Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 11.12.2019; Aktenzeichen 4 A 68/17) |
VG Köln (Urteil vom 24.11.2016; Aktenzeichen 8 K 2285/15) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
I
Rz. 1
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass das Landesarbeitsgericht Köln verpflichtet war, zwei seiner Beschlüsse der Entscheidungsdatenbank NRWE des Landes Nordrhein-Westfalen zwecks dortiger Veröffentlichung zu übermitteln.
Rz. 2
Das Verwaltungsgericht hat die damals noch auf Leistung gerichtete Klage mangels Klagebefugnis abgewiesen. Während des Berufungsverfahrens hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidungen zur Veröffentlichung an die Datenbank übermittelt. Daraufhin hat der Kläger sein Leistungs- auf ein Feststellungsbegehren umgestellt. Seine Berufung wurde durch das Oberverwaltungsgericht mangels Feststellungsinteresses zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Kern darauf gestützt, dass ein Feststellungsinteresse weder mit Blick auf eine Wiederholungsgefahr bestehe noch aus dem Rechtsgedanken des § 173 Satz 2 VwGO i.V.m. § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG herzuleiten sei. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde.
II
Rz. 3
Die auf das Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 4
Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine Rechtsfrage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die sich in dem erstrebten Revisionsverfahren als entscheidungserheblich erweist (BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 ≪91≫; stRspr). Diese Voraussetzungen sind u.a. dann nicht erfüllt, wenn die aufgeworfene Frage sich in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht stellen würde oder aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann (BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2015 - 1 B 41.15 [ECLI:DE:BVerwG:2015:231015B1B41.15.0] - NVwZ 2015, 1779 Rn. 7).
Rz. 5
Die Beschwerde erachtet die Frage als grundsätzlich bedeutsam, ob der Gesichtspunkt der "Wiedergutmachung auf andere Weise" aus § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG analog bei einer Verzögerung des verwaltungsbehördlichen Handelns ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründen kann. Sie räumt ein, dass der Wortlaut der Vorschrift keine Verwaltungsverfahren miteinbeziehe. Insoweit bestehe jedoch eine Regelungslücke, die durch Analogie zu schließen sei. Die aufgeworfene Fragestellung rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Revision, da sie mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann. Weder lässt der aus den Gesetzesmaterialien ersichtliche Wille des Gesetzgebers eine Erstreckung des § 198 GVG über seinen Wortlaut hinaus auf Verzögerungen im Verwaltungsverfahren zu noch besteht ein Bedürfnis für die von der Beschwerde postulierte analoge Anwendung der Vorschrift. Zudem lässt sich der Regelung des § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG, die den Entschädigungsanspruch in Geld einschränkt, keine Wertung entnehmen, die bei Verzögerungen im Verwaltungsverfahren ein Feststellungsinteresse für eine gerichtliche Sachprüfung des erledigten Sachverhalts rechtfertigen könnte.
Rz. 6
Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer als Verfahrensbeteiligter infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet. Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird gemäß Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann nach Satz 2 Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Wiedergutmachung auf andere Weise ist nach Absatz 4 Satz 1 der Regelung insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Gemäß § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG ist ein Gerichtsverfahren im Sinne dieser Vorschrift jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren.
Rz. 7
Mit dieser Regelung in dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) wurde ein neuer staatshaftungsrechtlicher Entschädigungsanspruch sui generis (BT-Drs. 17/3802 S. 19) geschaffen. Der Gesetzgeber hat dessen gerichtliche Geltendmachung im Verwaltungsprozess in Art. 8 des Gesetzes geregelt, durch den § 173 Satz 2 GVG seinen heutigen Wortlaut erhalten hat. Mit der Gesamtregelung hat er auf die zunehmende Zahl von Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK infolge überlanger Dauer gerichtlicher Verfahren reagiert. Zudem hatte der Gerichtshof eine Verletzung des Art. 13 EMRK mangels wirksamen Rechtsbehelfs zur Beschleunigung gerichtlicher Verfahren festgestellt (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01 - NJW 2006, 2389 ≪2392≫) und der Bundesrepublik Deutschland zuletzt aufgrund systematischer Mängel im Rechtssystem insoweit eine konventionswidrige Praxis attestiert (EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06 - NJW 2010, 3355 Rn. 70).
Rz. 8
Wortlaut und Genese des Gesetzes belegen, dass der Bundesgesetzgeber auf abschließende Weise einen Nachteilsausgleich nur für die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG legaldefinierten Gerichtsverfahren schaffen und nicht etwa Verwaltungsverfahren miteinbezogen wissen wollte. Das ergibt sich in aller Deutlichkeit aus der Begründung des Gesetzentwurfs, mit dem die Bundesregierung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu den Gewährleistungen des Art. 6 EMRK in zeitlicher Dimension reagiert hat (BT-Drs. 17/3802 passim). Deshalb wird der für diesen Entschädigungsanspruch maßgebende Haftungsgrund in der Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit gesehen (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 38 m.w.N.). Demgegenüber werden klassische Verwaltungsverfahren vom Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sowie des Art. 6 EMRK nicht erfasst. Die explizite Beschränkung des Anwendungsbereichs der neu geschaffenen Entschädigungsregelung auf Gerichtsverfahren spricht eher gegen ihre Analogiefähigkeit mit Blick auf klassische Verwaltungsverfahren.
Rz. 9
Zudem ist kein Bedürfnis für eine Erstreckung der Anwendung des § 198 GVG im Wege der Analogie auf Verwaltungsverfahren ersichtlich. Denn der von verzögertem Verwaltungshandeln betroffene Bürger ist nicht auf Sekundäransprüche gegenüber der Exekutive angewiesen, sondern kann seinen Primäranspruch auch ohne Abschluss des Verwaltungsverfahrens vor den Verwaltungsgerichten durchsetzen (vgl. § 75 VwGO für die Verpflichtungsklage). Damit besteht keine regelungsbedürftige Lücke als Voraussetzung einer Analogie.
Rz. 10
Schließlich verquickt die von der Beschwerde befürwortete Begründung eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses aus einer Analogie der "Wiedergutmachung auf andere Weise" in § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG Regelungen des Entschädigungsrechts und der verwaltungsprozessrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer (Fortsetzungs-)Feststellungsklage in systemwidriger Weise. Denn in der genannten Vorschrift kommt der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck, dass für immaterielle Nachteile die Restitution auf andere Weise Vorrang vor der Entschädigung in Geld genießt. Deshalb hat der Bundesgerichtshof die fehlende Wiedergutmachung auf andere Weise treffend als "negatives Tatbestandsmerkmal" für die Geldentschädigung bezeichnet (BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13 - BGHZ 200, 20 Rn. 61). Der Normzweck, den Sekundäranspruch in Geld für immaterielle Nachteile einer unangemessenen Verzögerung des gerichtlichen Verfahrens einzuschränken, erlaubt es nicht, die Regelung im Prozessrecht bei der Bestimmung der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer (Fortsetzungs-)Feststellungsklage erweiternd heranzuziehen. Wenn der Kläger letztlich Kompensation für eine Verzögerung des Verwaltungsverfahrens in Form einer gerichtlichen Überprüfung des erledigten Sachverhalts erreichen will (so treffend das Berufungsgericht UA S. 19), bietet § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG dafür weder einen Anknüpfungspunkt noch lässt sich der Vorschrift eine Wertung des Gesetzgebers entnehmen, die eine dahingehende Analogie rechtfertigen könnte.
Rz. 11
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Für die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen (§ 162 Abs. 3 VwGO) besteht kein Anlass. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen