Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung des Beschwerdeführers nach Italien.
I.
Der Beschwerdeführer ist italienischer Staatsbürger. Nach der Ausschreibung zur Fahndung im Schengener Informationssystem wurde er am 13. Juli 2004 in Berlin in Haft genommen. Die italienischen Strafverfolgungsbehörden werfen ihm vor, mindestens im Zeitraum von März 1999 bis Juli 2001 Mitglied einer kriminellen Vereinigung vom Typ der Mafia gewesen zu sein, einem flüchtigen Verdächtigen Fluchthilfe geleistet und einen weiteren mutmaßlichen Straftäter unterstützt zu haben.
Nachdem das Kammergericht in mehreren Beschlüssen zunächst die vorläufige, sodann die förmliche Auslieferungshaft und deren Fortdauer angeordnet hatte, erklärte es mit Beschluss vom 21. Februar 2005 die Auslieferung des Beschwerdeführers wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vom Typ der Mafia für zulässig.
Der Beschluss enthält eine Wiedergabe der Tatvorwürfe und befasst sich mit der Strafbarkeit nach italienischem Recht. Unter anderem führt das Kammergericht in seiner Entscheidung aus, die Auslieferungsunterlagen entsprächen den Anforderungen des § 83a Abs. 1 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Internationales Rechtshilfegesetz – IRG) in der Fassung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes (EuHbG) vom 21. Juli 2004. In Übereinstimmung mit § 83a Abs. 1 Nr. 3 IRG EuHbG-Fassung sei das Vorliegen eines italienischen Haftbefehls mitgeteilt worden. Die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sei in Italien nach Art. 416 bis des italienischen Strafgesetzbuches strafbar. Die gegenseitige Strafbarkeit müsse gemäß § 81 Nr. 4 IRG EuHbG-Fassung nicht geprüft werden, da es sich bei dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung um eine Katalogtat im Sinne des Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten vom 13. Juni 2002 (Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl) handele. Ferner genüge es für die Bejahung der beiderseitigen Strafbarkeit, dass sich der Sachverhalt unter irgendeine Norm des deutschen Strafrechts subsumieren lasse.
Noch vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde wurde der Beschwerdeführer nach Italien ausgeliefert.
II.
Mit seiner gegen den Beschluss des Kammergerichts eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 GG.
Die Auslieferung nach Italien sei im Ergebnis grundrechtswidrig erfolgt. Die angegriffene Entscheidung verletze den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die vorgeworfene Straftat entspreche zwar dem deutschen § 129 StGB, die italienische Strafnorm des Art. 416 bis sei aber so weit gefasst, dass sie jede Handlung, die im weitesten Sinne einen Bezug zur organisierten Kriminalität aufweise, erfasse. Dies sei mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar und verstoße insbesondere gegen Art. 103 GG. In Deutschland komme angesichts der Tatvorwürfe nur eine Strafbarkeit nach § 258 StGB in Betracht, der zwar eine Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe, aber auch die Möglichkeit einer Geldstrafe vorsehe. In Italien erwarte den Beschwerdeführer demgegenüber eine “drakonische” Freiheitsstrafe von acht bis neun Jahren.
Das Kammergericht habe nicht auf die Anforderungen des § 83a Abs. 1 IRG EuHG-Fassung Bezug nehmen dürfen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung habe Italien den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl noch nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt.
III.
Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von allgemeiner Bedeutung noch ist die Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt.
1. Zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist die Annahme einer Verfassungsbeschwerde nur dann, wenn die geltend gemachte Grundrechtsverletzung besonderes Gewicht hat oder den Beschwerdeführer in existenzieller Weise betrifft (BVerfGE 90, 22 ≪25≫). Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten. Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt. Eine existenzielle Betroffenheit des Beschwerdeführers kann sich vor allem aus dem Gegenstand der angegriffenen Entscheidung oder seiner aus ihr folgenden Belastung ergeben. Ein besonders schwerer Nachteil für den Beschwerdeführer ist jedoch dann nicht anzunehmen, wenn die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder wenn deutlich abzusehen ist, dass der Beschwerdeführer auch im Falle einer Zurückverweisung im Ergebnis keinen Erfolg haben würde (BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
2. Die geltend gemachte Grundrechtsverletzung hat kein besonderes Gewicht. Der Beschwerdeführer wird auch nicht existenziell betroffen. Teilweise hat die Verfassungsbeschwerde bereits keine hinreichende Aussicht auf Erfolg; im Übrigen ist deutlich abzusehen, dass der Beschwerdeführer auch im Falle einer Zurückverweisung an das Kammergericht keinen Erfolg haben würde.
a) Die fehlende Umsetzung des Rahmenbeschlusses zum Europäischen Haftbefehl durch Italien ist nicht geeignet, den Beschwerdeführer in seinen Rechten zu verletzen. Darauf, ob Italien zum Zeitpunkt der Entscheidung den Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl bereits umgesetzt hatte, kommt es nicht an. Maßgeblich für die Auslieferung einer Person aus Deutschland an einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union sind nicht dessen Rechtsvorschriften zum Europäischen Haftbefehl, sondern die diesbezüglichen deutschen Rechtsvorschriften. Italienische Regelungen des Auslieferungsverfahrens, die auf einer Umsetzung des Rahmenbeschlusses für den Europäischen Haftbefehl beruhen, können sich systemgemäß nur auf die Auslieferung von Personen aus Italien an einen anderen ersuchenden Mitgliedsstaat der Europäischen Union beziehen. Das Vorliegen solcher Vorschriften in einem deutschen Auslieferungsverfahren zu überprüfen, gibt das Verfahren weder Anlass noch haben die deutschen Gerichte eine entsprechende Prüfungskompetenz. Völkerrechtliche Übereinkommen sind zwar ihrer Natur nach grundsätzlich vom Gedanken der Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten der beteiligten Staaten getragen. Eine Reziprozität in der Form, dass die nationalen Regelungen zum Europäischen Haftbefehl ausschließlich im Rechtshilfeverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gelten sollten, die den Rahmenbeschluss bereits umgesetzt haben, ist im Rahmenbeschluss aber ebenso wenig verankert wie im deutschen Internationalen Rechtshilfegesetz in der Fassung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes.
b) Obwohl der Beschluss des Kammergerichts vom 21. Februar 2005 Vorschriften als Grundlage der Zulässigkeitsentscheidung heranzieht, deren Nichtigkeit der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 18. Juli 2005 – 2 BvR 2236/04 – (vgl. NJW 2005, S. 2289 ff.) festgestellt hat, betrifft dies den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten nicht in der Weise, dass die Annahme der Verfassungsbeschwerde geboten ist.
Die Nichtigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes betrifft unter anderem den gesamten Achten Teil des Internationalen Rechtshilfegesetzes in der Fassung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes. Die Nichtigkeit von Gesetzen wegen des Verstoßes gegen das Grundgesetz wirkt ex tunc, so dass rückwirkend die Grundlage für die Entscheidung des Kammergerichts entfallen ist, soweit sie sich auf den nichtigen Teil des Internationalen Rechtshilfegesetzes in der Fassung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes bezieht, das heißt insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an die vorzulegenden Auslieferungsunterlagen und an die Prüfung der gegenseitigen Strafbarkeit.
Für deutsche Staatsbürger folgt aus der Nichtigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes, dass sie, wegen des Wegfalls der gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 GG erforderlichen gesetzlichen Grundlage, derzeit und bis zu einer erneuten gesetzlichen Regelung nicht zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung an andere Staaten ausgeliefert werden können.
Für ausländische Staatsangehörige, die aus Deutschland ausgeliefert werden sollen, stellt sich die Rechtslage hingegen anders dar. Ausländische Staatsangehörige unterfielen nie dem grundgesetzlichen Auslieferungsschutz des Art. 16 Abs. 2 GG. Der nichtige Achte Teil des Internationalen Rechtshilfegesetzes in seiner Fassung durch das Europäische Haftbefehlsgesetz betraf zwar nicht nur Deutsche, sondern regelte auch die Auslieferung von in Deutschland befindlichen ausländischen Staatsangehörigen, auf die sich ein Auslieferungsersuchen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union bezog. Die Auslieferung ausländischer Staatsangehöriger war und ist aber trotz der Nichtigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes möglich. Die vor der Änderung des Internationalen Rechtshilfegesetzes durch das Europäische Haftbefehlsgesetz einschlägigen Bestimmungen gelten für die Auslieferung von Ausländern weiter fort. Für bestimmte Gruppen von Ausländern, zu denen das Kammergericht ersichtlich auch den Beschwerdeführer gezählt hat, galten nach dem Europäischen Haftbefehlsgesetz zwar besondere Anforderungen, dabei handelte es sich aber um eine Privilegierung im Vergleich zur Ausgangslage, welche mit der Nichtigkeit des Europäischen Haftbefehlsgesetzes weggefallen ist.
Nach Art. 31 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl ersetzt dieser seit dem 1. Januar 2004 die Bestimmungen der bis dahin zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der Auslieferung geltenden Übereinkommen, das heißt auch das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 samt seinen Zusatzprotokollen sowie die entsprechenden ergänzenden Übereinkommen der Europäischen Union, um das Ziel der Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs innerhalb der Europäischen Union zu erreichen. Diese Bestimmung geht allerdings von einer fristgerechten Umsetzung des Rahmenbeschlusses in nationales Recht aus. Da eine wirksame Umsetzung in deutsches Recht derzeit nicht besteht, ist nach dem Sinn und Zweck der Regelung des Rahmenbeschlusses davon auszugehen, dass für den Auslieferungsverkehr in Mitgliedstaaten der Europäischen Union die bis zum 1. Januar 2004 geltende Rechtslage fortbestehen soll, da ansonsten jegliche bereits erfolgten Erleichterungen im innermitgliedstaatlichen Rechtshilfeverkehr entfallen müssten. Die Auslieferung des Beschwerdeführers beurteilt sich folglich nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen samt Zusatzprotokollen und den ergänzenden Übereinkommen der Europäischen Union, soweit deren Bestimmungen unmittelbar anwendbar sind, sowie im Übrigen nach dem Internationalen Rechtshilfegesetz.
Das Kammergericht ging zum Zeitpunkt seiner Entscheidung von der Geltung unter anderem der §§ 81 Nr. 4, 83a Abs. 1 IRG EuHbG-Fassung aus. Gemessen an der geltenden Rechtslage waren aber zum einen die Auslieferungsunterlagen unvollständig, weil dem Kammergericht der italienische Haftbefehl entgegen der Bestimmung des Art. 12 Abs. 2 Buchstabe a EuAlÜbk nicht vorlag und auch keine andere nach den Formvorschriften des ersuchenden Staats ausgestellte Urkunde mit gleicher Rechtswirkung übermittelt worden war. Dies ist daraus zu entnehmen, dass das Kammergericht ausführt, das Bestehen des Haftbefehls des Gerichts von Neapel vom 5. Juli 2004 sei dem Gericht mitgeteilt worden. Zum anderen hat das Kammergericht in seiner Entscheidung mit Verweis auf § 81 Nr. 4 IRG EuHbG-Fassung auf die Prüfung der gegenseitigen Strafbarkeit verzichtet, weil es sich bei dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung um eine so genannte Katalogtat des Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses für den Europäischen Haftbefehl handelt. Die Prüfung der gegenseitigen Strafbarkeit ist aber gemäß Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk Voraussetzung der Zulässigkeitsentscheidung. Aus diesen Verstößen gegen einfaches Recht folgt aber deshalb kein verfassungsrechtlich relevanter besonders schwerer Nachteil für den Beschwerdeführer, weil er auch im Falle einer Zurückverweisung keinen Erfolg haben würde.
In dem Auslieferungsersuchen ist der Inhalt des Haftbefehls in einer Weise wiedergegeben worden, die – wie aus der Entscheidung ersichtlich ist – dem Kammergericht die eingehende Prüfung der Sachverhaltsdarstellung, des Tatvorwurfs und der italienischen Straftatbestände ermöglichte. Die Darstellung des Inhalts des Haftbefehls ist, wie auch dessen Vorliegen selbst, seitens des Beschwerdeführers unbestritten. Es sind auch keinerlei Gründe dafür ersichtlich, warum der Haftbefehl in einem neuen Verfahren auf Anfrage des Kammergerichts nicht von den italienischen Justizbehörden übermittelt werden sollte. In den Sonderfällen, in denen nachträglich die Nichtigkeit der angewandten Vorschriften festgestellt worden ist, in denen das Vorliegen eines nationalen Haftbefehls aber unbestritten, sein Inhalt im Detail bekannt und zur Grundlage der gerichtlichen Prüfung gemacht worden ist sowie keinerlei andere Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Behörden den Haftbefehl auf Anfrage nicht übermitteln würden, kann eine Zurückverweisung nicht zum Erfolg des Beschwerdeführers führen.
Dies gilt auch für die Prüfung der gegenseitigen Strafbarkeit. Der Entgegnung des Kammergerichts auf die Einwände des Beschwerdeführers ist zu entnehmen, dass das Kammergericht bei seiner Zulässigkeitsentscheidung trotz des erklärten Verzichts auf eine Prüfung der gegenseitigen Strafbarkeit von dem Vorliegen dieses Kriteriums ausging. Auch im Falle einer Zurückverweisung ist in diesem Sinne zu entscheiden. Die gegenseitige Strafbarkeit des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bzw. auch der Unterstützung einer solchen oder einzelner ihrer Mitglieder durch konkrete Hilfsleistungen ist offensichtlich. Der Beschwerdeführer gibt in der Beschwerdeschrift selbst an, Art. 416 bis des italienischen Strafgesetzbuches entspreche § 129 StGB, jedenfalls unterfielen die Vorwürfe aber § 258 StGB. Bei diesen Straftatbeständen des deutschen Strafrechts handelt es sich um auslieferungsfähige Straftaten nach Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk. Für beide Straftatbestände gilt im deutschen Strafrecht eine Höchststrafe, die über einem Jahr Freiheitsstrafe liegt.
c) Soweit die Verfassungsbeschwerde die weite Ausgestaltung der italienischen Strafrechtsnorm rügt und daraus einen Verstoß gegen Art. 103 GG ableitet, hat sie keine Aussicht auf Erfolg. Die deutschen Fachgerichte haben grundsätzlich keine inhaltliche Prüfung des ausländischen Straftatbestands oder der Straferwartung vorzunehmen. Auch der Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit der Auslieferungsentscheidung des Kammergerichts greift nicht durch. Es besteht kein krasses Missverhältnis der vom Beschwerdeführer behaupteten Straferwartung von acht bis neun Jahren Freiheitsentzug im italienischen Verfahren im Vergleich zu einem hypothetischen deutschen Strafverfahren. Sowohl § 129 Abs. 1 StGB als auch § 258 StGB sehen Höchststrafen von fünf Jahren Freiheitsstrafe vor.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen