Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 24.10.2003; Aktenzeichen 31 A 22.03) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 121 544,31 € festgesetzt.
Gründe
Die Kläger begehren die vermögensrechtliche Rückübertragung eines Grundstücks. Das Grundstück ist mit einem Mietwohnhaus bebaut. Es war Anfang 1968 in Volkseigentum überführt worden, nachdem unter anderem die Rechtsvorgängerin der Kläger als testamentarisch berufene Erbin nach dem früheren Eigentümer die Erbschaft mit der Begründung ausgeschlagen hatte, der Nachlass sei überschuldet. Der Beklagte lehnte den Restitutionsantrag der Kläger ab. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage abgewiesen: Der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG sei nicht erfüllt. Im Zeitpunkt der Erbausschlagung sei das Grundstück weder überschuldet gewesen noch habe seine Überschuldung unmittelbar bevorgestanden. Die vorhandenen Belastungen und die Kredite, die im Zeitpunkt der Erbausschlagung für unaufschiebbar notwendige Instandsetzungen hätten aufgenommen werden müssen, hätten den Beleihungswert des Grundstücks nicht überschritten. Jedenfalls habe der zu erwartende Ertrag aus dem Grundstück ausgereicht, die Schulden in zumutbarer Zeit abzutragen. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Kläger ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung auf zwei jeweils selbstständig tragende Gründe gestützt. Die Revision kann deshalb nur zugelassen werden, wenn gegen beide Begründungen Zulassungsgründe geltend gemacht sind und vorliegen (vgl. zum Beispiel Beschluss vom 9. Dezember 1994 – BVerwG 11 PKH 28.94 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 m.w.N.). Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen jedenfalls nicht vor, soweit die Kläger sich gegen die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts wenden, das Grundstück sei nicht überschuldet gewesen, weil die vorhandenen Belastungen und die aufzunehmenden Kredite den Beleihungswert des Grundstücks nicht überschritten hätten. Ob die Kläger gegen die weitere Begründung des Verwaltungsgerichts durchgreifende Zulassungsgründe vorgebracht haben, ist daher unerheblich.
Die Kläger haben nicht dargelegt, dass das Verwaltungsgericht mit seiner ersten tragenden Begründung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht.
Das Verwaltungsgericht hat den Zeitwert des Grundstücks mit den Krediten gleichgesetzt, mit denen das Grundstück in den Jahren 1963 und 1967 für Instandsetzungen an dem Mietwohnhaus tatsächlich beliehen worden ist. Es legt dabei die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde. Danach war ein Grundstück oder Gebäude überschuldet, wenn die ihm zuzuordnenden Verbindlichkeiten den um die eingetragenen Grundpfandrechte verminderten Zeitwert der Immobilie überschritten haben und wenn diese vorhandenen Schulden nicht innerhalb zumutbarer Zeit durch den zu erwartenden Mietertrag gedeckt werden konnten. Da es in der DDR einen freien Grundstücksverkehr nicht gab, in dem sich marktgerechte Verkehrswerte hätten herausbilden können, muss der Wert festgestellt werden, zu dem das Grundstück seinerzeit im Wege der Beleihung für eine Verschuldung hätte eingesetzt werden können. Hat der Grundstückseigentümer vor dem Verzicht versucht, einen Kredit zur Instandhaltung des Miethauses zu erhalten, und auf diese Weise eine konkrete Beleihungsgrenze in Erfahrung gebracht, ist diese zugrunde zu legen (Urteil vom 16. März 1995 – BVerwG 7 C 39.93 – BVerwGE 98, 87 ≪90 f.≫).
Anders als die Kläger meinen, hat das Bundesverwaltungsgericht nicht den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, dass die konkret in Erfahrung gebrachte Beleihungsgrenze nur dann herangezogen werden dürfe, wenn sie den Einheitswert unterschritten habe. Ein solcher abstrakter Rechtssatz liegt namentlich nicht den Entscheidungen zugrunde, welche die Kläger ausdrücklich benannt haben (Urteil vom 16. März 1995 – BVerwG 7 C 39.93 – BVerwGE 98, 87; Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – BVerwGE 108, 281; Urteil vom 8. Mai 2003 – BVerwG 7 C 24.02 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 28). Alle drei Entscheidungen betreffen Fälle, in denen der jeweilige Eigentümer vor seinem Eigentumsverzicht nicht versucht hatte, für eine Instandsetzung des Wohngebäudes einen Kredit zu erlangen, so dass die konkrete Beleihungsgrenze nicht bekannt war. Nur für diese Fälle hat das Bundesverwaltungsgericht dem Einheitswert eine Bedeutung für die Ermittlung der Beleihungsgrenze beigemessen.
Ist die konkrete Beleihungsgrenze nicht aufgrund eines Versuchs des Grundstückseigentümers bekannt, einen Kredit zur Instandhaltung des Miethauses zu erhalten, muss sie nachträglich mit Hilfe der in der DDR geltenden Bewertungsvorschriften ermittelt werden. Dabei darf vereinfachend auf den Einheitswert zurückgegriffen werden, bis zu dessen Höhe Kredite üblicherweise höchstens bewilligt wurden (Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – BVerwGE 108, 281 ≪284≫). Der Einheitswert kann danach die nachträgliche Ermittlung des Zeitwerts anhand der Bewertungsvorschriften der DDR ersetzen. Als bloßer Erfahrungswert tritt er aber nicht an die Stelle der konkreten Beleihungsgrenze, die aus einem Vorgang der Kreditgewährung bekannt ist (vgl. auch Beschluss vom 20. November 2000 – BVerwG 7 B 147.00 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 11).
Daraus ergibt sich zugleich, dass die als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Rechtsfrage,
ob die Überschuldung eines Grundstücks im Sinne des § 1 Abs. 2 VermG bereits dann ausgeschlossen ist, wenn dem Eigentümer dinglich besicherte Darlehn gewährt wurden, auch wenn diese den Einheitswert erheblich überstiegen,
sich aus der hierzu bereits ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantwortet.
- Mit seiner ersten tragenden Begründung beruht das angefochtene Urteil nicht auf dem gerügten Verfahrensfehler. Die Kläger werfen dem Verwaltungsgericht einen Verstoß gegen die Denkgesetze vor. Sie halten es für denkgesetzlich ausgeschlossen, dass ein Grundstück nicht überschuldet im Sinne des § 1 Abs. 2 VermG ist, wenn für die Immobilie ein Kredit bewilligt wurde, der höher als der Einheitswert gewesen sei.
Ein Verstoß gegen die Denkgesetze kann allenfalls dann einen Verfahrensfehler ergeben, nämlich gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 VwGO verstoßen, wenn von ihm die Feststellung des Sachverhalts, nicht aber die Anwendung des materiellen Rechts betroffen ist. Auf eine fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts zielt aber der Vorwurf der Kläger. Im Übrigen liegt der gerügte Denkfehler nicht vor. Ist für den Zeitwert des Grundstücks mangels marktgerechter Verkehrswerte auf den Wert abzustellen, bis zu dem das Grundstück nach der maßgeblichen Beleihungspraxis der DDR für eine Verschuldung hätte eingesetzt werden können, steht mit Blick auf unaufschiebbar notwendige Instandsetzungen eine Überschuldung des Grundstücks nicht unmittelbar bevor, wenn für diese Instandsetzungen ein Kredit tatsächlich bewilligt worden ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Sailer, Herbert, Neumann
Fundstellen