Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 11.07.2007; Aktenzeichen 12 LC 19/07) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 110 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf sämtliche Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Die Divergenzrüge greift nicht durch. Eine die Revision eröffnende Abweichung, also ein Widerspruch im abstrakten Rechtssatz, läge nur vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen wäre (stRspr). Die Beschwerde beruft sich auf Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 30. Juni 2004 – BVerwG 4 C 9.03 – (BVerwGE 121, 182, 189). Danach blieb für den damals zu entscheidenden Fall “für die Durchführung eines bauordnungsrechtlichen Verfahrens neben dem immissionsschutzrechtlichen Verfahren” von Rechts wegen kein Raum mehr. Die in jenem Verfahren getroffene Aussage bezog sich jedoch auf eine Situation, in der mehrere Windenergieanlagen als Windfarm einzustufen waren und nach der damals geltenden Rechtslage aus diesem Grund einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedurften. Zu dieser Konstellation hat das Oberverwaltungsgericht schon deswegen keinen Rechtssatz aufgestellt, da es nur über einen Antrag entschieden hat, der sich auf eine Windenergieanlage bezieht, die nicht als Teil einer Windfarm anzusehen ist. Im Übrigen ist die Rechtslage durch die Einführung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht auch für Einzelanlagen (Verordnung zur Änderung der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen und zur Änderung der Anlage 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 20. Juni 2005 (BGBl I S. 1687) sowie die durch das Gesetz vom 25. Juni 2005 (BGBl I S. 1865) angefügte Übergangsregelung in § 67 Abs. 9 BImSchG geändert worden.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr).
2.1 Die Beschwerde wirft die Frage auf, ob § 67 Abs. 9 Satz 3 BImSchG nur auf Verfahren auf Erteilung einer Baugenehmigung für Windenergieanlagen anzuwenden ist, oder auch auf Verfahren auf Erteilung eines planungsrechtlichen Bauvorbescheids. Diese Frage kann, soweit sie die Auslegung revisiblen Rechts betrifft, auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens ohne Weiteres beantwortet werden (Beschluss vom 1. April 2008 – BVerwG 4 B 26.08 –). Gemäß § 67 Abs. 9 Satz 3 BImSchG werden Verfahren auf Erteilung einer Baugenehmigung für Windkraftanlagen, die vor dem 1. Juli 2005 rechtshängig geworden sind, nach den Vorschriften der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen und der Anlage 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der bisherigen Fassung abgeschlossen. Diese Regelung wurde durch Gesetz vom 25. Juni 2005 (BGBl I S. 1865) eingefügt. Sie trat zeitgleich mit der Verordnung zur Änderung der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen und zur Änderung der Anlage 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 20. Juni 2005 (BGBl I S. 1687) in Kraft. Durch diese Verordnung wurden Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 m immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftig. Zuvor bedurften nur Windfarmen mit mindestens 3 Windkraftanlagen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. § 67 Abs. 9 Satz 3 BImSchG sollte Rechtsunsicherheiten in laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf Erteilung einer Baugenehmigung für vor dem 1. Juli 2005 immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftige Windkraftanlagen beseitigen (BTDrucks 15/5443 S. 4). Sieht das Landesrecht vor, dass vor Einreichung eines Bauantrags auf Antrag des Bauherrn zu einzelnen in der Baugenehmigung zu entscheidenden Fragen vorweg ein Vorbescheid erteilt werden kann und stellt dieser einen vorweggenommenen Teil der Baugenehmigung dar, ist § 67 Abs. 9 Satz 3 BImSchG nach seinem Regelungszweck auch auf vor dem 1. Juli 2005 rechtshängig gewordene Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines positiven Bauvorbescheids anzuwenden. Das entspricht der einhelligen Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung (OVG des Saarlandes, Urteil vom 21. Februar 2008 – 2 R 11/06 – juris; Thüringer OVG, Urteil vom 29. Mai 2007 – 1 KO 1054/03 – ZfBR 2008, 60; OVG für das Land Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. November 2006 – 2 L 278/03 – BauR 2007, 760; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Mai 2006 – 3 S 914/05 – BRS 70 Nr. 97; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. März 2006 – 8 A 2672/03 – BauR 2006, 1715 und OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Januar 2006 – 8 A 11271/05 – BRS 70 Nr. 98) und der Literatur (Jarass, BImSchG, 7. Auflage 2007, § 67 Rn. 45; Führ, in: Koch, GK-BImSchG, § 67 Rn. 131).
2.2 Auch die Fragen,
– ob § 67 Abs. 9 Satz 3 BImSchG eine Ausnahme von dem Grundsatz darstellt, dass für ein laufendes Genehmigungsverfahren umfassend Immissionsschutzrecht statt Baurecht anzuwenden ist, wenn Immissionsschutzrecht während eines laufenden Verfahrens durch Gesetzesänderung statt des bisher geltenden Baurechts einschlägig geworden ist,
– ob daher weiterhin Baurecht für Anlagen anzuwenden ist, für die bis zum 30. Juni 2005 Baurecht gegolten hat, ab 1. Juli 2005 jedoch Immissionsschutzrecht,
– oder ob § 67 Abs. 9 Satz 3 BImSchG i.V.m. Satz 4 lediglich den Verfahrensübergang von dem bis 30. Juni 2005 geltenden Baurecht auf das seit 1. Juli 2005 geltende Immissionsschutzrecht erleichtern und sicherstellen will,
rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Denn in dieser Allgemeinheit würden sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Der Kläger hat die Erteilung eines Bauvorbescheids für eine einzelne Windenergieanlage beantragt, die nicht als Teil einer Windfarm anzusehen ist. Für einen derartigen Fall hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht die Übergangsregelung in § 67 Abs. 9 Satz 3 BImSchG als einschlägig angesehen. Dies ergibt sich bereits aus den gesetzlichen Regelungen. Danach werden Verfahren auf Erteilung einer Baugenehmigung für Windkraftanlagen, die vor dem 1. Juli 2005 rechtshängig geworden sind, nach den Vorschriften der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen in der bisherigen Fassung abgeschlossen. Die in diesem Zusammenhang erteilten Baugenehmigungen gelten als Genehmigungen nach dem BImSchG fort (§ 67 Abs. 9 Satz 1 BImSchG). Insoweit normiert § 67 Abs. 9 Satz 3 i.V.m. Satz 1 BImSchG eine Ausnahme von dem in § 67 Abs. 4 enthaltenen Grundsatz, wonach bereits begonnene Verfahren nach dem BImSchG zu Ende zu führen sind. Dieses Ergebnis entspricht auch dem bereits genannten Regelungszweck, wonach § 67 Abs. 9 Satz 3 BImSchG Rechtsunsicherheiten in laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf Erteilung einer Baugenehmigung für vor dem 1. Juli 2005 immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftige Windkraftanlagen beseitigen sollte.
3. Die unter II. erhobene Verfahrensrüge bleibt erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat im Tatbestand seines Urteils festgestellt (UA S. 14), der Kläger habe klargestellt, dass sein Begehren auf Erteilung eines bauplanungsrechtlichen Bauvorbescheids die Frage der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung nicht habe erfassen sollen. In den Entscheidungsgründen macht es nochmals deutlich (UA S. 18), dass es die Erklärung des Klägers rechtlich als Klarstellung ansieht. Die darin liegende Auslegung der Bauvoranfrage – wie jedes anderen bei einer Behörde gestellten Antrags – sowie die Einschätzung des Tatsachengerichts, dass eine bestimmte spätere Erläuterung dieser Erklärung durch den Erklärenden lediglich eine Klarstellung sei, ist dem materiellen Recht zuzuordnen und kann daher keinen Verfahrensfehler begründen. Auf der Grundlage dieser materiellrechtlichen Würdigung, von der das Beschwerdegericht auszugehen hat, stellt es auch keinen Verfahrensfehler dar, dass das Oberverwaltungsgericht keine Teilrücknahme der Klage angenommen und sich daher nicht mit der Voraussetzung des § 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO auseinandergesetzt hat.
Die in diesem Zusammenhang von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache. Die Frage (unter II. 2.1 und 2.2), ob und inwieweit bei einer “planungsrechtlichen Voranfrage” einzelne Aspekte ausgeklammert werden können, ist dem nicht revisiblen Landesbauordnungsrecht zuzuordnen. Sie erhält auch nicht dadurch bundesrechtlichen Charakter, dass sie in der Beschwerdebegründung in einen verwaltungsprozessrechtlichen Zusammenhang eingekleidet worden ist. Der Hinweis, dass eine Baugenehmigung oder ein Bauvorbescheid in einem Fall der vorliegenden Art nach § 67 Abs. 9 Satz 1 BImSchG als Genehmigung nach dem BImSchG gilt, führt ebenfalls nicht dazu, dass die Fragestellung dem Bundesrecht zuzurechnen wäre. Die unter 2.3 gestellte Frage nimmt überdies Bezug auf mehrere Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls, so dass sie sich einer grundsätzlichen Klärung entzieht; außerdem stützt sie sich auf einen Sachverhalt, den das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt hat.
4. Auch die unter III. aufgeworfenen Fragen,
– ob Darstellungen eines Flächennutzungsplans, mit denen die Zulässigkeit von raumbedeutsamen Windenergieanlagen gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB gesteuert werden soll, gegen das Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB erst dann verstoßen, wenn Zielsetzungen überregionaler Landesplanung wirksam sind oder ob ein Verstoß gegen § 1 Abs. 4 BauGB unabhängig von der Wirksamkeit in Kraft getretener überregionaler Zielsetzungen vorliegt,
– ob ein Verstoß von Darstellungen des Flächennutzungsplans nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB, die sich auf raumbedeutsame Windenergieanlagen erstrecken, zu verneinen ist, wenn das Gericht feststellt, dass die überregionale Landesplanung nicht wirksam ist,
– ob die Inzident-Feststellung eines Oberverwaltungsgerichts, dass steuernde Zielfestsetzungen eines Regionalen Raumordnungsprogramms für Windenergieanlagen nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB unwirksam sind, nur für die Parteien des Prozesses wirkt, in dem die Entscheidung ergangen ist und ob die dem Rechtsstreit beigeladene Gemeinde in diesem Sinne Partei ist,
rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Denn das Oberverwaltungsgericht hat den gemeinsamen Flächennutzungsplan der Beigeladenen zu 2 bis 4 nicht nur wegen eines Verstoßes gegen die Vorschrift des § 1 Abs. 4 BauGB als unwirksam angesehen (UA S. 31 – 34). Vielmehr hat es den Flächennutzungsplan überdies als derart widersprüchlich eingestuft, dass das Erfordernis der hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit der Flächennutzungsplandarstellungen verfehlt werde (UA S. 31). Hinsichtlich dieser das Urteil des Oberverwaltungsgerichts selbständig tragenden Begründung hat die Beschwerde keinen Zulassungsgrund dargelegt. Ist die Entscheidung der Vorinstanz auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt. Wenn nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begründung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert. Weder beruht deshalb das Urteil auf der hinwegdenkbaren Begründung, noch ist die Klärung mit ihr etwa zusammenhängender Grundsatzfragen in einem Revisionsverfahren zu erwarten (stRspr). Daher kann dahingestellt bleiben, ob die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts auf UA S. 34 ff., wonach die Planung überdies nicht raumbedeutsamen Windenergieanlagen nicht in der erforderlichen Weise Raum geschaffen habe, noch ein weiteres selbständig tragendes Begründungselement darstellt.
Die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Denn selbst wenn es sich bei den – nach Auffassung der Beschwerde – fehlerhaft eingestuften Wirkungen der Beiladung um einen Verfahrensfehler und nicht um eine dem materiellen Recht zuzuordnende Frage der Folgen der Unwirksamkeit einer Regionalplanung für die Verpflichtung einer Gemeinde aus § 1 Abs. 4 BauGB handeln sollte, würde das Urteil aus den genannten Gründen nicht auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler beruhen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Gatz, Dr. Jannasch
Fundstellen