Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 16.03.2012; Aktenzeichen 2 A 760/10) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. März 2012 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 100 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Rz. 2
1. Die behauptete Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor.
Rz. 3
Der Kläger macht geltend, das Berufungsurteil weiche von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Mai 1998 – BVerwG 1 C 17.97 – (BVerwGE 106, 351) ab. Nach dieser Entscheidung beurteile sich die Zulässigkeit einer Ergänzung von Ermessenserwägungen nicht allein nach § 114 Satz 2 VwGO. Sie sei vielmehr zunächst nach dem einschlägigen materiellen Recht sowie nach dem Verwaltungsverfahrensrecht zu prüfen. § 114 Satz 2 VwGO habe lediglich die Bedeutung, dass einem danach zulässigen Nachholen von Ermessenserwägungen prozessuale Hindernisse nicht entgegenstehen. Davon abweichend räume das Berufungsgericht dem § 114 Satz 2 VwGO einen Vorrang ein, wenn es ausführe, § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG NRW könne einer nach § 114 Satz 2 VwGO zulässigen Ergänzung von Ermessenserwägungen “keine weitergehenden Grenzen” setzen.
Rz. 4
Dieser Beschwerdevortrag rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Einen entsprechenden Vorrang hat das Oberverwaltungsgericht der Vorschrift des § 114 Satz 2 VwGO nicht eingeräumt. Es hat sich zwar auf den Standpunkt gestellt, einem Nachschieben von Ermessenserwägungen im Berufungsverfahren – soweit überhaupt gegeben – stehe hier nicht entgegen, dass das Nachreichen der erforderlichen Begründung eines Verwaltungsakts gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG NRW nur bis zum Abschluss der ersten Instanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erfolgen könne; denn diese verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften beträfen – so die Begründung des Oberverwaltungsgerichts (UA S. 20 f.) – nur den Fall, dass diejenigen Gründe, die für den Erlass eines Verwaltungsakts tatsächlich maßgebend waren und die in der zunächst gegebenen Begründung nicht oder nicht ausreichend wiedergegeben worden waren, nachträglich bekanntgegeben werden, nicht aber ein “Nachschieben von Gründen” in dem Sinne, dass die von der Behörde tatsächlich angestellten Erwägungen im Nachhinein korrigiert und durch neue oder andere Erwägungen ergänzt oder ausgewechselt würden. Nur für den Fall eines – nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts hier allenfalls vorliegenden – zulässigen “Ergänzens von Ermessenserwägungen” ist die Vorinstanz also zu dem Ergebnis gelangt, dass “dem durch die genannten Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts keine weitergehenden Grenzen gesetzt” seien. Diese Auffassung deckt sich mit der vom Bundesverwaltungsgericht (a.a.O. S. 364) vertretenen Rechtsauffassung, dass gegen die Zulässigkeit einer bloßen Ergänzung von Ermessenserwägungen während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens keine (verwaltungsverfahrensrechtlichen) Bedenken bestehen. Dass § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG NRW einem Nachschieben von Ermessenserwägungen im Berufungsverfahren generell “keine weitergehenden Grenzen” setzen könne, weil § 114 Satz 2 VwGO auch insoweit einen Vorrang genieße, als die nachgeschobenen Gründe über eine bloße Ergänzung von Ermessenserwägungen hinausgehen, hat das Oberverwaltungsgericht nicht angenommen.
Rz. 5
2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
ob “§ 46 Abs. 2 mit Abs. 1 Nr. 2 VwVfG NRW” (gemeint ist wohl: § 45 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 2 VwVfG NRW) nicht nur für das Nachschieben der Begründung eines Verwaltungsakts (formelles Erfordernis), sondern auch für das Anstellen neuer Erwägungen selbst (materielles Erfordernis) eine zeitliche Grenze setzt,
betrifft vom Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes abweichendes und damit nicht revisibles Landes-Verwaltungsverfahrensrecht; bezogen auf die entsprechende Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes wäre sie nicht klärungsbedürftig.
Rz. 6
Die Beschwerde meint, die Frage sei in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht abschließend geklärt, weil die von ihr zitierten Entscheidungen zur früheren Fassung des § 45 Abs. 2 VwVfG ergangen seien, nach der eine Fehlerbehebung nur bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens möglich gewesen sei. Für klärungsbedürftig hält sie deshalb, ob diese Heilungsmöglichkeit auch noch im Berufungsverfahren bestehe, weil “§ 46 Abs. 2 VwVfG n.F. (gemeint ist: § 45 Abs. 2 VwVfG) … die Heilung nur bis zum Abschluss der ersten Instanz” zulasse. Mit dieser Formulierung zielt die Beschwerde auf § 45 Abs. 2 VwVfG NRW, wonach “Handlungen des Absatzes 1 Nr. 2 bis 5 … nur bis zum Abschluss der ersten Instanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden” dürfen. Ihr steht die Regelung des § 45 Abs. 2 des VwVfG des Bundes gegenüber, die eine Nachholung von Verfahrenshandlungen “bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens”, also auch noch während der Berufungsinstanz (§ 128 VwGO) zulässt. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage ist deshalb so zu verstehen, dass sie sich auf die von § 45 Abs. 2 des VwVfG des Bundes abweichende Regelung in § 45 Abs. 2 VwVfG NRW bezieht. Sie betrifft damit nicht revisibles Recht, weil die Revision gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO nur darauf gestützt werden kann, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes beruht, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt.
Rz. 7
Bezogen auf § 45 Abs. 2 des VwVfG des Bundes wäre die Frage nicht klärungsbedürftig. Denn in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) ist – wie ausgeführt – geklärt, dass gegen die Zulässigkeit einer bloßen Ergänzung von Ermessenserwägungen während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens keine (verwaltungsverfahrensrechtlichen) Bedenken bestehen.
Rz. 8
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Gatz, Dr. Philipp, Petz
Fundstellen