Entscheidungsstichwort (Thema)
Angabe der leitenden Gründe. Bezugnahme auf Gründe der angefochtenen Entscheidung. rechtliches Gehör
Leitsatz (amtlich)
Stellt ein Beteiligter die tatsächliche oder rechtliche Würdigung des erstinstanzlichen Gerichts, auf die dessen Entscheidung gestützt ist, substantiiert in Frage, so muss das Berufungsgericht darauf in den Gründen seiner Entscheidung inhaltlich eingehen (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwGO).
Insoweit kommt eine Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung gemäß § 130 b Satz 2 VwGO nicht in Betracht.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; BDG § 3; VwGO § 108 Abs. 1 S. 2, § 130b S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. November 2004 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
Die Beschwerde des Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO, § 69 BDG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor, weil die Berufungsentscheidung den Begründungsanforderungen gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO, § 3 BDG nicht genügt.
Nach dieser Vorschrift, die gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO auch für das Berufungsverfahren gilt, sind in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Dies bedeutet, dass die Entscheidungsgründe eine tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffes enthalten müssen. Das Gericht muss – unter Berücksichtigung des darauf bezogenen Vortrags der Verfahrensbeteiligten – nachvollziehbar darlegen, auf welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte es seine Entscheidung stützt (Urteile vom 5. Juli 1994 – BVerwG 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 ≪209≫ und vom 31. Juli 2002 – BVerwG 8 C 37.01 – Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 35 S. 110; Beschluss vom 18. Juli 2001 – BVerwG 1 B 118.01 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 18).
Will das Berufungsgericht den Erwägungen der Vorinstanz vollständig oder in bestimmten Punkten folgen, so kann es seiner Begründungspflicht dadurch nachkommen, dass es die Berufung gemäß § 130 b Satz 2 VwGO, § 3 BDG aus den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung zurückweist. Dabei sind die in Bezug genommenen Gründe genau zu bezeichnen. Unter dieser Voraussetzung werden sie Bestandteil der Begründung des Berufungsurteils (Beschlüsse vom 25. Februar 1992 – BVerwG 1 B 29.92 – Buchholz 310 § 130 b VwGO Nr. 2 und vom 17. Dezember 1997 – BVerwG 2 B 103.97 – juris).
Die Erfüllung der Begründungspflicht gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO durch Bezugnahme gemäß § 130 b Satz 2 VwGO kommt naturgemäß hinsichtlich desjenigen Vortrags nicht in Betracht, den ein Verfahrensbeteiligter neu in das Berufungsverfahren einführt. Stellt ein Beteiligter die entscheidungserhebliche tatsächliche oder rechtliche Würdigung des erstinstanzlichen Gerichts substantiiert in Frage, so fordert das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO, dass das Berufungsgericht darauf inhaltlich eingeht (Beschlüsse vom 20. Juli 1979 – BVerwG 7 CB 21.79 – NJW 1980, 953 ≪954≫ und vom 9. Dezember 1980 – BVerwG 7 B 238.80 – Buchholz 312 EntlG Nr. 17; BFH, Urteile vom 29. Juli 1992 – II R 14/92 – BFHE 169, 1 ≪3≫ und vom 23. April 1998 – IV R 30/97 – NVwZ-RR 1999, 151 ≪152≫).
Der Beklagte hat in der Beschwerdebegründung dargelegt, dass er sich mit seiner Berufung gegen die rechtlichen Würdigungen des Verwaltungsgerichts gewandt hat, die der durch Urteil vom 1. März 2004 ausgesprochenen Zurückstufung zugrunde liegen. Das Verwaltungsgericht hat nicht nur den gravierenden Vorfall in der Waffenkammer der BGS-Inspektion L. am 17. oder 20. Januar 2000, sondern auch die weiteren dem Beklagten zur Last gelegten Handlungen als Dienstpflichtverletzungen in Gestalt sexuell bestimmter körperlicher Berührungen oder Bemerkungen sexuellen Inhalts gewertet. Hinsichtlich dieser weiteren Vorwürfe hat der Beklagte in der Berufungsbegründung jeweils näher ausgeführt, aus welchen Gründen er die Erwägungen des Verwaltungsgerichts für fehlerhaft hält.
Da der Berufungsvortrag zu entscheidungserheblichen Gesichtspunkten Stellung nimmt, war das Oberverwaltungsgericht gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verpflichtet, auf die Argumente des Beklagten in den Gründen der Berufungsentscheidung inhaltlich einzugehen. Stattdessen hat sich das Oberverwaltungsgericht auf den Hinweis beschränkt, die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils bedürften auch hinsichtlich der Würdigung des festgestellten Sachverhalts keiner Ergänzung. Diese Bezugnahme gemäß § 130 b Satz 2 VwGO genügt den sich aus § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO ergebenden Begründungsanforderungen schon deshalb nicht, weil das Verwaltungsgericht die zur Begründung der Berufung vorgebrachten Argumente des Beklagten nicht hat abhandeln können. Die Berufungsbegründung knüpft ersichtlich an die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils an und setzt sich – mit Ausnahme des Vorfalls in der Waffenkammer – mit der rechtlichen Einordnung der dem Beklagten zur Last gelegten Handlungen durch das Verwaltungsgericht auseinander. Daher hätte das Oberverwaltungsgericht in den Gründen der Berufungsentscheidung knapp erläutern müssen, aus welchen Gründen es die Argumente des Beklagten nicht für überzeugend gehalten hat. Dies gilt umso mehr, als das Oberverwaltungsgericht über die Berufung ohne mündliche Verhandlung entschieden hat. Auf dem Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO beruht die Berufungsentscheidung (§ 138 Nr. 6 VwGO, § 3 BDG).
Dagegen genügen die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts, wonach ein Maßnahmeverbot gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 BDG nicht eingreift, den Begründungsanforderungen gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Insoweit hat der Beklagte auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, § 69 BDG dargelegt. Die Beschwerdebegründung wirft keine rechtsgrundsätzliche Frage zum Bedeutungsgehalt des § 14 Abs. 1 Nr. 2 BDG auf, sondern beanstandet in der Art einer Revisionsbegründung die tatsächliche und rechtliche Würdigung des Oberverwaltungsgerichts.
Im weiteren Verfahren wird sich das Oberverwaltungsgericht mit der rechtsgrundsätzlichen Frage zu befassen haben, ob über die Berufung des Beklagten gemäß § 130 a VwGO entschieden werden kann. Gemäß § 3 BDG ist diese Vorschrift in Disziplinarklageverfahren dann nicht anwendbar, wenn die Voraussetzungen für eine Entscheidung über eine zulässige Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss durch § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG i.V.m. § 59 Abs. 1 BDG abschließend geregelt sein sollten.
Unterschriften
Albers, Groepper, Dr. Heitz
Fundstellen
Haufe-Index 1412604 |
DÖV 2005, 1046 |
BayVBl. 2006, 163 |
Fachpresse: ja |