Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Beschluss vom 30.06.2004; Aktenzeichen III-2 Ss 17/04-8/04 III) |
LG Wuppertal (Urteil vom 24.09.2003; Aktenzeichen 28 Ns 732 Js 1670/02-44/03 VIII) |
AG Wuppertal (Urteil vom 31.01.2003; Aktenzeichen 24 Cs 732 Js 1670/02) |
Tenor
1. Das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 31. Januar 2003 – 24 Cs 732 Js 1670/02 –, das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 24. September 2003 – 28 Ns 732 Js 1670/02-44/03 VIII – und der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 30. Juni 2004 – III-2 Ss 17/04-8/04 III – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen.
2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Beleidigung.
1. Der Beschwerdeführer wurde bei einer Autofahrt von zwei Polizeibeamten, wie er meint widerrechtlich, angehalten. Aus diesem Grund legte er gegen die Beamten Dienstaufsichtsbeschwerde mit dem folgenden Wortlaut ein:
„Ich befuhr heute zwischen 1000 und 1015 Uhr mit meinem Automobil die Straße Mühlenweg in Wuppertal-Barmen in westlicher Fahrtrichtung, ohne den Sicherheitsgurt angelegt zu haben.
Ich wurde dort, wie andere Fahrer auch, von den Polizisten, die mir gegenüber ihren Namen mit „S.” und „K.” angaben, aufgefordert auf der nördlichen Straßenseite in Höhe des Hauses mit der Hausnummer 39 zu halten. Exakt diese Stelle ist mit einer offensichtlichen amtlichen Markierung zweifelsfrei als Sperrfläche und zusätzlich durch zwei Verkehrszeichen „absolutes Halteverbot” ohne zeitliche Einschränkung eindeutig gekennzeichnet.
Es ist davon auszugehen, dass diese Kennzeichnung nicht willkürlich erfolgte, sondern aus einem verkehrstechnisch wichtigen Grunde, an dem allgemeines Interesse besteht. Möglicher Weise ist die Kennzeichnung sogar zur Erhöhung der Sicherheit bestimmter Verkehrsteilnehmer erfolgt.
Die Polizisten provozierten hier also vorsätzlich ein Vergehen, das sich im Behördenjargon mindestens als „Parken im absoluten Halteverbot, auf einer Sperrfläche mit Behinderung” darstellt. Ein solches Vergehen dürfte im Allgemeinen mit ziemlicher Sicherheit mit einem Bußgeld geahndet werden, das in der Größenordnung des gegen mich verhängten Verwarnungsgeldes wg. nicht angelegtem Sicherheitsgurt liegt.
Die Polizisten haben somit vorsätzlich gegen das gebotene Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel verstoßen. Es kann nicht rechtens sein wg. der Ahndung eines eher untergeordneten Deliktes ein Vergehen in annähernd gleicher Höhe zu provozieren und billigend Behinderungen oder sogar Gefährdungen anderer unbeteiligter Verkehrsteilnehmer in Kauf zu nehmen.
Ich erhebe daher Dienstaufsichtsbeschwerde gegen S. und K. und gegen deren Vorgesetzten, der deren Verhalten wahrscheinlich wissentlich duldet. (Dieser Absatz erscheint im Original im Fettdruck)
(…)
Auf das geschilderte Verhalten meinerseits angesprochen, antwortete einer der Polizisten: „Wir dürfen das!” Wie wahr er damit hat: In Deutschland können Polizisten wieder, wie vor sechzig Jahren, Menschen zu Tode prügeln, ohne dass Sie irgendetwas zu befürchten haben. Dies gilt im Großen und im Kleinen erst recht.
Außerdem sollte sich die vorgesetzte Behörde einmal die Frage stellen, ob durch das geschilderte Verhalten wirklich die Probleme in diesem Land gelöst werden, für die ja angeblich die Polizisten fehlen.”
2. Diese Äußerungen waren Grundlage der angegriffenen Verurteilung wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 50 EUR. Das Amtsgericht führte aus, der Beschwerdeführer habe rechtswidrig die Ehre eines anderen durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung angegriffen. Er habe das Verhalten der Polizeibeamten S. und K. mit dem Vorgehen von NS-Polizisten verglichen und habe dadurch zum Ausdruck bringen wollen, dass diese ihn willkürlich ungerecht behandeln könnten und dies auch getan hätten, ohne eine Sanktion erwarten zu müssen. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, er habe sich lediglich auf die Polizei oder die Justiz als Ganzes im Sinne eines Kollektivs bezogen. Insbesondere durch die Äußerung „Dies gilt im Großen und im Kleinen erst recht” wende sich der Beschwerdeführer auch an die ausführenden Polizeibeamten S. und K. Seine Äußerung sei nicht durch die Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG gedeckt, da nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die „Deformierung” (gemeint ist wohl Diffamierung) der Person im Vordergrund stehe.
Die Berufung des Beschwerdeführers wurde vom Landgericht verworfen. Der Beschwerdeführer habe das Verhalten der Polizeibeamten ihm gegenüber mit dem Verhalten von Polizisten während der NS-Herrschaft verglichen, dadurch seine Missachtung gegenüber den Polizeibeamten kundgetan und diese in ihrer Ehre angegriffen. Er habe nicht nur Polizei und Justiz im allgemeinen, sondern insbesondere die handelnden Polizeibeamten beleidigen wollen. Dies ergebe sich aus der unmittelbaren Folge, in der die Namen von S. und K. genannt, sodann ein Wortwechsel des Beschwerdeführers mit diesen geschildert und schließlich der Vergleich mit NS-Polizisten gezogen werde. Auch der sich anschließende Satz „Dies gilt im Großen und im Kleinen erst recht” belege, dass der Beschwerdeführer den Beamten ein Vorgehen vorwerfe, wie es zur NS-Zeit üblich gewesen ist.
Das Oberlandesgericht hat die Revision ohne Begründung gemäß § 349 Abs. 2 und 3 StPO als unbegründet verworfen.
3. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
Die Gerichte hätten verkannt, dass die Meinungsfreiheit auch emotionale, grundlose und wertlose Meinungsäußerungen schütze; dies gelte gleichermaßen für polemische und verletzende Formulierungen. Des Weiteren müssten die Gerichte die Äußerungen so auslegen, dass der objektive Sinn ermittelt werde; sei eine Äußerung mehrdeutig, dürfe nicht von einer zur Verurteilung führenden Auslegung ausgegangen werden, sofern andere Deutungsmöglichkeiten nicht mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden könnten. Der Beschwerdeführer habe nicht die Polizeibeamten S. und K. persönlich angegriffen. Er habe sie vielmehr als Elemente des Machtapparats gemeint, der unter Missachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und unter Inkaufnahme von Gefährdungen Dritter vorgehe, um Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen. Die Äußerungen müssten zudem vor dem Hintergrund gesehen werden, dass kurz zuvor in Köln ein Mensch bei einem Polizeieinsatz körperlich verletzt worden und an diesen Verletzungen gestorben sei. Es liege darüber hinaus auch keine Schmähkritik vor, da die Äußerungen nicht ohne jeden sachlichen Bezug und jede sachliche Kritik seien. Der Beschwerdeführer habe nicht die Polizeibeamten ohne den Hintergrund einer sachlichen Kritik treffen, sondern vielmehr zum Ausdruck bringen wollen, dass seiner Meinung nach staatliche Gewalt in Deutschland den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit immer häufiger nicht wahre. In der Folge hätte eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem sie einschränkenden Recht vorgenommen werden müssen; diese wäre zu seinen Gunsten ausgefallen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93 c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG stattgegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat die insoweit maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden; die Verfassungsbeschwerde ist, soweit eine Verletzung der Meinungsfreiheit gerügt wird, begründet.
Die Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gilt allerdings nicht schrankenlos. Vielmehr findet es seine Schranken unter anderem in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, namentlich in dem hier von den Strafgerichten angewandten § 185 StGB (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪290 ff.≫). Die Anwendung dieser Norm durch die Gerichte genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
1. Das Amtsgericht und das Landgericht haben zu Unrecht davon abgesehen, eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht der Polizeibeamten und dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers vorzusehen.
a) Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind allerdings die vom Amtsgericht und vom Landgericht bejahte Einordnung der Äußerung als ehrkränkend und die Annahme, dass sie sich gegen die handelnden Polizeibeamten und nicht gegen die Polizei oder Justiz als Institution gerichtet habe.
Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst wird (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪295≫). Ein Strafurteil verstößt daher schon dann gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit, wenn das Gericht bei einer mehrdeutigen Äußerung die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrundelegt, ohne vorher andere mögliche Deutungen, die nicht völlig fern liegen, mit schlüssigen Argumenten ausgeschlossen zu haben (vgl. BVerfGE 82, 43 ≪52≫; 93, 266 ≪295≫; 107, 275 ≪282≫). So liegt es jedoch im vorliegenden Fall nicht. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte alternative Deutung, er habe nicht die handelnden Polizeibeamten, sondern Polizei und Justiz als ein Kollektiv gemeint, ist von den Gerichten erwogen worden. Sie haben diese Deutung jedoch mit schlüssigen Argumenten ausgeschlossen, indem sie darauf abstellten, dass der Vergleich unmittelbar auf die Schilderung des Verhaltens der Polizeibeamten gegenüber dem Beschwerdeführer folge und die sich anschließende Formulierung „Dies gilt im Großen und im Kleinen erst recht” die wegen einer Ordnungswidrigkeit einschreitenden S. und K. mit NS-Polizisten vergleiche.
b) Bei der Anwendung des § 185 StGB verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers (vgl. BVerfGE 93, 266 ≪293≫; 94, 1 ≪8≫). Die Meinungsfreiheit tritt jedoch regelmäßig hinter den Ehrschutz zurück, wenn es sich um herabsetzende Äußerungen handelt, die eine Schmähung der angegriffenen Person darstellen (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪12≫; 82, 43 ≪51≫; 93, 266 ≪294≫). Wegen des die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik eng auszulegen. Eine Schmähung liegt nicht bereits wegen der herabsetzenden Wirkung einer Äußerung für Dritte vor, selbst wenn es sich um eine überzogene oder ausfällige Kritik handelt (vgl. BVerfGE 82, 272 ≪283 f.≫). Vielmehr nimmt eine herabsetzende Äußerung erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 ≪284≫). Hält ein Gericht eine Äußerung fälschlich für eine Schmähung mit der Folge, dass eine konkrete Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unterbleibt, so liegt darin ein verfassungsrechtlich erheblicher Fehler, der zur Aufhebung der Entscheidung führt, wenn diese darauf beruht (vgl. BVerfGE 82, 272 ≪281≫; 93, 266 ≪294≫).
Das Amtsgericht hat in der Äußerung eine Schmähkritik gesehen und eine Abwägung nicht vorgenommen; das Landgericht hat sich zur Frage der Schmähung nicht geäußert, aber ebenfalls keine Abwägung durchgeführt. Die Einordnung der Äußerung als Schmähkritik durch das Amtsgericht ist nicht nachvollziehbar. Das Gericht hat es versäumt, Anlass und Kontext der Äußerung zu berücksichtigen. Bei dem in Rede stehenden Text steht nicht allein die Diffamierung im Vordergrund. Vielmehr zielt der Beschwerdeführer zumindest auch auf eine Auseinandersetzung in der Sache. Er hat sich im Wege einer Dienstaufsichtsbeschwerde an die zuständige Polizeidienststelle gewandt. Er beschreibt dabei detailliert, wie die Polizeibeamten sich ihm gegenüber verhalten hätten und warum dies seiner Meinung nach unverhältnismäßig gewesen sei. Durch seine Darstellung wollte er das Geschehen ersichtlich mit dem Ziel wiedergeben, den für die Bearbeitung zuständigen Beamten zu einer positiven Entscheidung über seine Dienstaufsichtsbeschwerde zu veranlassen. Insofern verfolgt der Beschwerdeführer mit seiner Äußerung ein sachliches Anliegen, nämlich die Überprüfung des Verhaltens der Polizeibeamten durch eine übergeordnete Stelle. Der darauf folgende Vergleich mit der nationalsozialistischen Zeit ist zwar ehrverletzend, steht aber in einem Bezug zur Schilderung des Verhaltens der Polizeibeamten S. und K., da der Beschwerdeführer die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in beiden Fällen zu erkennen glaubt. Da der Vergleich somit an die sachliche Auseinandersetzung anknüpft und dem Beschwerdeführer dazu dient, sein Anliegen und das ihm seiner Meinung nach zugefügte Unrecht zu verdeutlichen, kann nicht die Rede davon sein, dass sich die Äußerung fern jedes sachlichen Anliegens in der Diffamierung von Personen erschöpft.
Die Umstände der Äußerung, insbesondere die Einbettung der Äußerung in einen Rechtsbehelf, hätte auch das Landgericht im Zuge einer Abwägung berücksichtigen müssen. Das Unterbleiben jeglicher Abwägung verletzt die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers.
2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts, die Revision zu verwerfen, weil das Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers erkennen lasse, enthält keine eigenständige Begründung und teilt daher die Fehlerhaftigkeit des landgerichtlichen Urteils.
3. Die Entscheidungen beruhen auf diesen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers mit der persönlichen Ehre der Polizeibeamten zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen werden.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen