Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsdienstverweigerer. Musterungsverfahren. Tauglichkeitsüberprüfung. Nachrangigkeit. Zustellung
Leitsatz (amtlich)
Die in § 2 Abs. 5 Satz 2 KDVG ausgedrückte Nachrangigkeit des Verfahrens auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gegenüber dem Musterungsverfahren gilt nicht im Verhältnis zum Tauglichkeitsüberprüfungsverfahren.
Das Kriegsdienstverweigerungsgesetz schreibt für die auf seiner Grundlage ergehenden Bescheide keine generelle Zustellung nach dem VwZG vor.
Normenkette
VwGO §§ 73, 87, 87b, 104, 108 Abs. 2, § 132 Abs. 2; VwZG § 1 Abs. 3, § 9 Abs. 2; KDVG § 2 Abs. 5 S. 2, §§ 4, 6, 9, 18; WPflG § 44; ZDG § 71
Verfahrensgang
VG Berlin (Entscheidung vom 02.10.2001; Aktenzeichen 5 A 203.01) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 090 EUR (entspricht 8 000 DM) festgesetzt.
Gründe
Die auf die Grundsatz- (1.), Abweichungs- (2.) und Verfahrensrüge (3.) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist unbegründet, und zwar sowohl hinsichtlich der Frage nach dem Zeitpunkt der Weiterleitung des Kriegsdienstverweigerungsantrages (a), als auch hinsichtlich der Anforderungen an die Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides (b) sowie der Zulässigkeit eines tabellarischen Lebenslaufes im Anerkennungsverfahren (c) und der Möglichkeit, die Verweigerungsgründe durch einen Bevollmächtigten verfassen zu lassen (d).
a) Ohne grundsätzliche Bedeutung ist die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob das Kreiswehrersatzamt den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer vom 12. März 2001 an das Bundesamt für den Zivildienst weiterleiten durfte, ohne dass ein Tauglichkeitsüberprüfungsbescheid unanfechtbar geworden oder über ihn rechtskräftig entschieden worden war. Die Frage beantwortet sich unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung in § 2 Abs. 5 Satz 2 KDVG. Danach leitet das Kreiswehrersatzamt den Antrag mit den Personalunterlagen der nach § 4 oder § 9 KDVG zuständigen Stelle zu, sobald der Musterungsbescheid unanfechtbar geworden oder über ihn rechtskräftig entschieden worden ist. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall gegeben, denn der den Kläger betreffende Musterungsbescheid vom 10. April 1997 ist mangels Einlegung von Rechtsbehelfen bestandskräftig geworden. Daher war das Kreiswehrersatzamt befugt, die Antragsunterlagen am 21. März 2001 an das Bundesamt für den Zivildienst weiterzuleiten, wovon der Kläger bereits mit Schreiben vom 20. März 2001 unterrichtet worden ist.
Die Beschwerde weist zwar zutreffend darauf hin, dass dem Kreiswehrersatzamt in seinem Schreiben vom 20. März 2001 an den Kläger ein Fehler bei der Beschreibung der weiteren Behandlung seines Antrages auf Kriegsdienstverweigerung unterlaufen ist. In der offenbar als Textbaustein verwendeten Formulierung heißt es nämlich, die Weiterleitung des Antrages an das Bundesamt erfolge „nach Abschluss des Musterungsverfahrens”. Im konkreten Zusammenhang konnte damit aber nur das Tauglichkeitsüberprüfungsverfahren gemeint sein, über das erst am 22. März 2001 entschieden worden ist. Dies ändert allerdings nichts an der durch § 2 Abs. 5 Satz 2 KDVG bestimmten Rechtslage. Die genannte Vorschrift bezieht sich nämlich nur auf die Zeit vor Bestandskraft des Musterungsbescheides, nicht aber auf die Zeit vor der Bestandskraft eines Bescheides nach Tauglichkeitsüberprüfung. Die aus der vorgenannten Rechtsvorschrift folgende sog. Nachrangigkeit des Verfahrens auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer endet nämlich mit der Bestandskraft des Musterungsbescheides (Urteil vom 8. September 1999 – BVerwG 6 C 16.98 – Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 20). Ob und inwieweit eine unzutreffende behördliche Belehrung beim Bürger schutzwürdiges Vertrauen auslösen kann, hängt von vielfältigen Umständen des Einzelfalls ab. Dass der vorliegende Fall insoweit Fragen aufwirft, die im Interesse der Rechtsfortbildung oder Rechtseinheit klärungsbedürftig sind, wird in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
b) Ebenfalls ohne grundsätzliche Bedeutung ist die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob eine förmliche Zustellung des Ablehnungsbescheides des Bundesamtes für den Zivildienst vom 25. Juni 2001 nach dem Verwaltungszustellungsgesetz vorgeschrieben ist. Eine förmliche Zustellung sei nach § 44 WPflG vorgeschrieben. Ein solcher Zustellungsmangel könne gemäß § 9 Abs. 2 VwZG auch nicht mehr geheilt werden. Der Ablehnungsbescheid sei aber dem Klägerbevollmächtigten nur als einfacher Brief übersandt worden.
Es ergibt sich ohne weiteres aus dem Gesetz, dass für die Bekanntgabe einer ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes für den Zivildienst über einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung keine Zustellung nach dem Verwaltungszustellungsgesetz vorgeschrieben ist. Eine Zustellung setzt die Bestimmung durch Rechtsvorschrift oder behördliche Anordnung voraus (§ 1 Abs. 3 VwZG). An beidem fehlt es vorliegend. Im Unterschied zum Wehrpflichtgesetz, welches generell die Zustellung von Bescheiden anordnet (§ 44 Abs. 1 Satz 1 WPflG), enthält das Kriegsdienstverweigerungsgesetz keine derartige Regelung. Eine entsprechende Anwendung von § 44 Abs. 1 Satz 1 WPflG kommt nicht in Betracht, denn es fehlt an einer gesetzlichen Regelungslücke. Es steht dem Gesetzgeber frei, in den mit der Heranziehung zum Wehr- und Zivildienst zusammenhängenden Gesetzen unterschiedliche Formen der Bekanntgabe von Verwaltungsakten vorzusehen, und dementsprechend verschieden sind auch die Rechtsvorschriften. Neben der generellen Zustellung von Bescheiden nach § 44 Abs. 1 Satz 1 WPflG bestimmt § 71 Abs. 2 Satz 1 ZDG für den Bereich des Zivildienstgesetzes lediglich die Zustellung nicht begünstigender Verwaltungsakte. Für Bescheide nach dem Kriegsdienstverweigerungsgesetz ist die Bekanntgabe durch Zustellung lediglich aufgrund spezieller gesetzlicher Regelung vorgesehen wie z.B. bei Widerspruchsbescheiden (§ 18 KDVG) aufgrund Geltung des Prozessrechts (§ 73 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Für eine ablehnende Entscheidung nach § 6 KDVG ist hingegen eine Zustellung nicht vorgesehen. Bei solchen Bescheiden verbleibt es daher bei der sich aus § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO ergebenden Rechtsfolge, wonach in Fällen, in denen die Klage keines Vorverfahrens bedarf (vgl. hier § 17 KDVG), die Klagefrist mit der formlosen Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu laufen beginnt. Der Bürger ist durch § 41 Abs. 2 VwVfG hinreichend geschützt, der hinsichtlich des Zugangs der Behörde die Beweislast auferlegt.
c) Ebenso ohne Erfolg bleibt die Beschwerde mit der Ansicht, es bedürfe einer grundsätzlichen Klärung, ob der in § 2 Abs. 2 Satz 3 KDVG verlangte ausführliche Lebenslauf auch in tabellarischer Form abgefasst werden dürfe. Das angegriffene Urteil ist nämlich nicht in tragender Weise auf die Beantwortung dieser Rechtsfrage gestützt. Es ist dort zwar als zweifelhaft bezeichnet, ob die vom Kläger vorgelegten Lebensläufe als ausführlich im Sinne des Gesetzes anzusehen sind. Das Gericht hat die Frage aber offen gelassen, weil es die Klageabweisung tragend auf die Ansicht gestützt hat, die dargelegten Beweggründe seien nicht geeignet, das Recht des Klägers auf Kriegsdienstverweigerung zu begründen. Die Grundsatzrüge führt daher nicht zu einem Punkt, auf den eine erfolgreiche Revision gestützt werden könnte.
d) Entsprechendes gilt für die mit der Grundsatzrüge aufgeworfene Frage, ob die Verweigerungsgründe durch einen Bevollmächtigten verfasst und gegenüber dem Bundesamt für den Zivildienst vorgebracht werden durften oder ob dies dem Erfordernis des persönlichen und ausführlichen Vorbringens widerspricht. Diese Frage hat das Verwaltungsgericht ebenfalls offen gelassen und seine Entscheidung stattdessen tragend darauf gestützt, die dargelegten Beweggründe seien nicht geeignet, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu begründen.
2. Die Abweichungsrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist bereits unzulässig. Die Beschwerde bringt vor, das Verwaltungsgericht weiche vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. August 1992 – BVerwG 6 C 25.90 – (Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 5) ab, weil es die Inkaufnahme der „lästigen Alternative” eines verlängerten und erschwerten Zivildienstes nicht hinreichend gewürdigt habe. Damit wird nicht in schlüssiger Weise eine Abweichung begründet, denn dazu bedürfte es der Benennung eines abstrakten Rechtssatzes im Urteil des Verwaltungsgerichts, der von einem solchen in der angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht. Stattdessen wird in der Art einer Berufungsbegründung eine fehlerhafte Anwendung der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vorgebracht. Darauf würde es aber erst – nach erfolgter Zulassung – in einem Revisionsverfahren selbst ankommen können.
Im Übrigen liegt die behauptete Abweichung offensichtlich nicht vor. Der Gesichtspunkt der „lästigen Alternative” ist nur berücksichtigungsfähig, wenn an der Bereitschaft des Kriegsdienstverweigerers, Zivildienst zu leisten, keine Zweifel bestehen. Im vorliegenden Fall ist das Verwaltungsgericht aber nach Würdigung des Sachverhalts zu dem Ergebnis gelangt, das Verhalten des Klägers sei von dem Motiv geprägt, durch Überschreiten der Altersgrenze die Befreiung von jeglicher Dienstpflicht zu erreichen.
3. Ohne Erfolg rügt die Beschwerde ferner einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) in Form einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO). Ein solcher Verstoß liegt weder in dem Umstand einer gerichtlichen Entscheidung trotz Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung (a) noch in einer sog. Überraschungsentscheidung durch das Verwaltungsgericht (b).
a) Der gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) aufgrund der Entscheidung des Verwaltungsgerichts trotz Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung liegt nicht vor. Wie sich aus § 102 Abs. 2 VwGO ergibt, durfte das Gericht auch in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, nachdem dieser in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Verwaltungsgericht das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet hatte. Hat das Gericht das persönliche Erscheinen des um seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer streitenden Wehrpflichtigen zu Beweiszwecken angeordnet, so kann es zwar eine Versagung des rechtlichen Gehörs darstellen, wenn das Gericht ohne den Wehrpflichtigen verhandelt und nach Aktenlage entscheidet (Urteil vom 19. März 1976 – BVerwG 6 C 5.75 – BVerwGE 50, 275). In einem derartigen Gerichtsverfahren darf sich das Gericht aber über die von ihm zunächst angenommene Notwendigkeit, sich einen persönlichen Eindruck von dem Wehrpflichtigen zu verschaffen, dann (und nur dann) hinwegsetzen, wenn es die Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Gewissensentscheidung auf andere Weise gewinnen kann (Beschluss vom 9. Dezember 1986 – BVerwG 6 CB 91.84 – Buchholz 310 § 102 VwGO Nr. 11). Als Umstände, die gegen das Vorliegen einer Gewissensentscheidung sprechen und dementsprechend gewertet werden dürfen, kommen das nachlässige Betreiben des Anerkennungsverfahrens sowie die Absicht der Prozessverschleppung in Betracht (Beschluss vom 9. Dezember 1986 a.a.O.): Ohne ernstliches Betreiben zu ihrer Durchsetzung ist eine Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen begrifflich nicht denkbar. Einem Anerkennungsbegehren kann daher in aller Regel nicht stattgegeben werden, wenn das Gericht aufgrund des Verhaltens des Klägers im Verwaltungsverfahren und/oder im Verwaltungsrechtsstreit ohne Rechtsfehler zu der Feststellung gelangt, dass er sein Anerkennungsbegehren nicht ernstlich, sondern uninteressiert und ohne Nachdruck verfolgt (Beschluss vom 4. April 1997 – BVerwG 6 B 23.97 –).
Von solchen besonderen Umständen, nach denen die Annahme gerechtfertigt sein kann, dass der Kläger sein Anerkennungsbegehren nicht ernstlich, sondern uninteressiert und ohne Nachdruck verfolgt, ist das Verwaltungsgericht hier ausgegangen. Es hat sich nicht nur darauf gestützt, dass der Kläger trotz der nicht nur an seinen Prozessbevollmächtigten, sondern auch an ihn selbst unter Anordnung des persönlichen Erscheinens ergangenen Ladung unentschuldigt dem Verhandlungstermin ferngeblieben ist. Er hat dieses Verhalten außerdem in einem Zusammenhang mit dem übrigen Verhalten des Klägers im Verwaltungsverfahren und im Verwaltungsstreitverfahren gesehen und daraus geschlossen, dass der Kläger im Falle des Kriegsdienstes nicht in ernste Gewissensnot geraten würde. Der Schluss auf die mangelnde Ernstlichkeit, der damit ersichtlich allein angesprochen sein soll, beruht somit auf einer hinreichenden Grundlage von Tatsachenfeststellungen.
Insbesondere durfte das Verwaltungsgericht davon ausgehen, dass der Kläger dem Termin unentschuldigt ferngeblieben ist. Der in der mündlichen Verhandlung anwesende Prozessbevollmächtigte des Klägers konnte ausweislich des Protokolls nicht angeben, warum dieser nicht erschienen war; Versuche in der mündlichen Verhandlung, den Kläger telefonisch zu erreichen, sich ebenfalls gescheitert. Das Verwaltungsgericht hatte im Übrigen bereits Zweifel an dem ärztlichen Attest der Psychotherapeutin B. vom 6. September 2001 geäußert und deshalb diese als Zeugin geladen. Diese Ladung hat es am Ende aufgehoben, weil der Kläger nicht bereit war, die Ärztin von der Schweigepflicht zu entbinden. Das Gericht hat ferner in einer umfänglichen Anordnung nach §§ 87, 87 b VwGO vom 10. September 2001 zu erkennen gegeben, dass es Anhaltspunkte dafür gesehen hat, dass die behauptete gesundheitliche Verhinderung des Klägers in Wahrheit auf seiner Beschäftigung als Reporter beruhte. Auch den darauf gerichteten Aufklärungsanordnungen hat der Kläger nicht Folge geleistet. Er hat weder selbst noch durch seinen in der mündlichen Verhandlung anwesenden Prozessbevollmächtigten die verlangten Nachweise vorgelegt.
b) Es liegt aber auch kein Gehörsverstoß in der Gestalt einer sog. Überraschungsentscheidung vor. Diese sieht die Beschwerde in unzutreffender Weise in dem Umstand, dass das Verwaltungsgericht ohne vorherige Gelegenheit zur Stellungnahme dem Kläger unterstellt habe, er verweigere den Kriegsdienst nicht aus Gewissensgründen, sondern um an seinem nächsten Geburtstag die Altersgrenze zu erreichen. Dass dieser Verdacht im Raum stand, musste sich beim vorliegenden Akteninhalt jedermann, insbesondere aber dem in Kriegsdienstverweigerersachen erfahrenen Prozessbevollmächtigten des Klägers geradezu aufdrängen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GKG, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F., § 73 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Bardenhewer, Büge, Graulich
Fundstellen