Leitsatz (amtlich)
Die Strafvorschrift des § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB, die den Beischlaf zwischen Geschwistern mit Strafe bedroht, ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Verfahrensgang
OLG Dresden (Beschluss vom 30.01.2007; Aktenzeichen 3 Ss 91/06) |
AG Leipzig (Urteil vom 10.11.2005; Aktenzeichen 253 Ls 430 Js 29620/04) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Tatbestand
A.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer seine Verurteilung wegen Beischlafs zwischen Geschwistern an und erstrebt die Feststellung der Nichtigkeit des der Verurteilung zugrunde liegenden § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB.
I.
Die Strafvorschrift des § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB, nach der leibliche Geschwister, die miteinander den Beischlaf vollziehen, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden, beruht auf einer kulturgeschichtlich überlieferten und international weit verbreiteten Verbotsnorm, in der sich mehrere Regelungszwecke miteinander verbinden.
1. Die Wurzeln des Inzestverbots reichen zurück bis in das Altertum. Ausprägungen des Verbots finden sich im Kodex des Hammurabi, im mosaischen (vgl. 3. Mose Kap. 18 Verse 6 ff.; Kap. 20 Verse 11 ff.; 5. Mose Kap. 27 Verse 20 ff.) und islamischen Recht (vgl. Koran Sure 4 Vers 23 ≪kufische Zählung≫), im Recht der griechischen Antike (vgl. Karkatsoulis, Inzest und Strafrecht, 1987, S. 35 f.), im römischen (vgl. Mommsen, Römisches Strafrecht, 1955, S. 682 ff.), in ausgedehnter Form im kanonischen (vgl. Palmen, Der Inzest. Eine strafrechtlich-kriminologische Untersuchung, 1968, S. 44 f.; v. Liszt/Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 1927, S. 563 f.) und im germanischen Recht (vgl. Wilda, Geschichte des deutschen Strafrechts. Das Strafrecht der Germanen, 1. Band, 1842 ≪Nachdruck 1960≫, S. 855 ff.; vgl. auch Palmen, a.a.O., S. 46 f. m.w.N.) sowie in den frühen deutschen Strafrechtsgesetzen (vgl. etwa Art. 142 der Bamberger Halsgerichtsordnung, Art. 117 der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V., §§ 1033 bis 1047, insbes. § 1041 des Allgemeinen Preußischen Landrechts). Das Inzest-Motiv hat auch Eingang in – für die Verfasstheit früher Rechtskulturen aussagekräftige – Mythen und Sagen gefunden, und ihm kommt seit jeher große Bedeutung in der Dichtung zu (vgl. Rank, Das Inzest-Motiv in Dichtung und Sage. Grundzüge einer Psychologie des dichterischen Schaffens, 2. Aufl. 1926 ≪Nachdruck 1974≫).
2. Vorbild für die Regelung in § 173 des Reichsstrafgesetzbuchs von 1871 (RGBl S. 160) war die – ihrerseits auf das preußische Strafgesetzbuch von 1851 zurückgehende – Regelung in § 171 des Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund. Begründet wurde die dem 13. Abschnitt des Reichstrafgesetzbuchs über die “Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit” unter dem Titel “Blutschande” zugeordnete Strafvorschrift des § 173 RStGB vornehmlich mit den sittlichen Anschauungen des Volkes (vgl. Schwarze, Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit, in: v. Holtzendorff ≪Hrsg.≫, Handbuch des deutschen Strafrechts, Band 3, 1874, S. 301 f.; vgl. auch Palmen, a.a.O., S. 74 ff.). Im Rahmen der 1902 begonnenen Strafrechtsreform wurde – entgegen Bestrebungen, den Inzesttatbestand zu streichen, weil er bloße Unmoral bestrafe (vgl. Mittermaier, Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit, in: Birkmeyer/v. Calker/Frank/v. Hippel/Kahl/v. Lilienthal/v. Liszt/Wach ≪Hrsg.≫, Vergleichende Darstellung des Deutschen und Ausländischen Strafrechts. Vorarbeiten zur Deutschen Strafrechtsreform, Besonderer Teil, IV. Band, 1906, S. 147; Marcuse, Vom Inzest, 1915, S. 76 f.) – § 173 RStGB zunächst nahezu unverändert in § 249 des Vorentwurfs von 1909 übernommen, weil Inzest den schwersten Angriff auf das sittliche Wesen der Familie darstelle und Gefahren für die Nachkommenschaft begründe (vgl. Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, 1909, S. 688 f.; dazu Glaser, Die Sittlichkeitsdelikte nach dem Vorentwurfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch, ZStW 31 ≪1911≫, S. 379 ≪394 f.≫). Die weiteren Gesetzentwürfe von 1911, 1913, 1919 und 1922 sowie der Amtliche Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1925 hielten an dem Verbot fest (vgl. Jähnicke, Die Blutschande, 1929, S. 51 ff.). Der Entwurf von 1927 schloss den Verschwägerteninzest aus, der Gegenentwurf von 1927 sah mit Blick auf ausländische Regelungen ein verringertes und differenziertes Strafmaß vor und nur deshalb nicht von einer Pönalisierung des Inzests ab, weil kein strafrechtliches Mittel ungenutzt gelassen werden solle, jugendliche Menschen und auch Erwachsene vor dem Missbrauch durch autoritäre Persönlichkeiten zu schützen (vgl. Gegen-Entwurf zu den Strafbestimmungen des Amtlichen Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs über geschlechtliche und mit dem Geschlechtsleben im Zusammenhang stehende Handlungen, 1927, S. 36 f.).
In der nationalsozialistischen Zeit wurde mit § 4 der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung und Ergänzung familienrechtlicher Vorschriften und über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 23. April 1938 (RGBl I S. 417) die Strafbarkeit des Inzests für den Fall aufgehoben, dass die Ehe, auf der die Schwägerschaft beruhte, zur Zeit der Tat nicht mehr bestand. Auch konnte das Gericht von Strafe absehen, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten zur Zeit der Tat aufgehoben war. Diese Änderungen sind darauf zurückzuführen, dass während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eugenische Gründe im Vordergrund standen (vgl. v. Gleispach, in: Gürtner ≪Hrsg.≫, Das kommende deutsche Strafrecht, Besonderer Teil, Bericht über die Arbeit der amtlichen Strafrechtskommission, 1935, S. 124; vgl. auch Palmen, a.a.O., S. 84 f.), die eine Bestrafung der Verschwägerten nicht erforderlich erscheinen ließen. In seiner Denkschrift von 1933 führte der preußische Justizminister aus, dass “Zweck der an die Blutschande geknüpften Rechtsfolgen in erster Reihe die Abwehr von Erbgefahren aus Inzucht” sei und darüber hinaus kein völkisches Schutzbedürfnis bestehe (vgl. Kerrl, Nationalsozialistisches Strafrecht. Denkschrift des preußischen Justizministers, 1933, S. 68).
Die in § 4 der genannten Verordnung vorgesehenen Regelungen wurden durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBl I S. 735) in § 173 StGB eingearbeitet.
Der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1960 sah neben einer Erhöhung des Strafrahmens vor, den Verschwägerteninzest als bloße Unmoral vom Tatbestand auszunehmen (vgl. BRDrucks 270/60, S. 321 f.). Der Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 behielt diese Änderungen bei und stellte im Übrigen den Inzest zwischen Verwandten absteigender Linie nur bis zum Alter von sechzehn Jahren straffrei. Die Begründung wies darauf hin, dass die Blutschande zu den schwersten Verbrechen gehöre, die das Strafrecht kenne (vgl. BRDrucks 200/62, S. 347 f.). Nach dem Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1968, der im Wesentlichen gegen den Entwurf von 1962 gerichtet war, sollte die Strafnorm gestrichen werden, weil sie keine sinnvolle Funktion erfülle und moralischer Abscheu für sich allein eine Pönalisierung nicht rechtfertige (vgl. Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches, Besonderer Teil, 1968, S. 59).
Durch das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 23. November 1973 (BGBl I S. 1725) wurde die Vorschrift des § 173 StGB umfassend überarbeitet und unter dem Titel “Beischlaf zwischen Verwandten” den Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie zugeordnet. Der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform des Deutschen Bundestages hatte sich in mehreren Sitzungen eingehend mit dem Schutzzweck der Strafnorm auseinandergesetzt. Ein übergreifender Konsens bestand dahin, die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verschwägerten wegen des nach dem Dritten Strafrechtsänderungsgesetz verbleibenden geringen Anwendungsbereichs aufzuheben (vgl. Deutscher Bundestag, Protokolle der Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Band 1, 34. Sitzung, S. 1251). Im Übrigen war die Beibehaltung der Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Verwandten umstritten. Mehrere soziologische und psychiatrische Sachverständige äußerten sich kritisch zur Beibehaltung der Strafbarkeit: Der Inzest sei eine traumatische Begebenheit, die der Therapie bedürfe. Er stelle sich häufig als Symptom einer bereits gestörten Ordnung dar, was auch für den Inzest unter Geschwistern gelte, sofern es sich dabei nicht um ein Experimentierverhalten handele. Eine Kriminalisierung des Geschwisterinzests sei angesichts der ungemeinen Brisanz der Problematik abzulehnen; außerstrafrechtliche Maßnahmen seien ausreichend, um eine Therapie einzuleiten. Allgemein komme einem juristischen Verfahren ein Verstärkereffekt für die seelischen Folgeerscheinungen der Tat zu. Untersuchte Fälle des Geschwisterinzests hätten sich ausschließlich außerhalb der elterlichen Familie ereignet; meist habe es sich um Vereinsamungskonflikte gehandelt, die durch die geschwisterliche Vertrautheit auch zu sexuellen Handlungen geführt hätten.
Zugunsten fortbestehender Strafbarkeit wurde demgegenüber vorgetragen: Die Familie müsse von jeglicher sexueller Konkurrenz nach Möglichkeit freigehalten, der “Raum des Aufwachsens” geschützt werden. Der Inzest zwischen Geschwistern habe eine Reihe von unerwünschten Konsequenzen, insbesondere im Hinblick auf die spätere Eheführung und den Ablösungsprozess vom Elternhaus. Die psychischen Wirkungen des Inzests könnten erheblich sein; bei pubertierenden Mädchen, die jahrelang Inzesthandlungen ausgesetzt seien, könnten schwerwiegende Verhaltensstörungen auf psycho-sozialem Gebiet nachgewiesen werden (vgl. zum Ganzen Deutscher Bundestag, a.a.O., 28. Sitzung, S. 882 ff., 919, 922; 29. Sitzung, S. 929, 932 f., 989 f., 1002 f., 1007).
Zur Frage des Schutzzwecks der Strafnorm stellte die Bundesregierung vor dem Sonderausschuss maßgeblich auf den von Art. 6 GG geforderten Schutz von Ehe und Familie ab. Inzestuöse Beziehungen zwischen Verwandten in auf- und absteigender Linie bedeuteten grundsätzlich eine schwere Belastung für die Familie, wirkten in der Regel ehezerstörend und führten in sehr vielen Fällen bei den jüngeren Partnern zu schweren seelischen Schäden, die häufig durch diskriminierende Reaktionen der Umwelt noch verstärkt würden. Daneben könnten genetische Gründe zu einer Teilmotivierung der Strafnorm führen, da die Täter zum großen Teil aus Familien stammten, bei denen mit rezessiven Erbanlagen zu rechnen sei, die sich durch den Inzest manifestieren könnten. Die gesellschaftliche Tabuisierung des Inzests habe außerdem erhebliche Auswirkungen auf das Inzestkind, das wegen seiner Abstammung diskriminiert werde. Die beiden letztgenannten Strafgründe – insbesondere der Gesichtspunkt genetischer Schäden – rechtfertigten auch die Beibehaltung der Strafbarkeit des Geschwisterinzests (vgl. Deutscher Bundestag, a.a.O., 34. Sitzung, S. 1247 ff.; vgl. auch BTDrucks VI/1552, S. 14; BTDrucks VI/3521, S. 17 f.). Erörtert wurde in diesem Zusammenhang auch der Fall zweier Halbgeschwister, die sich erst als Erwachsene kennenlernen und eine sexuelle Beziehung eingehen. Der Vertreter der Bundesregierung äußerte die Auffassung, in einem solchen Fall “würde es sicher zu einer Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO kommen”. Hervorgehoben wurde auch, dass bei einer Streichung der Strafnorm das Bewusstsein von der Abnormität eines solchen Verhaltens schwinden könne, insbesondere, wenn von Massenkommunikationsmitteln der Geschwisterinzest als Modeform sexuellen Verhaltens propagiert würde. Mehrfach wurde betont, man wolle keinen Bruch mit der Tradition des Inzestverbots herbeiführen (vgl. Deutscher Bundestag, a.a.O., 34. Sitzung, S. 1247 ff.; 36. Sitzung, S. 1298 f.; 71. Sitzung, S. 2031; vgl. auch BTDrucks VI/1552, S. 14, 46; BTDrucks VI/3521, S. 18).
Durch Art. 6 Nr. 3 des Gesetzes über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (Adoptionsgesetz) vom 2. Juli 1976 (BGBl I S. 1749) wurde die Strafnorm redaktionell überarbeitet. § 173 StGB lautet seitdem:
(1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen.
(3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.
3. Ein vom Senat beim Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg in Auftrag gegebenes Gutachten, das die jeweilige Rechtslage in zwanzig Staaten aus dem angloamerikanischen, kontinentaleuropäischen und sonstigen außereuropäischen Rechtskreis einer Analyse unterzieht, kommt zu dem Ergebnis, dass im europäischen und außereuropäischen internationalen Vergleich die Rechtslage zur Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Geschwistern dem Strafgrunde nach überwiegend einheitlich ist, in der näheren Ausgestaltung aber Unterschiede sichtbar werden. Der Geschwisterinzest als solcher – das heißt der einvernehmliche Geschlechtsverkehr zwischen erwachsenen Geschwistern – ist danach in dreizehn der untersuchten Staaten strafbar, nicht hingegen in China, der Russischen Föderation, der Türkei, Spanien, Frankreich und den – ebenfalls durch den napoleonischen Code Pénal beeinflussten – Rechtsordnungen der Niederlande und der Côte d'Ivoire. Zu berücksichtigen ist dabei, dass inzestuöses Verhalten – auch solches zwischen Geschwistern – in den Strafgesetzen von Spanien, Frankreich und der Côte d'Ivoire durchaus eine Rolle als Qualifikationsmerkmal spielen kann und in allen untersuchten Rechtsordnungen, wo nicht strafrechtlich, so doch auf andere Weise – vor allem durch Eheverbote, in Frankreich auch durch die Versagung rechtlicher Anerkennung für Kinder aus inzestuösen Verbindungen – rechtlich missbilligt wird. Auf das wiederholte Ersuchen der Vollversammlung der Vereinten Nationen in ihren Berichten der Dritten Kommission zum Schutz der Rechte des Kindes, Gesetze zum Schutz vor Inzest zu erlassen (vgl. UN-Doc No. A/54/601 vom 30. November 1999, S. 4 f.; A/RES/54/148 vom 25. Februar 2000, S. 1 f.; A/RES/56/139 vom 26. Februar 2002, S. 1, 3), wurde in Frankreich im Jahre 2004 der Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes eingebracht, das eine Legaldefinition des Inzests vorsieht und auf eine verstärkte Stigmatisierung inzestuöser Tatbegehungen abzielt (Proposition de Loi No 1896 de l'Assemblée Nationale du 4 novembre 2004). Qualifizierte Formen des Geschwisterinzests – also solche gegen Kinder oder Abhängige oder unter Anwendung von Gewalt ausgeführte – sind in allen untersuchten Rechtsordnungen strafbar.
Hinsichtlich der näheren Ausgestaltung der jeweiligen nationalen Strafnormen stellt das Gutachten fest, Adoptiv- oder Stiefverwandte und Verschwägerte seien nur ausnahmsweise in den Kreis der Normadressaten einbezogen. In einigen Staaten werden beischlafähnliche, sonstige sexuelle und homosexuelle Handlungen erfasst, teilweise ist sogar die “inzestuöse Beziehung” als solche strafbar. Die Strafrahmen divergieren stark und reichen bis hin zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe in einigen US-amerikanischen Staaten. Die Begründungen zur Legitimation der Strafnormen reichen von religiösen, soziologischen, genetischen und moralischen bis hin zu ausdrücklich tabuorientierten Argumenten. Häufig treten die genannten Begründungsansätze in Mischformen auf.
In verschiedenen Staaten waren die Strafnormen, die Inzest pönalisieren, bereits Gegenstand obergerichtlicher und verfassungsrechtlicher Überprüfung. In einer Entscheidung aus dem Jahre 2000 hat der italienische Verfassungsgerichtshof Art. 564 des codice penale, demzufolge Inzest – auch zwischen Geschwistern – bestraft wird, wenn er in einer einen öffentlichen Skandal erregenden Weise begangen wird, für verfassungskonform erklärt (vgl. Corte costituzionale, 15 novembre 2000, n. 518, Giur. it. 2001, S. 994) und ausgeführt, den Zweck der Strafnorm, Störungen des Familienlebens durch den Ausschluss sexueller Kontakte zwischen ihren Mitgliedern – mit Ausnahme der Eheleute – zu vermeiden, könne der Gesetzgeber bis zur Grenze der Willkür verfolgen (vgl. a.a.O., S. 997). Auch das ungarische Verfassungsgericht hat im Jahre 1999 die Verfassungsmäßigkeit der Strafbarkeit des Beischlafs zwischen Geschwistern bestätigt (vgl. AB hat. 20/1999 ≪VI.25≫ unter Berufung auf AB hat. 21/1996 ≪V.17≫, wo es die Sittlichkeit als Rechtsgut anerkannte ≪Rspr. zit. nach dem Gutachten des Max-Planck-Instituts≫). Im Jahre 2005 erachtete der United States Court of Appeals for the Seventh Circuit das Inzestverbot des Staates Wisconsin – trotz einer vorangegangenen Entscheidung des United States Supreme Court zum texanischen Sodomieverbot, nach der allein öffentliche Moralvorstellungen dessen Aufrechterhaltung nicht legitimieren können (vgl. Lawrence v. Texas, 123 S. Ct. 2472 ≪2003≫) – als verfassungsgemäß (vgl. Muth v. Frank, 412 F.3d 808 ≪7th Cir.≫, cert. denied, 126 S. Ct. 575 ≪2005≫). Ein kanadischer Appellate Court kritisierte im Jahre 1996 Bestrebungen, den Inzest als solchen zu entkriminalisieren, mit den Hinweisen auf die schwierige Abgrenzung zwischen Einverständnis mit den und bloßer Duldung der Inzesthandlungen und auf die sozialen und physischen Konsequenzen für Abkömmlinge aus solchen Beziehungen (vgl. R. v. M.S. ≪1996≫, 111 C.C.C. ≪3d≫ at 478). Das Berufungsgericht von Krakau stellte in einer Entscheidung aus dem Jahre 1991 auf genetische, familienschützende und sittliche Gründe ab, die Art. 176 des polnischen Strafgesetzbuchs, der auch den Geschwisterinzest pönalisiert, legitimierten (Entscheidung vom 4. April 1991, II Akz 28/91, KZS 1991/4/16).
4. Die Strafnorm des § 173 StGB kann nicht losgelöst von der Entwicklung des Sexualstrafrechts in Deutschland gewürdigt werden. Hier sind zwei gegenläufige Tendenzen festzustellen.
Einerseits trugen mehrere Strafrechtsreformen einem gewandelten gesellschaftlichen Verständnis von Sexualmoral und einer in Rechtspolitik und Rechtswissenschaft geäußerten Forderung nach strikter “Trennung von Strafrecht und Moral” Rechnung (vgl. Hanack, Empfiehlt es sich, die Grenzen des Sexualstrafrechts neu zu bestimmen? Verhandlungen des 47. Deutschen Juristentags 1968, Gutachten A, S. 28 ff. m.w.N.). Dieser Tendenz, die zusammenfassend als “Entkriminalisierung des Sexualstrafrechts” und “Wandel von einem am Schutz moralischer Standards orientierten Strafrecht zum Rechtsgüterschutz” (Renzikowski, in: Münchener Kommentar, StGB, 2005, Vor §§ 174 ff. Rn. 2, 61) bezeichnet wurde, folgten die Abschaffung der Strafbarkeit des Ehebruchs, der Homosexualität unter Erwachsenen, der Unzucht mit Tieren und des Erschleichens des außerehelichen Beischlafs durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (BGBl I S. 645) sowie die mit dem Vierten Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 23. November 1973 (BGBl I S. 1725) vorgenommene Lösung des Sexualstrafrechts von der Sanktionierung von Unmoral, was unter anderem zu einer Änderung der Überschrift des dreizehnten Abschnitts des Strafgesetzbuchs in “Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung” (vorher: “Straftaten gegen die Sittlichkeit”) führte, und die Streichung des § 175 StGB (Strafbarkeit homosexueller Handlungen mit Jugendlichen) durch das Neunundzwanzigste Strafrechtsänderungsgesetz vom 31. Mai 1994 (BGBl I S. 1168).
Die gegenläufige Tendenz wird gekennzeichnet durch eine Ausweitung und Verschärfung der Strafbarkeit bei Delikten, die in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung eingreifen. Insoweit sind in erster Linie zu nennen das Sechsundzwanzigste Strafrechtsänderungsgesetz – Menschenhandel – vom 14. Juli 1992 (BGBl I S. 1255), das Siebenundzwanzigste Strafrechtsänderungsgesetz – Kinderpornographie – vom 23. Juli 1993 (BGBl I S. 1346), das Dreiunddreißigste Strafrechtsänderungsgesetz – §§ 177 bis 179 StGB – vom 1. Juli 1997 (BGBl I S. 1607), das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I S. 160), das Sechste Strafrechtsreformgesetz vom 26. Januar 1998 (BGBl I S. 164), das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 3007) und das Siebenunddreißigste Strafrechtsänderungsgesetz – §§ 180b, 181 StGB – vom 11. Februar 2005 (BGBl I S. 239). Diese Gesetze zielen vornehmlich auf einen besseren Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch (vgl. BTDrucks 15/1311, S. 1 ff.), auf einen besseren Schutz der Allgemeinheit vor Hangtätern (vgl. BTDrucks 13/8586, S. 1 f.; in diesem Zusammenhang sind auch zu nennen das Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21. August 2002, BGBl I S. 3344, und das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004, BGBl I S. 1838) und auf eine bessere Bekämpfung des Menschenhandels (vgl. BTDrucks 15/3045, S. 1).
II.
1. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen eines Vergehens nach § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Daneben verhängte es gegen den Beschwerdeführer unter Einbeziehung früherer gesamtstrafenfähiger Verurteilungen, darunter einer Einzelfreiheitsstrafe von zehn Monaten aus einer Vorverurteilung vom 6. April 2004 wegen Beischlafs zwischen Verwandten, eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und vier Monaten.
Zu den persönlichen Verhältnissen des 1976 geborenen Beschwerdeführers und seiner 1984 geborenen leiblichen Schwester, der Mitangeklagten K…, traf das Amtsgericht unter anderem folgende Feststellungen: Die Ehe der Eltern der beiden Angeklagten sei kurz vor der Geburt von K… geschieden worden. Die Mutter habe in der Folgezeit das Sorgerecht für K… und einen jüngeren Bruder allein ausgeübt, ohne dass Kontakt zum Vater bestanden habe. Die Erziehungssituation sei äußerst belastet gewesen. Die Familie sei von der Jugendhilfe betreut worden. In ihrem fünften Lebensjahr habe sich K… in Einrichtungen der Jugendhilfe befunden. Nach dem Tod der Mutter im Jahr 2000 sei K… durch das Jugendamt vormundschaftlich betreut worden und habe zusammen mit ihrem jüngeren Bruder bei dessen leiblichem Vater gewohnt. Der Beschwerdeführer habe ab dem Alter von drei Jahren in staatlichen Kinderheimen und bei mehreren Pflegefamilien gewohnt, nachdem ihn sein alkoholabhängiger Vater zuvor wiederholt misshandelt habe. Mit sieben Jahren sei der Beschwerdeführer von seinen damaligen Pflegeeltern adoptiert worden und habe deren Namen angenommen. Seitdem habe er keinen Kontakt zu seiner Ursprungsfamilie gehabt. Im Jahr 2000 habe er über das Jugendamt Kontakt zu seiner leiblichen Mutter hergestellt und K… kennengelernt, deren Existenz ihm bis dahin nicht bekannt gewesen sei. Er sei auch nach dem Tod der Mutter bei K… geblieben. Zwischen dem Beschwerdeführer und K… habe sich eine enge Beziehung entwickelt. In den Jahren 2001, 2003, 2004 und 2005 habe K… vier Kinder zur Welt gebracht, deren leiblicher Vater der Beschwerdeführer sei. Bei K… sei von einer ängstlich zurückgezogenen, abhängigen Persönlichkeitsstruktur auszugehen, die im Zusammenhang mit der bestehenden mangelhaften Familiensituation zu einer erheblichen Abhängigkeit vom Beschwerdeführer geführt habe. Darin erblickte das Amtsgericht eine schwere Persönlichkeitsstörung, die im Zusammenhang mit einer leichten geistigen Behinderung zu einer verminderten Schuldfähigkeit von K… geführt habe. Der Beschwerdeführer sei bereits in den Jahren 2002 und 2004 wegen Beischlafs zwischen Verwandten in 16 Fällen beziehungsweise in einem Fall zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war, und zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt worden. Unter Einbeziehung der zuletzt genannten Freiheitsstrafe von zehn Monaten sei er zudem wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt worden. Dem habe zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer seine Schwester K… mit der Faust ins Gesicht geschlagen habe, wodurch K… eine angeschwollene Lippe und Nasenbluten erlitten habe.
2. Mit seiner gegen die amtsgerichtliche Verurteilung gerichteten Revision rügte der Beschwerdeführer die Verfassungswidrigkeit des § 173 StGB und regte eine Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an. Das Oberlandesgericht verneinte die Verfassungswidrigkeit der Strafnorm und verwarf die Revision als offensichtlich unbegründet.
III.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer unmittelbar gegen das Urteil des Amtsgerichts und die Revisionsentscheidung des Oberlandesgerichts. Mittelbar rügt er die Verfassungswidrigkeit von § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB. Die Strafvorschrift verstoße gegen das in Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Grundrecht der sexuellen Selbstbestimmung und das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 GG, verletze den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und sei mit ihrer Rechtsfolge – der Verhängung von Kriminalstrafe – in ihrer Verbotswirkung unverhältnismäßig. Die Verurteilung auf Grundlage des § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB greife zudem in das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG ein. Seine Rechtsauffassung stützt der Beschwerdeführer maßgeblich darauf, dass die Strafnorm ausschließlich Moralvorstellungen schütze und nicht dem Rechtsgüterschutz diene; soweit der Gesetzgeber Gegenteiliges mit Blick auf familien- und sozialschädliche sowie genetische Folgen des Inzests vorgebe, seien solche Folgen empirisch nicht belegt. Außerdem sei die Strafnorm aufgrund ihres lückenhaften Charakters – keine Strafbarkeit beischlafähnlicher Handlungen, keine Bestrafung von Adoptiv-, Pflege- und Stiefgeschwistern – zum Schutz der Familie ungeeignet. Die Strafnorm sei hierzu auch nicht erforderlich, soweit sie Verhalten verbiete – etwa den Beischlaf erwachsener Geschwister bei nicht mehr bestehendem Familienverband oder den Beischlaf bei Verhütung oder Zeugungsunfähigkeit –, das sich nach dem vorgeblichen Schutzzweck der Norm als nicht strafwürdig darstelle. Die Verurteilung schließlich verletze das Gebot der Verhältnismäßigkeit, da sie nicht die schwierige soziale Lage berücksichtige, in der sich der Beschwerdeführer und seine Schwester befunden hätten.
IV.
Dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, allen Länderregierungen, dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs, dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, dem Verein M.E.L.I.N.A Inzestkinder/Menschen aus VerGEWALTigung e.V., der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland, dem Deutschen Behindertenrat und dem Deutschen Kinderschutzbund Bundesverband e.V. wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
1. Die Vorsitzenden der Strafsenate des Bundesgerichtshofs teilten im Wesentlichen mit, die Senate hätten die Verfassungsmäßigkeit des § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB bislang nicht in Zweifel gezogen. In seinem Urteil vom 29. September 1993 (BGHSt 39, 326) habe der 2. Strafsenat die Schutzgüter des § 173 StGB näher erörtert.
2. Nach Ansicht des Generalbundesanwalts beruhen die angegriffenen Entscheidungen auf einer verfassungskonformen Strafvorschrift und einer noch verfassungsgemäßen Rechtsanwendung. Es sei grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns unter Berücksichtigung der jeweiligen Lage im Einzelnen verbindlich festzulegen. Der Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers könne vom Bundesverfassungsgericht nur in begrenztem Umfang überprüft werden. Der Normzweck liege vor allem in der Bewahrung der inneren Familienbeziehung und in einem institutionellen Familienschutz. Die Funktionsfähigkeit der Familie könne durch die Vertauschung der Rollen innerhalb der Familiengruppe gefährdet werden, indem diese ihre Sozialisations- und Entlastungsaufgabe nicht mehr wahrnehmen könne. Sexuellen Beziehungen im engen Familienkreis wohne die Eignung inne, das für den Einzelnen unentrinnbare und auf Dauer angelegte Verhältnis zu den nächsten Verwandten irreversibel zu belasten. Bereits bestehende Störungen erlangten durch das Hinzutreten von Inzest eine neue Qualität. Im Gegensatz zu sonstigen sexuellen Beziehungen könne die Verbindung zwischen Geschwistern nicht aufgekündigt werden. Dies verenge den Handlungsspielraum, sich einer Einbeziehung der Sexualität zu entziehen, die von dem einen Geschwisterteil als unausweichlich empfunden werde, während der andere Teil sich diese Besonderheit bewusst oder unbewusst zunutze mache. Ergänzend komme auch dem Schutz der Volksgesundheit ein legitimierendes Gewicht zu. Solange die Folgen von Geschwisterinzest wissenschaftlich nicht abschließend geklärt seien, könne es dem Gesetzgeber nicht verwehrt werden, sich des Strafrechts zu bedienen, um diese Rechtsgüter zu schützen. Hinsichtlich der konkreten Rechtsanwendung erscheine das verhängte Strafmaß noch nicht als unvertretbar.
3. Der Verein M.E.L.I.N.A e.V., der sich unter anderem für Kinder aus Inzestverbindungen einsetzt, betonte die Bedeutung des strafbewehrten Inzestverbots für den Schutz leiblich verwandter Familienangehöriger vor Grenzüberschreitungen. Das Inzestverbot richte sich nicht gegen die Existenzberechtigung geschädigter Inzestkinder, sondern ziele auf die Achtung von deren Anspruch auf ein würdiges selbstbestimmtes Leben. Dieses sei Kindern aus Inzestbeziehungen in der Regel aufgrund körperlicher und psychischer Schäden, der Ausgrenzung durch die Gesellschaft sowie des Verlusts persönlicher Identität und familiärer Strukturen durch das Entstehen von “Doppelfunktionen” der nächsten Angehörigen nicht möglich. Dadurch zerstöre Inzest die bestehenden sozialen Verbindungen. Kinder aus Inzestbeziehungen müssten ferner, wenn sie Nachkommen zeugen, mit der Angst leben, dass diese genetisch geschädigt sind. Die Strafnorm des § 173 StGB trage zur Aufdeckung und Bekämpfung sexuellen Missbrauchs zwischen nahen Verwandten bei. Der Verein wies ferner auf wissenschaftliche Untersuchungen hin, in denen signifikante Erhöhungen der Mortalitätsrate und der Rate körperlicher Missbildungen bei Kindern aus Inzestbeziehungen gegenüber Kindern aus einer Vergleichsgruppe festgestellt wurden, und berichtete über Einzelschicksale.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
I.
Die Strafvorschrift des § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB, die den Beischlaf zwischen Geschwistern mit Strafe bedroht, ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
1. Die Entscheidung des Gesetzgebers, den Geschwisterinzest mit Strafe zu bewehren, ist nach dem in erster Linie anzulegenden Maßstab von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) aa) Das Grundgesetz hat den Intim- und Sexualbereich des Menschen als Teil seiner Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gestellt. Dazu gehört, dass der Einzelne sein Verhältnis zur Sexualität und seine geschlechtlichen Beziehungen zu einem Partner einrichten und grundsätzlich selbst darüber befinden kann, ob, in welchen Grenzen und mit welchen Zielen er Einwirkungen Dritter darauf hinnehmen will (vgl. BVerfGE 47, 46 ≪73 f.≫; 60, 123 ≪134≫; 88, 87 ≪97≫; 96, 56 ≪61≫).
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Der Einzelne muss, soweit nicht in den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung eingegriffen wird, staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit oder im Hinblick auf grundrechtlich geschützte Interessen Dritter unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots ergriffen werden (vgl. BVerfGE 27, 344 ≪351≫; 65, 1 ≪44≫; 96, 56 ≪61≫; stRspr). Absolut geschützt und damit der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist ein Kernbereich privater Lebensgestaltung (vgl. BVerfGE 80, 367 ≪373≫; 90, 145 ≪171≫; 109, 279 ≪313≫ m.w.N.). Ob ein Sachverhalt dem unantastbaren Kernbereich zuzuordnen ist, hängt davon ab, ob er nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakters ist, also auch davon, in welcher Art und Intensität er aus sich heraus die Sphäre anderer oder Belange der Gemeinschaft berührt; maßgeblich sind die Besonderheiten des jeweiligen Falles (vgl. BVerfGE 34, 238 ≪248≫; 80, 367 ≪374≫; 109, 279 ≪314 f.≫).
bb) Einschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG bedürfen einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Einzelnen erkennbar ergeben (vgl. BVerfGE 65, 1 ≪44≫). In materieller Hinsicht ist der Gesetzgeber zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verpflichtet.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet – bei Androhung von Freiheitsstrafe auch im Hinblick auf die Gewährleistung der Freiheit der Person durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 90, 145 ≪172≫) –, dass eine Strafnorm dem Schutz anderer oder der Allgemeinheit dient (vgl. BVerfGE 90, 145 ≪172, 184≫; s. auch BVerfGE 27, 18 ≪29 f.≫; 39, 1 ≪46≫; 88, 203 ≪257≫). Das Strafrecht wird als “ultima ratio” des Rechtsgüterschutzes eingesetzt, wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist. Wegen des in der Androhung, Verhängung und Vollziehung von Strafe zum Ausdruck kommenden sozialethischen Unwerturteils kommt dem Übermaßverbot als Maßstab für die Überprüfung einer Strafnorm besondere Bedeutung zu (vgl. BVerfGE 90, 145 ≪172≫; 92, 277 ≪326≫; 96, 10 ≪25≫). Es ist aber grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen. Er ist bei der Entscheidung, ob er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen und wie er dies gegebenenfalls tun will, grundsätzlich frei (vgl. BVerfGE 50, 142 ≪162≫; zur Grenzziehung zwischen kriminellem Unrecht und Ordnungsunrecht BVerfGE 27, 18 ≪30≫; 80, 182 ≪186≫ m.w.N.; 96, 10 ≪26≫).
Eine Strafnorm muss geeignet und erforderlich sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Ein Mittel ist bereits dann geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Es ist nicht erforderlich, dass der Erfolg in jedem Einzelfall auch tatsächlich erreicht wird oder jedenfalls erreichbar ist; die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (vgl. BVerfGE 96, 10 ≪23≫). Ein Gesetz ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können. Bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung der erstrebten Ziele sowie bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Einschätzung und Prognose der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu, welcher vom Bundesverfassungsgericht je nach Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter und den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, nur in begrenztem Umfang überprüft werden kann (vgl. BVerfGE 90, 145 ≪172 f.≫ m.w.N.).
Schließlich muss bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten des Verbots gewahrt sein (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn). Die Maßnahme darf sie nicht übermäßig belasten. Im Bereich staatlichen Strafens folgt aus dem Schuldprinzip und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Schwere einer Straftat und das Verschulden des Täters zu der Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen müssen. Eine Strafandrohung darf nach Art und Maß dem unter Strafe gestellten Verhalten nicht schlechthin unangemessen sein. Tatbestand und Rechtsfolge müssen vielmehr sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (vgl. BVerfGE 90, 145 ≪173≫ m.w.N.).
Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns unter Berücksichtigung der jeweiligen Lage festzulegen. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich darüber zu wachen, dass die Strafvorschrift materiell in Einklang mit den Bestimmungen der Verfassung steht und den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen sowie Grundentscheidungen des Grundgesetzes entspricht (vgl. BVerfGE 27, 18 ≪30≫; 80, 244 ≪255≫ m.w.N.; 90, 145 ≪173≫; 96, 10 ≪25 f.≫).
cc) Strafnormen unterliegen von Verfassungs wegen keinen darüber hinausgehenden, strengeren Anforderungen hinsichtlich der mit ihnen verfolgten Zwecke. Insbesondere lassen sich solche nicht aus der strafrechtlichen Rechtsgutslehre ableiten. Schon über den Begriff des Rechtsguts besteht keine Einigkeit (vgl. zur Spannweite der unterschiedlichen Auffassungen die Beiträge in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers ≪Hrsg.≫, Die Rechtsgutstheorie, 2003; einen Überblick über den aktuellen Diskussionsstand bietet Hefendehl, GA 2007, S. 1 ff.). Versteht man im Sinne eines normativen Rechtsgutsbegriffs unter “Rechtsgut” das, was der Gesetzgeber ausweislich des geltenden Rechts als rechtlich schützenswert betrachtet, reduziert sich der Begriff darauf, die ratio legis der jeweiligen Strafnorm auszudrücken; er kann dann eine Leitfunktion für den Gesetzgeber nicht übernehmen (vgl. Weigend, in: Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 1, 12. Aufl. 2007, Einleitung Rn. 7). Will man hingegen mit einer “naturalistischen” Rechtsgutstheorie als legitime Rechtsgüter nur bestimmte “Gegebenheiten des sozialen Lebens” anerkennen (vgl. Weigend, a.a.O.) oder in anderer Weise von einem überpositiven Rechtsgutsbegriff ausgehen, so gerät ein solches Konzept – verstanden und angewendet als Element des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs – in Widerspruch dazu, dass es nach der grundgesetzlichen Ordnung Sache des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ist, ebenso wie die Strafzwecke (vgl. BVerfGE 45, 187 ≪253≫) auch die mit den Mitteln des Strafrechts zu schützenden Güter festzulegen und die Strafnormen gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Diese Befugnis kann nicht unter Berufung auf angeblich vorfindliche oder durch Instanzen jenseits des Gesetzgebers “anerkannte” Rechtsgüter eingeengt werden. Sie findet ihre Grenze vielmehr – auf dem Gebiet des Strafrechts wie anderswo – nur in der Verfassung selbst, wenn und soweit diese die Verfolgung eines bestimmten Zwecks von vornherein ausschließt. Welchen Beitrag das Konzept des Rechtsgüterschutzes für die Rechtspolitik und für die Dogmatik des Strafrechts leisten können mag, ist hier nicht zu beurteilen (zum originär strafrechtlichen Anliegen und zur historischen Genese der Rechtsgutstheorie Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, 1972, S. 15 ff.); jedenfalls stellt es keine inhaltlichen Maßstäbe bereit, die zwangsläufig in das Verfassungsrecht zu übernehmen wären, dessen Aufgabe es ist, dem Gesetzgeber äußerste Grenzen seiner Regelungsgewalt zu setzen (vgl. zum Ganzen Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 143 ff., 536; Appel, Verfassung und Strafe, 1998, S. 390; ders., KritV 1999, S. 278 ≪286 ff.≫; Müller-Dietz, in: Gedächtnisschrift für Heinz Zipf, S. 123 ≪132≫; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 2005, S. 11 ff.; a.A. Roxin, Strafrecht, AT, 4. Aufl. 2006, § 2 Rn. 27, 86 ff. m.w.N.).
b) Der Gesetzgeber beschränkt mit der Strafnorm des § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung leiblicher Geschwister, indem er den Vollzug des Beischlafs mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bedroht. Damit werden zwar der privaten Lebensgestaltung insbesondere dadurch Grenzen gesetzt, dass bestimmte Ausdrucksformen der Sexualität zwischen einander nahe stehenden Personen (vgl. BVerfGE 109, 279 ≪314 f., 321 f.≫) pönalisiert werden. Darin liegt jedoch kein dem Gesetzgeber von vornherein verwehrter Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung. Der Beischlaf zwischen Geschwistern betrifft nicht ausschließlich diese selbst, sondern kann in die Familie und die Gesellschaft hinein wirken und außerdem Folgen für aus der Verbindung hervorgehende Kinder haben. Da das strafrechtliche Inzestverbot nur ein eng umgrenztes Verhalten zum Gegenstand hat und die Möglichkeiten intimer Kommunikation nur punktuell verkürzt, werden die Betroffenen auch nicht in eine mit der Achtung der Menschenwürde unvereinbare ausweglose Lage versetzt.
c) Der Gesetzgeber verfolgt mit der angegriffenen Norm Zwecke, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind und jedenfalls in ihrer Gesamtheit die Einschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts legitimieren. Der Gesetzgeber hat seinen Entscheidungsspielraum nicht überschritten, indem er die Bewahrung der familiären Ordnung vor schädigenden Wirkungen des Inzests, den Schutz der in einer Inzestbeziehung “unterlegenen” Partner sowie ergänzend die Vermeidung schwerwiegender genetisch bedingter Erkrankungen bei Abkömmlingen aus Inzestbeziehungen als ausreichend erachtet hat, das in der Gesellschaft verankerte Inzesttabu weiterhin strafrechtlich zu sanktionieren.
aa) Als Strafgrund des § 173 StGB steht der in Art. 6 GG geforderte Schutz von Ehe und Familie in den Erwägungen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks VI/1552, S. 14; VI/3521, S. 17) und der Rechtsprechung (vgl. RGSt 57, S. 140; BGHSt 3, 342 ≪343 f.≫; 39, 326 ≪329≫) an erster Stelle. Auch im neueren Schrifttum wird der Zweck des § 173 StGB vornehmlich in einem objektiven Schutz von Ehe und Familie gesehen, diese Legitimierung teilweise aber zugleich als ungenügend aufgefasst (vgl. Dippel, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 173 Rn. 10 m.w.N.; Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 173 Rn. 1; Horn/Wolters, in: Systematischer Kommentar, StGB, Stand: März 2007, § 173 Rn. 2; Lackner/Kühl, StGB, 25. Aufl. 2004, § 173 Rn. 1; Sturm, JZ 1974, S. 1 ≪3≫; Amelung, a.a.O., S. 377).
Die dem besonderen Schutz des Art. 6 GG unterliegende Familie wird durch Strukturprinzipien bestimmt, die sich aus der Anknüpfung der Verfassungsnorm an vorgefundene, überkommene Lebensformen und andere Wertentscheidungen der Verfassung ergeben (vgl. BVerfGE 10, 59 ≪66≫; 31, 58 ≪69≫; 36, 146 ≪162≫). Ehe und Familie sind durch die staatliche Rechtsgemeinschaft deshalb besonders zu schützen, weil sie einen existentiellen Bestandteil des menschlichen Zusammenlebens darstellen. Die leibliche und seelische Entwicklung der Kinder findet in der Familie und der elterlichen Erziehung eine wesentliche Grundlage (vgl. BVerfGE 80, 81 ≪90≫; 108, 82 ≪112 ff.≫). Für das Kindeswohl spielen auch die in der Familie gegebenen Verwandschaftsverhältnisse, Rollenverteilungen und sozialen Zuordnungen eine wichtige Rolle (vgl. BVerfGE 24, 119 ≪137≫; 108, 82 ≪101 f., 103≫).
Familien- und sozialschädliche Wirkungen des Geschwisterinzests mögen mit sozialwissenschaftlichen Methoden schwer von den Wirkungen anderer Einflüsse isolierbar und daher nicht ohne weiteres greifbar sein (zur Kritik fehlender empirischer Grundlagen vgl. Dippel, a.a.O., Rn. 7, 13, 15 m.w.N.; Hörnle, a.a.O., S. 454). Dies ändert indes nichts an der Plausibilität der Annahme derartiger Wirkungen, wie sie auch in dem vom Senat in Auftrag gegebenen Gutachten des Max-Planck-Instituts dargestellt werden. Als negative Auswirkungen können sich danach ergeben: ein vermindertes Selbstbewusstsein, funktionelle Sexualstörungen im Erwachsenenalter, eine gehemmte Individuation, Defizite in der psychosexuellen Identitätsfindung und der Beziehungsfähigkeit, Schwierigkeiten, eine intime Beziehung aufzubauen und aufrechtzuerhalten, Versagen im Arbeitsumfeld, eine generelle Unzufriedenheit mit dem Leben, starke Schuldgefühle, belastende Erinnerungen an die Inzesterfahrung, Depression, Drogen- und Alkoholmissbrauch, Selbstverletzung, Essstörungen, Suizidgedanken, sexuelle Promiskuität und posttraumatische Erlebnisse sowie indirekte Schäden, auch für dritte Familienmitglieder, zum Beispiel durch Ausgrenzung oder soziale Isolation. Die empirischen Studien, auf deren Auswertung diese Erkenntnisse beruhen, werden zwar im Gutachten als nicht repräsentativ bewertet; sie zeigen aber, dass der Gesetzgeber sich nicht außerhalb seines Einschätzungsspielraums bewegt, wenn er davon ausgeht, dass es bei Inzestverbindungen zwischen Geschwistern zu gravierenden familien- und sozialschädigenden Wirkungen kommen kann.
Inzestverbindungen – auch solche zwischen Geschwistern – führen, worauf der Verein M.E.L.I.N.A e.V. hingewiesen hat, zu einer Überschneidung von Verwandtschaftsverhältnissen und sozialen Rollenverteilungen und damit zu einer Beeinträchtigung der in einer Familie strukturgebenden Zuordnungen (vgl. auch Schall, JuS 1979, S. 104 ≪108 Fn. 47, 109≫). Solche Rollenüberschneidungen entsprechen nicht dem Bild der Familie, das Art. 6 Abs. 1 GG zugrunde liegt. Es erscheint schlüssig und liegt nicht fern, dass Kinder aus Inzestbeziehungen große Schwierigkeiten haben, ihren Platz im Familiengefüge zu finden und eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren nächsten Bezugspersonen aufzubauen.
Im engsten Familienverband außerhalb des Verhältnisses zwischen den Eltern sexuelle Beziehungen zu verhindern, hat daher – wie das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt hat – “seinen guten Sinn”. Die lebenswichtige Funktion der Familie für die menschliche Gemeinschaft, wie sie der Verfassungsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG zugrunde liegt, wird entscheidend gestört, wenn das vorausgesetzte Ordnungsgefüge durch inzestuöse Beziehungen ins Wanken gerät (vgl. BVerfGE 36, 146 ≪167≫). Dem entspricht – wie die Rechtsvergleichung zeigt –, dass weltweit die jeweilige Familienstruktur vor Inzest geschützt wird, und zwar entweder strafrechtlich oder zumindest durch andere rechtliche Vorkehrungen wie namentlich Eheverbote.
bb) Soweit zur Rechtfertigung der Strafnorm der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung herangezogen wird (vgl. Frommel, in: Nomos Kommentar, StGB, § 173 Rn. 1, 6), kommt diesem Normzweck nicht nur im Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen Relevanz zu, sondern auch im Verhältnis zwischen Geschwistern. Im medizinisch-anthropologischen Schrifttum wird von Fällen des Geschwisterinzests berichtet, in denen der Bruder “Nachfolger” des Vaters gewesen sei; auch der mit Gewalteinwirkung einhergehende sogenannte “Despoteninzest” komme im Verhältnis zwischen Geschwistern vor; beim sogenannten “Eheinzest” seien die Brüder bedeutend älter als die Schwestern (vgl. Staudacher, Anthropologische Untersuchungen zum Inzestproblem unter besonderer Berücksichtigung des Bruder-Schwester-Inzests, 1974, S. 16 ff.; ähnlich Hirsch, Realer Inzest. Psychodynamik des sexuellen Missbrauchs in der Familie, 3. Aufl. 1994, S. 177 ff.). Auch im juristischen Schrifttum wird in Fällen, in denen wie hier ein deutlicher Altersunterschied zwischen den Geschwistern besteht, eine gewisse Plausibilität schädigender Wirkungen angenommen (vgl. Hörnle, a.a.O., S. 453). In die gleiche Richtung weisen die Gegebenheiten des vorliegenden Falls.
Der Einwand, der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung sei durch §§ 174 ff. StGB umfassend und ausreichend gesichert und rechtfertige § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB daher, zumal mit Blick auf dessen eingeschränkten Anwendungsbereich, nicht (vgl. Tröndle, in: Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 173 Rn. 2; Al-Zand/Siebenhüner, KritV 2006, S. 68 ≪74≫; Hörnle, a.a.O., S. 454 f.; Jung, in: Festschrift für Heinz Leferenz 1983, S. 311 ≪317≫), übergeht, dass § 173 StGB spezifische, durch die Nähe in der Familie bedingte oder in der Verwandtschaft wurzelnde Abhängigkeiten und Schwierigkeiten der Einordnung und Abwehr von Übergriffen im Blick hat. Die zu § 173 StGB ergangene Rechtsprechung zeigt zwar, dass sich der Beischlaf zwischen Verwandten oft in rechtlichem Zusammentreffen mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern oder Schutzbefohlenen ereignet. Dem Beischlaf zwischen Verwandten kommt aber auch in diesen Fällen jedenfalls dann eine selbständige Bedeutung zu, wenn sich der Missbrauch eines Kindes über dessen achtzehntes Lebensjahr hinaus erstreckt – beispielsweise in einer Situation, in der es nach Eintritt der Volljährigkeit eines langjährigen Missbrauchs- oder Vergewaltigungsopfers zu weiteren sexuellen Handlungen kommt und das Opfer aufgrund von Abhängigkeiten, die ihre Wurzel in der bestehenden familiären Beziehung haben, seine Ablehnung des nach wie vor unerwünschten Beischlafs nicht so deutlich zu erkennen gibt, dass eine Bestrafung des Täters wegen sexueller Nötigung (§ 177 StGB) in Betracht käme (vgl. hierzu nur BGH, Beschlüsse vom 13. April 1999 – 1 StR 111/99 –, NStZ 1999, S. 470, und vom 12. Juni 2001 – 1 StR 190/01 –, juris). Dass in solchen Konstellationen der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung sogar im Vordergrund stehen dürfte, wird dann besonders deutlich, wenn das volljährige Opfer selbst aufgrund seiner inneren Ablehnung des Beischlafs nicht nach § 173 StGB bestraft wird (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 1999, a.a.O.). Die in den Fällen des Inzests zwischen Kindern und Erwachsenen naheliegende These, dass es kindlichen und jugendlichen Opfern sexuellen Missbrauchs nicht stets vor Erreichen der Volljährigkeit gelingt, aus den familiären Strukturen, die den Missbrauch ermöglichten, auszubrechen, kann auch für Fälle des Geschwisterinzests, wenn auch in geringerem Maße, Geltung beanspruchen, insbesondere bei einem deutlichen Altersunterschied zwischen den Geschwistern oder in Fällen, in denen der ältere Geschwisterteil die Rolle eines Elternteils einnimmt.
cc) Der Gesetzgeber hat sich zusätzlich auf eugenische Gesichtspunkte gestützt und ist davon ausgegangen, dass bei Kindern, die aus einer inzestuösen Beziehung erwachsen, wegen der erhöhten Möglichkeit der Summierung rezessiver Erbanlagen die Gefahr erblicher Schädigungen nicht ausgeschlossen werden könne (vgl. BTDrucks VI/1552, S. 14; BTDrucks VI/3521, S. 17 f.). Die dagegen im strafrechtlichen Schrifttum wegen fehlender empirischer Validität dieser Begründung gerichteten Einwände (vgl. Roxin, a.a.O., S. 27; Dippel, a.a.O., Rn. 12; Ritscher, in: Münchener Kommentar, StGB, 2005, § 173 Rn. 3; Ellbogen, ZRP 2006, S. 190 ≪191≫; Klöpper, Das Verhältnis von § 173 StGB zu Art. 6 Abs. 1 GG, 1995, S. 103 m.w.N.; Hörnle, a.a.O., S. 456; Stratenwerth, in: Festschrift für Hans Hinderling 1976, S. 303; Jung, a.a.O., S. 313 f. m.w.N.) greifen nicht durch. Im medizinischen und anthropologischen Schrifttum wird auf die besondere Gefahr des Entstehens von Erbschäden hingewiesen (vgl. Szibor, Rechtsmedizin, 2004, S. 387 ff. m.w.N.; Staudacher, a.a.O., S. 152 f.) und teilweise angenommen, diese sei bei Verbindungen zwischen Bruder und Schwester noch gravierender als bei Verbindungen zwischen Vater und Tochter (vgl. Staudacher, a.a.O., S. 153). Diese Erkenntnisse werden durch empirische Studien, von denen das im Auftrag des Senats erstellte Gutachten des Max-Planck-Instituts berichtet, gestützt. Vor diesem Hintergrund kann das strafbewehrte Inzestverbot auch unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Erbschäden nicht als irrational angesehen werden (vgl. Schubarth, in: Festschrift für Gerald Grünwald 1999, S. 641 ff. mit Hinweis auf Untersuchungen von Eibl-Eibesfeld, Wickler und Bischof). Die ergänzende Heranziehung dieses Gesichtspunktes zur Rechtfertigung der Strafbarkeit des Inzests ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil er historisch für die Entrechtung von Menschen mit Erbkrankheiten und Behinderungen missbraucht worden ist.
dd) Im Gesetzgebungsverfahren wurde die Beibehaltung des umstrittenen Inzesttatbestandes ausführlich erörtert und mehrfach betont, man wolle keinen Bruch mit der Tradition des Inzestverbots herbeiführen. Auf die gesellschaftliche Tabuisierung des Inzests wurde auch mit Blick auf die Inzestkinder Bezug genommen, die wegen ihrer Abstammung der Gefahr einer Diskriminierung ausgesetzt seien (vgl. BTDrucks VI/1552, S. 14; VI/3521, S. 17 f.). Die zuvor dargelegten Strafzwecke finden damit Rückhalt in der Überzeugung der gesetzgebenden Körperschaften, ein in der Gesellschaft verankertes Unrechtsbewusstsein aufzugreifen und dieses auch weiterhin mit den Mitteln des Strafrechts unterstützen zu sollen. Dass der Gesetzgeber damit die Grenzen des ihm zustehenden Einschätzungsspielraums überschritten haben könnte, ist nicht ersichtlich. Dabei kann offen bleiben, ob die Unterscheidung zwischen Strafnormen, die allein in Moralvorstellungen gründen, und solchen, die dem Rechtsgüterschutz dienen (vgl. für § 173 StGB Dippel, a.a.O., § 173 Rn. 14; Tröndle/Fischer, a.a.O., § 173 Rn. 1; Lenckner, a.a.O., § 173 Rn. 1; Ritscher, a.a.O., § 173 Rn. 6; Horn/Wolters, a.a.O., § 173 Rn. 2; Hörnle, a.a.O., S. 457; Jung, a.a.O., S. 316 ff.; Roxin, a.a.O., S. 415 ff.), tragfähig ist und ob bejahendenfalls Strafnormen der ersteren Art verfassungsrechtlich zu beanstanden wären. Denn eine derartige Konstellation liegt hier nicht vor. Vielmehr rechtfertigt sich die angegriffene Strafnorm in der Zusammenfassung nachvollziehbarer Strafzwecke vor dem Hintergrund einer kulturhistorisch begründeten, nach wie vor wirkkräftigen gesellschaftlichen Überzeugung von der Strafwürdigkeit des Inzestes, wie sie auch im internationalen Vergleich festzustellen ist. Als Instrument zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, der Gesundheit der Bevölkerung und insbesondere der Familie erfüllt die Strafnorm – auch durch ihre Ausstrahlungswirkungen über den tatbestandlich eng umgrenzten strafbewehrten Bereich hinaus – eine appellative, normstabilisierende und damit generalpräventive Funktion, die die Wertsetzungen des Gesetzgebers verdeutlicht und damit zu ihrem Erhalt beiträgt.
d) Die angegriffene Norm genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit – im engeren Sinn – einer freiheitsbeschränkenden Regelung.
aa) Der Strafbewehrung des Geschwisterinzestes kann die Eignung, den erstrebten Erfolg zu fördern, nicht abgesprochen werden. Die insoweit erhobenen Bedenken greifen nicht durch.
Es mag sein, dass Geschwisterinzest vorwiegend in sozial schwachen und bereits gestörten Familienverbänden vorkommt, die möglicherweise für die psychologische Wirkung der Strafandrohung wenig empfänglich sind (vgl. Stratenwerth, a.a.O., S. 312). Dies kann aber – bereits aus grundsätzlichen Erwägungen – die Berechtigung des Gesetzgebers nicht in Frage stellen, ein als sozialschädlich eingeschätztes Verhalten ungeachtet dessen zu pönalisieren, dass eine abschreckende Wirksamkeit der Strafnorm zumindest nicht in allen Lebensbereichen nachweisbar sein mag.
Der Einwand, die Strafnorm des § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB verfehle aufgrund ihrer lückenhaften Ausgestaltung und wegen des Strafausschließungsgrunds des § 173 Abs. 3 StGB die ihr zugedachten Zwecke (vgl. Dippel, a.a.O., Rn. 24; Hörnle, a.a.O., S. 454 f.; Ellbogen, a.a.O., S. 191; zu § 173 Abs. 3 StGB Klöpper, a.a.O., S. 115), verkennt, dass mit dem Verbot von Beischlafshandlungen ein zentraler Aspekt sexueller Verbindung zwischen Geschwistern unter Strafe gestellt wird, dem für die Unvereinbarkeit des Geschwisterinzests mit dem traditionellen Bild der Familie eine große Aussagekraft zukommt und der eine weitere sachliche Rechtfertigung in der grundsätzlichen Eignung dieser Handlung findet, über das Zeugen von Nachkommen weitere schädliche Folgen hervorzurufen. Dass der Gesetzgeber den Kernbereich des strafwürdigen Verhaltens herausgehoben und nicht auch andere Tätigkeiten pönalisiert hat, ist daher bereits im Hinblick auf seinen weiten Gestaltungsspielraum verfassungsrechtlich hinzunehmen. So, wie es Sache des Gesetzgebers ist, den Bereich strafbaren Handelns festzulegen, ist er in weitem Umfang zu Differenzierungen berechtigt. Das Bundesverfassungsgericht kann nur die Überschreitung äußerster Grenzen beanstanden und dem Gesetzgeber entgegentreten, wenn für eine von ihm getroffene Differenzierung sachlich einleuchtende Gründe schlechterdings nicht mehr erkennbar sind (vgl. BVerfGE 50, 142 ≪162 m.w.N., 166≫; s. auch BVerfGE 90, 145 ≪195 f., 198≫). So kann eine strafrechtliche Norm grundsätzlich nicht deshalb als verfassungswidrig angesehen werden, weil bestimmte besonders gelagerte Sachverhalte, die einen entsprechenden Unrechtsgehalt aufweisen, von ihr nicht erfasst werden (vgl. bereits BVerfGE 50, 142 ≪166≫). Für die insoweit nur – scheinbar fragmentarische – Tatbestandsfassung lassen sich hier sachliche Gründe anführen.
Den Straftatbestand nicht auch auf den Beischlaf zwischen Stief-, Adoptiv- oder Pflegegeschwistern zu erstrecken, lässt sich zum einen damit begründen, dass entsprechende Handlungen in geringerem Maße dem traditionellen Bild der Familie widersprechen, worauf hindeutet, dass – im Gegensatz zum absoluten Eheverbot für leibliche Geschwister – die Eheschließung zwischen nicht leiblich verwandten Geschwistern nicht untersagt ist (§ 1307 Satz 1 BGB) und in § 1308 BGB für Adoptivgeschwister eine weniger strenge Sonderregelung besteht. Zum anderen bestehen insoweit keine vergleichbaren erbbiologischen Bedenken, und es liegt auch die Annahme nicht fern, zwischen leiblichen Geschwistern könnten in höherem Maße als zwischen Stief-, Adoptiv- oder Pflegegeschwistern Abhängigkeiten bestehen.
Der Umstand, dass beischlafähnliche Handlungen und sexueller Verkehr zwischen gleichgeschlechtlichen Geschwistern nicht mit Strafe bedroht sind, andererseits der Beischlaf zwischen leiblichen Geschwistern auch in den Fällen, in denen eine Empfängnis ausgeschlossen ist, den Straftatbestand erfüllt, stellt die grundsätzliche Erreichbarkeit der (Teil-)Ziele des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung und der Vorsorge vor genetisch bedingten Krankheiten nicht in Frage.
Entsprechendes gilt für den Einwand, die Strafnorm erreiche wegen des Strafausschließungsgrundes für Minderjährige (§ 173 Abs. 3 StGB) die Geschwister erst, wenn sie sich typischerweise aus dem Familienverband lösten, weshalb sie zum Schutz der Familienstruktur ungeeignet sei. Dieser Gesichtspunkt wird insbesondere für Fälle vorgebracht, in denen sich die Geschwister erst als Erwachsene kennenlernen. Zum einen kann die Strafnorm Wirkungen gerade in Grenz- und Übergangssituationen entfalten. Auch gewinnt sie ihr Gewicht durch die Absolutheit, mit der sie die umfassende und situationsunabhängige Beachtung einfordert. Der Gesetzgeber war zum anderen nicht gehalten, derartige Fallgestaltungen im Straftatbestand selbst zu berücksichtigen, sondern konnte darauf vertrauen, dass Einzelfallgerechtigkeit auch bei der Rechtsanwendung erreicht werden kann (unten cc).
Nach alledem ist die Entscheidung des Gesetzgebers zu respektieren, den Freiraum, der Kindern und Jugendlichen für eine individuell angemessene Reifung ihrer Persönlichkeit auch in sexueller Hinsicht zustehen soll, zu bewahren, die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen in besonderem Maße zu schützen und nicht durch Abschaffung der Strafnorm kriminalpolitisch unerwünschte, für den angestrebten umfassenden sexualstrafrechtlichen Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen kontraproduktive Reflexe zu ermöglichen.
bb) Die angegriffene Norm unterliegt auch im Hinblick auf ihre Erforderlichkeit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar kommen in Fällen des Geschwisterinzests vormundschaftsgerichtliche und jugendwohlfahrtspflegerische Maßnahmen in Betracht (vgl. Deutscher Bundestag, a.a.O., 28. Sitzung, S. 919, 922). Diese sind gegenüber der Strafbewehrung jedoch keine milderen Mittel gleicher Wirksamkeit. Dem Strafrecht lässt sich – generell ebenso wie im vorliegenden Sachzusammenhang – eine über Maßnahmen öffentlicher Fürsorge hinausgehende eigenständige Wirkung nicht absprechen. Vormundschaftsgerichtliche und jugendwohlfahrtspflegerische Maßnahmen zielen eher auf die Verhinderung und Beseitigung von Normverletzungen und deren Folgen im konkreten Fall; ihnen kommt in der Regel keine generalpräventive und normstabilisierende Wirkung zu. In dem vom Senat in Auftrag gegebenen Gutachten des Max-Planck-Instituts wird insoweit und darüber hinaus festgestellt, die Durchführung eines Strafverfahrens könne – wenn erneute Verletzungen des Opfers durch das Verfahren (sekundäre Viktimisierung) vermieden würden – bei einer Erfahrung des Inzests als Missbrauch einen auch für den konkreten Fall positiven Einfluss haben, etwa durch die öffentliche Anerkennung als Opfer, die Verminderung von Schuldgefühlen, die Stärkung des Selbstwertgefühls oder die Herbeiführung einer moralischen Zufriedenheit über ein gerechtes Urteil.
cc) Die Strafandrohung ist schließlich nicht unverhältnismäßig. Sie berührt nur einen schmalen Bereich der persönlichen Lebensführung. Es spricht viel dafür, dass aufgrund einer Inzestscheu nur wenige Geschwisterpaare überhaupt von dem Verbot in einer einschränkend spürbaren Weise betroffen sind. Die Strafandrohung – Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe – ist moderat, eine Mindeststrafe nicht vorgesehen.
Auf der anderen Seite kommt der institutionellen Bedeutung der Familie erhebliches Gewicht zu. Der Verfassungsgeber hat dieses Rechtsinstitut in Art. 6 GG einem besonderen staatlichen Schutz unterstellt. Darüber hinaus stützen die Gesichtspunkte des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung der in einer Inzestverbindung “unterlegenen” Personen und der Vermeidung schwerwiegender genetisch bedingter Krankheiten die Verhältnismäßigkeit der Strafnorm.
Der vorgesehene Strafrahmen erlaubt es, besonderen Fallkonstellationen, in denen die geringe Schuld der Beschuldigten eine Bestrafung als unangemessen erscheinen lässt, durch Einstellung des Verfahrens nach Opportunitätsgesichtspunkten, Absehen von Strafe oder besondere Strafzumessungserwägungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 50, 205 ≪213 ff.≫; 90, 145, ≪191≫). Jedenfalls vor diesem Hintergrund, der bereits im Gesetzgebungsverfahren in den Blick genommen wurde (Deutscher Bundestag, a.a.O., 34. Sitzung, S. 1251 f.), verletzt das strafbewehrte Verbot des Beischlafs zwischen Geschwistern nicht das rechtsstaatliche Übermaßverbot.
2. Die angegriffene Norm steht auch nicht in Widerspruch zu anderen Grundrechten.
a) Ob und gegebenenfalls in welcher Hinsicht die Strafbewehrung des Geschwisterinzests den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG berührt, kann offen bleiben. Jedenfalls hält sie aus den dargelegten Gründen einer Überprüfung auch anhand dieses Grundrechts stand.
b) Gleichfalls kann offen bleiben, ob § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB auch am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen ist (vgl. BVerfGE 13, 290 ≪296≫; 64, 229 ≪238 f.≫). Der Strafgesetzgeber hat in weitem Umfang die Befugnis zu differenzierter Tatbestandsgestaltung. Aus den dargelegten Gründen kann eine Überschreitung der ihm dabei gesetzten äußersten Grenzen jedenfalls nicht festgestellt werden.
Die Gründe, die es dem Gesetzgeber im Lichte des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erlauben, die Strafbarkeit sexueller Handlungen unter Geschwistern auf den Beischlaf zwischen leiblichen Geschwistern zu beschränken, haben auch ausreichendes Gewicht, um eine in dieser Differenzierung etwa zu sehende Diskriminierung wegen der Abstammung vor Art. 3 Abs. 3 GG zu rechtfertigen.
II.
Auch die Rechtsanwendung der Strafgerichte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Prüfungsmaßstab ist insoweit das in Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Schuldprinzip und das Gebot schuldangemessenen Strafens.
a) Der Grundsatz “keine Strafe ohne Schuld” hat Verfassungsrang; er findet seine Grundlage im Gebot der Achtung der Menschenwürde sowie in Art. 2 Abs. 1 GG und im Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfGE 9, 167 ≪169≫; 86, 288 ≪313≫; 95, 96 ≪140≫). Aus diesem Grundsatz folgt für die Strafgerichte das Gebot schuldangemessenen Strafens im Einzelfall. Danach muss Strafe in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Maß der Schuld des Täters stehen (vgl. BVerfGE 20, 323 ≪331≫; 25, 269 ≪285 ff.≫; 50, 5 ≪12≫; 73, 206 ≪253 f.≫; 86, 288 ≪313≫; 96, 245 ≪249≫).
b) Die Strafzumessung ist allerdings Sache der Tatgerichte und der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen, es sei denn, die Strafzumessung entfernt sich so weit von dem Gedanken des gerechten Schuldausgleichs, dass sie sich als objektiv willkürlich erweist (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 ff.≫; 54, 100 ≪108, 111≫). Das Bundesverfassungsgericht kann nicht nachprüfen, ob die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte in jeder Hinsicht zutreffend gewichtet worden sind oder ob eine andere Entscheidung näher gelegen hätte, sondern grundsätzlich nur, ob dem Schuldgrundsatz überhaupt Rechnung getragen oder ob seine Tragweite bei der Auslegung und Anwendung des Strafrechts grundlegend verkannt worden ist (vgl. BVerfGE 95, 96 ≪141≫).
2. a) Eine Verletzung des Schuldgrundsatzes durch die Strafgerichte ist nicht zu erkennen. Der Beschwerdeführer hat trotz mehrfacher einschlägiger Vorverurteilungen und der Tatsache, dass aus der Inzestverbindung bereits Kinder hervorgegangen waren, ohne Beeinträchtigung seiner Schuldfähigkeit mehrfach den Beischlaf mit seiner – wesentlich jüngeren und von ihm nach den tatgerichtlichen Feststellungen in erheblicher Weise abhängigen – leiblichen Schwester ausgeübt. Das Amtsgericht konnte aufgrund dieser Feststellungen in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein Maß an strafrechtlicher Schuld feststellen, das die Verhängung von Freiheitsstrafe rechtfertigte. Eine Einstellung des Strafverfahrens oder ein Absehen von Strafe war vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht verfassungsrechtlich geboten.
b) Die Strafzumessung hat sich auch nicht von dem Gedanken des gerechten Schuldausgleichs entfernt. Das Amtsgericht hat im Rahmen der Strafzumessung eine Reihe von Gesichtspunkten zugunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt, namentlich sein Geständnis, seine äußerst belastete Persönlichkeitsentwicklung in schwierigen sozialen Verhältnissen und seine Belastung durch die Anteilnahme der Öffentlichkeit an seiner Person und seinem Verhalten. Indem das Amtsgericht gegen die mitangeklagte Schwester des Beschwerdeführers lediglich eine Betreuungsweisung nach Jugendstrafrecht verhängte, hat es ferner zu erkennen gegeben, dass es sich bei der Zumessung der Strafe an der individuellen Schuld und Täterpersönlichkeit orientiert hat. Dass die Strafe verfassungsrechtlich zwingend anders hätte ausfallen müssen, ist danach nicht ersichtlich. Eine weitergehende Prüfung der Schuldangemessenheit der verhängten Strafen kann der Beschwerdeführer im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht erreichen.
Unterschriften
Hassemer, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 1959802 |
BVerfGE 2008, 224 |
BVerfGE 2008, 255 |