Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 29.04.2008; Aktenzeichen 12 LB 48/07) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. April 2008 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt (nunmehr) die Erteilung eines Vorbescheids für die Errichtung einer Windenergieanlage mit einer Nabenhöhe von 77,70 m, einem Rotordurchmesser von 43,7 m und einer Nennleistung von 600 kW. Er ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts Vollerwerbslandwirt und bewirtschaftet einen landwirtschaftlichen Betrieb mit dem Schwerpunkt Schweine- und Hähnchenmast (genehmigt: 83 900 Masthähnchen in drei Ställen und 270 Mastschweine) und versorgt Pensionspferde.
Das Verwaltungsgericht wies – soweit es um die Frage der Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB geht – die Klage des Klägers mit der Begründung ab, das Vorhaben sei unabhängig davon, welcher Prozentsatz der damit zu gewinnenden Energie innerhalb des landwirtschaftlichen Betriebes des Klägers tatsächlich verbraucht werden solle, nicht gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert, weil es sich lediglich um die Angliederung eines an sich landwirtschaftsfremden Betriebsteils an den bestehenden Betrieb handele, die keinen erkennbaren Bezug zur Erzeugung und zum Absatz landwirtschaftlicher Güter aufweise, sondern letztlich aus kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen Gründen erfolgen solle.
Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 29. April 2008 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger einen Vorbescheid über die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zu erteilen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Die geplante Anlage sei gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert; sie weise einen unmittelbaren Bezug zum landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers auf (UA S. 11 f.). Es sei hinreichend nachvollziehbar dargelegt worden, dass der durch die geplante Windenergieanlage erzeugte Strom überwiegend unmittelbar dem landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers zugute kommt und nur im Übrigen zu einem weitaus geringeren Teil in das öffentliche Netz eingespeist werden solle (UA S. 12 ff.). Der Standort der Anlage befinde sich aufgrund der vorhandenen örtlichen Gegebenheiten noch in angemessener räumlicher Nähe zu dem mit Energie zu versorgenden Betrieb. Im Hinblick auf die Nähe der Anlage zu dem Wohnhaus des Klägers und zu der Ortslage insgesamt lasse sich nicht sagen, dass ein vernünftiger Landwirt im Interesse der Schonung des Außenbereichs die Windkraftanlage näher an die Hofstelle heranrücken würde (UA S. 14). Die geplante Anlage des Klägers weise zwar mit annähernd 100 m eine durchaus beachtliche Gesamthöhe auf, dem stehe aber andererseits das Erscheinungsbild eines großen landwirtschaftlichen Betriebes gegenüber (UA S. 15 f.). Auch die übrigen Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB seien gegeben (UA S. 16 f.). Es sei nicht ersichtlich und von dem Beklagten auch nicht eingewandt worden, dass das Vorhaben Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspreche (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB) oder schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen könne (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB). Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind nicht nachteilig berührt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB). Der Umstand, dass die beigeladene Gemeinde mit der 40. Änderung ihres Flächennutzungsplans eine Sonderbaufläche “Windpark” im Ortsteil Osterbrock dargestellt habe, könne dem Vorhaben ebenfalls nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, da die Ausschlusswirkung gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB nicht erfasse (UA S. 17).
Entscheidungsgründe
II
Die allein auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Die von dem Beklagten als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
ob eine ca. 100 m hohe, im Außenbereich zu errichtende und ca. 170 m von einem landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb zu betreibende Windenergieanlage noch als untergeordnete Nebenanlage und damit als sogenannter mitgezogener Betriebsteil an der Privilegierung der Hauptanlage im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, auch durch seine äußerlich erkennbare Prägung, teilnimmt,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Wie bereits die Formulierung der Frage offenbart, wendet sich der Beklagte der Sache nach – im Gewande der Grundsatzrüge – in erster Linie gegen die Würdigung der Gegebenheiten im konkreten Einzelfall seitens des Berufungsgerichts. Wie auch das Berufungsgericht zutreffend angemerkt hat, lässt sich die Frage, ob eine Windenergieanlage als untergeordnete Nebenanlage einem gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegierten Betrieb dient, nicht anhand abstrakter Maßstäbe und Größenverhältnisse beantworten. Ob ein Vorhaben im Verhältnis zu dem privilegiert zulässigen Betrieb bodenrechtlich eine “Nebensache” ist, sich ihm dienend unterordnet, gegenüber der Hauptnutzung im Hintergrund steht, ist nicht aufgrund einer typisierenden, sondern einer konkreten Betrachtungsweise des privilegierten Betriebes und der ihm zugeordneten Nebennutzung zu beurteilen (Beschluss vom 28. August 1998 – BVerwG 4 B 66.98 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 336).
Soweit die Frage – mit Blick auf den in der Beschwerdebegründung angesprochenen Gesichtspunkt des gemeindlichen Planvorbehalts gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB und den Grundsatz der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs – über den Einzelfall hinausweist und einer verallgemeinerungsfähigen Klärung zugänglich ist, ist sie auf der Grundlage von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne Weiteres zu beantworten:
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass in den Fällen, in denen ein landwirtschaftlicher Betrieb vorhanden ist, einzelne Betätigungen, die bei isolierter Betrachtung landwirtschaftsfremd sind, durch ihre betriebliche Zuordnung zu der landwirtschaftlichen Tätigkeit von dieser gleichsam mitgezogen werden und damit im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB an der Privilegierung teilnehmen können. Ist dies der Fall, so kann ein Vorhaben, das diesem Betätigungsbereich dient, dem landwirtschaftlichen Betrieb auch dann “dienen”, wenn dies bei isolierter Betrachtung verneint werden müsste. Gegenüber dem vorhandenen landwirtschaftlichen Betrieb muss es sich bei der an sich landwirtschaftsfremden Betätigung nach wie vor um eine bodenrechtliche Nebensache handeln (Beschluss vom 28. August 1998 a.a.O. m.w.N.). Eine im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB dienende Funktion hat ein Vorhaben (nur) dann, wenn es dem Betrieb unmittelbar zu- und untergeordnet ist und durch diese Zu- und Unterordnung auch äußerlich erkennbar geprägt wird. Hieran fehlt es, wenn es nach seiner Zweckbestimmung nicht überwiegend im Rahmen der landwirtschaftlichen Betriebsführung genutzt werden soll. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB bietet keine Handhabe dafür, einen landwirtschaftlichen Betrieb unter erleichterten Voraussetzungen um einen von der landwirtschaftlichen Nutzung unabhängigen gewerblich-kaufmännischen Betriebsteil zu erweitern.
Des Weiteren ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass eine Windenergieanlage, die eine privilegierte (Betriebs-)Anlage mit Strom versorgen soll, als ein untergeordneter Betriebsteil angesehen werden kann (Urteil vom 18. Februar 1983 – BVerwG 4 C 10.82 – BVerwGE 67, 41 zu § 35 Abs. 1 Nr. 5 BBauG; vgl. auch Urteil vom 18. Februar 1983 – BVerwG 4 C 18.81 – BVerwGE 67, 23 zu § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO). Bei der Frage, ob eine im Außenbereich gelegene Windenergieanlage einen unmittelbaren Bezug zu dem privilegierten landwirtschaftlichen Betrieb aufweist, hat der Senat maßgeblich darauf abgestellt, ob der betriebsbezogene Anteil der Energieerzeugung gemessen an der Gesamtkapazität der Anlage erheblich ins Gewicht fällt (Urteil vom 16. Juni 1994 – BVerwG 4 C 20.93 – BVerwGE 96, 95). Überwiegt der betriebsbezogene Anteil der Energieversorgung dem zur Einspeisung in das öffentliche Netz bestimmten Anteil nicht deutlich, fehlt es an der dienenden Funktion der Anlage.
Die Rechtsprechung zur “mitgezogenen” Privilegierung von Windenergieanlagen ist durch das Gesetz zur Änderung des Baugesetzbuchs vom 30. Juli 1996 (BGBl I S. 1189) nicht in Frage gestellt worden. Mit diesem Gesetz hat der Gesetzgeber auf das Urteil des Senats vom 16. Juni 1994 (BVerwG 4 C 20.93 a.a.O.) reagiert. Der Senat hatte entschieden, dass eine Windenergieanlage, deren Strom zu einem Fünftel der Versorgung eines landwirtschaftlichen Betriebs dienen und zu vier Fünfteln ins öffentliche Netz eingespeist werden soll, im Außenbereich nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 1, 4 oder 5 BauGB (jetzt: § 35 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 BauGB) privilegiert zulässig sei. Der Gesetzgeber hat daraufhin u.a. Anlagen, die der Nutzung der Windenergie dienen, eigenständig privilegiert und sie gleichzeitig einem Planvorbehalt unterworfen. Die eigenständige Privilegierung, die sich heute in § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB findet, ist nicht abschließend; Windenergieanlagen können weiterhin auch nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB als untergeordnete Anlagen eines landwirtschaftlichen Betriebes privilegiert zulässig sein. Der Gesetzgeber wollte das Hemmnis der fehlenden allgemeinen Privilegierung von Vorhaben zur Erforschung, Entwicklung und Nutzung von Windenergie im Außenbereich beheben, “ohne die nach geltendem Recht bestehenden spezifischen Privilegierungen bei Nebenanlagen … einzuengen” (Gesetzentwurf des Bundesrats, BTDrucks 13/2208 S. 1, 5 mit zustimmender Stellungnahme der Bundesregierung ≪S. 6≫); die ihm bekannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur “mitgezogenen” Privilegierung von Windenergieanlagen sollte hierdurch unberührt bleiben. Ein Gesetzesantrag des Landes Schleswig-Holstein, der die eigenständige Privilegierung auf Einzelanlagen zur Nutzung der Windenergie im räumlichen Zusammenhang mit der Hofstelle eines landwirtschaftlichen Betriebes beschränken und auch diese Vorhaben einem Planvorbehalt unterwerfen wollte (BRDrucks 153/95), hatte im Bundesrat keine Mehrheit gefunden (vgl. BRDrucks 153/1/95 S. 2 f. und 153/95 ≪Beschluss≫); er wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht wieder aufgegriffen.
Dass sich die bisherigen Entscheidungen des Senats auf Windenergieanlagen beziehen, die deutlich kleiner als die hier in Streit stehende Anlage waren, führt nicht auf den behaupteten Klärungsbedarf. Wie bereits dargelegt, lässt sich die Frage, ob eine Windenergieanlage als untergeordnete Nebenanlage im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB einem landwirtschaftlichen Betrieb dient, nicht anhand abstrakter Maßstäbe und Größenverhältnisse, sondern nur auf der Grundlage einer Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls beantworten. Hier hat das Oberverwaltungsgericht maßgebend darauf abgestellt, dass der durchaus beachtlichen Gesamthöhe der Windenergieanlage das Erscheinungsbild eines von drei großen Stallgebäuden geprägten landwirtschaftlichen Betriebes gegenüberstehe. Diese tatrichterliche Würdigung der hier gegebenen Umstände wäre einer revisionsgerichtlichen Kontrolle nicht zugänglich.
Den gemeindlichen Planvorbehalt nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB hat der Gesetzgeber beschränkt auf Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB; für Windenergieanlagen, die gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert sind, gilt § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB unabhängig von der Höhe der in Rede stehenden Windenergieanlage nicht. Da der Gesetzgeber, dem die Rechtsprechung zur “mitgezogenen” Privilegierung von Windenergieanlagen im Rahmen des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB bekannt war, gleichwohl darauf verzichtet hat, den Gemeinden zur Steuerung von solchen Anlagen das naheliegende Instrument des Planvorbehalts zur Absicherung ihrer gesamträumlichen Planungskonzepte durch Konzentrationsplanung an die Hand zu geben, verbietet sich die Annahme, dass insoweit eine im Wege der Analogie zu schließende Regelungslücke vorliege.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rojahn, Dr. Philipp, Dr. Bumke
Fundstellen
BauR 2009, 473 |
ZfBR 2009, 149 |
GV/RP 2009, 600 |
BBB 2009, 41 |
BRS-ID 2009, 6 |
FuBW 2009, 497 |
FuB 2009, 46 |