Verfahrensgang
LG Würzburg (Beschluss vom 24.05.2007; Aktenzeichen 6 Qs 338/2005) |
Tenor
1. Der Beschluss des Landgerichts Würzburg vom 24. Mai 2007 – 6 Qs 338/2005 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben, und die Sache wird an das Landgericht Würzburg zurückverwiesen.
2. Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage der Gewährung nachträglichen Rechtsschutzes bei der Anordnung einer Blutentnahme aufgrund von Gefahr im Verzug.
I.
1. In einem in dieser Sache bereits durchgeführten Verfassungsbeschwerdeverfahren hatte das Bundesverfassungsgericht einen Beschluss des Landgerichts Würzburg, mit dem dieses als Beschwerdegericht die Rechtmäßigkeit einer gegen den Beschwerdeführer angeordneten Blutentnahme aufgrund von Gefahr im Verzug bestätigt hatte, wegen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG aufgehoben. Das Landgericht habe dem Beschwerdeführer effektiven Rechtsschutz versagt, indem es die Voraussetzungen der staatsanwaltlichen Eilkompetenz trotz Naheliegens ihrer objektiv willkürlichen Inanspruchnahme nicht geprüft habe (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2007 – 2 BvR 273/06 –, StV 2007, S. 281 f.; dort ist auch der zugrunde liegende Sachverhalt näher dargestellt).
2. Mit seiner erneuten Entscheidung verwarf das Landgericht die Beschwerde als unzulässig. Die zugrunde liegende Anordnung der Blutentnahme sei bereits erledigt. Eine nachträgliche Überprüfung komme nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben nicht in Betracht, weil eine Blutentnahme keinen schwer wiegenden Grundrechtseingriff darstelle und die staatsanwaltliche Anordnung auch nicht das Willkürverbot verletze. Hierzu führt das Landgericht aus:
“In der nunmehrigen dienstlichen Stellungnahme des handelnden Staatsanwalts vom 09.03.2007 ergibt sich, dass dieser bei seiner Entscheidung eine zeitnahe Blutentnahme wegen der Konzentration der Betäubungsmittel bzw. der Betäubungsmittelabbaustoffe im Blut beabsichtigte, um eine eventuelle Einlassung des Beschuldigten beispielsweise zum ‘Passivrauchen’ überprüfen zu können.
Die Bedeutung der Konzentration eines im Blut gelösten Stoffes ist in den Fällen der Anordnung einer Blutentnahme durch die Polizei wegen des Verdachts von Verkehrsstraftaten allgemein anerkannt. Insoweit ist auch die Anordnungskompetenz nach § 81a Abs. 2 StPO nicht in Frage gestellt.
Die Entscheidung des Staatsanwalts beruhte damit zwar möglicherweise auf einer fehlerhaften Einschätzung des Beweiswertes der Betäubungsmittelkonzentration im Blut, entbehrte allerdings nicht eines sachlichen, auf das Ermittlungsverfahren bezogenen Grundes.
Ein Verstoß gegen das Willkürverbot war somit in der Anordnung der Blutentnahme nicht gegeben.”
3. Mit seiner erneuten Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Landgerichts vom 24. Mai 2007. Er rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 101 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG. Er trägt vor, die Verwerfung der Beschwerde als unzulässig führe die vorangegangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ad absurdum; dem Beschwerdeführer werde wiederum eine Sachprüfung versagt. Darüberhinaus trägt der Beschwerdeführer erneut Gesichtspunkte vor, mit denen er die Verfassungswidrigkeit der Blutentnahme als solcher geltend macht.
4. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hatte Gelegenheit zur Äußerung. Es hat eine Stellungnahme nicht abgegeben.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer ergebenden Weise offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung notwendigen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
Der Beschluss des Landgerichts vom 24. Mai 2007 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG.
1. Das Recht auf effektiven Rechtsschutz garantiert bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung. Das Bundesverfassungsgericht hat die Notwendigkeit eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes auch in Fällen bereits erledigter Eingriffe anerkannt, wenn gegen schwer wiegende Grundrechtseingriffe durch die Exekutive oder nahe liegende Willkür eines Hoheitsträgers vor Erledigung der Maßnahme kein gerichtlicher Rechtsschutz erlangt werden kann. Jedenfalls soweit das Handeln der Exekutive auf der Inanspruchnahme einer originär gerichtlichen Eingriffsbefugnis beruht, erstreckt sich das Gebot effektiven Rechtsschutzes in diesen Fällen auch auf Dokumentations- und Begründungspflichten der anordnenden Stelle, die eine umfassende und eigenständige nachträgliche gerichtliche Überprüfung der Anordnungsvoraussetzungen ermöglichen sollen. Kommt die anordnende Stelle diesen Pflichten nicht nach oder lässt das überprüfende Gericht den gerichtlichen Rechtsschutz “leer laufen”, indem es dem Betroffenen eine eigene Sachprüfung versagt, kann dies eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG begründen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2007 – 2 BvR 273/06 –, StV 2007, S. 281 m.w.N.).
2. Nach diesem Maßstab ist der Beschwerdeführer durch die angegriffene Entscheidung des Landgerichts in seinem Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt.
a) Das Landgericht verkennt die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines hoheitlichen Eingriffs nach dessen Erledigung. Neben den Fällen schwer wiegender Grundrechtseingriffe ist eine gerichtliche Überprüfung verfassungsrechtlich geboten, wenn das hoheitliche Handeln ein objektiv willkürliches Vorgehen nahe legt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2007 – 2 BvR 273/06 –, StV 2007, S. 281 m.w.N.). Voraussetzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz ist nicht – wie das Landgericht offenbar annimmt – die Willkürlichkeit des in Rede stehenden Handelns. Ausreichend ist, dass der Beschwerdeführer – was hier der Fall ist – einen Verstoß gegen das Willkürverbot schlüssig vorträgt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 8. April 2004 – 2 BvR 1811/03 –, NStZ-RR 2004, S. 252 ≪253≫).
b) Das Beschwerdegericht ist in seiner – grundsätzlich umfassenden – Prüfungskompetenz beschränkt, soweit es durch die Nachbesserung der von ihm zu überprüfenden hoheitlichen Akte die präventive Funktion des Richtervorbehalts nicht mehr wahren würde (vgl. BVerfGK 5, 84 ≪88 f.≫; 347 ≪353≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03 u.a. –, NJW 2004, S. 3171 f.). Die nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben erforderliche Dokumentation der Voraussetzungen der Inanspruchnahme einer staatsanwaltlichen oder polizeilichen Eilkompetenz versetzt den Betroffenen in den Stand, die Maßnahme zu kontrollieren und Rechtsschutz zu suchen; damit erfüllt sie – teilweise – die sonst durch den Richtervorbehalt vermittelte präventive Funktion. Das Beschwerdegericht durfte daher nicht die fehlende Dokumentation durch das Abstellen auf eine ihm nachträglich vorgelegte dienstliche Stellungnahme des handelnden Staatsanwalts ersetzen und das Rechtsschutzersuchen des Beschwerdeführers damit leer laufen lassen.
c) Darüber hinaus wäre die vom Landgericht wiedergegebene dienstliche Stellungnahme des handelnden Staatsanwalts für sich genommen inhaltlich nicht geeignet, eine Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für Gefahr im Verzug zu tragen. Das Landgericht teilt lediglich mit, aus der dienstlichen Stellungnahme ergebe sich, der handelnde Staatsanwalt habe bei seiner Entscheidung eine zeitnahe Blutentnahme wegen der Konzentration der Betäubungsmittelabbaustoffe im Blut beabsichtigt, um eine eventuelle Einlassung des Beschuldigten, beispielsweise zum Passivrauchen, überprüfen zu können. Gesichtspunkte, die das Vorliegen von Gefahr im Verzug tragen könnten, insbesondere solche, die die Frage betreffen, ob und mit welchen Konsequenzen für den Erfolg der beabsichtigten Maßnahme eine richterliche Anordnung hätte erlangt werden können, lassen sich dem nicht entnehmen.
3. Da die angegriffene Entscheidung somit schon wegen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG aufzuheben ist, kann dahinstehen, ob das Landgericht die Bedeutung anderer Grundrechte, namentlich von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, verkannt hat, in denen der Beschwerdeführer durch die Blutentnahme verletzt sein könnte, zumal in erster Linie die dafür zuständigen Strafgerichte zu entscheiden haben, ob die Voraussetzungen des § 81a StPO im Einzelfall vorliegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. August 1996 – 2 BvR 1511/96 –, NJW 1996, S. 3071 ≪3072≫).
4. Die Entscheidung ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen.
5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen