab zu wählen ist, der auch Abschiebehaft mit einschließt, die der Angeklagte aus Anlass der Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist, erlitten hat (BGH, Beschluss vom 10. April 1997 – 5 StR 674/96 –, NStZ 1997, S. 385; OLG Celle, Beschluss vom 22. April 2002 – 2 StE 6/01 –, NStZ 2004, S. 85, zu in Deutschland verbüßter Abschiebehaft; Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., 2004, § 51 Rn. 5). Dies wird damit begründet, dass es Sinn und Zweck des § 51 Abs. 1 StGB entspreche, dass immer dann, wenn eine „funktionale Verfahrenseinheit” vorliege, eine Anrechnung vorgenommen werden müsse, um dem Freiheitsgrundrecht zu besonderer Wirkung zu verhelfen. Eine solche liege stets vor, wenn ein „irgendwie gearteter sachlicher Bezug” zwischen der die Haft auslösenden Tat und der Tat, die der Verurteilung zugrunde liege, vorhanden gewesen sei (Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. September 1998 – 2 BvR 2232/94 –, a.a.O.; BGHSt 43, 112 ff. mit ausführlichen Hinweisen auf die Gesetzgebungsgeschichte).
Dass der Erziehungsgedanke im Jugendstrafrecht in Verbindung mit dem Freiheitsgrundrecht und der im Rechtsstaatsgedanken enthaltenen Idee der Gerechtigkeit in besonderem Maße eine Anrechnung aller Freiheitseinbußen erfordert, die im Laufe des Verfahrens erlitten wurden, selbst wenn es sich um den angeordneten Aufenthalt in einem Zentralinstitut für seelische Gesundheit handelte, hat das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1999 hervorgehoben (Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juli 1999 – 2 BvR 1368/98 –, a.a.O.).
Für den speziellen Fall der Abschiebehaft hat der Bundesgerichtshof im Jahr 1997 festgestellt, dass sie dann anzurechnen ist, wenn sie aus Anlass der Tat infolge der internationalen Fahndung durch die deutschen Behörden erfolgt ist (BGH, Beschluss vom 10. April 1997 – 5 StR 674/96 –, a.a.O.).
b) Demgegenüber gibt es bislang zur Frage der möglichen Anrechnung von im Ausland vollzogener Abschiebehaft, die nach Rechtskraft des Urteils verbüßt wurde, neben der durch den Beschwerdeführer angegriffenen nur eine veröffentlichte Entscheidung eines Oberlandesgerichts, welche die Anrechnung ebenfalls ablehnt. Das Oberlandesgericht Koblenz hat im Jahre 1981 in einem Beschluss festgehalten, der Wortlaut des § 450a StPO verbiete eine Ausdehnung auf die Abschiebehaft ebenso wie die Tatsache, dass die Abschiebehaft nicht den Zwecken der Strafvollstreckung diene und auch nicht Zwecke der Freiheitsstrafe vorwegnehme, zumal der ausländische Staat in der Regel von einer Strafverfolgung des Inhaftierten in Deutschland gar keine Kenntnis habe (Beschluss vom 3. April 1981 – 1 Ws 192/81 –, GA 1981, S. 575 f.). Diese Argumentationslinie verfolgen auch die Oberlandesgerichte Hamm und Frankfurt, allerdings jeweils zu in Deutschland vollzogener Abschiebehaft (OLG Hamm, Beschluss vom 21. April 1987 – 1 Ws 90/87 –, zitiert nach juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. August 1979 – 3 Ws 699/79 –, NJW 1980, S. 537 f.). Sie führen aus, die Abschiebehaft sei ein rein präventives Instrument zum Zwecke der Durchführung der Abschiebung und sei daher nicht anzurechnen. Dies entspricht auch der überwiegenden Meinung in der Kommentarliteratur, die jeweils ohne weitere Begründung feststellt, zwar sei der Begriff der Auslieferungshaft nach § 450a StPO weit auszulegen, ein förmliches Auslieferungsverfahren sei beispielsweise nicht erforderlich; Abschiebehaft falle jedoch nicht darunter (vgl. für die h.M. Bringewat, Strafvollstreckung, 1. Aufl., 1993, § 450a StPO Rn. 6; Paulus, in: KMR, Kommentar zur StPO, 13. Erg.Lfg. ≪April 1997≫, § 450a Rn. 5; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., 2004, § 450a Rn. 2). Die Mindermeinung, vertreten z.B. durch Paeffgen (in: Rudolphi, Systematischer Kommentar zur StPO und zum GVG, 19. Aufbau-Lfg. ≪Mai 1999≫, § 450a Rn. 4), hebt demgegenüber hervor, die Mehrheitsmeinung sei auf der Basis der herrschenden Meinung zu § 51 StGB inkonsequent, dort werde schließlich auch nur auf eine (vordergründige) Wirkungs-Ähnlichkeit abgehoben.
c) Die Begründung der angegriffenen Entscheidung des Thüringer Oberlandesgerichts sowie die von ihm zitierte bisherige Rechtsprechung tragen den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben zur Wahrung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht ausreichend Rechnung.
Die fachgerichtlichen Erwägungen berufen sich im Wesentlichen nur auf den Wortlaut der Vorschrift und die überwiegende Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung, ohne die der Rechtsvorschrift zugrunde liegende Wertung aus der gesetzgeberischen Vorgeschichte und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu berücksichtigen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. September 1998 – 2 BvR 2232/94 –, a.a.O.).
Das Oberlandesgericht meint, eine Anrechnung der Haftzeit sei selbst dann ausgeschlossen, wenn sich feststellen ließe, dass die amerikanischen Behörden im Zeitraum der „Abschiebehaft” neben dem Ziel der Entfernung des Beschwerdeführers aus den USA zugleich eine Strafvollstreckung in der Bundesrepublik Deutschland erstrebt hätten. Der Bundesgerichtshof hat hingegen in einem ähnlichen Fall, allerdings bei ausländischer Haft vor Rechtskraft des Urteils, wegen des Sinns und Zwecks von § 51 Abs. 1 StGB ausdrücklich die Möglichkeit offen gelassen, wie die Haft zu qualifizieren sei (BGH, NStZ 1997, S. 385). Die in diesen Fällen vorgenommene „Auslieferung durch Abschiebung” lässt sich nicht klar einordnen. Auch im Rahmen von § 450a StPO kann in diesen Grenzfällen eine Nichtanrechnung nicht allein mit dem Wortlaut und überwiegender Ansicht von Kommentaren oder Rechtsprechung begründet werden, wenn dabei die zu Grunde liegende Wertung und die gesetzgeberische Vorgeschichte nicht beachtet werden (Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. September 1998 – 2 BvR 2232/94 –, a.a.O.).
§ 450a StPO wurde in das Gesetz aufgenommen, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1970 (vgl. BVerfGE 29, 312 ff.) die bis dahin herrschende Praxis für verfassungswidrig erklärt hatte, nach Rechtskraft erlittene Auslieferungshaft überhaupt nicht auf die Strafzeit anzurechnen, obwohl der Gesetzgeber im Erkenntnisverfahren im damaligen § 60 (heute: § 51) StGB ausdrücklich eine solche Anrechnung vorgesehen hatte. Die durch innerstaatliche Behörden veranlasste Auslieferungshaft nehme in einem wesentlichen Umfang die mit einer Freiheitsstrafe verbundenen Zwecke vorweg; dies gelte in gleicher Weise vor und nach Rechtskraft des Urteils (BVerfG, a.a.O., S. 317; zur Gesetzgebungsgeschichte OLG Frankfurt, a.a.O., S. 538).
Im Gegensatz zu § 51 StGB, der die – weitere – Formulierung „andere Freiheitsentziehung aus Anlass der Tat” enthält, regelt § 450a StPO ausdrücklich nur die Anrechnung von Auslieferungshaft zum Zwecke der Strafvollstreckung. Wie die Fortentwicklung der Rechtsprechung zu § 51 StGB gezeigt hat, stellt dies allein jedoch keinen ausreichenden Grund dar, um eine Anrechnung von Abschiebehaft schlechthin zu versagen. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Benachteiligung von Verurteilten, die sich nach Rechtskraft des Urteils in Abschiebehaft befanden, gegenüber solchen, die Auslieferungshaft erlitten haben, aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist oder ob ein Fall vorliegt, bei dem eine funktionale Verfahrenseinheit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts anzunehmen ist, bei der es das Freiheitsgrundrecht gebietet, eine Anrechnung in weitem Umfang vorzunehmen. Eine funktionale Verfahrenseinheit wird insbesondere anzunehmen sein, wenn die Festnahme des Verurteilten im Ausland aufgrund eines internationalen Haftbefehls erfolgte, der aus Anlass der Verurteilung erging, die nunmehr vollstreckt werden soll.
Indem das Oberlandesgericht die zu Grunde liegende Wertung und die gesetzgeberische Vorgeschichte nicht hinreichend beachtet hat, hat es nicht nur Regelungen des Strafprozessrechts unrichtig ausgelegt, sondern Vorgaben der Verfassung verletzt. Denn gerade Zweck und Entstehungsgeschichte sind bei § 450a StPO (ebenso wie bei § 51 StGB) Gesichtspunkte, die dem Freiheitsrecht zu besonderer Wirkung verhelfen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. September 1998 – 2 BvR 2232/94 –, a.a.O.).
C.
Die Beschlüsse des Thüringer Oberlandesgerichts vom 5. September 2003 – 1 Ws 266/03 – und des Landgerichts Erfurt vom 13. Juni 2003 – StVK 54/03 – sind deshalb aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BVerfGG).
Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen ergibt sich aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen