Leitsatz (amtlich)
- Die Freiheit der Berufsausübung aus Art. 12 Abs. 1 GG umfasst das Recht, die Öffentlichkeit über erworbene berufliche Qualifikationen wahrheitsgemäß und in angemessener Form zu informieren (Anschluss an BVerfGE 33, 125).
- Ärzte mit der Gebietsbezeichnung Allgemeinmedizin, die sich in weiteren Gebieten spezialisieren und betätigen dürfen, sind berechtigt, dies öffentlich bekannt zu geben.
Tenor
- § 39 Absatz 3 Halbsatz 1 des baden-württembergischen Gesetzes über die öffentliche Berufsvertretung, die Berufspflichten, die Weiterbildung und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Dentisten (Kammergesetz) in der Fassung vom 16. März 1995 (Gesetzblatt Seite 314) verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Bestimmung ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig.
- Das Urteil des Landesberufsgerichts für Ärzte in Stuttgart vom 12. Dezember 1998 – Berufungs-Liste Nr. 4/1998 – und der Bescheid des Bezirksberufsgerichts für Ärzte in Reutlingen vom 21. Januar 1998 – Reg.Nr. 20/97 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Bezirksberufsgericht für Ärzte zurückverwiesen.
- Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das landesrechtliche Verbot, neben der Gebietsbezeichnung “Facharzt für Allgemeinmedizin” eine weitere Gebietsbezeichnung zu führen.
I.
In seiner Facharzt-Entscheidung von 1972 berücksichtigte das Bundesverfassungsgericht die seit Mitte des 19. Jahrhunderts gewachsene Struktur der Ärzteschaft als Ergebnis unterschiedlicher Strömungen im Selbstverständnis der Ärzte (vgl. BVerfGE 33, 125 ≪127 ff.≫). Zum Zeitpunkt der Entscheidung gab es in Deutschland in der ambulanten Versorgung die Gruppe von etwa 25.000 Allgemeinmedizinern oder praktischen Ärzten, die sich unmittelbar nach der Approbation niederlassen konnten, und die Gruppe von etwa 22.000 Fachärzten, die eine mehrjährige Weiterbildung absolviert hatten (Deutsches Ärzteblatt 1973, S. 2747). Die Gruppen waren streng geschieden. Fachärzte hatten sich auf ihr Gebiet zu beschränken und durften die Familie nicht ihrem Hausarzt entfremden (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 133 f.). Die fachärztliche Weiterbildung war in 19 Gebieten möglich; daneben gab es insgesamt fünf Teilgebietsbezeichnungen (vgl. Deutsches Ärzteblatt, a.a.O.). Die Ärzte durften sich in mehr als nur einem Gebiet weiterbilden, aber nur eine Gebietsbezeichnung führen. Das Verbot, mehr als eine Facharztbezeichnung zu führen, galt unterschiedslos für alle denkbaren Fächerkombinationen.
Nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurden durch dieses Verbot solche Ärzte, die aufgrund ihrer Ausbildung berechtigt waren, mehrere Facharztbezeichnungen zu führen, unzumutbar eingeschränkt und in ihrer Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Denn es war nicht berücksichtigt, dass es unter den zugelassenen Fachrichtungen nahe verwandte Gebiete gab und dass der Facharzt, der sich zu einer Fächerkombination entschließt, in aller Regel nur Fächer wählt, die sich zu einer einheitlichen Fachpraxis mit funktionell aufeinander bezogenen Einzeltätigkeitsgebieten ausgestalten lassen (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 170 f.). In der damals vom Senat eingeholten Stellungnahme des Bundesministers für Gesundheitswesen war ausgeführt, Regelungen dieser Art setzten eine sinnvolle Abgrenzung der Gebiete und eine nicht zu große Zahl anerkannter Facharztbereiche voraus. Dem schloss sich das Bundesverfassungsgericht an (BVerfG, a.a.O., S. 146, 167), nachdem es für die verfassungsrechtliche Prüfung an der Einheit des Arztberufs festgehalten hatte.
Seitdem hat sich das ärztliche Berufsrecht grundlegend gewandelt. Die vertragsärztliche Zulassung setzt inzwischen die Weiterbildung zum Facharzt voraus (§ 95a Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch ≪SGB V≫) – abgesehen von europarechtlichen oder übergangsrechtlichen Ausnahmen (§ 95a Abs. 4 und § 73 Abs. 1a SGB V). Da nach wie vor die vertragsärztliche Zulassung wirtschaftlich als notwendige Voraussetzung für die Niederlassung in eigener Praxis angesehen wird (vgl. hierzu BVerfGE 11, 30; 103, 172), haben diese Änderungen Rückwirkungen auf das ärztliche Berufsrecht. Auch der Allgemeinarzt ist heute regelmäßig nach entsprechender Weiterbildung Facharzt für Allgemeinmedizin.
Die Zahl der zu erwerbenden Weiterbildungsbezeichnungen hat sich auf etwa 160 Weiterbildungsqualifikationen in Gebiets-, Teilgebiets- und Bereichsweiterbildungen vergrößert; es gibt allein 40 unterschiedliche Facharztbezeichnungen. In mehr als 20 Bereichen kann sich ein Arzt zum Führen einer Zusatzbezeichnung weiterbilden (vgl. die Sonderausgabe des Ärzteblattes Baden-Württemberg, Heft 4 ≪1995≫, S. 5). Nach dem Stand vom 31. Dezember 2000 praktizierten von den 120.000 in Deutschland niedergelassenen Ärzten 32.000 als Fachärzte für Allgemeinmedizin und 13.000 als Ärzte ohne Gebietsbezeichnung oder als praktische Ärzte (vgl. Homepage der Bundesärztekammer Tabelle 3, Ärztinnen/Ärzte nach Bezeichnungen und Tätigkeiten, Stand: 31. Dezember 2000; http://www.bundesaerztekammer.de). Demnach verfügen 107.000 Ärzte, also etwa 90 vom Hundert der niedergelassenen Ärzte, über eine Weiterbildung zum Facharzt; die Allgemeinmediziner stellen mit mehr als 30 vom Hundert einen nennenswerten Anteil hieran. Ihnen ist jedoch als einziger Facharztgruppe die Führung einer weiteren Gebietsbezeichnung verwehrt. Alle Ländergesetze mit Ausnahme desjenigen in Sachsen enthalten ein entsprechendes Verbot.
Im vorliegenden Fall ist § 39 des baden-württembergischen Gesetzes über die öffentliche Berufsvertretung, die Berufspflichten, die Weiterbildung und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Dentisten (Kammergesetz) in der Fassung vom 16. März 1995 (GBl S. 314; im Folgenden: KaG) maßgeblich. Die Vorschrift lautet:
§ 39
Erweiterung der Berufsbezeichnung
- und (2) …
- Die Gebietsbezeichnung “Allgemeinmedizin” darf nicht neben einer anderen Gebietsbezeichnung geführt werden; das gilt für die Führung der Bezeichnung “Praktischer Arzt” entsprechend.
Es handelt sich insoweit um eine Ausnahme zu den §§ 32, 33 KaG:
§ 32
Erweiterung der Berufsbezeichnung
- Kammermitglieder können nach Maßgabe dieses Abschnitts ihre Berufsbezeichnung durch Bezeichnungen erweitern, die auf besondere Kenntnisse und Fähigkeiten in einem bestimmten medizinischen, zahnmedizinischen, tiermedizinischen oder pharmazeutischen Gebiet (Gebietsbezeichnung) oder Teilgebiet (Teilgebietsbezeichnung) oder auf andere zusätzlich erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten (Zusatzbezeichnung) hinweisen.
- …
§ 33
Anerkennung zum Führen der Bezeichnungen
- Eine Bezeichnung nach § 32 darf führen, wer eine Anerkennung erhalten hat. Die Anerkennung erhält das Kammermitglied, das die vorgeschriebene Weiterbildung erfolgreich abgeschlossen hat.
- Auf verwandten Gebieten dürfen mehrere Gebietsbezeichnungen nebeneinander geführt werden.
- Teilgebietsbezeichnungen dürfen nur zusammen mit der Bezeichnung des Gebiets geführt werden, dem die Teilgebiete zugehören.
Diese Vorschriften hat der Landesgesetzgeber als Reaktion auf den genannten Facharzt-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts durch Art. 1 Nr. 34 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Berufsvertretung der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Dentisten vom 3. März 1976 (GBl S. 217) geschaffen. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung (LTDrucks 6/8650, S. 36) widerspricht es dem Sinn der Gebietsbezeichnung “Allgemeinmedizin”, daneben weitere Gebietsbezeichnungen zuzulassen, weil sich der Allgemeinmediziner nicht in einem engeren Bereich spezialisiere, sondern seine Weiterbildung in der Vertiefung des allgemeinärztlichen Wissens und Könnens bestehe. In § 6 Abs. 1 der Weiterbildungsordnung (WBO) der Landesärztekammer Baden-Württemberg vom 17. März 1995 in der Fassung der Satzung vom 8. August 1995 (Sonderausgabe des Ärzteblattes Baden-Württemberg, Heft 4 ≪1995≫, S. 153) wurde diese Regelung übernommen und die möglichen Kombinationen von Gebietsbezeichnungen benannt. Die Vorschrift lautet:
Führen mehrerer Facharztbezeichnungen
Besitzt ein Arzt die Anerkennung zum Führen von Facharztbezeichnungen für mehrere Gebiete, darf er folgende Facharztbezeichnungen nebeneinander führen:
Facharzt für Allgemeinmedizin
allein
Facharzt …
…
Es folgen enumerativ alle Gebietsbezeichnungen und die möglichen Kombinationen. Der Facharzt für Kinderheilkunde darf zugleich Facharzt für Diagnostische Radiologie, Hautarzt, Facharzt für Humangenetik, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin, Internist, Kinderchirurg, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Klinischer Pharmakologe, Laborarzt, Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, Neurologe, Nuklearmediziner, Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen, Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie, Facharzt für Phoniatrie und Pädaudiologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Facharzt für Physiologie, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Facharzt für Strahlentherapie oder Transfusionsmediziner sein. Allerdings besteht keine Möglichkeit einer kumulativen, sondern jeweils nur einer alternativen Wahl eines der genannten Gebiete.
Der Facharzt für Innere Medizin darf im Wesentlichen dieselben anderen Weiterbildungsbezeichnungen führen, wobei die speziell auf Kinder ausgerichteten Gebietsbezeichnungen ausscheiden, stattdessen aber die Bezeichnungen Anästhesist und Arbeitsmediziner hinzutreten.
Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung nehmen gemäß § 73 SGB V die Ärzte für Allgemeinmedizin und die Ärzte ohne Gebietsbezeichnung an der hausärztlichen Versorgung teil. Kinderärzte und Internisten ohne Teilgebietsbezeichnung können wählen, ob sie an der hausärztlichen oder an der – für alle anderen Arztgruppen verbindlichen – fachärztlichen Versorgung teilnehmen (vgl. hierzu Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1999, S. 2730).
II.
- Der 1938 geborene Beschwerdeführer erhielt 1978 die Anerkennung als Kinderarzt und 1979 die Anerkennung als Allgemeinarzt. Im Januar 1981 ließ er sich als Arzt für Allgemeinmedizin im ländlichen Raum nieder. Seit September 1995 führte er neben der Gebietsbezeichnung “Allgemeinmedizin” auch die Gebietsbezeichnung “Kinderarzt” auf Briefbögen und Rezeptvordrucken sowie in Zeitungsanzeigen.
Das Bezirksberufsgericht für Ärzte hat insbesondere deshalb gegen den Beschwerdeführer aufgrund einer Selbstanzeige mit Bescheid vom 21. Januar 1998 wegen Verstößen gegen die Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg in Verbindung mit § 39 Abs. 3 KaG eine Warnung ausgesprochen. Die Berufung des Beschwerdeführers wurde vom Landesberufsgericht für Ärzte verworfen. § 39 Abs. 3 KaG beruhe mit Rücksicht auf das überragende Rechtsgut der Gesundheit auf vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls. Es würde dem Sinn der Gebietsbezeichnung “Allgemeinmedizin” widersprechen, sie neben einer besonderen Gebietsbezeichnung zu führen. Dem im Lichte des Grundrechts aus Art. 12 GG schutzwürdigen Interesse des Facharztes für Allgemeinmedizin, auf seine über die umfassende medizinische Kompetenz des Allgemeinarztes hinausgehende, zusätzliche Qualifikation hinzuweisen, sei in der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg in der Fassung vom 18. September 1996 (Ärzteblatt Baden-Württemberg, S. 407; im Folgenden: BO) weitestgehend entsprochen. Wenn er auch keine Gebietsbezeichnung führen dürfe, so könne er doch von den inzwischen 23 vorgesehenen Zusatzbezeichnungen immerhin 21 neben seiner Facharztbezeichnung verwenden. Gemäß § 26 BO dürfe er auch andere Ärzte über sein Leistungsangebot auf kinderärztlichem Gebiet informieren. Ob eine weniger restriktive Patienteninformation über Praxisschwerpunkte aus standespolitischen Gründen erstrebenswert wäre, falle nicht in die Beurteilungszuständigkeit der Berufsgerichte. Mit dem Zeitungsinserat habe der Beschwerdeführer auch gegen § 32 Abs. 1 und 2 BO verstoßen, weil es an dem von der Berufsordnung geforderten besonderen Anlass für Zeitungsinserate gefehlt habe.
In der zentralen Frage der Führung einer weiteren Gebietsbezeichnung habe sich der Beschwerdeführer – wenn auch rechtsirrig – über die ihm von der Bezirksärztekammer erteilte Rechtsauskunft hinweggesetzt; er habe damit bedingt vorsätzlich gehandelt. Die festgestellten Verfehlungen rechtfertigten eine Warnung als Sanktion und damit die mildeste berufsgerichtliche Maßnahme.
III.
Mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen des Landesberufsgerichts und des Bezirksberufsgerichts rügt der Beschwerdeführer im Wesentlichen eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG.
Die Vorschrift des § 39 Abs. 3 KaG, wonach die Gebietsbezeichnung “Allgemeinmedizin” nicht neben einer anderen Gebietsbezeichnung geführt werden dürfe, berühre schon die Berufswahl, schränke jedenfalls die Freiheit der Berufsausübung unverhältnismäßig ein. Diese Regelung und die hierauf gestützte Bestimmung in § 6 WBO sei deshalb rechtswidrig und könne keine Grundlage für die angegriffene berufsgerichtliche Verurteilung abgeben. Es sei nicht ersichtlich, welche wichtigen Gemeinschaftsgüter verletzt werden könnten, wenn ein Arzt, der die Weiterbildung für das Fach Allgemeinmedizin und für das Fach Kinderheilkunde erfolgreich durchlaufen habe, dies nach außen kundtue. Das Bild des Allgemeinmediziners habe sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Er sei heute nicht mehr allzuständig. Sowohl nach der Weiterbildungsordnung als auch nach seiner Stellung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung werde der Allgemeinarzt hausärztlich definiert. Unter diesem Gesichtspunkt sei die Ergänzung mit der zu Recht erworbenen Gebietsbezeichnung Kinderarzt ideal, da auch der Kinderarzt ganz überwiegend hausärztlich tätig werde.
Ratsuchende Eltern könnten infolge des Verbots nicht erkennen, dass sie sich an den Beschwerdeführer als Facharzt für Kinderheilkunde wenden könnten, wenn sie für ihre Kinder Rat und Hilfe benötigten. Insofern werde nicht nur die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers, sondern auch das Informationsrecht der Bevölkerung beeinträchtigt. Wünschten Eltern die ärztliche Betreuung ihrer Kinder durch einen Kinderarzt, wären sie infolge ihrer Unkenntnis veranlasst, die beiden nächstgelegenen, in 5 und 10 km Entfernung niedergelassenen Kinderärzte aufzusuchen.
Die angegriffenen Regelungen verletzten den Beschwerdeführer auch in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Internisten oder Kinderärzten werde es erlaubt, ihre Facharztbezeichnungen mit zahlreichen anderen zu kombinieren, obwohl beide Arztgruppen ebenfalls hausärztlich tätig sein könnten. Insbesondere könne der Internist zugleich die Gebietsbezeichnung Kinderarzt führen. Das Leistungsbild eines hausärztlich tätigen Internisten unterscheide sich kaum von dem Leistungsspektrum eines Facharztes für Allgemeinmedizin.
IV.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben Stellung genommen die Landesregierung Baden-Württemberg, die Bayerische Staatsregierung, die Landesregierung Nordrhein-Westfalen, die Bundesärztekammer, die Landesärztekammer Baden-Württemberg, die Bayerische Landesärztekammer, die Ärztekammer Berlin, die Sächsische Landesärztekammer, die Ärztekammer Sachsen-Anhalt und die Ärztekammer Westfalen-Lippe. Der Berufsverband Deutscher Internisten und die Landesärztekammer Hessen haben sich der Stellungnahme der Bundesärztekammer angeschlossen. Dem Landtag von Baden-Württemberg wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Er hat hiervon keinen Gebrauch gemacht.
Mit Ausnahme der Sächsischen Landesärztekammer, deren Berufsordnung kein der baden-württembergischen Regelung entsprechendes Verbot enthält, ist sämtlichen Äußerungen zufolge die Regelung in § 39 Abs. 3 KaG verfassungsrechtlich unbedenklich. Das Führen einer Facharztbezeichnung verpflichte die Ärzte nach § 37 Abs. 1 KaG, ihre Tätigkeit grundsätzlich auf dieses Gebiet zu beschränken. Diese Regelung verfolge im Zusammenwirken mit der ärztlichen Pflicht zur beruflichen Fortbildung das Ziel, im öffentlichen Interesse einer möglichst optimalen ärztlichen Versorgung einen dem jeweils aktuellen Stand des Fachgebiets entsprechenden Kenntnis- und Fähigkeitsstand zu gewährleisten. Dahinter stehe die Vorstellung einer grundsätzlichen Funktionenteilung zwischen Allgemeinärzten und Spezialisten (den Fachärzten im engeren Sinne), wie sie sich in der strengen Teilung von hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung im Rahmen der vertragsärztlichen Strukturen der gesetzlichen Krankenversicherung wiederfinde. Die Bindung des Facharztes an das Fachgebiet mache nur Sinn, wenn daneben nicht eine allgemeinärztliche Tätigkeit ausgeübt werden könne. Das rechtfertige die Restriktionen. Denn die Gebietsbeschreibung der Allgemeinmedizin sei im Gegensatz zu allen anderen ärztlichen Gebieten offen formuliert; der Allgemeinmediziner sei ein Generalist, dessen Tätigkeitsspektrum berufsrechtlich sehr breit definiert werde. Ein Allgemeinmediziner dürfe schwerlich in der Lage sein, seiner Fortbildungsverpflichtung in der Allgemeinmedizin und in einem Spezialgebiet zu entsprechen. Fehle das Verbot, würde sich das auf die Qualität der Berufsausübung und damit letztlich negativ auf die medizinische Versorgung der Bevölkerung auswirken.
Das Verbot diene der Aufrechterhaltung des für spezialisierte Fachärzte, also die Fachärzte im engeren Sinne, geltenden Grundsatzes der Gebietsbeschränkung. Dieser Grundsatz trage maßgeblich zur Sicherung der Qualität und Funktionsfähigkeit der ärztlichen Versorgung bei. Die Allgemeinmedizin sei eine fachärztliche Querschnittsdisziplin für alle Gesundheitsstörungen jeder Altersklasse schlechthin. Ihre Kombination mit anderen ärztlichen (Spezial-)Gebieten wäre prinzipiell widersprüchlich und würde die gesamte Struktur des Weiterbildungsrechts in Frage stellen. Denn der Grundsatz der Gebietsbeschränkung gelte für die Allgemeinmedizin und die Tätigkeit Praktischer Ärzte faktisch nicht. Nur durch das Verbot werde vermieden, dass in derartigen Konstellationen das für spezialisierte Fachärzte geltende qualitäts- und funktionssichernde Prinzip der Gebietsbeschränkung leer laufe.
Auch die Aufnahme von hausärztlichen Funktionen in die weiterbildungsrechtliche Gebietsbeschreibung der Allgemeinmedizin seit 1992/93 und die Bezugnahme des Beschwerdeführers auf die Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung ließen eine andere Auslegung nicht zu. Das Wirkungsfeld der mit der Allgemeinmedizin gleichgesetzten hausärztlichen Versorgung sei nicht abschließend, sondern nur mit “insbesondere” umschrieben worden. Dem Beschwerdeführer sei allerdings zuzugeben, dass sich das Leistungsspektrum eines hausärztlich tätigen Internisten nicht von dem Leistungsspektrum eines Facharztes für Allgemeinmedizin unterscheide. Auch seien Weiterbildungsabschnitte in der Kinderheilkunde auf die Weiterbildung im Gebiet der Allgemeinmedizin anrechenbar. Es bestehe daher auch eine gewisse Sachnähe der beiden Gebiete zueinander. Dennoch würde eine Aufhebung des Verbots die vom Bundesverfassungsgericht gebilligte Aufteilung in Allgemeinmedizin und Fachärzte letztlich aufheben. Denn der Allgemeinmediziner könne interdisziplinär ohne Fachgebietsbeschränkung tätig werden, müsste sich aber andererseits als Arzt mit einer weiteren Gebietsbezeichnung auf dieses Gebiet beschränken. Das sei ein nicht zu akzeptierender Widerspruch.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
Die angegriffenen Entscheidungen der Berufsgerichte sowie die ihnen zugrunde liegende Regelung in § 39 Abs. 3 KaG mit dem an die Fachärzte für Allgemeinmedizin gerichteten Verbot, weitere rechtmäßig erworbene Facharztbezeichnungen zu führen und sie nach außen kundzutun, verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Einer Prüfung auch am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG bedarf es daher nicht.
I.
Mit den angegriffenen Entscheidungen haben die Berufsgerichte den Beschwerdeführer mittels einer Warnung nach § 58 Nr. 1 KaG, der mildesten berufsgerichtlichen Maßnahme, dazu angehalten, das in § 39 Abs. 3 KaG enthaltene Verbot zu beachten. Die Verbotsnorm greift ebenso wie die berufsgerichtliche Verurteilung in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise in die freie Berufsausübung des Beschwerdeführers ein.
Eine gesetzliche Beschränkung der freien Berufstätigkeit, der mit der berufsgerichtlichen Verurteilung Nachdruck verliehen wird, hält nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer Nachprüfung am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nur stand, wenn sie durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist, wenn das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und auch erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist. Eingriffe in die Berufsfreiheit dürfen nicht weiter gehen, als es die sie rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern (vgl. BVerfGE 103, 1 ≪10≫; stRspr).
- Zu den durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten berufsbezogenen Handlungen gehört die berufliche Außendarstellung der Grundrechtsträger, mit der den Nachfragern die erforderlichen Informationen für die Inanspruchnahme der Dienste vermittelt werden (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪256≫ m.w.N.; 94, 372 ≪389≫). An Art. 12 Abs. 1 GG zu messen ist daher das Verbot, erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten, die in rechtmäßig erlangten Titeln und Berufsbezeichnungen ihren Niederschlag gefunden haben, im Berufsleben zu benutzen (vgl. BVerfGE 36, 212 ≪223≫; 57, 121 ≪133≫; 71, 162 ≪174≫ m.w.N.). Solche Verbote stellen einen empfindlichen Eingriff dar, weil das Verschweigen von Kompetenz im selbstständig ausgeübten Beruf dazu führt, dass die Leistungen nicht konkret angeboten werden können und von den Patienten nicht nachgefragt werden.
Lässt die Fülle der in einem Beruf zusammengefassten Kompetenzen Spezialisierungen zu, die auch von den Berufsangehörigen vorangetrieben und dann satzungsrechtlich geregelt werden, stellen sich diese abgegrenzten Befähigungen entweder als Teil des Gesamtberufs oder als selbstständiger Beruf mit eigenem Gepräge dar. In beiden Fällen kommt den Berufstätigen die Gewährleistung des Art. 12 Abs. 1 GG zugute (vgl. BVerfGE 16, 286 ≪296≫; 21, 173 ≪179≫; 87, 287 ≪316 f.≫; 97, 12 ≪25 ff.≫; vgl. auch BVerfGE 54, 237 ≪246≫).
Bei Doppelqualifikationen hat eine ihrem Anschein nach zurückhaltende Berufsausübungsregelung, die nicht die berufliche Tätigkeit selbst, sondern nur das Führen eines Titels oder einer gebräuchlichen Berufsbezeichnung verbietet, weitreichende praktische Konsequenzen, die im Gewicht an eine Berufswahlregelung heranreichen können. Faktisch wird der zu verschweigende Zweitberuf oder das nicht benennbare Spezialgebiet nicht oder seltener ausgeübt; denn ein auf Leistung gegründeter guter Ruf kann mangels Nachfrage gar nicht erst erworben werden.
Handelt es sich insoweit um nicht miteinander vereinbare Berufe, kann dem Berufstätigen – wie bei Inkompatibilitätsvorschriften (vgl. BVerfGE 87, 287) – eine Wahl zwischen ihnen zugemutet werden, wenn gewichtige Belange des Gemeinwohls auf dem Spiel stehen. Diese können bei Ärzten vor allem in ihrer spezifischen Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung liegen. Die ärztliche Berufsausübung soll sich nicht am ökonomischen Erfolg, sondern an medizinischen Notwendigkeiten orientieren. Das Vertrauen der Patienten darauf, dass der Arzt nicht aus Gewinnstreben bestimmte Untersuchungen vornimmt, Behandlungen vorsieht oder Medikamente verordnet, soll erhalten bleiben. Gefährdungen, die durch mangelnde Kompetenz der Ärzte oder durch Verunsicherung der Patienten in einer sie existenziell berührenden Lage entstehen, sind grundsätzlich geeignet, derartige Verbote zu stützen. Tragfähig können insoweit auch die Belange der gesetzlichen Krankenversicherung werden, wenn sonst der gleichmäßige und kostengünstige Zugang der Versicherten zu vertragsärztlichen Leistungen gefährdet wäre.
Soweit allerdings lediglich Berufsangehörige ohne Mehrfachqualifikation daran interessiert sind, dass Spezial- oder Zusatzkenntnisse ihren Konkurrenten keinen Vorteil am Markt verschaffen, ist dieses Interesse nicht schutzwürdig (vgl. BVerfGE 82, 18 ≪28≫). Wird das Bedürfnis der Öffentlichkeit an wahrheitsgemäßen, verständlichen und auch im Übrigen in angemessener Form erfolgenden Informationen befriedigt, ist regelmäßig weder eine Kommerzialisierung des Arztberufs noch eine Verunsicherung der Patienten zu besorgen.
Die angegriffene Regelung genügt verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, weil spezifische berufsbezogene Gemeinwohlgründe fehlen, die das Verbot, eine Doppelqualifikation kundzutun, rechtfertigen könnten.
- Die Gesetzesmaterialien (vgl. LTDrucks 6/8650, S. 36) und dem folgend die Judikatur (vgl. VGH Baden-Württemberg, MedR 1994, S. 71 ≪72≫) sowie die in diesem Verfahren abgegebenen Stellungnahmen benennen als Gemeinwohlbelang die Sicherstellung einer hohen Qualität der medizinischen Versorgung für die Bevölkerung, also ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut, das den Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit rechtfertigen kann (vgl. BVerfGE 25, 236 ≪247≫).
Das Verbot der Doppelbezeichnung zielt aber ersichtlich nicht auf den Qualitätserhalt beim einzelnen Betroffenen ab.
- Es ist nicht erkennbar, inwiefern die medizinische Versorgung der Bevölkerung gefährdet sein könnte, wenn einem Arzt mit Doppelqualifikation neben der Betätigung in beiden Bereichen die Benennung seiner beiden Qualifikationen erlaubt wird. Da es dem Arzt unbestrittenermaßen möglich ist, die Anerkennung als Facharzt für mehr als eine Fachrichtung zu erwerben, kann ihm nicht von vornherein abgesprochen werden, auch mehrere Fachgebiete wissenschaftlich und praktisch zu beherrschen (vgl. BVerfGE 33, 125 ≪169 f.≫). Wieso dann Gefahren in der Offenlegung der Mehrfachqualifikation liegen sollen, ist nicht ersichtlich.
Soweit in den im vorliegenden Verfahren abgegebenen Äußerungen gesagt wird, die Benennung müsse unterbleiben, weil zu vermuten sei, dass die Beherrschung des dem Facharzt für Allgemeinmedizin zugewiesenen Bereichs im Hinblick auf die in § 10 BO vorgeschriebene laufende Fortbildung nicht gewährleistet werden könne, wenn derselbe Arzt sich daneben zusätzlich dauerhaft in einem weiteren Gebiet fortbilden müsse, richtet sich das Argument eher gegen die Mehrfachqualifikation als gegen das Führen der Bezeichnung. Hierfür fehlt es zudem an nachvollziehbaren Gründen.
Die Annahme besonderer Schwierigkeiten bei der Fortbildung überzeugt nicht, wenn deren Anforderungen mit denen der Weiterbildung verglichen werden.
Die Weiterbildungszeit für den Facharzt für Allgemeinmedizin war zu der hier maßgeblichen Zeit mit drei Jahren deutlich kürzer als für andere Gebietsbezeichnungen, die durchweg fünf Jahre Weiterbildungszeit benötigten. In der Kinderchirurgie, der Pathologie, der Orthopädie oder der plastischen Chirurgie wurde noch jeweils eine um ein Jahr längere Weiterbildungszeit gefordert. Das führte aber nicht dazu, dass den in dieser Weise spezialisierten Fachärzten nicht zugetraut worden wäre, daneben noch eine andere Gebietsbezeichnung zu führen und den Beruf kenntnisreich und mittels Fortbildung auch auf dem jeweils neuesten Stand auszuüben. Wenn die Weiterbildungsordnung eine geringere Zeit ansetzt, um die für eine Gebietsbezeichnung notwendigen Kenntnisse zu erwerben, ist nicht plausibel zu machen, dass die Beibehaltung des Kenntnisstandes und die fortlaufende Qualitätssicherung auf größere Schwierigkeiten stoßen als bei anderen Fachärzten, sofern sich der Arzt in beiden Bereichen auch tatsächlich beruflich betätigt.
Nach der neuen Muster-Weiterbildungsordnung (vgl. Narr, Ärztliches Berufsrecht, 2. Aufl., Bd. I, 13. Lieferung von Januar 1997, S. 388.29 ff.) hat sich zwar die Einschätzung über die erforderliche Weiterbildungszeit geändert. Noch immer dauert aber die Weiterbildung des Internisten oder Orthopäden länger als die des Allgemeinarztes. Dennoch ist es dem Internisten aber nicht verwehrt, gleichzeitig die Gebietsbezeichnung Kinderarzt zu führen.
- Im Übrigen sehen die berufsrechtlichen Regelungen auch nicht vor, dass sich ein Facharzt für Allgemeinmedizin, der zugleich – wie der Beschwerdeführer – Kinderarzt ist, nicht unter Aufgabe der Facharztbezeichnung für Allgemeinmedizin als Kinderarzt niederlassen könnte. Es geht demnach bei dem angegriffenen Verbot vornehmlich um den mit der Ankündigung verbundenen Werbeeffekt, nicht aber um ein Tätigkeitsverbot mit Schutzfunktion für die Bevölkerung.
- Die Bekanntmachung einer ärztlichen Qualifikation, die in einem förmlich geregelten Anerkennungsverfahren rechtmäßig erworben worden ist, wird vom Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG umfasst (vgl. BVerfGE 33, 125 ≪170≫; vgl. auch BVerfGE 36, 212 ≪223≫). Aus der Sicht der Patienten können solche Informationen der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung sogar dienlich sein. Durch wahrheitsgemäße Angaben werden die Patienten bei der Suche nach fachlich kompetenten und für sie besonders geeigneten Ärzten unterstützt. Zutreffende Angaben über besondere Kenntnisse und Fähigkeiten als Gefährdungen dieses Gemeinwohlbelangs zu begreifen, verbietet sich von vornherein, wenn die Qualifikation in einem förmlich geregelten Anerkennungsverfahren rechtmäßig erworben ist (vgl. BVerfGE 57, 121 ≪133≫; 82, 18 ≪28≫). Das Informationsbedürfnis der Patienten kann ohne solche Hinweise nicht befriedigt werden. Inzwischen misst die Ärzteschaft diesem Belang selbst Bedeutung zu; mit den etwa 160 Weiterbildungsbereichen, die erworben und benannt werden dürfen, trägt auch sie dem Informationsinteresse Rechnung.
Soweit das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1972 zu den Gemeinwohlbelangen, die eine Trennung der Tätigkeitsbereiche von den Allgemeinärzten und Fachärzten erlauben, noch die unerlässliche Zusammenarbeit zwischen den beiden Arztgruppen gerechnet hat, kommt diesem Teil der Gründe angesichts der veränderten tatsächlichen Gegebenheiten kein Gewicht mehr zu.
Damals konnte diese Zusammenarbeit durch eine Trennung der Tätigkeitsfelder noch gesichert werden. Dem Praktischen Arzt wurde gewährleistet, dass sich der Facharzt auf sein Gebiet beschränkt. Dem Facharzt wurden die Patienten vom Allgemeinarzt überwiesen, kehrten aber zu diesem zurück, soweit nicht das engere Fachgebiet des Spezialisten eine Behandlung durch diesen erforderte. Die Beschränkung auf ihr jeweiliges Fachgebiet war den Fachärzten insoweit zuzumuten, als die Abgrenzung der Bereiche vom fachlich medizinischen Standpunkt aus sachgerecht war und der Facharzt in der auf sein Fachgebiet beschränkten Tätigkeit eine ausreichende wirtschaftliche Lebensgrundlage finden konnte. Daran hat sich im Prinzip nichts geändert.
Die Ausdifferenzierung in Gebiets-, Teilgebiets- und Bereichsweiterbildungen mit den unterschiedlichsten Kombinationsmöglichkeiten hat jedoch die – weiterhin unerlässliche – Zusammenarbeit zwischen den Facharztgruppen inhaltlich beeinflusst. Das bleibt nicht ohne Auswirkung auf die verfassungsrechtliche Wertung.
Die Arbeitsteilung vor 30 Jahren beruhte auf der Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Ärzte keine Gebietsbezeichnung führte und die Fachärzte auf eine Überweisung durch die praktischen Ärzte angewiesen waren (vgl. BVerfGE 33, 125 ≪166 f.≫). Selbst zu dieser Zeit war es aber verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, einem Arzt, der sich in zwei Gebieten qualifiziert hatte, zu verbieten, in beiden Gebieten tätig zu werden. Er durfte das eine fachärztlich umrissene Gebiet verlassen, um in dem anderen fachärztlich umrissenen Gebiet tätig zu werden. Das strikte Gebot, sich auf nur ein Gebiet zu beschränken, hat das Bundesverfassungsgericht schon damals als unverhältnismäßig beanstandet (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 169).
Im Gegensatz zu den damaligen Verhältnissen beteiligen sich inzwischen fast nur noch Fachärzte an der ambulanten Behandlung der Patienten (etwa zu 90 ; vgl. oben A. I. 2.). Auch die Allgemeinmedizin liegt inzwischen schon überwiegend in den Händen von Fachärzten. Die Tätigkeit als Praktischer Arzt ist nur noch übergangsweise oder auf der Grundlage des Europarechts möglich, wobei umstritten ist, ob die zur letzteren Gruppe gehörenden nicht als Fachärzte zu gelten haben (vgl. Haage, MedR 2002, S. 301). Als Arzt für Allgemeinmedizin darf nur tätig werden, wer sich entsprechend weitergebildet hat. Dann besteht die Befugnis, eine Gebietsbezeichnung zu führen. Mit einem Anteil von etwa 30 vom Hundert stellen die Ärzte für Allgemeinmedizin sogar die größte unter den 40 Facharztgruppen dar.
- Die Bedeutung der Facharztausbildung im Selbstverständnis der Ärzte findet ihren Niederschlag in der Muster-Weiterbildungsordnung, durch die auf eine Vereinheitlichung von Landesrecht hingewirkt wird. In ihr findet die den Ärzten gemeinsame Überzeugung Ausdruck, dass die wirtschaftliche Basis für den niedergelassenen Arzt inzwischen sein durch Weiterbildung festgelegtes Gebiet ist. Diese Überzeugung wird durch das Vertragsarztrecht bekräftigt. Auch die vertragsärztliche Zulassung nach § 95a SGB V setzt regelmäßig die Weiterbildung zum Facharzt voraus.
Die unter den Fachärzten allein den Allgemeinarzt treffende vollständige Beschränkung auf ein Gebiet lässt sich weder durch dessen hausärztliche Ausrichtung noch durch die Typologie der Gebietsbezeichnungen oder die Erfordernisse der Zusammenarbeit unter den Gruppen rechtfertigen.
- Überwiegend hausärztlich tätig sind auch Internisten und Kinderärzte, denen die Führung sonstiger Gebietsbezeichnungen erlaubt ist, obwohl – gerade beim Internisten – in deren hausärztlicher Tätigkeit so gut wie keine Unterschiede zum Facharzt für Allgemeinmedizin zu finden sind. Hierüber besteht nach den eingeholten Stellungnahmen Einigkeit.
Auch im Hinblick auf die Merkmale, nach denen Gebietsbezeichnungen abgegrenzt werden, kann nicht zwischen Fachärzten im weiteren und engeren Sinn unterschieden werden mit der Folge, dass dem Facharzt für Allgemeinmedizin eine Sonderstellung zukäme.
Die Facharztgruppen sind ganz unterschiedlich abgegrenzt. Sie können sich nach Schwerpunkten in der diagnostischen oder therapeutischen Methode unterscheiden (Chirurgie, diagnostische Radiologie, Transfusionsmedizin) oder danach, ob bestimmte näher umgrenzte Teile des menschlichen Körpers das Fachgebiet beschreiben (Augenheilkunde, Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Urologie), aber auch nach ihrer Ausrichtung auf bestimmte Personenkreise, für deren Behandlung der Arzt Spezialkenntnisse erworben hat (Kinderarzt, Frauenarzt). Mit der fakultativen Weiterbildung in klinischer Geriatrie, die für Allgemeinmediziner, Internisten, Neurologen und Psychiater möglich ist (vgl. § 3 WBO), zeichnet sich neben dem Kinderarzt inzwischen ein weiterer Sektor ab, der den Besonderheiten einer bestimmten Altersgruppe Rechnung trägt. Die Geriatrie ist im Begriff, sich aus der Allgemeinmedizin abzuspalten; sie will eine umfassende, nicht auf einzelne Organe oder bestimmte Methoden vertiefte Spezialisierung auf alte Menschen ermöglichen. Internisten mit dieser fakultativen Weiterbildung befassen sich mit Prävention, Erkennung, Behandlung und Rehabilitation körperlicher und seelischer Erkrankungen im fortgeschrittenen Lebensalter so, wie sich der Kinderarzt mit Patienten vor Abschluss der somatischen Entwicklung befasst. Die Gebietsabgrenzungen überschneiden sich demnach vielfältig.
Jeder Arzt trägt Verantwortung dafür, dass rechtzeitig Spezialisten hinzugezogen werden, wenn das Krankheitsbild dies angeraten sein lässt. Hierin besteht – auch berufsrechtlich – die “Einschränkung auf das eigene Tätigkeitsfeld” in kluger Selbstbeschränkung; denn die Spezialisierungen haben zuweisende Wirkung mit haftungsrechtlicher Konsequenz (vgl. Deutsch, Medizinrecht, 4. Aufl., 1999, Rn. 26). Zugleich gründet in dieser auf Ergänzung angelegten Beschränkung die notwendige Zusammenarbeit der Fachgruppen. Auch der Kinderarzt braucht den Spezialisten in der Kinderchirurgie. Der Internist muss erkennen, wann der internistisch noch spezialisiertere Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde oder der Urologe gefragt ist; der Chirurg überlässt dem auf engerem Gebiet kenntnisreicheren Herzchirurgen oder dem Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen sowie dem Neurochirurgen das Feld, wenn der Heilerfolg durch den Spezialisten besser gewährleistet ist. Nichts anderes gilt für den Allgemeinmediziner, der – vornehmlich hausärztlich tätig – den Zeitpunkt erkennen muss, wann die vertieften Kenntnisse aus einem der anderen 39 Fachgebiete für Diagnostik oder Therapie erforderlich sind.
Beherrscht der Allgemeinmediziner ein weiteres Gebiet, kann er allerdings im diesem Bereich von der Hinzuziehung fremden Sachverstandes absehen. Hierin unterscheidet er sich aber nicht von sonstigen Fachärzten, denen das ebenso möglich ist. Der Kinderarzt muss keinen Facharzt für diagnostische Radiologie oder einen Hautarzt hinzuziehen, wenn er selbst diese Facharztbezeichnungen führt und die entsprechenden Einrichtungen in seiner Praxis vorhält. Der Internist kann die psychotherapeutische Betreuung selbst übernehmen und die spezialisierte Diagnostik eines Laborarztes oder eines Facharztes für diagnostische Radiologie einsetzen, wenn er selbst diese Gebietsbezeichnungen führt und das jeweilige Fachgebiet zusätzlich beherrscht. Dies wäre in gleicher Weise einem Allgemeinmediziner möglich; ebenso wäre es nahe liegend, dass er sein Fachgebiet mit demjenigen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe verbände und geburtshilfliche Leistungen nicht nur als Hausarzt, sondern auch als Spezialist bei Risikogeburten einsetzen könnte. Auch in diesen Fällen werden die Grenzen fachärztlicher Beschränkung nicht verwischt.
Insoweit findet die in den Stellungnahmen wiederholte Annahme aus dem Gesetzgebungsverfahren, es widerspräche dem Sinn der Gebietsbezeichnung Allgemeinmedizin, wenn daneben weitere Gebietsbezeichnungen zugelassen wären, weil sich der Allgemeinmediziner nicht in einem engeren Bereich spezialisiere (LTDrucks 6/8650, S. 36), im heutigen Berufsrecht keine Basis mehr; sie ist ein Relikt aus der Zeit, in der es eine Arbeitsteilung zwischen Praktischen Ärzten und Fachärzten gab. Inzwischen bestehen Abstufungen von allgemeineren und spezielleren Kenntnissen zwischen allen Facharztgruppen. Es ist insoweit nicht erkennbar, inwiefern die Frage nach einer Gebietskombination bei Mehrfachqualifikation aus Gründen der kompetenten Versorgung der Bevölkerung oder des Interesses der Ärzteschaft an klaren Gebietsabgrenzungen bei den sonstigen Fachärzten anders zu beantworten wäre als bei den Fachärzten für Allgemeinmedizin.
- Das ausnahmslose Verbot in § 39 Abs. 3 Halbsatz 1 KaG, neben der Gebietsbezeichnung Allgemeinmedizin eine weitere Gebietsbezeichnung zu führen, ist danach verfassungswidrig. Alle Erwägungen, die zu seiner Rechtfertigung angeführt werden, überzeugen nicht. Tragfähige Gemeinwohlbelange sind auch sonst nicht ersichtlich.
- Die auf der verfassungswidrigen Norm beruhenden Entscheidungen des Landesberufsgerichts und des Bezirksberufsgerichts verstoßen ebenfalls gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Sie können auch nicht auf anderer gesetzlicher Grundlage aufrechterhalten werden. Es unterliegt keinem vernünftigen Zweifel, dass die vom Beschwerdeführer angestrebte Kombination von allgemeinärztlicher und kinderärztlicher Tätigkeit eine solche ist, die auch den Voraussetzungen von § 33 Abs. 2 KaG genügt. Die Vorschrift erlaubt das Nebeneinander mehrerer Gebietsbezeichnungen nur, wenn diese verwandte Gebiete betreffen. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Die Gebiete, für die der Beschwerdeführer das Recht auf gleichzeitige Führung der Bezeichnungen reklamiert, sind ebenso gut, wenn nicht noch besser vereinbar als das Gebiet der Inneren Medizin mit dem der Kinderheilkunde, das nach der Berufsordnung für hinlänglich kompatibel gehalten wird.
II.
Die angegriffene Norm des baden-württembergischen Kammergesetzes ist wegen des Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG nichtig. Die entsprechende Regelung in § 6 Abs. 1 WBO verliert damit ihre gesetzliche Grundlage. Soweit das Urteil des Landesberufsgerichts und der Bescheid des Bezirksberufsgerichts auf dieser Regelung beruhen, verletzen sie den Beschwerdeführer ebenfalls in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG; sie sind gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Eine neuerliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen der Führung von zwei Gebietsbezeichnungen kommt im konkreten Fall nicht in Betracht. Die notwendig werdende Änderung der Weiterbildungsordnung braucht das Bezirksberufsgericht, an das die Sache zurückverwiesen wird, nicht abzuwarten, bevor es erneut entscheidet.
Der Beschwerdeführer hat die Entscheidungen allerdings nicht in allen Punkten verfassungsrechtlich angegriffen. Das Bezirksberufsgericht wird zu prüfen haben, ob die sonstigen der Verurteilung zugrunde liegenden Handlungen, soweit sie unabhängig von § 39 Abs. 3 KaG werberechtliches Verhalten betreffen, angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch eine Warnung rechtfertigen (vgl. BVerfGE 94, 372 ≪389, 398≫; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, DVBl 2002, S. 767). In jedem Fall wird angesichts des Erfolgs der Verfassungsbeschwerde im Hauptpunkt über die Kosten des Verfahrens neu zu entscheiden sein.
Unterschriften
Papier, Jaeger, Haas, Hömig, Steiner, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 874990 |
BVerfGE, 181 |
NJW 2003, 879 |
NVwZ 2003, 190 |
ArztR 2004, 225 |
MedR 2003, 36 |
NZS 2003, 149 |
SGb 2003, 158 |
DVBl. 2003, 262 |
BGBl. I 2002, 4591 |
KammerForum 2003, 153 |