Entscheidungsstichwort (Thema)
Planfeststellung für den Rückbau eines Bahnübergangs. sofortige Vollziehbarkeit. Klagebefugnis. Einziehung einer Straße. Abwägungsgebot. eigene Belange einer Gemeinde. Selbstverwaltungsrecht einer Gemeinde. Veränderung der Verkehrsinfrastruktur. Schließung eines Bahnübergangs. Brandschutz. Einwendungsausschluss
Leitsatz (amtlich)
1. Um die Klagebefugnis einer Gemeinde gegen die Planfeststellung für den Rückbau eines Bahnübergangs schlüssig zu begründen, müssen Tatsachen dargelegt werden, die es denkbar und möglich erscheinen lassen, dass die Gemeinde durch den Planfeststellungsbeschluss in einer eigenen rechtlich geschützten Position beeinträchtigt ist.
2. Für eine solche Position kommen auch im Hinblick auf das Abwägungsgebot des § 18 Satz 2 AEG nur solche Belange in Betracht, die sich als eigene Belange der Gemeinde dem Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 GG zuordnen lassen.
3. Eine Veränderung der Verkehrsinfrastruktur durch Planungen und Maßnahmen überörtlicher Verwaltungsträger berührt eigene Belange einer Gemeinde unabhängig von einer Beeinträchtigung ihrer Planungshoheit nur dann, wenn die Veränderung das Gemeindegebiet oder Teile hiervon nachhaltig betrifft und die Entwicklung der Gemeinde beeinflusst.
Normenkette
GG Art. 28 Abs. 2; VwGO § 42 Abs. 2; VerkPBG § 5 Abs. 2 S. 1; AEG § 18 S. 2 n.F., § 20 Abs. 2 S. 1 a.F.; Brandenburgisches Straßengesetz § 8 Abs. 1; Brandenburgisches Brand- und Katastrophenschutzgesetz § 2
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I
Die Antragstellerin, eine amtsangehörige brandenburgische Gemeinde, begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom 22. Februar 2008 für den Rückbau des Bahnübergangs “Oelsewiesen” im Zuge des Schneeberger Weges auf ihrem Gemeindegebiet. Sie macht geltend, durch die mit dem Planfeststellungsbeschluss verfolgte Absicht, eine planungsrechtliche Grundlage dafür zu schaffen, dass sich der von ihr selbst bereits für den öffentlichen Verkehr entwidmete Bahnübergang wegen fehlender technischer Voraussetzungen aufgrund Rückbaus tatsächlich nicht mehr in Betrieb befinde, werde sie in ihren Gebrauchsrechten eingeschränkt. Ihr Gemeindegebiet sei durch die Schließung des Bahnübergangs nachteilig betroffen. Ein Teil ihres Gebiets sei nur noch durch Inkaufnahme von Umwegen zu erreichen. Die ökonomischen Belange der Agrar- und Forstwirtschaft, die Belange des Brandschutzes und der effektiven Brandbekämpfung sowie der Wert der anliegenden Flächen seien aufgrund der erschwerten Erreichbarkeit erheblich beeinträchtigt.
Entscheidungsgründe
II
1. Der Antrag ist unzulässig. Der Antragstellerin fehlt bereits die Antragsbefugnis, die der Klagebefugnis folgt (vgl. Beschluss vom 30. Oktober 1992 – BVerwG 4 A 4.92 – Buchholz 406.401 § 8 BNatSchG Nr. 13 S. 29). Denn die von der Antragstellerin bisher geltend gemachten Gesichtspunkte reichen nicht aus, um ihre gemäß § 42 Abs. 2 VwGO für die Zulässigkeit der Anfechtungsklage erforderliche Klagebefugnis schlüssig zu begründen. Auf “Gebrauchsrechte” am streitigen Bahnübergang kann sie sich nicht mehr berufen, nachdem sie der dazu gehörenden, nicht in ihrem Eigentum stehenden Straßenfläche durch öffentliche Bekanntmachung der Einziehung im Juni 2005 die Eigenschaft einer öffentlichen Straße wirksam entzogen hat (vgl. § 8 Abs. 1 des Brandenburgischen Straßengesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 31. März 2005 – GVBl I S. 134). Auch der Vortrag der Antragstellerin, ihr Gemeindegebiet sei durch die Schließung des Bahnübergangs nachteilig betroffen, weil ein Teil dieses Gebiets nur noch durch Inkaufnahme von Umwegen zu erreichen sei, legt keine Tatsachen dar, die es denkbar und möglich erscheinen lassen, dass die Antragstellerin durch den Planfeststellungsbeschluss in einer eigenen rechtlich geschützten Position beeinträchtigt ist.
Für eine solche Position kommen auch im Hinblick auf das Abwägungsgebot des § 18 Satz 2 AEG nur solche Belange in Betracht, die sich als eigene Belange der Antragstellerin dem Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 GG zuordnen lassen. Das durch diese Vorschrift gewährleistete Selbstverwaltungsrecht einer Gemeinde wird durch die Entscheidung überörtlicher Verwaltungsträger nur unter besonderen Voraussetzungen berührt. Solche liegen etwa dann vor, wenn der Gemeinde infolge einer überörtlichen Entscheidung oder Planung die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben unmöglich gemacht oder in konkreter Weise erheblich erschwert wird oder wenn das jeweilige Vorhaben hinreichend konkrete gemeindliche Planungen nachhaltig beeinträchtigt. Darüber hinaus sind die Gemeinden unabhängig von einer Beeinträchtigung ihrer Planungshoheit auch gegenüber solchen Planungen und Maßnahmen überörtlicher Verwaltungsträger rechtlich geschützt, die das Gemeindegebiet oder Teile hiervon nachhaltig betreffen und die Entwicklung der Gemeinde beeinflussen (Urteil vom 14. Dezember 1994 – BVerwG 11 C 18.93 – BVerwGE 97, 203 ≪211 f.≫ m.w.N.). Dies gilt auch für eine Veränderung der verkehrlichen Infrastruktur (vgl. Beschlüsse vom 18. September 1998 – BVerwG 4 VR 11.98 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 141 S. 285 m.w.N. und vom 18. März 2008 – BVerwG 9 VR 5.07 – NuR 2008, S. 502 f.).
Auf der Grundlage des Vortrags der Antragstellerin ist nichts dafür erkennbar, dass die durch die Schließung des Bahnübergangs bedingte Veränderung der Verkehrsinfrastruktur, die die bisherigen wenigen Nutzer des betroffenen Feldwegs zur Inkaufnahme von Umwegen zwingt, die künftige Entwicklung der Gemeinde beeinflussen könnte. Die ökonomischen Belange der Agrar- und Forstwirtschaft sind Belange der Allgemeinheit, die nicht speziell dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht zugeordnet sind und die die Antragstellerin deshalb nicht geltend machen kann. Gleiches gilt jedenfalls in Brandenburg für die Belange des Brandschutzes und der effektiven Brandbekämpfung, da der Brandschutz durch § 2 des Brandenburgischen Brand- und Katastrophenschutzgesetzes vom 24. Mai 2004 (GVBl I S. 197) kommunalen Trägern nicht als Selbstverwaltungsaufgabe, sondern als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung übertragen ist und amtsangehörige Gemeinden wie die Antragstellerin ohnehin nicht Träger dieser Aufgabe sind. Auch Beeinträchtigungen des Werts der an den Feldweg anliegenden Flächen kann die Antragstellerin ebenso wenig geltend machen wie betriebliche Erschwernisse für deren Nutzer. Denn einer Gemeinde kommen nicht schon dann eigene “wehrfähige” Rechte zu, wenn nach ihrer Ansicht einzelnen Privatpersonen – die ihre Rechte selbst geltend zu machen haben – ein Schaden droht (vgl. Beschluss vom 5. November 2002 – BVerwG 9 VR 14.02 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 171 S. 136 m.w.N.).
2. Bei angenommener Antragsbefugnis der Antragstellerin wäre ihr Antrag jedenfalls unbegründet. Es besteht kein hinreichender Anlass dafür, von der in § 5 Abs. 2 Satz 1 des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes vorgesehenen Regel der sofortigen Vollziehbarkeit der Planfeststellung hier abzuweichen. Denn das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes bis zur Entscheidung über ihre Klage.
Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und der Rechtslage ergibt sich, dass die Anfechtungsklage voraussichtlich jedenfalls als unbegründet abzuweisen wäre. Denn die Antragstellerin wäre mit der nachträglichen Geltendmachung einer Beeinträchtigung ihrem Selbstverwaltungsrecht zuzuordnender Belange gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 AEG a.F. ausgeschlossen, nachdem sie innerhalb der am 22. Mai 2006 abgelaufenen Einwendungsfrist des dem Planfeststellungsbeschluss vorangegangenen Anhörungsverfahrens solche eigenen Belange nicht geltend gemacht hat. Die in ihrem Einwendungsschreiben vom 16. Mai 2006 enthaltene Forderung nach zumutbarer Erreichbarkeit der an den Schneeberger Weg jenseits des Bahnübergangs anliegenden Flächen reicht hierfür, wie dargelegt, nicht aus. Das Bekanntmachungs- und Auslegungsverfahren war auch nicht mit einem Mangel behaftet, bei dem nicht ausgeschlossen werden kann, dass er für das Nichtvorbringen entsprechender Einwendungen der Antragstellerin innerhalb der Einwendungsfrist ursächlich war. Die Angabe einer falschen Streckennummer in der Bekanntmachung (6 523 statt 6 253) konnte angesichts der korrekten verbalen Bezeichnung der Strecke “Großenhain-Frankfurt (Oder), Abschnitt Grunow-Frankfurt (Oder)” in der Bekanntmachung die Antragstellerin nicht in Zweifel stürzen, welche Bahnstrecke von dem Vorhaben “Auflassung des Bahnhofs Mixdorf, Schließung des Bahnüberganges km 132,400 im Zuge des Schneeberger Weges” betroffen war, und hat solche Zweifel bei ihr auch offensichtlich nicht ausgelöst.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3, § 63 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Dr. Storost, Prof. Dr. Rubel, Dr. Nolte
Fundstellen
DÖV 2008, 1055 |
NJ 2009, 35 |
ZUR 2008, 549 |
BayVBl. 2009, 281 |
DVBl. 2008, 1200 |
UPR 2008, 452 |
FSt 2009, 237 |
SächsVBl. 2008, 271 |