Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausgleichsmaßnahme. Sicherung. Nutzungskonzept. Dauerkleingarten. Ausfertigung. Dienstsiegel
Leitsatz (amtlich)
- § 1a Abs. 3 Satz 3 BauGB setzt bei der Festlegung von Ausgleichsmaßnahmen ein Mindestmaß an rechtlicher Bindung der Gemeinde voraus.
- Die Gemeinde darf unter Beachtung des Abwägungsgebots Ausgleichsmaßnahmen räumlich vom Eingriffsort trennen.
- Zur Verwirklichung von Ausgleichsmaßnahmen darf die Gemeinde auf ein bereits beschlossenes, aber noch nicht verwirklichtes Nutzungskonzept zurückgreifen.
Normenkette
BauGB § 1a Abs. 3, § 10
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10. März 2003 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7 500 € festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege der Normenkontrolle gegen einen Bebauungsplan der Antragsgegnerin, der eine etwa 9,7 ha große, überwiegend bewaldete Fläche im Wesentlichen als private Grünfläche mit der Zweckbestimmung “Dauerkleingärten” ausweist. Das Plangebiet liegt in einem Stadtteil der Antragsgegnerin und grenzt im Südwesten an eine Straße, an der auf der gegenüberliegenden Seite das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück der Antragsteller liegt. Neben dem Satzungsbeschluss beschloss der Stadtrat der Antragsgegnerin zur Kompensation des planbedingten Eingriffs in die Waldflächen des Plangebiets die Entwicklung eines “Naturwaldes” auf einem Wiesen- und Auengelände, das außerhalb der Innenstadt der Antragsgegnerin im Saar-Tal liegt (“St. Arnualer Wiesen”). Zugleich beauftragte der Stadtrat den Oberbürgermeister der Antragsgegnerin, durch Anordnung gegenüber der Unteren Naturschutzbehörde die Durchführung der Kompensationsmaßnahme sicherzustellen. Der Oberbürgermeister ordnete daraufhin an, dass die Untere Naturschutzbehörde die Entwicklung eines vielfältigen ökologisch hochwertigen Waldes durch waldbauliche Maßnahmen im Zusammenhang mit dem von der Stadt 1995 beschlossenen “Nutzungskonzept St. Arnualer Wiesen” sicherstelle und gewährleiste, dass diese Maßnahme ausschließlich als Kompensation im Zusammenhang mit dem Bebauungsplan “Kleingartenanlage” gelte und nicht als Kompensationsfläche für Eingriffe an anderer Stelle zur Verfügung stehe. Die für die Kompensationsmaßnahme vorgesehenen Flächen stehen im Eigentum der Antragsgegnerin.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Normenkontrollanträge zurückgewiesen. Mit der Beschwerde wenden sich die Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision.
Entscheidungsgründe
II.
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragsteller beimessen.
1. Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die Anordnung der kommunalen Verwaltung, ein vom Gemeinderat in einem nicht förmlichen Verfahren beschlossenes Nutzungskonzept durchzuführen und zu gewährleisten, dass die Maßnahme ausschließlich als Ersatz (Ausgleich) für die Festsetzungen eines bestimmten Bebauungsplans gelte und nicht als Kompensationsfläche für Eingriffe an anderer Stelle zur Verfügung stehe, den Anforderungen des § 1a Abs. 3 BauGB an die rechtliche Sicherung der Kompensationsmaßnahmen genüge. Die aufgeworfene Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
§ 1a Abs. 3 Satz 3 BauGB bestimmt, dass die Gemeinde in der Frage der Umsetzung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nicht auf die Mittel der Bauleitplanung und der vertraglichen Vereinbarung beschränkt ist. Die Gemeinde darf andere Möglichkeiten nutzen, um das Ziel eines Ausgleichs für den vorgesehenen Eingriff zu erreichen, sofern sie hierfür Flächen bereitstellt. § 1a Abs. 3 Satz 3 BauGB umschreibt dies mit der Wendung der “sonstigen geeigneten Maßnahmen”. In welcher Weise auch einseitige Erklärungen oder Anordnungen der planenden Gemeinde als “sonstige Maßnahme” auf von ihr bereitgestellten Flächen im Sinne des § 1a Abs. 3 Satz 3 BauGB anzuerkennen sind, lässt sich nicht allgemeingültig beantworten. Die Antwort auf die von der Beschwerde formulierte Frage hängt von den konkreten Gegebenheiten ab, die keinen Raum für verallgemeinerungsfähige Feststellungen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2002 – BVerwG 4 CN 1.02 – BVerwGE 117, 58 ≪67 f.≫).
Der Gesetzgeber hat die Gemeinde nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise bei der Festlegung von Ausgleichsmaßnahmen festlegen wollen. Das gibt ihr Raum, die Zielsetzungen des § 1a Abs. 3 BauGB in unterschiedlicher Weise umzusetzen. § 1a Abs. 3 Satz 3 BauGB stellt die “geeignete sonstige Maßnahme” allerdings gleichwertig neben Festlegungen im Rahmen der Bauleitplanung und die vertragliche Vereinbarung. Wie der beschließende Senat in seinem vorbezeichneten Urteil vom 19. September 2002 ausgeführt hat, deutet dies darauf hin, dass das Gesetz ein Mindestmaß an rechtlicher Bindung der planenden Gemeinde voraussetzt. Das Erfordernis einer hinreichenden rechtlichen Sicherung der Ausgleichsmaßnahmen soll verhindern, dass die Gemeinde sich von einseitigen Erklärungen, die eine bestimmte Kompensation in Aussicht stellen, im Nachhinein wieder lossagt oder von ihr zunächst zum Ausgleich bereitgestellte Flächen später zurückzieht. Dieser Gefahr muss die Gemeinde in angemessener Weise Rechnung tragen, ohne dass das Gesetz sie hierzu auf ein bestimmtes Vorgehen festlegt (vgl. Senatsurteil vom 19. September 2002 a.a.O., S. 68). Es ist Aufgabe des Normenkontrollgerichts, die Umstände des Einzelfalles daraufhin zu überprüfen, ob die Voraussetzungen einer objektiv verlässlichen Rechtsgrundlage für die geplanten Kompensationsmaßnahmen erfüllt sind. Je nach den konkreten Gegebenheiten kann auch eine im Zusammenhang mit dem Satzungsbeschluss (“Eingriffsbebauungsplan”) getroffene Anordnung des Oberbürgermeisters an die Untere Naturschutzbehörde, bestimmte Ausgleichsmaßnahmen auf von der Gemeinde bereitgestellten Flächen zu treffen, den Anforderungen des § 1a Abs. 3 Satz 3 BauGB an eine “sonstige geeignete Maßnahme” genügen. In diesem Zusammenhang kann auch bedeutsam sein, dass – wie hier – die Oberste Naturschutzbehörde beabsichtigt, die von der Gemeinde festgelegten Kompensationsflächen förmlich als Naturschutzgebiet auszuweisen. Das Normenkontrollgericht hat ausgeführt, dass die Unterschutzstellung der “St. Arnualer Wiesen” dem von der Antragsgegnerin beschlossenen Nutzungskonzept für die Kompensationsflächen nicht widerspricht. Im Rahmen des § 1a Abs. 3 Satz 3 BauGB kann die Bedeutung einer naturschutzrechtlichen Unterschutzstellung überdies darin bestehen, dass sie den gemeindlichen Zugriff auf geeignete Flächen zusätzlich absichert, indem sie diese Flächen einer naturschutzfachlichen Aufwertung vorbehält und der Siedlungsentwicklung entzieht.
2. Die Beschwerde wirft ferner als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf, “ob und inwieweit die rechtliche Zurechnung von Ausgleichsbedürftigem und Ausgleich Anforderungen an einen Zusammenhang im Naturhaushalt oder im Landschaftsbild stellt”. Sie möchte geklärt wissen, ob die Vorschriften des § 19 Abs. 2 und des § 21 BNatSchG i.V.m. § 1a Abs. 3 BauGB “einen naturhaushalterischen oder einen Zusammenhang des Landschaftsbildes zwischen dem Ausgleichsbedürftigen und der für den Ausgleich ins Auge gefassten Fläche verlangen”. Diese Frage ist, soweit sie sich überhaupt allgemein gültig beantworten lässt, durch das Gesetz geklärt und wirft daher keinen revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf auf.
Nach § 1a Abs. 3 Satz 2 BauGB können die Darstellungen und Festsetzungen von Ausgleichsflächen oder Ausgleichsmaßnahmen auch an anderer Stelle als am Ort des Eingriffs erfolgen. Das gilt nach § 1a Abs. 3 Satz 3 BauGB auch für vertragliche Vereinbarungen gemäß § 11 BauGB oder “sonstige geeignete Maßnahmen” auf von der Gemeinde bereitgestellten Flächen. Die Ausgleichsmaßnahmen müssen nicht innerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans liegen, dessen Auswirkungen auf Natur und Landschaft auszugleichen sind (vgl. auch § 9 Abs. 1a BauGB). Das Baugesetzbuch unterscheidet auch nicht zwischen Ausgleichsmaßnahmen, die in einem räumlichen und funktionalen Zusammenhang mit dem jeweiligen Eingriff stehen, und Ersatzmaßnahmen, die ohne unmittelbaren räumlichen Zusammenhang zum Eingriff erfolgen. § 200a Satz 2 BauGB bestimmt vielmehr, dass ein unmittelbarer räumlicher Zusammenhang zwischen Eingriff und Ausgleich nicht erforderlich ist, soweit dies mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung und den Zielen der Raumordnung sowie des Naturschutzes und der Landschaftspflege vereinbar ist. Diese räumliche Entkoppelung eröffnet den Gemeinden die Möglichkeit, die Ausgleichsmaßnahmen räumlich vom Eingriffsort zu trennen. Ob eine räumliche Trennung zwischen Eingriff und Ausgleich vorzugswürdig ist, unterliegt der planerischen Abwägung, die durch die Umstände des Einzelfalls wie etwa die Verfügbarkeit quantitativ und qualitativ aufwertungsbedürftiger und aufwertungsfähiger Flächen in unmittelbarer Nähe des Eingriffs bestimmt werden. Entgegen der Beschwerde ermöglicht dies der Gemeinde nicht, planbedingte Eingriffe “an beliebig anderer Stelle” auszugleichen. Grenzen ergeben sich aus § 1a Abs. 3 Satz 3 BauGB (“auf von der Gemeinde bereitgestellten Flächen”), dem Erfordernis einer rechtlichen Absicherung der Ausgleichsmaßnahmen (vgl. oben 1.) und aus den Einschränkungen des § 200a Satz 2 BauGB. Ob diese Grenzen gewahrt sind, beurteilt sich jeweils nach den Umständen des Einzelfalls.
3. Die Beschwerde macht geltend, dass die von der Antragsgegnerin festgelegten Ausgleichsflächen im Saar-Tal nach dem 1995 beschlossenen Nutzungskonzept “sowieso aufgeforstet und zu einem Naturwald entwickelt werden” sollen. Außerdem beabsichtigte die Landesregierung die “Auenlandschaft” unter Naturschutz zu stellen. Die Beschwerde wirft hierzu die Rechtsfrage auf, ob eine Fläche, auf der Ausgleichsmaßnahmen “sowieso” ausgeführt werden sollen, als naturschutzrechtlicher Ausgleich für die Bauleitplanung zur Verfügung steht. Eine Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung wird damit nicht aufgeworfen.
Es liegt auf der Hand und bedarf nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass eine Gemeinde zur Verwirklichung von Ausgleichsmaßnahmen im Sinne von § 1a Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 BauGB auf ein bereits vor Jahren beschlossenes, aber noch nicht realisiertes Nutzungskonzept zurückgreifen darf. Das Ausgleichskonzept muss nicht aus Anlass des konkreten, durch Bebauungsplan erst später zugelassenen Eingriffs in Natur und Landschaft entworfen werden. Es muss allerdings aus naturschutzfachlicher Sicht die sich aus dem Eingriff ergebenden Kompensationsforderungen nach näherer Maßgabe des Landesrechts (vgl. § 200a BauGB) erfüllen. Das Ausgleichskonzept einer Gemeinde ist ferner nicht schon deshalb abwägungsfehlerhaft, weil es auf Flächen verwirklicht werden soll, deren Erklärung zum Naturschutzgebiet beabsichtigt ist. Die Ausgleichsmaßnahmen der Gemeinde müssen allerdings mit den für sie erkennbaren Schutzzielen der bevorstehenden naturschutzrechtlichen Regelungen vereinbar sein. Im Übrigen lässt das Baugesetzbuch eine zeitliche Entkoppelung von Eingriff und Ausgleich ausdrücklich zu. § 135a Abs. 2 Satz 2 BauGB sieht vor, dass Maßnahmen zum Ausgleich bereits vor den Baumaßnahmen und der Zuordnung einer Ausgleichsmaßnahme zu einem bestimmten Eingriff durchgeführt werden können. Das Gesetz eröffnet der Gemeinde damit sogar die Möglichkeit, bereits im Vorgriff auf spätere Baugebietsfestsetzungen Maßnahmen zum Ausgleich durchzuführen und diese dann später den neuen Baugebieten zuzuordnen.
4. Die Beschwerde möchte ferner in einem Revisionsverfahren geklärt wissen, “ob für die Trennung der Kleingartennutzung von reiner Wohnnutzung mit Haus- und Ruhegärten in ebenem, von keinen Erhöhungen unterbrochenem Gelände, die Festsetzung eines 10 m breiten Grundstreifens genügt”. Sie verbindet dies mit der Frage, “ob die Planung des Nebeneinanders von reinem Wohnen und Kleingärten eine Trennung der unterschiedlichen Nutzung nach den anerkannten Regeln erfordert”. Diese Fragen ließen sich in einem Revisionsverfahren nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise klären. Sie sind auf die besonderen Umstände des vorliegenden Streitfalles zugeschnitten und können auch nur vor dem Hintergrund der konkreten Gegebenheiten beantwortet werden. In der Sache greift die Beschwerde in Gestalt der formulierten Fragen die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung im konkreten Fall an. Damit wird ein grundsätzlicher Klärungsbedarf nicht dargelegt.
5. Die Beschwerde möchte schließlich rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, ob Bundesrecht an die Ausfertigung des Bebauungsplans nach § 10 BauGB die Anforderung stellt, dass der Ausfertigende der Ausfertigung sein Dienstsiegel beifügt, wenn er ein solches führt. Diese Frage wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Die Regeln über Art, Inhalt und Umfang der Ausfertigung von Bebauungsplänen gehören zum irrevisiblen Landesrecht (BVerwG, Beschluss vom 16. Mai 1991 – BVerwG 4 NB 26.90 – Buchholz 406.11 § 12 BBauG/BauGB Nr. 18 = BRS 52 Nr. 32; Beschluss vom 9. Mai 1996 – BVerwG 4 B 60.96 – Buchholz 406.11 § 12 BauGB Nr. 21 = BRS 58 Nr. 41).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes aus § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Lemmel, Rojahn, Gatz
Fundstellen
BauR 2004, 40 |
NVwZ 2003, 1515 |
IBR 2003, 575 |
NuR 2003, 750 |
ZUR 2004, 39 |
ZfBR 2004, 60 |
DVBl. 2003, 1471 |
UPR 2003, 449 |
FSt 2004, 293 |
FuBW 2004, 289 |
FuHe 2004, 400 |
FuNds 2004, 466 |