Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung für Psychotherapeuten
Beteiligte
Rechtsanwalt Jörn W. Gleiniger |
Verfahrensgang
LSG Berlin (Zwischenurteil vom 31.03.2000; Aktenzeichen L 7 B 20/00 KA ER) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die bedarfsunabhängige Zulassung bzw. Ermächtigung zur vertragsärztlichen Versorgung für approbierte psychologische Psychotherapeuten.
1. Die 55-jährige Beschwerdeführerin ist psychologische Psychotherapeutin. Mangels qualifikationsbezogenem Fachkundenachweis wurde sie nicht in das Arztregister eingetragen; das Widerspruchsverfahren ist anhängig. Die Beschwerdeführerin erfüllt jedoch die so genannte Sockelqualifikation, aufgrund derer eine Ermächtigung zur vertragsärztlichen Versorgung mit der Möglichkeit der Nachqualifikation in Betracht kommt (§ 95 Abs. 11 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB V –). In dem nach § 95 Abs. 10 und 11 SGB V maßgeblichen Zeitraum vom 25. Juni 1994 bis 24. Juni 1997, der als Zeitfenster bezeichnet wird, behandelte sie im Bereich der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung sechs Mitglieder einer Krankenkasse in einem Gesamtumfang von 201 Behandlungsstunden. Daneben arbeitete sie mit kurzen Unterbrechungen halbtags als angestellte Stationspsychologin in einem Krankenhaus.
Der Antrag auf bedarfsunabhängige Zulassung bzw. Ermächtigung zur vertragsärztlichen Versorgung wurde abgelehnt, da die Beschwerdeführerin im maßgeblichen Zeitraum nicht mindestens 250 Stunden an der ambulanten Versorgung der Versicherten teilgenommen habe. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos.
Das Sozialgericht entschied im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, dass die Beschwerdeführerin vorläufig zur vertragsärztlichen Versorgung als Psychologische Psychotherapeutin zu ermächtigen sei. Das Landessozialgericht hob mit dem durch die Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss diese Entscheidung auf. Bei dem offen formulierten gesetzlichen Tatbestandsmerkmal der „Teilnahme an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten” sei zwar nicht von einer starren Mindestbehandlungsstundenzahl auszugehen. Aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift ergebe sich jedoch, dass ein Antragsteller in mehr als geringfügigem Umfang an der Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten teilgenommen haben müsse. Dabei könne auf die für die Zulassung von Ärzten entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden. Dem genüge die selbständige Tätigkeit der Beschwerdeführerin in der Vergangenheit nicht; bei ihr hätten ihre abhängige Beschäftigung und ihre unterschiedlichen Weiterbildungsmaßnahmen im Vordergrund gestanden.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Aus verfassungsrechtlichen Gründen müsse bereits das Betreiben einer psychotherapeutischen Praxis bis zum gesetzlichen Stichtag am 24. Juni 1997 ausreichen, damit von einer Teilnahme an der Versorgung gesprochen werden könne. Diese Voraussetzung werde schon mit einer einzigen Behandlungsstunde im Delegationsverfahren oder im Kostenerstattungsverfahren erfüllt. Zudem dürfe für das Zeitfenster nicht der Tag der Einbringung des Gesetzentwurfs in den Bundestag, sondern erst der Tag der Ausfertigung des Gesetzes, also der 16. Juni 1998, maßgeblich sein, weshalb die Beschwerdeführerin die gesetzlichen Anforderungen der Übergangsregelung erfülle.
Gleichzeitig begehrt die Beschwerdeführerin im Rahmen einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht eine vorläufige Ermächtigung zur vertragsärztlichen Versorgung als psychologische Psychotherapeutin.
Entscheidungsgründe
II.
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor. Ungeachtet der Bedenken gegen die Zulässigkeit wirft die Verfassungsbeschwerde weder klärungsbedürftige Fragen auf, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt.
1. Es kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde bereits im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität unzulässig ist. Danach reicht eine Erschöpfung des Rechtswegs im Eilverfahren dann nicht aus, wenn das Hauptsacheverfahren noch hinreichende Möglichkeiten bietet, der Grundrechtsverletzung abzuhelfen (vgl. BVerfGE 77, 381 ≪401 f.≫; 78, 290 ≪301 f.≫; s. auch Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 16. März 2000 – 1 BvR 1453/99 –, NJW 2000, S. 1779). Soweit die Beschwerdeführerin erwartet, durch die Ermächtigung nach § 95 Abs. 11 SGB V könne sie ihre Einkünfte aus von den Krankenkassen zu vergütenden psychotherapeutischen Behandlungen gegenüber dem bislang praktizierten Kostenerstattungsverfahren erheblich ausweiten, stellt die Verweisung auf den Rechtsweg in der Hauptsache jedenfalls keinen schweren Nachteil dar.
2. Soweit die Beschwerdeführerin ihr Recht auf Berufsfreiheit als verletzt ansieht, weil für das Merkmal der Teilnahme an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung eine niedrigere Behandlungsstundenzahl genüge als vom Landessozialgericht angenommen, sind Verfassungsverstöße nicht substantiiert gerügt.
Die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen des einfachen Rechts können vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der betroffenen Grundrechte, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 85, 248 ≪257 f.≫). Auch die Auslegung und Anwendung von Übergangsvorschriften obliegt grundsätzlich den Fachgerichten. Es ist nicht vom Bundesverfassungsgericht zu klären, welche Auslegung eines rechtsstaatlich unbedenklichen unbestimmten Rechtsbegriffs vorzuziehen ist (vgl. BVerfGE 75, 246 ≪281≫). Grundrechtsverstöße zeigt die Verfassungsbeschwerde auch nicht auf.
3. Zum Zeitfenster für die Teilnahme an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung (25. Juni 1994 bis 24. Juni 1997) wirft die Verfassungsbeschwerde ebenfalls weder grundsätzliche Fragen auf, noch ist eine Grundrechtsverletzung der Beschwerdeführerin ersichtlich.
a) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass das Vertrauen des Bürgers in den Bestand des geltenden Rechts in aller Regel so lange geschützt ist, bis der Bundestag ein in die Vergangenheit zurückwirkendes Gesetz beschließt (vgl. BVerfGE 97, 271 ≪290≫; stRspr). Verfassungsrechtlich wird jedoch nur das Vertrauen darauf geschützt, dass die Rechtsposition des Einzelnen nicht nachträglich verschlechtert wird. Selbst eine durch Gesetz bewirkte relative Verschlechterung im Verhältnis zu anderen Personen berührt nicht das Problem des Vertrauensschutzes, sondern betrifft eine Frage des Gebotes der Gleichbehandlung und damit der Auslegung von Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 15, 313 ≪324 f.≫). Nur dann, wenn die bisherige Regelung dazu geeignet ist, aus dem Vertrauen auf ihr Fortbestehen heraus Entscheidungen und Dispositionen herbeizuführen, findet der Grundsatz des Vertrauensschutzes Anwendung (vgl. BVerfGE 13, 39 ≪45 f.≫; 30, 367 ≪389≫).
b) Ausgehend davon käme als für den Vertrauensschutz maßgeblicher Zeitpunkt nicht – wie die Beschwerdeführerin meint – erst das Datum des Gesetzes (16. Juni 1998) in Betracht, sondern der Tag des Beschlusses durch den Deutschen Bundestag und damit der 27. November 1997 (Deutscher Bundestag, 13. WP, Protokoll der 207. Sitzung vom 27. November 1997, S. 18927 B). Es ist jedoch bereits nicht erkennbar, dass durch die gesetzliche Anbindung des Zeitfensters an das Datum der Einbringung des Gesetzentwurfs im Bundestag schutzwürdiges Vertrauen enttäuscht worden sein kann. Denn die Regelung zur bedarfsunabhängigen Zulassung bzw. Ermächtigung stellt für die Psychotherapeuten eine erhebliche Verbesserung gegenüber dem bisherigen Rechtszustand dar, und zwar sowohl bei der Teilnahme am Delegationsverfahren als auch – in noch stärkerem Umfang – beim Kostenerstattungsverfahren. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollten zur Vermeidung unbilliger Härten solche Leistungserbringer durch die bedarfsunabhängige Zulassung begünstigt werden, die in der Vergangenheit in niedergelassener Praxis an der psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten teilgenommen haben (BTDrucks 13/9212, S. 40). Wenn der Gesetzgeber alle übrigen im Beruf tätigen Therapeuten, darunter die abhängig Beschäftigten und die Berufsanwärter, auf den Regelfall der bedarfsabhängigen Zulassung verweist, ist bei diesen ebenfalls eine Enttäuschung von schutzwürdigem Vertrauen nicht ersichtlich. Auch insoweit werden durch die Neuregelung der psychotherapeutischen Versorgung Rechtspositionen nicht verschlechtert, sondern verbessert, weil erstmals eine den Ärzten gleichgestellte Teilhabe an der Behandlung von Krankenversicherten eröffnet wird.
Soweit es der Beschwerdeführerin in der Sache darum geht, über die bedarfsunabhängige Ermächtigung mit der Möglichkeit der Nachqualifikation überhaupt erst die Eintragung in das Arztregister zu erhalten, ist ohnedies kein schützenswertes Vertrauen erkennbar. Der Vertrauensschutz gebietet es nicht, die berufliche Betätigung auch solchen Personen in bisherigem Umfang zu erhalten, denen die Qualifikation fehlt, die im Interesse des vom Gesetzgeber definierten Rechtsgüterschutzes für die Zukunft eingeführt wurde (vgl. BVerfGE 98, 265 ≪310≫). Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – eine Erweiterung und Verbesserung der beruflichen Einkommenssituation angestrebt wird, die weit über den Bestandsschutz hinausgeht. Es bedarf danach nicht der Entscheidung, ob die großzügigen Übergangsregelungen für die im Berufsfeld tätigen Psychotherapeuten aus Vertrauens- oder Härteschutzgründen verfassungsrechtlich geboten waren.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 565204 |
DStR 2001, 1949 |
NJW 2000, 3416 |
NZS 2000, 395 |
SGb 2001, 130 |