Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Beschluss vom 02.10.2007; Aktenzeichen 3 Ws 355/07) |
LG Mannheim (Beschluss vom 14.08.2007; Aktenzeichen 18 StVK 237/07 - B) |
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 14. August 2007 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG) und Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 2. Oktober 2007 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Mannheim zurückverwiesen.
Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
1. Der Beschwerdeführer verbüßt seit 1996 eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Mannheim.
Im Mai 2007 schrieb der Beschwerdeführer in einem Brief an seinen Vater unter anderem „hier lassen die aber Gefangene in dieser Gummizelle, wie wir sie nennen teilweise wochenlang verrotten”.
Diesen Brief hielt die Justizvollzugsanstalt Mannheim mit Bescheid vom 29. Mai 2007 wegen grob unrichtiger Darstellung von Anstaltsverhältnissen (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG) an. Der Brief wurde dem Beschwerdeführer zurückgegeben.
2. Der Beschwerdeführer stellte beim Landgericht Mannheim Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Er trug vor, zahlreiche Gefangene seien teilweise über Wochen im besonders gesicherten Haftraum verwahrt worden. Selbst wenn der Vorwurf grob unrichtiger Darstellung von Anstaltsverhältnissen zuträfe, sei gemäß § 31 Abs. 2 StVollzG nur ein Begleitschreiben beizufügen, nicht jedoch der Brief anzuhalten. Die Briefkommunikation mit seinem Vater stehe unter dem Schutz von Art. 6 GG. Die Justizvollzugsanstalt nahm dahingehend Stellung, dass es nicht der Wahrheit entspreche, dass zahlreiche Gefangene teilweise über Wochen im besonders gesicherten Haftraum verwahrt worden seien.
Im Juni 2007 versandte der Beschwerdeführer den Brief erneut, der diesmal nicht angehalten wurde und den Vater erreichte.
Der Beschwerdeführer stellte Fortsetzungsfeststellungsantrag wegen Wiederholungsgefahr und trug vor, Gefangene seien tatsächlich teilweise über Wochen im besonders gesicherten Haftraum verwahrt worden. Der Mitgefangene M. O. sei über zwei Wochen im besonders gesicherten Haftraum wie ein wildes Tier weggesperrt worden. Die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 GG und der Schutz der Familie gemäß Art. 6 GG seien nicht beachtet worden. Der Briefempfänger sei sein Vater. Die Justizvollzugsanstalt entgegnete, zum Vortrag hinsichtlich des Gefangenen O. sei anzumerken, dass kein Gefangener in der Justizvollzugsanstalt Mannheim wie ein wildes Tier weggesperrt werde. Der Gefangene O. sei am 10. Februar 2006 entlassen worden. Streitgegenstand sei „nicht der Vollzug des ehemaligen Gefangenen O.”, sondern die beanstandete Äußerung des Beschwerdeführers. Diese stelle die Anstaltsverhältnisse grob unrichtig dar.
Mit Beschluss vom 14. August 2007 verwarf das Landgericht Mannheim den Antrag des Beschwerdeführers als unbegründet. Die von der Justizvollzugsanstalt beanstandete Äußerung sei grob unrichtig im Sinne des § 31 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG. Der Vorwurf, in der Justizvollzugsanstalt würden Gefangene willkürlich und über einen längeren Zeitraum in Isolationshaft gehalten, sei durch nichts belegt und aus der Luft gegriffen. Die Äußerung sei geeignet, dem Ansehen des Vollzugs und dem Resozialisierungsgedanken Schaden zuzufügen. Die Justizvollzugsanstalt habe das ihr zustehende Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt.
3. Der Beschwerdeführer erhob Rechtsbeschwerde. Er rügte, dass das Landgericht nicht aufgeklärt habe, ob Gefangene teilweise über eine Woche im besonders gesicherten Haftraum verwahrt worden seien. Insbesondere sei der von ihm benannte Gefangene O. nicht befragt worden. Das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass bei der Kommunikation mit seinem Vater die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 und Art. 6 GG entwickelten Grundsätze zu beachten seien.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe verwarf die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Es sei nicht geboten, die Nachprüfung des Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG).
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts und rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 und 6 GG.
Es bestehe Wiederholungsgefahr, weil im Jahr 2007 rund zwanzig Briefe an Angehörige und Freunde angehalten und ihm einige Wochen später von der Justizvollzugsanstalt wieder ausgehändigt worden seien. Landgericht und Oberlandesgericht hätten die Tragweite der Meinungsfreiheit und des besonderen Schutzes der Familie verkannt. Im Übrigen verweist der Beschwerdeführer auf seine Schriftsätze aus dem fachgerichtlichen Verfahren.
2. Das Justizministerium Baden-Württemberg hat von einer Stellungnahme abgesehen.
III.
1. Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (vgl. § 93b in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben (vgl. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits durch das Bundesverfassungsgericht geklärt (s. unter 2.); die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.
2. Der Beschluss des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) und dem grundrechtlichen Anspruch auf Achtung und Schutz der Familienbeziehungen (Art. 6 Abs. 1 GG).
a) Die briefliche Äußerung des Beschwerdeführers („hier lassen die aber Gefangene in dieser Gummizelle, wie wir sie nennen teilweise wochenlang verrotten”), die als grob unrichtige Darstellung der Anstaltsverhältnisse im Sinne des § 31 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG eingeordnet wurde, bezieht sich auf die Unterbringung von Gefangenen im sogenannten besonders gesicherten Haftraum (vgl. § 88 Abs. 2 Nr. 5 StVollzG und die VV zu § 88, abgedruckt bei Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 11. Aufl. 2008, § 88). Als durch die Elemente der Stellungnahme und des Meinens geprägte Äußerung unterfällt sie – ungeachtet der darin enthaltenen Tatsachenbehauptung, Gefangene würden „teilweise wochenlang” in diesem Raum untergebracht – insgesamt dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 90, 241 ≪247≫). Nur die bewusst unwahre Tatsachenbehauptung fällt aus dem Schutzbereich dieses Grundrechts von vornherein heraus (vgl. BVerfGE 90, 1 ≪15≫; 90, 241 ≪249≫; 99, 185 ≪197≫). Unabhängig von der Frage, ob die Annahme des Landgerichts, der Beschwerdeführer habe Unwahres behauptet, auf zureichender Sachverhaltsaufklärung beruht, ist jedenfalls dafür, dass der Beschwerdeführer in seinem Schreiben bewusst Unwahres berichtet und nicht beispielsweise auf die Richtigkeit von Gerüchten oder konkreten Berichten anderer Gefangener vertraut habe, im fachgerichtlichen Verfahren nichts festgestellt worden.
b) Die Meinungsfreiheit findet ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (vgl. Art. 5 Abs. 2 GG), zu denen auch § 31 StVollzG gehört (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 1993 – 2 BvR 1267/92 –, NJW 1994, S. 244).
Die Auslegung und Anwendung dieser Bestimmung ist in erster Linie Aufgabe der Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht überprüft die fachgerichtliche Anwendung und Auslegung nur daraufhin, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts beruhen. Dies ist der Fall, wenn die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung der Norm die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪257 f.≫). Ein solcher Fall liegt hier vor.
Es kann offenbleiben, ob das Landgericht das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Unterbringung von Gefangenen im besonders gesicherten Haftraum ohne weitere Sachverhaltsaufklärung als durch nichts belegt und aus der Luft gegriffen ignorieren durfte, nachdem der Beschwerdeführer den Namen eines Gefangenen, der über zwei Wochen wie ein wildes Tier dort eingesperrt gewesen sei, genannt und die Anstalt sich daraufhin nicht zu konkreten Angaben über die Dauer eines etwaigen Aufenthalts dieses Gefangenen im besonders gesicherten Haftraum, sondern allein zu der Anmerkung veranlasst gesehen hatte, der genannte Gefangene sei im Vorjahr entlassen worden und in der Justizvollzugsanstalt Mannheim werde kein Gefangener wie ein wildes Tier weggesperrt (zu den Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung bei streitigem Sachverhalt vgl. BVerfGK 1, 201 ≪207≫; 2, 318 ≪324 f.≫).
Der angegriffene Beschluss trägt der Reichweite des Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) und dem grundrechtlichen Anspruch auf Achtung und Schutz der Familienbeziehungen (Art. 6 Abs. 1 GG) jedenfalls insofern nicht ausreichend Rechnung, als er nicht berücksichtigt, dass die beanstandete Äußerung in einem Brief an den Vater des Beschwerdeführers und damit in einer grundrechtlich geschützten Sphäre vertraulicher Kommunikation gefallen ist (vgl. BVerfGE 90, 255 ≪259 f.≫; BVerfGK 9, 442 ≪444 ff.≫).
Die Notwendigkeit, dies zu berücksichtigen, entfiel hier nicht deshalb, weil das Schreiben des Beschwerdeführers nicht wegen eines beleidigenden Inhalts, sondern gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG wegen grob unrichtiger Darstellung von Anstaltsverhältnissen angehalten wurde. Zu den Bedingungen der Persönlichkeitsentfaltung gehört es, dass der Einzelne einen Raum besitzt, in dem er unbeobachtet sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen verkehren kann (vgl. BVerfGE 90, 255 ≪260≫). Den Grundsatz, dass der besondere persönlichkeitsrechtliche Schutz dieser Sphäre vertraulicher Kommunikation nicht dadurch entfällt, dass der Staat sich im Rahmen der Überwachung des Schriftwechsels Gefangener Kenntnis von dessen Inhalt verschafft, hat das Bundesverfassungsgericht hieraus zwar anhand von Fällen abgeleitet und wiederholt bekräftigt, die die Sanktionierung beleidigender Äußerungen oder das Anhalten von Schreiben wegen solcher Äußerungen betrafen (vgl. BVerfGE 90, 255 ≪261≫; BVerfGK 9, 442 ≪444 ff.≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. September 1994 – 2 BvR 291/94 –, NJW 1995, S. 1477). Der Grundsatz als solcher erfasst aber nicht nur diese Fallgestaltung. Grundlage seiner Geltung ist nicht eine Besonderheit des im Falle beleidigender Äußerungen betroffenen Rechtsguts der persönlichen Ehre, sondern der besondere persönlichkeitsrechtliche Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation. Dieser Schutz kann dem Gefangenen, dessen Schriftwechsel der Überwachung unterliegt, nur erhalten werden, indem an die im Zuge der Überwachung zwangsläufig gewonnenen Kenntnisse vom Inhalt seiner Kommunikation mit Personen seines besonderen Vertrauens nicht ohne weiteres in gleicher Weise, wie dies bei Äußerungen außerhalb besonderer Vertrauensbeziehungen zulässig wäre, Sanktionen oder sonstige Eingriffe geknüpft werden. Bei der notwendigen Abwägung zwischen den eingeschränkten Grundrechten des Gefangenen und dem Rechtsgut, dem das grundrechtsbeschränkende Gesetz dient, ist dies zu berücksichtigen; die in Bezug auf Einschränkungen der Meinungsfreiheit sonst geltenden Abwägungsregeln sind daher nicht ohne weiteres anwendbar (vgl. BVerfGE 90, 255 ≪259 f.≫). All dies gilt auch, wenn als im Verhältnis zu den Grundrechten des Gefangenen gegenläufiger Belang nicht die durch Normen des Strafrechts geschützte persönliche Ehre, sondern der Ruf der Vollzugspraxis, sei es in einer bestimmten Strafvollzugsanstalt oder darüber hinaus, und die davon abhängigen Gemeinschaftsinteressen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 1993 – 2 BvR 1267/92 –, NJW 1994, S. 244) in die Abwägung einzustellen sind.
Der Beschluss des Landgerichts lässt nicht erkennen, dass das Gericht sich dieser besonderen Abwägungsnotwendigkeit bewusst war.
Das Landgericht hat darüber hinaus versäumt, als – im Verhältnis zum Anhalten des Briefes – milderes Mittel die Beifügung eines richtigstellenden Begleitschreibens (vgl. § 31 Abs. 2 StVollzG) in Betracht zu ziehen. Zwar liegt auch in der Beifügung eines Begleitschreibens zu einem Brief, den der Gefangene an eine Person seines besonderen Vertrauens gerichtet hat, ein Eingriff in die grundrechtlich besonders geschützte Sphäre vertraulicher Kommunikation. Dieser Eingriff wiegt aber erheblich weniger schwer als das Unterbinden der vertraulichen Kommunikation durch Anhalten des Briefes. Die durch das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistete Möglichkeit, in engen Vertrauensbeziehungen eigenen Empfindungen und Wertungen unverstellt und ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen oder drohende Sanktionen Ausdruck zu geben (vgl. BVerfGE 90, 255 ≪260≫), wird durch ein richtigstellendes Begleitschreiben nicht schon im Ansatz beschnitten, sondern nur in ihrer die Verhältnisse in der Anstalt betreffenden Informationswirkung auf den Adressaten berührt. Von daher bietet sich die Beifügung eines Begleitschreibens als Mittel der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den widerstreitenden Belangen auch in Fällen brieflicher Kommunikation mit Vertrauenspersonen und gerade dort an, wo das Anhalten entsprechender Schreiben im Hinblick auf den besonderen grundrechtlichen Schutz der Sphäre vertraulicher Kommunikation ausscheiden muss.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Beifügung eines richtigstellenden Begleitschreibens hier kein geeignetes weniger eingreifendes Mittel zur Wahrung berechtigter Interessen der Justizverwaltung wäre. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Nutzung der in § 31 Abs. 2 StVollzG vorgesehenen Möglichkeit eines solchen Begleitschreibens in einem Fall als angesichts der „Massivität der Darstellungen” entbehrlich angesehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 1993 – 2 BvR 1267/92 –, a. a. O.). Der damit angesprochene rechtfertigende Grund lag hier aber nicht in der Schwere der erhobenen Vorwürfe – um schwere Vorwürfe wird es sich bei tatbestandsmäßigen „grob unrichtigen” oder „erheblich entstellenden” Darstellungen typischerweise handeln –, sondern darin, dass in dem betreffenden Fall wegen der Anzahl, Weite und Konturlosigkeit der erhobenen Vorwürfe ein richtigstellendes Begleitschreiben eine in irgendeiner Weise substantiierte Gegenbehauptung und damit eine Vermeidung der von falschen Vorwürfen möglicherweise ausgehenden „ungünstigen Weiterungen” (vgl. BTDrucks 7/918, S. 61) durch glaubwürdige Gegenbehauptung kaum möglich gewesen wäre. Die vom Beschwerdeführer aufgestellte Behauptung, man lasse Gefangene „in dieser Gummizelle … teilweise wochenlang verrotten”, wäre dagegen einer substantiierten Richtigstellung – beispielsweise durch Angaben über die faktische maximale Verweildauer von Gefangenen im besonders gesicherten Haftraum – ohne weiteres zugänglich.
c) Es kann nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts sein, die im konkreten Fall erforderlichen Abwägungsentscheidungen an die Stelle der fehlenden Beurteilung seitens der Justizvollzugsanstalt und des Landgerichts zu setzen (vgl. schon für das Verhältnis von Fachgericht und Behörde BVerfGK 8, 36 ≪45≫; 9, 390 ≪397≫). Ein Evidenzfall, in dem das Bundesverfassungsgericht antizipieren dürfte, dass es bei Aufhebung und Zurückverweisung im Ergebnis zu keiner anderen Entscheidung kommen könnte und der Beschwerdeführer daher durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde keinen besonders schweren Nachteil erleidet, liegt jedenfalls nicht vor.
3. Der Beschluss des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).
Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪39≫; 117, 244 ≪268≫; stRspr). Gesetzliche Bestimmungen über die Voraussetzungen der Zulässigkeit eines Rechtsmittels dürfen auch nicht in einer Weise ausgelegt und angewandt werden, die für den Rechtsschutzsuchenden unvorhersehbar macht, unter welchen Voraussetzungen das von ihm eingelegte Rechtsmittel als zulässig behandelt werden wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. April 2008 – 2 BvR 866/06 –, juris). Der Gefangene muss unter anderem wissen können, unter welchen Voraussetzungen es ihm obliegt, vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde noch das Rechtsbeschwerdeverfahren zu durchlaufen, und in welchen Fällen er, weil die Rechtsbeschwerde nicht eröffnet ist, über der Einlegung dieses Rechtsmittels die Verfassungsbeschwerdefrist versäumen würde.
Gründe, die unter diesen Maßgaben das Oberlandesgericht hätten berechtigen können, die vom Beschwerdeführer erhobene Rechtsbeschwerde als unzulässig mangels Erforderlichkeit der Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 116 Abs. 1 StVollzG) zu verwerfen, sind nicht erkennbar. Sie ergeben sich mangels näherer Begründung – von der das Gericht gemäß § 119 Abs. 3 StVollzG absehen durfte – nicht aus dem angegriffenen Beschluss und sind auch sonst nicht ersichtlich. Den oben (III. 2.) festgestellten Grundrechtsverstoß seitens des Landgerichts, der in der Nichtberücksichtigung des besonderen Schutzes der Vertraulichkeit der Kommunikation lag, hatte der Beschwerdeführer mit seiner Rechtsbeschwerde ausdrücklich gerügt. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass eine Überprüfung seitens des Oberlandesgerichts zur Sicherung einer – auch hinsichtlich ihrer Grundrechtskonformität und Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – einheitlichen Rechtsprechung hier entbehrlich gewesen sein könnte (zur Bedeutung des in § 116 Abs. 1 StVollzG statuierten Zulässigkeitskriteriums der Erforderlichkeit der Nachprüfung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, vgl. Arloth, StVollzG, 2. Aufl. 2008, § 116 StVollzG Rn. 3, m.w.N.). Weder handelte es sich um einen Grundrechtsverstoß, dessen Wiederholung wegen Singularität der Fallgestaltung nicht zu erwarten war – das Landgericht selbst hatte vielmehr ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse gerade wegen bestehender Wiederholungsgefahr bejaht –, noch lagen sonstige konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass es zu erneuter Nichtberücksichtigung des besonderen grundrechtlichen Schutzes vertraulicher Kommunikation, auf den der Beschwerdeführer auch bereits das Landgericht ausdrücklich hingewiesen hatte, in Fällen des § 31 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG nicht kommen werde.
IV.
Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den festgestellten Verfassungsverstößen. Gemäß §§ 93c Abs. 2, 95 Abs. 2 BVerfGG sind sie aufzuheben und ist die Sache an ein zuständiges Gericht zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen des Beschwerdeführers ergeht gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Voßkuhle, Mellinghoff, Lübbe-Wolff
Fundstellen
NStZ 2010, 439 |
StraFo 2009, 379 |