Verfahrensgang
BSG (Beschluss vom 01.07.2008; Aktenzeichen B 12 KR 4/08 B) |
Tenor
1. Der Beschluss des Bundessozialgerichts vom 1. Juli 2008 – B 12 KR 4/08 B – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz. Der Beschluss wird aufgehoben. Das Verfahren wird an das Bundessozialgericht zurückverwiesen.
2. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I.
Der gesetzlich krankenversicherte Beschwerdeführer wird nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V zu Beiträgen auf eine zum 1. Mai 2006 fällige Kapitalleistung aus einer Lebensversicherung in Höhe von 72.774,40 EUR herangezogen.
Ein früherer Arbeitgeber hatte zu Gunsten des Beschwerdeführers als Versicherten eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen und diese in den Jahren 1984 bis 1989 finanziert. Nach einem Arbeitgeberwechsel übernahm der neue Arbeitgeber die Versicherungsnehmerstellung und die Zahlungen für ein weiteres Jahr bis Ende 1990. Schon Ende Juni 1990 schied der Beschwerdeführer allerdings bei diesem Arbeitgeber wieder aus. Zum 1. Juli 1990 trat der Beschwerdeführer in die Versicherungsnehmerstellung des Lebensversicherungsvertrages ein und finanzierte den nunmehr auf ihn laufenden Vertrag ab 1. Januar 1991 selbst.
Von der Kapitalleistung in Höhe von 72.774,40 EUR wurde ein Betrag von 24.262,78 EUR aus Zahlungen der Arbeitgeber (Beiträge plus anteilige Überschussbeteiligung) erwirtschaftet, der Rest, also 48.511,62 EUR, aus Einzahlungen des Beschwerdeführers als Versicherungsnehmer ab 1. Januar 1991 selbst (Beiträge plus anteilige Überschussbeteiligung). Widerspruch und Klageverfahren des Beschwerdeführers gegen die Beitragserhebung der Krankenkasse auf die volle Auszahlungssumme blieben erfolglos. Zuletzt verwarf das Bundessozialgericht die Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 1. Juli 2008 als unzulässig.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt.
Die vom Bundessozialgericht bei der Auslegung von § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V vorgenommene Typisierung ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit sie dazu führt, dass Zahlungen aus Beiträgen, die der Versicherte nach Ende seines Arbeitsverhältnisses auf einen auf ihn als Versicherungsnehmer laufenden Kapitallebensversicherungsvertrag eingezahlt hat, als betriebliche Altersversorgung zu Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner herangezogen werden, obwohl der Gesetzgeber Erträge aus privaten Lebensversicherungen pflichtversicherter Rentner keiner Beitragspflicht unterwirft.
Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 28. September 2010 – 1 BvR 1660/08 –, juris festgestellt hat, überschreitet das Bundessozialgericht, soweit es auch Kapitalleistungen, die auf Beiträgen beruhen, die ein Arbeitnehmer nach Beendigung seiner Erwerbstätigkeit auf den Lebensversicherungsvertrag unter Einrücken in die Stellung des Versicherungsnehmers eingezahlt hat, der Beitragspflicht nach § 229 SGB V unterwirft, die Grenzen zulässiger Typisierung, weil sie sich dann nicht mehr von Leistungen aus privaten Lebensversicherungen von Arbeitnehmern unterscheiden, welche nicht der Beitragspflicht unterliegen. Der Gesetzgeber unterwirft Erträge aus privaten Lebensversicherungen bei pflichtversicherten Rentnern keiner Beitragspflicht. Zu dieser gesetzgeberischen Grundsatzentscheidung setzt sich eine Rechtsprechung in Widerspruch, die Einzahlungen auf private Lebensversicherungsverträge allein deshalb der Beitragspflicht Pflichtversicherter unterwirft, weil die Verträge ursprünglich vom Arbeitgeber des Bezugsberechtigten abgeschlossen wurden und damit dem Regelwerk des Betriebsrentenrechts unterlagen, obwohl sie danach vollständig aus dem betrieblichen Bezug gelöst worden und ohne Probleme in einen betrieblichen und einen privaten Teil bei der Auszahlung zu trennen sind. Auf die Einzahlungen des Bezugsberechtigten auf einen von ihm als Versicherungsnehmer fortgeführten Kapitallebensversicherungsvertrag finden hinsichtlich der von ihm nach Vertragsübernahme eingezahlten Beiträge keine Bestimmungen des Betriebsrentenrechts mehr Anwendung.
Vorliegend beruht nur ein Teil der als Kapitalbetrag ausgezahlten Versicherungsleistung in Höhe von 72.774,40 EUR auf Einzahlungen der Arbeitgeber. 48.511,62 EUR sind dagegen aus Einzahlungen des Beschwerdeführers als Versicherungsnehmer ab 1. Januar 1991 plus der anteiligen Überschussbeteiligung erwirtschaftet. Insoweit auch dieser vom Beschwerdeführer als Versicherungsnehmer finanzierte Anteil der Kapitalleistung der Beitragspflicht nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V unterworfen wird, liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Im Übrigen wird auf die Gründe des Beschlusses vom 28. September 2010 – 1 BvR 1660/08 –, juris verwiesen.
2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kirchhof, Schluckebier, Baer
Fundstellen