Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 06.01.2020; Aktenzeichen OVG 1 L 31.19) |
VG Berlin (Beschluss vom 01.10.2019; Aktenzeichen 25 K 112.19) |
Tenor
Die weiteren Beschwerden der Beklagten und der Beigeladenen gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. Januar 2020 werden zurückgewiesen.
Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des weiteren Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
Gründe
I
Rz. 1
Die Klägerin erbringt Krankentransportleistungen in Berlin. Sie wendet sich gegen einen Schiedsspruch der Beklagten, mit dem diese auf der Grundlage des Gesetzes über den Rettungsdienst für das Land Berlin (Rettungsdienstgesetz - RDG) vom 8. Juli 1993 (GVBl. 1993, 313), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. September 2016 (GVBl. 2016, 762), das Schiedsverfahren eingestellt hat.
Rz. 2
Im Jahr 2016 schloss die Klägerin mit der beigeladenen Krankenkasse sowie weiteren Krankenkassen und Krankenkassenverbänden eine "Vereinbarung nach § 133 SGB V in Verbindung mit § 21 Abs. 1 RDG Berlin über Krankentransporte mit Krankentransportwagen...". Gegenstand der Vereinbarung war die Durchführung von qualifizierten Krankentransporten nach § 2 Abs. 3 RDG. Die Vereinbarung enthielt unter anderem Regelungen über die Höhe der Entgelte und deren Laufzeit. Im September 2017 kündigte die Klägerin die Vereinbarung (u.a.) gegenüber der Beigeladenen. Nachdem eine neue vertragliche Vereinbarung über die Höhe der Entgelte nicht zustande gekommen war, leitete die Klägerin gemäß § 21 Abs. 2 RDG ein Schiedsverfahren ein. Mit Schiedsspruch vom 14. Dezember 2018 in der Fassung der Berichtigung vom 8. Januar 2019 stellte die Beklagte das Schiedsverfahren wegen nicht ordnungsgemäßer Besetzung der Schiedsstelle ein. Mit ihrer dagegen beim Verwaltungsgericht Berlin erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung des Schiedsspruchs und die Festsetzung von Entgelten für Krankentransportleistungen im Jahr 2018 in der beantragten Höhe.
Rz. 3
Das Verwaltungsgericht Berlin hat mit Beschluss vom 1. Oktober 2019 den Verwaltungsrechtsweg für zulässig erklärt (§ 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG). Die dagegen gerichteten Beschwerden der Beklagten und der Beigeladenen hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 6. Januar 2020 zurückgewiesen und die weitere Beschwerde zugelassen.
II
Rz. 4
Die weiteren Beschwerden der Beklagten und der Beigeladenen bleiben ohne Erfolg. Sie sind gemäß § 152 Abs. 1, § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG statthaft und auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat auf der Grundlage der von ihm vorgenommenen Anwendung und Auslegung des Rettungsdienstgesetzes für das Land Berlin - die der beschließende Senat in entsprechender Anwendung des § 560 ZPO in Verbindung mit § 173 Satz 1 VwGO bei seiner Entscheidung zugrunde legt - zutreffend angenommen, dass für Streitigkeiten über einen Schiedsspruch nach § 21 Abs. 2 RDG der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.
Rz. 5
Bei der in Rede stehenden Streitigkeit handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Rechtsstreitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, für die der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Eine Zuweisung an ein anderes Gericht im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO besteht nicht. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, Streitigkeiten über Entscheidungen einer Schiedsstelle nach § 21 RDG seien nicht gemäß § 51 Abs. 1 SGG den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen, ist nicht zu beanstanden.
Rz. 6
1. Die Voraussetzungen einer krankenversicherungs- oder sonstigen sozialversicherungsrechtlichen Streitigkeit im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 2 oder 5 SGG - die hier allein in Betracht kommen könnten - liegen nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts umfasst § 51 Abs. 1 SGG unter anderem alle Streitigkeiten, die aus Anlass der Durchführung der öffentlichen Aufgabe "Sozialversicherung" entstehen, sofern die Streitigkeiten ihre materiell-rechtliche Grundlage im Sozialversicherungsrecht haben. Maßgebend für die Zuordnung zu den Angelegenheiten der Sozialversicherung ist die Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird (BSG, Beschlüsse vom 28. September 2010 - B 1 SF 1/10 R - GesR 2011, 38 Rn. 16 f. und vom 4. April 2012 - B 12 SF 1/10 R - NZS 2012, 786 Rn. 9, jeweils m.w.N.). Um eine sozialversicherungsrechtliche Angelegenheit handelt es sich, wenn die Vorschriften, die zur Klärung der streitigen Rechtsfragen heranzuziehen und auszulegen sind, zumindest im Grundsatz im Sozialgesetzbuch geregelt sind (BSG, Beschlüsse vom 26. Oktober 2010 - B 8 AY 1/09 R - NVwZ-RR 2011, 343 Rn. 6 und vom 4. April 2012 - B 12 SF 1/10 R - a.a.O. Rn. 20). Das ist hier nicht der Fall.
Rz. 7
Ausgehend von den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Inhalt des Rettungsdienstgesetzes für das Land Berlin bilden die Entgeltregelungen des § 21 RDG den formellen und materiell-rechtlichen Kern des Rechtsstreits. Die mit der Klage begehrte Entgeltfestsetzung hat ihre Rechtsgrundlage in § 21 Abs. 2 RDG. Nach dieser Vorschrift werden die Entgelte für die Durchführung von qualifizierten Krankentransporten für den Fall, dass eine Einigung über die Höhe der Entgelte zwischen den Aufgaben- und den Kostenträgern nicht zustande kommt, durch eine Schiedsstelle festgesetzt. Die Entscheidung der Schiedsstelle ersetzt die früher in § 21 Abs. 2 RDG a.F. normierte Verpflichtung der für den Rettungsdienst zuständigen Senatsverwaltung, die Höhe der Entgelte für den Krankentransport durch Rechtsverordnung festzusetzen (vgl. Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 15/2074 S. 13). Das Rettungsdienstgesetz regelt die Besetzung der Schiedsstelle sowie das Schiedsstellenverfahren (§ 21 Abs. 2 bis 6 RDG). Gemäß § 21 Abs. 7 RDG wird die für den Rettungsdienst zuständige Senatsverwaltung ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit der für die Sozialversicherung zuständigen Senatsverwaltung weitere Regelungen zur Schiedsstelle zu treffen. Für die Ermittlung der Höhe der Entgelte sind nach § 21 Abs. 1 Satz 3 RDG die Kosten zugrunde zu legen, die einer sparsamen und wirtschaftlichen Betriebsführung unter Gewährleistung der Leistungsfähigkeit entsprechen. Im Übrigen bleiben die Bestimmungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch in der jeweils geltenden Fassung, insbesondere § 133 Abs. 1 Satz 1 und 2, unberührt (§ 21 Abs. 1 Satz 4 RDG). Nach der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts verweist § 21 Abs. 1 Satz 4 RDG nur subsidiär ("im Übrigen") auf die Bestimmungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, so dass die Anwendung dieser Vorschriften maßgeblich vom Rettungsdienstgesetz vorgeprägt sei. Daraus hat das Oberverwaltungsgericht vertretbar geschlossen, § 21 Abs. 1 Satz 4 RDG führe nicht dazu, dass der Rechtsstreit seinen Charakter als rettungsdienstliche Streitigkeit nach dem Berliner Landesrecht eingebüßt hätte und als Angelegenheit nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch anzusehen wäre.
Rz. 8
2. Ohne Erfolg wenden die Beklagte und die Beigeladene ein, entgegen der Auslegung des § 21 RDG durch die Vorinstanzen sei für die Entscheidung des Rechtsstreits vorrangig auf die Bestimmungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, insbesondere § 133 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V abzustellen.
Rz. 9
a) Soweit die Beklagte und die Beigeladene die Auslegung des § 21 RDG durch das Oberverwaltungsgericht als unzutreffend rügen, können sie damit nicht durchdringen, weil es sich bei der Regelung um Landesrecht handelt, das in entsprechender Anwendung des § 560 ZPO nicht zur Überprüfung des beschließenden Senats steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Mai 1996 - 3 N 1.94 - BVerwGE 101, 177 ≪184≫; BGH, Beschluss vom 11. Juli 1996 - V ZB 6/96 - BGHZ 133, 240 ≪244 f.≫).
Rz. 10
b) Der Überprüfung durch den Senat unterliegt allerdings, ob die Auslegung des Landesrechts gegen Bundesrecht verstößt. Auch in dieser Hinsicht bleiben die Rügen der Beklagten und der Beigeladenen aber ohne Erfolg. Die Auslegung des § 21 RDG steht mit § 133 SGB V in Einklang.
Rz. 11
Gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1 SGB V schließen die Krankenkassen oder ihre Landesverbände, soweit die Entgelte für die Inanspruchnahme von Leistungen des Rettungsdienstes und anderer Krankentransporte nicht durch landesrechtliche oder kommunalrechtliche Bestimmungen festgelegt werden, Verträge über die Vergütung dieser Leistungen unter Beachtung des § 71 Abs. 1 bis 3 SGB V mit dafür geeigneten Einrichtungen oder Unternehmen. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 nicht zu Stande und sieht das Landesrecht für diesen Fall eine Festlegung der Vergütung vor, ist auch bei dieser Festlegung § 71 Abs. 1 bis 3 SGB V zu beachten (§ 133 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Werden die Entgelte für die Inanspruchnahme von Leistungen des Rettungsdienstes durch landesrechtliche oder kommunalrechtliche Bestimmungen festgelegt, können die Krankenkassen unter den in § 133 Abs. 2 SGB V bestimmten Voraussetzungen ihre Leistungspflicht zur Übernahme der Kosten auf niedrigere Festbeträge beschränken. Der Vorrang landesrechtlicher Regelungen nach § 133 Abs. 1 und 2 SGB V soll der Zuständigkeit der Länder für die Gewährleistung eines leistungsfähigen Rettungsdienstes (Art. 70 Abs. 1 GG) Rechnung tragen (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen ≪Gesundheits-Reformgesetz - GRG≫, Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 11/2493 S. 20; Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drs. 11/3320 S. 89, mit Bericht, BT-Drs. 11/3480 S. 40; BSG, Urteil vom 30. Januar 2001 - B 3 KR 2/00 R - NZS 2002, 31; BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1995 - 8 C 14.93 - BVerwGE 99, 10 ≪13, 16 f.≫; zur Gesetzgebungskompetenz der Länder für den Bereich des Rettungswesens siehe auch: BVerwG, Urteil vom 12. März 2015 - 3 C 28.13 [ECLI:DE:BVerwG:2015:120315U3C28.13.0] - BVerwGE 151, 313 Rn. 24).
Rz. 12
Danach hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass der Regelungsgehalt des § 133 SGB V durch den Vorbehalt landesrechtlicher Regelungen begrenzt wird. Der Berliner Landesgesetzgeber hat durch § 21 RDG von seiner Kompetenz zur Regelung der Finanzierung des Rettungsdienstes Gebrauch gemacht. Durch § 21 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Satz 3 und 4 RDG wird die Höhe der Entgelte für die Inanspruchnahme von Krankentransportleistungen festgelegt. Wegen der in § 21 Abs. 1 Satz 4 RDG vorgesehenen Verweisung auf § 133 Abs. 1 Satz 2 SGB V besteht insoweit kein inhaltlicher Widerspruch zwischen der landesrechtlichen und der bundesrechtlichen Regelung.
Rz. 13
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 2 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwerts für das (weitere) Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, da für Beschwerden der vorliegenden Art nach Nr. 5502 der Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz eine Festgebühr von 60 € erhoben wird.
Fundstellen
Dokument-Index HI13916938 |