Verfahrensgang
VG Würzburg (Beschluss vom 17.04.2007; Aktenzeichen W 2 K 06.206) |
VG Würzburg (Beschluss vom 28.03.2007; Aktenzeichen W 2 K 06.206) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit in einem Verwaltungsprozess.
I.
1. Die Beschwerdeführer gehen seit Jahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg gegen ihre Heranziehung zu Kanalbenutzungsgebühren vor. Mehrfach haben sie bereits den auch im Ausgangsverfahren zuständigen Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, zuletzt mit Antrag vom 10. November 2006. Die daraufhin (ohne Mitwirkung des Einzelrichters) erfolgte Ablehnung des Befangenheitsgesuchs mit Beschluss vom 14. Dezember 2006 war Gegenstand einer von den Beschwerdeführern früher erhobenen Verfassungsbeschwerde, die nicht zur Entscheidung angenommen wurde.
2. a) In dem Ausgangsverfahren wenden sich die Beschwerdeführer gegen einen Abwassergebührenbescheid. Mit Schriftsatz vom 22. März 2007 lehnten sie den Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung wiesen sie darauf hin, dass die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs durch Beschluss vom 14. Dezember 2006 fehlerhaft gewesen sei. Unzulässig sei es daher gewesen, dass der Richter im vorliegenden Verfahren einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt habe, obwohl ihm bekannt gewesen sei, dass die Beschwerdeführer die erwähnte Verfassungsbeschwerde erhoben hätten. In einem früheren verwaltungsgerichtlichen Verfahren habe der Richter vorsätzlich falsch entschieden und damit den Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) erfüllt. Dasselbe gelte hinsichtlich eines weiteren Verfahrens, in welchem der Richter den Streitwert falsch festgesetzt habe. Schließlich seien sie, die Beschwerdeführer, wegen des Vorwurfs der Beleidigung zu Lasten des Richters zur Vernehmung als Beschuldigte durch die Polizeiinspektion K… geladen worden.
b) Mit dem angegriffenen Beschluss vom 28. März 2007 lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg durch den abgelehnten Richter selbst das Ablehnungsgesuch als rechtsmissbräuchlich ab. Zur Begründung heißt es, ein Ablehnungsgesuch könne von dem abgelehnten Richter selbst abgelehnt werden, wenn es lediglich mit Argumenten begründet werde, welche die Besorgnis der Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen könnten, also die Richterablehnung zu einem Zweck eingesetzt werde, dem das Rechtsinstitut nicht diene. So liege es hier. Die in dem Ablehnungsgesuch vom 22. März 2007 aufgeführten Gründe belegten dessen Rechtsmissbräuchlichkeit. An dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2006 habe der Richter nicht mitgewirkt; Kritik an diesem Beschluss könne daher keinen Ablehnungsgrund darstellen. Die seinerzeit erhobene Verfassungsbeschwerde habe den Fortgang des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht nicht gehindert. Soweit die Beschwerdeführer vorangegangene Entscheidungen des Richters beanstandeten, habe ihnen das jeweils in der Sache gegebene Rechtsmittel zur Verfügung gestanden. Die wiederholte Thematisierung dieses Vorbringens im Rahmen von Ablehnungsgesuchen mache deutlich, dass die Beschwerdeführer die Richterablehnung rechtsmissbräuchlich nutzten. Dies ergebe sich auch daraus, dass die Beschwerdeführer den von dem Richter nicht zu beeinflussenden Inhalt der polizeilichen Vorladungen als Ablehnungsgrund heranzögen. Folgte man der Argumentation der Beschwerdeführer, reichten hinreichend heftige Beleidigungen eines Richters durch einen Prozessbeteiligten aus, um aus einem daraufhin gestellten Strafantrag einen Ablehnungsgrund herzuleiten.
c) Mit hier nicht angegriffenem, aber ebenfalls am 28. März 2007 ergangenen Urteil wies das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg die Klage durch den ursprünglich abgelehnten Richter ab. Die Beschwerdeführer waren zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen. Die Beschwerdeführer haben nicht vorgetragen, gegen dieses Urteil einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt zu haben, sondern sind der Auffassung, sie hätten alle Rechtsbehelfe und Rechtsmittel bereits vollständig ausgeschöpft.
3. Die gegen den Beschluss vom 28. März 2007 erhobene Anhörungsrüge verwarf das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg mit dem angegriffenen Beschluss vom 17. April 2007 durch den abgelehnten Richter als unzulässig.
II.
Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 97 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 Satz 1 und 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. Zur Begründung machen sie neben verschiedenen anderen Umständen geltend, dass der abgelehnte Richter über das Ablehnungsgesuch zu Unrecht selbst entschieden habe.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) sind nicht erfüllt. Die Verfassungsbeschwerde hat weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil sie unzulässig ist.
1. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Dieser fordert, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden weiteren Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder diese zu verhindern (vgl. BVerfGE 81, 22 ≪27≫; 104, 65 ≪70≫, stRspr). Daran fehlt es hier. Zwar ist der die Ablehnung einer Gerichtsperson betreffende Beschluss vom 28. März 2007 nach § 146 Abs. 2 VwGO nicht mit der Beschwerde anfechtbar, doch hätten die Beschwerdeführer die von ihnen gerügte Grundrechtsverletzung zunächst mit einem Antrag auf Zulassung der Berufung (§§ 124, 124a VwGO) gegen das Urteil beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geltend machen müssen. Ein derartiger Rechtsbehelf wäre nicht offensichtlich aussichtslos und seine Erhebung daher im Sinne des Grundsatzes der Subsidiarität geboten gewesen.
2. a) Zwar kann nach überwiegender Rechtsprechung der Oberwaltungsgerichte ein Antrag auf Zulassung der Berufung grundsätzlich nicht darauf gestützt werden, dass ein Befangenheitsantrag während des der Sachentscheidung vorausgehenden Verfahrens zu Unrecht abgelehnt worden sei (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 21. September 2004 – 10 ZB 04.127 –, JURIS, Rn. 2; Beschluss vom 4. Februar 2005 – 6 ZB 02.319 –, JURIS, Rn. 10; Beschluss vom 18. Januar 2006 – 12 ZB 05.371 –, JURIS, Rn. 3; Beschluss vom 27. Oktober 2006 – 2 ZB 05.1790 –, JURIS, Rn. 3; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. August 2001 – 1 A 3047/01 –, NVwZ-RR 2002, S. 541 f.; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 8. Januar 2002 – 1 MA 3669/01 –, NVwZ-RR 2002, S. 471 ≪472≫; vgl. entsprechend zur Revisionszulassung in solchen Fällen BVerwG, Urteil vom 16. April 1997 – 6 C 9.95 –, NJW 1998, S. 323 ≪324≫; Beschluss vom 14. Mai 1999 – 4 B 21.99 –, NVwZ-RR 2000, S. 260; ebenso: Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2007, § 54 Rn. 22; Meissner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Oktober 2005, § 54 Rn. 57d; Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., § 124 Rn. 53 und 59; anderer Auffassung nur Sächsisches OVG, Beschluss vom 1. August 2000 – 1 B 58/99 –, SächsVBl 2001, S. 10 ≪11 f.≫). Dies wird aus der gemäß § 173 VwGO entsprechend anwendbaren Regelung des § 512 ZPO hergeleitet, nach der diejenigen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind, der Beurteilung des Berufungsgerichts nur dann unterliegen, sofern sie nicht unanfechtbar sind (vgl. die entsprechende Regelung in § 557 Abs. 2 ZPO für die Revision). Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen sind nach § 146 Abs. 2 VwGO indes ausdrücklich nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
b) Doch lässt eine verbreitete und auch von dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, der hier über einen Antrag auf Zulassung der Berufung zu entscheiden gehabt hätte, vertretene Auffassung – im Anschluss an die den Revisionszulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO betreffende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 16. April 1997, a.a.O., S. 324 f.; Beschluss vom 9. November 2001 – 6 B 59.01 –, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 29) – eine Ausnahme hiervon für den Fall zu, dass mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung eine gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßende, auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruhende Zurückweisung des Befangenheitsgesuchs geltend gemacht wird (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 21. September 2004, a.a.O., Rn. 3; Beschluss vom 4. Februar 2005, a.a.O.; Beschluss vom 27. Oktober 2006, a.a.O.; Kopp/Schenke, a.a.O.; Meissner, a.a.O., Rn. 60; offen lassend OVG Niedersachsen, Beschluss vom 8. Januar 2002, a.a.O.).
c) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Beschwerdeführer machen einen Verstoß des Beschlusses über die Ablehnung ihres Befangenheitsantrags gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geltend. Die Annahme eines solchen Verstoßes liegt im Hinblick auf den angegriffenen Beschluss vom 28. März 2007 auch nicht fern (dazu unter 3.), so dass ein darauf gestützter Antrag auf Zulassung der Berufung Erfolgsaussichten gehabt hätte und von den Beschwerdeführern nach den oben wiedergegebenen Anforderungen, die aus dem Subsidiaritätsgrundsatz folgen, zu stellen gewesen wäre. Ein Beschwerdeführer hat einen nicht offensichtlich unzulässigen Rechtsbehelf selbst dann zu ergreifen, wenn die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs nicht abschließend geklärt ist (vgl. BVerfGE 70, 180 ≪186≫; 91, 93 ≪106≫). Anders ist es nur, wenn die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs so zweifelhaft ist, dass dem Beschwerdeführer seine Erhebung nicht zugemutet werden kann (vgl. BVerfGE 107, 299 ≪309≫). Eine derartige Unzumutbarkeit liegt hier indessen im Hinblick auf die geschilderte, von der Kommentarliteratur unterstützte Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und namentlich des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht vor.
3. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 28. März 2007 dürfte nach Lage der Dinge gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, weil die ihm zugrunde liegende Annahme, der abgelehnte Richter dürfe selbst über das Ablehnungsgesuch entscheiden, als objektiv willkürlich erscheint.
a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet dem Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen Richter. Ziel dieser Verfassungsgarantie ist es, der Gefahr einer möglichen Einflussnahme auf den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung vorzubeugen, die durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter eröffnet sein könnte (vgl. BVerfGE 17, 294 ≪299≫; 48, 246 ≪254≫; 82, 286 ≪296≫; 95, 322 ≪327≫). Damit sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 95, 322 ≪327≫).
Deshalb verpflichtet Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG den Gesetzgeber dazu, eine klare und abstrakt-generelle Zuständigkeitsordnung zu schaffen, die für jeden denkbaren Streitfall im Voraus den Richter bezeichnet, der für die Entscheidung zuständig ist. Jede sachwidrige Einflussnahme auf die rechtsprechende Tätigkeit von innen und von außen soll dadurch verhindert werden. Die Gerichte sind bei der ihnen obliegenden Anwendung der vom Gesetzgeber geschaffenen Zuständigkeitsordnung verpflichtet, dem Gewährleistungsgehalt und der Schutzwirkung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angemessen Rechnung zu tragen.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darüber hinaus auch einen materiellen Gewährleistungsgehalt. Die Verfassungsnorm garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfGE 10, 200 ≪213 f.≫; 21, 139 ≪145 f.≫; 30, 149 ≪153≫; 40, 268 ≪271≫; 82, 286 ≪298≫; 89, 28 ≪36≫). Der Gesetzgeber hat deshalb in materieller Hinsicht Vorsorge dafür zu treffen, dass die Richterbank im Einzelfall nicht mit Richtern besetzt ist, die dem zur Entscheidung anstehenden Streitfall nicht mit der erforderlichen professionellen Distanz eines Unbeteiligten und Neutralen gegenüberstehen. Die materiellen Anforderungen der Verfassungsgarantie verpflichten den Gesetzgeber dazu, Regelungen vorzusehen, die es ermöglichen, einen Richter, der im Einzelfall nicht die Gewähr der Unparteilichkeit bietet, von der Ausübung seines Amtes auszuschließen (BVerfGK 5, 269 ≪279 f.≫; 7, 325 ≪336≫).
b) Eine “Entziehung” des gesetzlichen Richters durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann allerdings nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß gelten (vgl. BVerfGE 82, 286 ≪299≫). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar sind oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 ≪299≫). Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts (vgl. BVerfGE 29, 45 ≪49≫; 82, 159 ≪197≫; 87, 282 ≪286≫) beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt, kann nur angesichts der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (BVerfGK 5, 269 ≪280≫).
c) Bei der Anwendung der Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung von Richtern ist zu beachten, dass diese Normen dem durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Ziel dienen, auch im Einzelfall die Neutralität und Distanz der zur Entscheidung berufenen Richter zu sichern. Für den Zivilprozess und damit über § 54 Abs. 1 VwGO auch für den Verwaltungsprozess enthalten die §§ 44 ff. ZPO Regelungen über das Verfahren zur Behandlung des Ablehnungsgesuchs und bestimmen, dass das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung zur Entscheidung auf der Grundlage einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters berufen ist. Durch diese Zuständigkeitsregelung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Annahme nahe liegt, es werde an der inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden muss (vgl. BVerfGK 7, 325 ≪337≫ für den Strafprozess; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2007 – 1 BvR 3084/06 –, Umdruck S. 10, für den Zivilprozess).
d) aa) In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings auch für den Bereich des Verwaltungsprozesses (vgl. zum Zivilprozess BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2007, a.a.O.) anerkannt, dass der abgelehnte Richter ein Ablehnungsgesuch selbst ablehnen kann, ohne dass es der Durchführung des Verfahrens nach § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 44 f. ZPO bedarf, wenn das Gesuch als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist, etwa wenn pauschal alle Richter eines Gerichts abgelehnt werden, das Gesuch nur mit solchen Umständen begründet wird, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können, oder wenn gegen den Richter unqualifizierbare Angriffe wegen seiner angeblich rechtsstaatswidrigen Rechtsfindung erhoben werden (vgl. BVerwGE 50, 36 ≪37≫; BVerwG, Beschluss vom 7. Oktober 1987 – 9 CB 20.87 –, NJW 1988, S. 722 f.; BVerwG, Beschluss vom 28. September 1982 – 2 CB 35.80 –, Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 30; Kopp/Schenke, a.a.O., § 54 Rn. 16; Meissner, a.a.O., § 54 Rn. 61).
bb) Ähnlich wie der Gesetzgeber im Strafprozessrecht, in welchem § 26a StPO ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren für unzulässige Ablehnungsgesuche unter Mitwirkung des abgelehnten Richters zur Verfügung stellt, während das Regelverfahren nach § 27 StPO die Entscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters garantiert, trägt die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung mit der differenzierenden Zuständigkeitsregelung in den Fällen der Richterablehnung einerseits dem Gewährleistungsgehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angemessen Rechnung: Ein Richter, dessen Unparteilichkeit mit jedenfalls nicht von vorneherein untauglicher Begründung in Zweifel gezogen worden ist, kann und soll nicht an der Entscheidung gegen das gegen ihn selbst gerichtete Ablehnungsgesuch mitwirken, das sein eigenes richterliches Verhalten und die – ohnehin nicht einfach zu beantwortende – Frage zum Gegenstand hat, ob das beanstandete Verhalten für eine verständige Partei Anlass sein kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Andererseits soll aus Gründen der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens der abgelehnte Richter in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs an der weiteren Mitwirkung nicht gehindert sein und ein aufwendiges und zeitraubendes Ablehnungsverfahren verhindert werden (vgl. BVerfGK 5, 269 ≪280 f.≫; 7, 325 ≪338≫; BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2007, a.a.O., S. 10 f.).
cc) Im Verwaltungs- und Zivilprozessrecht gilt ebenso wie im Strafprozessrecht, dass bei strenger Beachtung der Voraussetzungen des gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs eine Entscheidung des abgelehnten Richters selbst mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt gerät, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist (vgl. BVerfGK 5, 269 ≪281 f.≫; BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2007, a.a.O., S. 11). Ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren soll indes nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern, was eine enge Auslegung der Voraussetzungen gebietet (vgl. BVerfGK 5, 269 ≪282≫; BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2007, a.a.O., S. 11). Völlige Ungeeignetheit ist anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens selbst entbehrlich ist. Hierfür werden regelmäßig nur solche Gesuche in Betracht kommen, die Handlungen des Richters beanstanden, welche nach der Prozessordnung vorgeschrieben sind oder sich ohne weiteres aus der Stellung des Richters ergeben. Unzulässig ist ein Ablehnungsgesuch daher, wenn der Ablehnende die bloße Tatsache beanstandet, ein Richter habe an einer Vor- oder Zwischenentscheidung mitgewirkt. Unzulässig ist das Gesuch auch, wenn sich der Richter an den von der Prozessordnung vorgeschriebenen Verfahrensgang hält, der Ablehnende aber eine Änderung begehrt. Grundsätzlich wird also eine Verwerfung als unzulässig nur dann in Betracht kommen, wenn das Ablehnungsgesuch für sich allein – ohne jede weitere Aktenkenntnis – offenkundig eine Ablehnung nicht zu begründen vermag. Ist hingegen ein – wenn auch nur geringfügiges – Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet die Ablehnung als unzulässig aus. Eine gleichwohl erfolgende Ablehnung durch den abgelehnten Richter selbst ist dann willkürlich. Über eine bloß formale Prüfung hinaus darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe zum Richter in eigener Sache machen (vgl. BVerfGK 7, 325 ≪340≫; BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2007, a.a.O., S. 11 f.).
e) Gemessen an diesen Maßstäben ist die Auslegung der Zuständigkeitsregel im vorliegenden Fall wohl objektiv willkürlich, weil das Ablehnungsgesuch weder gänzlich untauglich noch rechtsmissbräuchlich ist.
aa) In diesem Zusammenhang bedarf es keiner Erörterung sämtlicher von den Beschwerdeführern vorgebrachten, aus ihrer Sicht die Besorgnis der Befangenheit begründenden Umstände. Eine Entscheidung über das Ablehnungsgesuch durch den abgelehnten Richter selbst kam jedenfalls nicht in Betracht, soweit die Beschwerdeführer die Besorgnis der Befangenheit daraus herleiten, dass gegen sie – entweder auf einen Strafantrag des abgelehnten Richters selbst oder seines Dienstvorgesetzten hin (vgl. § 194 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 StGB) – ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beleidigung des abgelehnten Richters eingeleitet wurde. Die Beschwerdeführer, die in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen sind, haben ihr Ablehnungsrecht insoweit auch nicht nach § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 43 ZPO verloren.
bb) Die Prüfung der Frage, ob die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen die Beschwerdeführer die Besorgnis der Befangenheit begründet, bedarf hier eines Eingehens auf die Umstände des Einzelfalls und durfte daher nicht von dem abgelehnten Richter selbst vorgenommen werden. Dass dieser gleichwohl darüber entschied, verstieß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und stellte deshalb einen Grund für die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO dar. Denn die vom Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang für den Bereich des Strafprozesses entwickelten Grundsätze (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar 1992 – 2 StR 254/91 –, NStZ 1992, S. 290 ≪291≫) dürften auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Beachtung beanspruchen. Grundsätzlich gilt danach, dass ein Richter in der Hauptverhandlung Angriffen Verfahrensbeteiligter nicht schutzlos ausgesetzt ist. Das Gesetz stellt ihm in den im Verwaltungsprozess nach § 55 VwGO entsprechend anzuwendenden §§ 177 ff. GVG sitzungspolizeiliche Maßnahmen zur Verfügung, mit denen er Verletzungen der Würde des Gerichts, häufig auch seiner eigenen Person, unmittelbar und schon im Verfahren begegnen kann. Im Übrigen sieht § 183 GVG vor, dass in der Sitzung begangene Straftaten zu Protokoll festzustellen sind. Bedarf es zur Verfolgung solcher Taten eines Strafantrags, kann seine Anbringung auch dem erkennenden Richter nicht schlechthin verwehrt sein. Das muss der Verfahrensbeteiligte grundsätzlich hinnehmen. Andernfalls wäre der Richter in jedem Falle zu der Entscheidung genötigt, ob er der Erfüllung der Berufspflicht Vorrang vor der Durchsetzung seines persönlichen Anspruchs auf Achtung einräumen soll. Eine solche Entscheidung verlangt das Gesetz von ihm nicht. Die Stellung eines Strafantrags versetzt den Richter andererseits jedoch der Sache nach in eine Parteirolle, welche sich in dem einzuleitenden Verfahren auch verwirklichen kann (§§ 374, 395 StPO). Aus der Sicht des Verfahrensbeteiligten gerät er damit zwangsläufig in die Gefahr, seine Unbefangenheit zu verlieren. Dass auch der Dienstvorgesetzte den Strafantrag anbringen kann (§ 194 Abs. 3 StGB), ändert daran nichts. Dies wird dem Richter häufig Zurückhaltung gebieten. Anders liegt es zwar, wenn der Verfahrensbeteiligte den Richter bewusst provoziert hat, um den Abbruch des Verfahrens herbeizuführen; in einem solchen Fall geht es dem Verfahrensbeteiligten nicht um eine gerechte Entscheidung, sondern darum, eine solche zu verhindern. Ansonsten aber kann – je nach den Umständen – die dem Richter von Berufs wegen obliegende Pflicht zur Vermeidung schon des Anscheins der Voreingenommenheit es mit sich bringen, dass er die Durchsetzung seiner Persönlichkeitsrechte zurückstellen muss. Wo von Rechts wegen die Grenzen hierfür liegen, kann nur im Einzelfall ermittelt werden (die Maßgeblichkeit der Umstände des Einzelfalls betonen für den Bereich des Zivilprozesses auch OLG München, Beschluss vom 27. Oktober 1970 – 1 U 1212/70 –, NJW 1971, S. 384 ≪385≫; OLG Koblenz, Beschluss vom 4. September 2002 – 9 WF 606/02 –, MDR 2003, S. 524). Es ist nicht erkennbar, weshalb grundsätzlich anderes für den Fall gelten sollte, dass Äußerungen der Beteiligten im schriftlichen Verfahren Anlass für den Strafantrag gegeben haben.
cc) Angesichts dieser differenzierten, ein Eingehen auf den konkreten Verfahrensverlauf erfordernden Sach- und Rechtslage kann im Übrigen auch nicht angenommen werden, ein auf die Stellung des Strafantrags gestützter Ablehnungsantrag sei rechtsmissbräuchlich, zumal der Bundesgerichtshof in der erwähnten Entscheidung ein Befangenheitsgesuch als begründet erachtet hat (BGH, Beschluss vom 14. Februar 1992, a.a.O.) und die Problematik auch in der verwaltungsprozessualen Kommentarliteratur erörtert wird (vgl. Czybulka, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl. 2006, § 54 Rn. 70).
4. Keinen Erfolg hat die Verfassungsbeschwerde auch, soweit sie sich gegen den die Anhörungsrüge der Beschwerdeführer verwerfenden Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 17. April 2007 richtet. Insoweit fehlt es schon an einer substantiierten Begründung im Sinne der §§ 92, 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG, da sich die Beschwerdeführer darauf beschränken, diesem Beschluss “erhebliche Grundrechtsverletzungen” vorzuwerfen. Sofern die Beschwerdeführer der Auffassung sein sollten, über die Anhörungsrüge habe der von ihnen abgelehnte Richter nicht entscheiden dürfen, übersähen sie, dass ihr Ablehnungsgesuch zu diesem Zeitpunkt – wenn auch wohl rechtsfehlerhaft – bereits abgelehnt worden war, so dass das Verbot, andere als unaufschiebbare Amtshandlungen vorzunehmen (§ 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 47 Abs. 1 ZPO) der Entscheidung durch den zuvor abgelehnten Richter nicht entgegenstand. Im Übrigen durfte die Anhörungsrüge im vorliegenden Fall nach § 152a Abs. 1 Satz 2 VwGO auch unter Berücksichtigung der gebotenen verfassungskonformen Auslegung dieser Norm als unzulässig verworfen werden (vgl. dazu BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 23. Oktober 2007 – 1 BvR 782/07 –, Umdruck S. 14), da eine fachgerichtliche Überprüfung des Beschlusses über die Richterablehnung – wie dargelegt – möglich war.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Bryde, Eichberger, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 1890576 |
NVwZ-RR 2008, 289 |