Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Beschluss vom 23.01.2004; Aktenzeichen 11 LB 257/03) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 23. Januar 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 23 164,07 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
Der Beklagte hatte der Klägerin, die einen Kälberaufzuchtbetrieb unterhielt, mit Bescheid vom 29. Juni 1990 untersagt, Rinder aus ihrem Bestand ohne vorherige Zustimmung des Beklagten an Dritte herauszugeben, mit Bescheid vom 18. bzw. 24. Mai 1991 die anderweitige Unterbringung der unterdessen für die Stallungen der Klägerin zu groß gewordenen Tiere im Wege der Ersatzvornahme angeordnet, die Kosten in Höhe von 34 614,28 € mit Bescheid vom 19. Juli 1991 geltend gemacht und am 21. November 1991 von einer Drittschuldnerin erhalten.
Auf die am 6. Dezember 1991 erhobene Anfechtungsklage, die nach zwischenzeitlichem Ruhen des Verfahrens in der mündlichen Verhandlung am 15. Januar 2003 in eine Leistungsklage umgestellt worden war, wurde der Beklagte rechtskräftig zur Zahlung dieses Betrages verurteilt. Die Klägerin begehrt nunmehr die Zahlung von Prozesszinsen auf diesen Betrag seit Rechtshängigkeit der Anfechtungsklage.
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat diesen Zinsanspruch, im Gegensatz zum Verwaltungsgericht Osnabrück, erst nach Umstellung der Klage für begründet erachtet und daher die Klage, soweit sie auf Zinszahlung seit Rechtshängigkeit der ursprünglichen Anfechtungsklage gerichtet war, abgewiesen.
Die Klägerin wendet sich mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht und macht den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend.
Sie hält zum einen die Frage, ob und ab wann Prozesszinsen zuzubilligen sind, für grundsätzlich klärungsbedürftig. Der vorliegende Fall unterscheide sich von den bisher entschiedenen Fällen dadurch, dass die Behörde nicht nur einen Kostenbescheid erlassen, sondern diesen auch vollstreckt habe und sich die Klägerin insgesamt hiergegen wende.
Zum anderen hält sie die Frage zur Herausgabe tatsächlich gezogener Nutzungen für grundsätzlich klärungsbedürftig. Zwar habe das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass bei einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen eine Behörde eine “Verzinsung” wegen tatsächlich gezogener Nutzungen grundsätzlich nicht in Betracht komme, weil der Staat öffentlich-rechtlich erlangte Einnahmen in der Regel nicht gewinnbringend anlege, sondern über die ihm zur Verfügung stehenden Mittel im Interesse der Allgemeinheit verfüge (Urteil vom 18. Mai 1973 – BVerwG 7 C 21.72 – Buchholz 451.80 Außenhandelsrecht – Allgemeines Nr. 19 = NJW 1973, 1854). Sie meint jedoch, diese Rechtsprechung bedürfe der Überprüfung.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache jedoch nur, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung dazu beitragen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Einer Rechtsfrage kommt nicht schon deshalb grundsätzliche Bedeutung zu, weil zu ihr noch keine ausdrückliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vorliegt; auch in einem solchen Fall fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit, wenn sich die Rechtsfrage durch Auslegung der maßgeblichen Rechtsvorschriften anhand der anerkannten Auslegungskriterien ohne weiteres beantworten lässt oder durch die bisherige Rechtsprechung als geklärt angesehen werden kann (Beschluss vom 31. Juli 1987 – BVerwG 5 B 49.87 – Buchholz 436.0 § 69 BSHG Nr. 14). Letzteres trifft auch dann zu, wenn die vorhandene höchstrichterliche Rechtsprechung ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage gibt (Beschluss vom 28. September 1995 – BVerwG 10 B 6.94 –). Ein solcher Fall ist hier gegeben.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zum einen geklärt, dass eine Verpflichtung zur Zahlung von Prozesszinsen entsprechend § 291 BGB auch bei öffentlich-rechtlichen Leistungsklagen bestehen kann, wenn das einschlägige Fachrecht, wie hier, keine gegenteilige Regelung enthält (Urteil vom 28. Juni 1995 – BVerwG 11 C 22.94 – BVerwGE 99, 53 ≪54≫) und dass dies auch dann gilt, wenn eine Behörde erfolgreich auf Erlass eines die Leistungspflicht unmittelbar auslösenden Verwaltungsaktes verklagt worden ist (BVerwGE 11, 314 ≪318≫; 14, 1 ≪3≫; 38, 49 ≪50≫; 51, 287 ≪288≫). Ebenfalls ist geklärt, dass ein solcher Anspruch auch selbständig geltend gemacht werden kann (Urteil vom 24. September 1987 – BVerwG 2 C 27.84 – Buchholz 240 § 3 BBesG Nr. 5 = NVwZ 1988, 441). § 291 BGB kann dabei nicht nur bei Klagen auf eine Geldleistung eingreifen, sondern auch bei Verpflichtungsklagen auf Erlass eines auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakts. Denn die Verpflichtungsklage ist ein Unterfall der Leistungsklage (vgl. z.B. Urteil vom 24. September 1987, a.a.O.). Dabei muss aber vorausgesetzt werden, dass mit der Verpflichtungsklage der Erlass eines die Zahlungspflicht unmittelbar auslösenden Verwaltungsakts erstrebt wird. Die Verpflichtung muss in der Weise konkretisiert sein, dass der Umfang der zu erbringenden Geldleistung eindeutig bestimmt ist oder rechnerisch unzweifelhaft ermittelt werden kann (vgl. zuletzt Urteil vom 28. Mai 1998 – BVerwG 2 C 28.97 – DVBl 1998, 1082 ≪1083≫ = NJW 1998, 3368 ≪3369≫). Eine solche, die analoge Anwendung des § 291 BGB im öffentlichen Recht ermöglichende Situation ist aber nicht gegeben, wenn auf Anfechtung hin ein Leistungsbescheid lediglich aufgehoben worden ist, auf den bereits, wenn auch unter Vorbehalt, Leistungen erbracht worden sind, und sei es im Wege der Zwangsvollstreckung. Abgesehen davon, dass in solchen Fällen etwa bei bestehenden Rückständen oder Aufrechnungslagen durchaus Streit darüber entstehen kann, ob und in welcher Höhe ein Erstattungsanspruch besteht, fehlt es an der für die entsprechende Anwendung der Vorschrift grundlegenden Voraussetzung der Rechtshängigkeit des Anspruchs auf Erstattung des überzahlten Betrages. Von dieser Voraussetzung des § 291 BGB kann auch bei entsprechender Anwendung der Vorschrift im öffentlichen Recht nicht abgesehen werden. Zwar darf und muss im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass ein Hoheitsträger gemäß dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nach gerichtlicher Aufhebung seines Leistungsbescheides dem Betroffenen darauf bereits erbrachte Leistungen erstattet. Dieser Umstand ersetzt aber nicht die zwingende Voraussetzung der Rechtshängigkeit der Geldschuld, die § 291 BGB verlangt. Dementsprechend könnte das Gericht allein aufgrund des Anfechtungsantrages den Beklagten auch nicht zur Erstattung verpflichten. Es besteht kein Anlass, von dieser Voraussetzung im Verwaltungsprozess abzusehen, denn § 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 VwGO bieten ein geeignetes Instrument, die Anfechtungsklage mit einer Klage auf Leistung des Erstattungsbetrages zu verbinden (vgl. Urteil vom 27. Oktober 1998 – BVerwG 1 C 38.97 – BVerwGE 107, 304 ≪305 f.≫; Beschluss vom 4. Mai 1994 – BVerwG 1 B 26.94 – Buchholz 437.1 BetrAVG Nr. 9). Für eine solche Leistungsklage ist grundsätzlich auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis gegeben, wenn nicht die Verwaltung ausdrücklich die Erstattung nebst Verzinsung für den Fall der Aufhebung des Leistungsbescheides zusagt oder sich sonst ergibt, dass es keiner Inanspruchnahme des Gerichts bedarf. Der Klägerin nützt es auch nichts, dass im vorliegenden Fall die überzahlte Leistung im Wege der Zwangsvollstreckung erbracht wurde. Es ist nicht ersichtlich, worin hinsichtlich der Voraussetzungen des § 291 BGB der Unterschied zu den bisher entschiedenen Fällen bestehen sollte. Daher ist auch insoweit keine grundsätzliche Bedeutung der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage zu erkennen.
Zum anderen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass bei einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen eine Behörde eine “Verzinsung” wegen tatsächlich gezogener Nutzungen grundsätzlich nicht in Betracht kommt, weil zwar § 818 Abs. 1 BGB auch in dieser Konstellation entsprechend anzuwenden ist, der Staat aber öffentlich-rechtlich erlangte Einnahmen in der Regel nicht gewinnbringend anlegt, sondern über die ihm zur Verfügung stehenden Mittel im Interesse der Allgemeinheit verfügt (Urteil vom 30. April 2003 – BVerwG 6 C 5.02 –; Urteil vom 18. Mai 1973 – BVerwG 7 C 21.72 – Buchholz 451.80 Außenhandelsrecht – Allgemeines Nr. 19 = NJW 1973, 1854).
Zwar trifft es zu, dass das Bundesverwaltungsgericht die Frage einer Überprüfung dieser Rechtsprechung in seinem Urteil vom 27. Oktober 1998 (– BVerwG 1 C 38.97 – BVerwGE 107, 304 ≪308≫) offen gelassen hat, weil es darauf in dieser Entscheidung nicht ankam. Es mag auch sein, worauf das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht selbst hingewiesen hat, dass Teile des Schrifttums (vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, 6. Aufl., § 55 III 4, Rn. 23a und b; Schön, NJW 1993, 3289) und einzelne Oberlandesgerichte (vgl. Bay. OLG, Beschluss vom 9. Dezember 1998 – 3 Z BR 273/98 – NJW 1999, 1194; OLG Hamm, Beschluss vom 19. Oktober 2000 – 15 W 250/00 – NJW-RR 2001,1440) Kritik an dieser Rechtsprechung üben, weil der Staat tatsächliche Nutzungen aus rechtsgrundlos überzahlten Geldbeträgen ziehe, indem er entweder Kreditzinsen erspare oder das Geld zinsbringend anlegen könne. Indessen ist eine Überprüfung des, wie die Klägerin meint, “alten” Urteils vom 18. Mai 1973 (– BVerwG 7 C 21.72 – Buchholz 451.80 Außenhandelsrecht – Allgemeines Nr. 19 = NJW 1973, 1854) jedenfalls deswegen nicht mehr geboten, weil sich das Bundesverwaltungsgericht in einer “jüngeren” Entscheidung (Urteil vom 30. April 2003 – BVerwG 6 C 5.02 –) der bisherigen Rechtsprechung ausdrücklich angeschlossen hat. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Frage der Herausgabe tatsächlich gezogener Nutzungen demnach ebenfalls nicht mehr zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2; die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 14 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Dette
Fundstellen