Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtung eines Kirchensteuer-Hebesatzes bei der Bemessung des Altersübergangsgeldes
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Berücksichtung eines Kirchensteuer-Hebesatzes bei der Bemessung des Altersübergangsgeldes.
I.
1. Das Altersübergangsgeld ist durch Art. 30 Abs. 2 des Vertrages der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – (im Folgenden: EV) vom 31. August 1990 (BGBl II S. 889) eingeführt worden. Das Nähere regelte § 249 e des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Die Leistung war auf ältere Arbeitnehmer beschränkt, die – von der Übergangsregelung des § 249 f. AFG abgesehen – in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1992 aus einer beitragspflichtigen Beschäftigung von mindestens 90 Kalendertagen im Beitrittsgebiet ausgeschieden sind. Sie wurde in Anlehnung an die Regelungen des Arbeitslosengeldes für längstens 1.560 Tage gewährt. § 249 e Abs. 3 AFG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung arbeitsförderungsrechtlicher und anderer sozialrechtlicher Vorschriften (AFG u.a. ÄndG) vom 21. Juni 1991 (BGBl I S. 1306) lautete, soweit hier von Bedeutung:
Auf das Altersübergangsgeld sind die Vorschriften über das Arbeitslosengeld und für Empfänger dieser Leistung mit folgenden Maßgaben entsprechend anzuwenden:
- …
- Die Höhe des Anspruchs beträgt 65 vom Hundert des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts im Sinne des § 112.
- bis 4.
Das Arbeitslosengeld wurde in Höhe eines bestimmten Vom-Hundert-Satzes des pauschalierten Nettoarbeitsentgelts gezahlt. § 111 Abs. 2 Satz 1 und 2 AFG in der Fassung des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2477) hatte folgenden Wortlaut:
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bestimmt die Leistungssätze jeweils für ein Kalenderjahr durch Rechtsverordnung. Dabei hat er zugrunde zu legen:
- als Lohnsteuer …
- als Kirchensteuer-Hebesatz den im Vorjahr in den Ländern geltenden niedrigsten Kirchensteuer-Hebesatz;
- als Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung …
- als Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung …
- …
2. Der 1931 geborene Beschwerdeführer, der keiner steuererhebenden Kirche angehört, erhielt ab 1. Oktober 1991 Altersübergangsgeld. Seine gegen die Berücksichtigung des Kirchensteuer-Hebesatzes gerichtete Klage hatte vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht Erfolg. Das Bundessozialgericht hat die Klage abgewiesen, soweit sie auf die Gewährung von Altersübergangsgeld ohne fiktiven Kirchensteuerabzug gerichtet war. Die Bemessung des Altersübergangsgeldes verstoße nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Die Kirchensteuer zähle weiterhin zu den gesetzlichen Abzügen, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfielen. Dies gelte unabhängig davon, dass mit der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands der Anteil von Kirchenmitgliedern an der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland geringer geworden sei. Es liege nicht offen zutage, dass eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer steuererhebenden Kirche nicht mehr angehöre. Von einer evident unzulässigen Typisierung könne daher nicht gesprochen werden.
3. Mit seiner hiergegen erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG. In den neuen Bundesländern gehörten allenfalls noch 35 v.H. der Bevölkerung einer christlichen Kirche an. Damit könne die Zugehörigkeit zu einer steuererhebenden Kirche nicht mehr als typisch bezeichnet werden. Dies gelte insbesondere im Falle des Altersübergangsgeldes, das ausschließlich für die Bürger des Beitrittsgebietes vorgesehen sei. Auch in Bezug auf das gesamte Bundesgebiet, in dem 30 v.H. der Bürger konfessionslos seien, könne nicht mehr von einem typischen Kirchensteuerabzug gesprochen werden.
4. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Kommissariat der Deutschen Bischöfe und das Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist – unbeschadet ihrer Zulässigkeit – nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, unter welchen Voraussetzungen die Kirchensteuer als ein bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallender gesetzlicher Abzug angesehen werden kann (vgl. BVerfGE 90, 226).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Sie hat keine Aussicht auf Erfolg. Die mittelbar angegriffene Regelung des § 249 e Abs. 3 in Verbindung mit § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AFG ist mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar, soweit danach ein Kirchensteuer-Hebesatz bei der Bemessung des Altersübergangsgeldes zu berücksichtigen ist.
Sozialversicherungsrechtliche Ansprüche genießen Eigentumsschutz, wenn es sich um vermögenswerte Rechtspositionen handelt, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet sind, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruhen und seiner Existenzsicherung dienen (vgl. BVerfGE 97, 271 ≪284≫ m.w.N.). Auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung ist der Eigentumsschutz bislang lediglich für Ansprüche auf Arbeitslosengeld anerkannt, wenn der Versicherte innerhalb der gesetzlichen Rahmenfrist die Anwartschaftszeit erfüllt hat (vgl. BVerfGE 72, 9 ≪18 ff.≫). Ob auch andere nach dem Arbeitsförderungsgesetz erworbene Rechtspositionen der Eigentumsgarantie unterliegen, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht geklärt. Diese Frage braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Insbesondere kann dahingestellt bleiben, ob Ansprüche auf Altersübergangsgeld zu den von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen gehören. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, hätte der Gesetzgeber mit der Bemessung des Altersübergangsgeldes die ihm nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG eingeräumte Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums nicht überschritten.
a) Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 1994(BVerfGE 90, 226) ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber die Höhe des Arbeitslosengeldes auf einen bestimmten Prozentsatz des vor Eintritt der Arbeitslosigkeit zuletzt bezogenen Nettolohns festlegt. Dabei müsse das ausgefallene Nettoarbeitsentgelt nicht individuell berechnet werden. Der Gesetzgeber dürfe bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes, auf das der Leistungsempfänger Steuern und Sozialabgaben nicht zu zahlen habe, auf den individuellen Bruttoverdienst zurückgreifen und diesen um die durch Rechtsverordnung konkretisierten, bei einem Arbeitnehmer gewöhnlich anfallenden Abzüge mindern (a.a.O., S. 237). Auch der Bezug des Altersübergangsgeldes begründete weder eine Steuer- noch eine Beitragspflicht des Arbeitslosen in der Sozialversicherung. Von Verfassungs wegen ist es daher unbedenklich, wenn auch bei der Bemessung dieser Leistung an das pauschalierte Nettoarbeitsentgelt angeknüpft wurde.
b) Der Gesetzgeber war auch nicht gehindert, bei der Bemessung des Altersübergangsgeldes einen Kirchensteuer-Hebesatz als gewöhnlichen gesetzlichen Abzug in Ansatz zu bringen. Dabei kann dahingestellt bleiben, zu welchem Anteil die Arbeitnehmer in der für die Entscheidung im Ausgangsverfahren maßgebenden Zeit einer steuererhebenden Kirche angehört haben. Es bedarf auch keiner Entscheidung darüber, ob dabei allein deshalb ausschließlich auf die Verhältnisse im Beitrittsgebiet abzustellen war, weil das Altersübergangsgeld lediglich für die im Beitrittsgebiet aus einer Beschäftigung ausgeschiedenen Arbeitnehmer in Betracht kam. Die Anknüpfung an die für das Arbeitslosengeld geltende Regelung des § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AFG hielt sich jedenfalls in den Grenzen des dem Gesetzgeber eingeräumten Gestaltungsspielraums und seiner Typisierungsbefugnis.
(1) Das Altersübergangsgeld wurde im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands durch den Einigungsvertrag in das Arbeitsförderungsrecht eingefügt. Nach der Wiedervereinigung stand der Gesetzgeber vor der Herausforderung, die in der Deutschen Demokratischen Republik geschaffenen planwirtschaftlichen Verhältnisse durch marktwirtschaftliche Strukturen abzulösen (vgl. BVerfGE 95, 267 ≪309≫). Angesichts der historischen Einmaligkeit der zu bewältigenden umfassenden und schwierigen Aufgabe sowie des Zeitdrucks, unter dem sie zu erfüllen war, stand ihm eine weite Gestaltungsfreiheit und Typisierungsbefugnis zu (vgl. BVerfGE 85, 360 ≪377≫; 95, 267 ≪309≫; 103, 310 ≪324 f.≫). Dies gilt auch bei der Neuordnung sozialrechtlicher Rechtsverhältnisse (vgl. BVerfGE 100, 59 ≪94 f.≫).
(2) Nach diesen Grundsätzen ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Einführung des befristeten Altersübergangsgeldes die Zugehörigkeit zu einer steuererhebenden Kirche für Arbeitnehmer typischerweise unterstellt hat. Dabei kann offen bleiben, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, dass der Gesetzgeber erst durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 1994 (BVerfGE 90, 226 ≪238≫) angehalten wurde, die Kirchenzugehörigkeit der Arbeitnehmer zu beobachten und gegebenenfalls festzustellen. Jedenfalls erscheint es im Hinblick auf die hier maßgeblichen Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 GG, insbesondere im Hinblick auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 236), nicht sachwidrig, die Höhe des Altersübergangsgeldes an die für das Arbeitslosengeld geltenden Bemessungsgrundsätze zu knüpfen. Dies gilt vor allem mit Rücksicht darauf, dass es sich bei dem Altersübergangsgeld um eine zeitlich befristete Sonderleistung handelte, die grundsätzlich das Ausscheiden aus einer Beschäftigung in dem Zeitraum zwischen dem 3. Oktober 1990 und dem 31. Dezember 1992 voraussetzte. Ob er mit der Anknüpfung an § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AFG die zweckmäßigste Lösung gewählt hat, ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden (vgl. BVerfGE 102, 41 ≪55≫).
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 780416 |
www.judicialis.de 2002 |