Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 27.12.2007; Aktenzeichen 15 N 04.3181) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Dezember 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist erfolgreich. Die Rechtssache besitzt zwar nicht die grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die ihr die Antragstellerin beimisst. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs leidet jedoch unter einem Verfahrensmangel i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung macht der beschließende Senat von der Möglichkeit der Zurückverweisung der Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch.
1. Die mit der Beschwerde erhobenen Grundsatzrügen greifen nicht durch.
1.1 Die Antragstellerin möchte zu § 1a Abs. 2 Satz 1 und 2 BauGB rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, “welche konkreten Belange zunächst auf der Ebene der Ermittlung zwingend einzubeziehen sind, um das notwendige Abwägungsmaterial … zu erhalten”. Sie wirft insbesondere die Frage auf, ob die Gemeinde in dem Fall, dass sie landwirtschaftliche Flächen umwidmet, wegen der gesetzlich vorgesehenen Beschränkung auf den “notwendigen Umfang” in § 1a Abs. 2 Satz 2 BauGB zwingend zunächst die Möglichkeiten der Innenentwicklung in den Blick nehmen muss, und ob die Vorschrift deshalb rechtlich zwingend gebietet, zunächst eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Baulandreserven durchzuführen.
Diese Fragen wären einer verallgemeinerungsfähigen, auf eine Vielzahl von Fällen übertragbaren Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich. Ob und ggf. in welchem Umfang im Falle der Umwidmung landwirtschaftlich genutzter Flächen (hier: in ein Gewerbegebiet) die Möglichkeiten der Innenentwicklung bzw. der vorhandenen Baulandreserven in der Gemeinde zu ermitteln sind, hängt von der jeweiligen Planungskonzeption der Gemeinde und den tatsächlichen Gegebenheiten im Einzelfall ab. Die in § 1a Abs. 2 Satz 1 und 2 BauGB normierten öffentlichen Belange des sparsamen und schonenden Umgangs mit Grund und Boden und der Beschränkung einer “Umwidmung” auf den notwendigen Umfang sind nach § 1a Abs. 2 Satz 3 in der Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) “zu berücksichtigen”. Die in § 1a Abs. 2 Satz 1 und 2 BauGB genannten Belange setzen der Gemeinde im Rahmen der planerischen Abwägung keine strikten, unüberwindbaren Grenzen. Der Gesetzgeber hat diesen Belangen auch keinen generellen gesetzlichen Vorrang eingeräumt. Ob sich die genannten Belange im Einzelfall durchsetzen, hängt von dem Gewicht der ihnen gegenüberstehenden abwägungserheblichen öffentlichen bzw. privaten Belange ab. Ein Zurückstellen der in § 1a Abs. 2 Satz 1 und 2 BauGB genannten Belange bedarf einer Rechtfertigung, die dem Gewicht dieser vom Gesetzgeber herausgehobenen Belange Rechnung trägt. Das Normenkontrollgericht ist hier zu dem Ergebnis gelangt, dass in dieser Hinsicht weder ein Ermittlungs- noch ein Bewertungsdefizit der Antragsgegnerin vorliegt (vgl. UA S. 10). Soweit die Beschwerde insoweit die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung angreift, zeigt sie keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.
1.2 Die von der Antragstellerin als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage, ob § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 (richtig: Nr. 2) BauNVO eine Rechtsgrundlage für die Festsetzung eines immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegels darstellt, ist nicht mehr klärungsbedürftig. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage in seinem Beschluss vom 27. Januar 1998 – BVerwG 4 NB 3.97 – (NVwZ 1998, 1067) bejaht.
Entgegen der Beschwerde gibt der vorliegende Streitfall auch keinen Anlass, in einem Revisionsverfahren der Frage nachzugehen, welche Anforderungen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot an die Festsetzung eines immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegels stellt. Soweit die Beschwerde die Auffassung des Normenkontrollgerichts angreift, aus den Festsetzungen des Bebauungsplans, der Planbegründung und der in ihr bezeichneten Unterlagen ergebe sich, dass sich die der Schallpegelberechnung zugrunde gelegten maßgeblichen Flächenschallquellen nur auf die in den ausgewiesenen Gewerbegebietsflächen festgesetzten, überbaubaren Flächen – ohne Verkehrsflächen und Grünflächen – beschränkten, zeigt sie keinen fallübergreifenden, rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Angriffe gegen die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung im Einzelfall sind nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache darzulegen.
1.3 Die von der Beschwerde ferner aufgeworfene Frage, “ob eine auf die gesamte überbaubare Fläche bezogene Festsetzung” eines immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegels überhaupt zulässig sei, ist ebenfalls nicht in grundsätzlicher Weise klärungsbedürftig. Nach den Feststellungen des Normenkontrollgerichts weist der angegriffene Bebauungsplan ein Gewerbegebiet aus, dessen überbaubare Flächen in vier Teilbereiche gegliedert sind, denen jeweils unterschiedliche Grenzwerte des zulässigen immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegels zugeordnet sind (63/48 dB(A)/m(2) tags/nachts im nördlichen Teil, 66/51 dB(A)/m(2) tags/nachts im südlichen Bereich des Plans). Die Beschwerde legt nicht dar, dass diese an die Betriebsflächen des Gewerbegebiets anknüpfende Kontingentierung der zulässigen Lärmimmissionen in einem Revisionsverfahren Anlass dazu geben könnte, die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Gliederung von Baugebieten durch Immissionsgrenzwerte nach dem Modell des immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegels (vgl. Beschluss vom 27. Januar 1998 – BVerwG 4 NB 3.97 – a.a.O.) zu konkretisieren, fortzuentwickeln oder zu korrigieren.
2. Das Normenkontrollurteil leidet unter der von der Beschwerde gerügten Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die Antragstellerin rügt, das Urteil der Vorinstanz lasse jegliche Auseinandersetzung mit dem von ihr im Normenkontrollverfahren erhobenen Einwand vermissen, infolge der Festsetzung des Gewerbegebiets werde ihr in unmittelbarer Nachbarschaft des Plangebiets an der Ostseite des Heuwegs gelegenes landwirtschaftliches Anwesen mit zusätzlichem Verkehrslärm aufgrund des Zu- und Abgangsverkehrs zum Plangebiet belastet. Ihr Anwesen liege zwischen den beiden Punkten der Erschließungsanlagen des geplanten Gewerbegebiets (Erschließungsschleife). Ihr Interesse, angesichts der bereits bestehenden Lärmbelastung durch die Staatsstraße und den Kreisverkehr, über die das Gewerbegebiet erschlossen werden solle, von zusätzlichem planbedingtem Verkehrslärm, gerade auch von dem zu erwartenden LKW-Verkehr, verschont zu bleiben, sei ein abwägungserheblicher Belang von Gewicht. Die Antragstellerin hat diesen Einwand bereits zur Begründung ihres Normenkontrollantrages (Schriftsatz vom 26. Januar 2005, S. 9) erhoben; im Tatbestand des Normenkontrollurteils ist dieses Vorbringen dem Grunde nach wiedergegeben (UA S. 4).
Die Gehörsrüge ist begründet. Das Normenkontrollgericht ist auf diesen Einwand der Antragstellerin an keiner Stelle der Urteilsgründe eingegangen. Insoweit sind die Entscheidungsgründe lückenhaft. Dieses Vorbringen der Antragstellerin ist nicht aus Gründen des materiellen Rechts unbeachtlich. Wie die Vorinstanz festgestellt hat, soll die Binnenerschließung des geplanten Gewerbegebiets durch eine halbkreisförmige Straße erreicht werden, die nach Osten zweifach mit dem Heuweg verbunden ist, über den nach Norden der Anschluss an die Staatsstraße 2212 neu über einen Kreisverkehrsplatz hergestellt wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann das Interesse eines Eigentümers eines Grundstücks außerhalb des Plangebiets, von einer Lärmzunahme aufgrund des Zu- und Abfahrtsverkehrs zum Plangebiet verschont zu bleiben, nach den Umständen des Einzelfalls einen abwägungserheblichen Belang darstellen, wenn sich der durch die Planung ausgelöste Verkehr innerhalb eines räumlich überschaubaren Bereichs bewegt und vom übrigen Straßenverkehr unterscheidbar ist (vgl. Urteil vom 27. August 1998 – BVerwG 4 C 5.98 – NVwZ 1999, 523 ≪527≫; Beschluss vom 13. Dezember 2007 – BVerwG 4 BN 41.07 – NVwZ 2008, 426). Auf diesen planbedingten (betriebsbezogenen) Ziel- und Quellverkehr finden die normativen Lärmgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) unmittelbare Anwendung, soweit der Bebauungsplan auch den Neubau oder die wesentliche Änderung eines Verkehrsweges (Erschließungsstraße) zum Gegenstand hat. Zum Abwägungsmaterial gehört grundsätzlich auch eine planbedingte Zunahme des Verkehrslärms unterhalb dieser Grenzwerte (Beschluss vom 24. Mai 2007 – BVerwG 4 BN 16.07 und 4 VR 1.07 – ZfBR 2007, 580). Im Übrigen kann die TA-Lärm zur Bestimmung der Zumutbarkeit der Verkehrslärmimmissionen herangezogen werden, die einem geplanten Gewerbegebiet zuzurechnen sind (Beschluss vom 13. Dezember 2007 – BVerwG 4 BN 41.07 – a.a.O.).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Prof. Dr. Rojahn, Dr. Bumke
Fundstellen
Haufe-Index 2016097 |
BauR 2008, 1416 |
ZfBR 2008, 689 |
FuB 2008, 239 |