Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 23.01.2013; Aktenzeichen 6 B 35.11) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Januar 2013 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Rz. 1
1. Die auf die Zulassungsgründe eines Verfahrensmangels (a) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (b) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 2
a) Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann, zuzulassen.
Rz. 3
aa) Soweit der Kläger eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) mit der Begründung rügt, das Oberverwaltungsgericht habe versäumt zu ermitteln, ob der Beklagte überhaupt die Frage des Präventionsverfahrens geprüft habe, ist ein Verfahrensmangel nicht ausreichend im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt.
Rz. 4
Eine angebliche Verletzung der Sachaufklärungspflicht des Gerichts ist u.a. nur dann ausreichend bezeichnet, wenn im Einzelnen dargetan wird, welche Tatsachen auf der Grundlage der insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis diese Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte, inwiefern das angefochtene Urteil auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann und dass auf die Erhebung der Beweise vor dem Tatsachengericht durch Stellung förmlicher Beweisanträge hingewirkt worden ist oder – sollte dies nicht der Fall gewesen sein – aufgrund welcher Anhaltspunkte sich die unterbliebene Sachaufklärung dem Gericht hätte aufdrängen müssen (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 13. Januar 2009 – BVerwG 9 B 64.08 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 372 S. 18 ≪S. 20≫ und vom 5. März 2010 – BVerwG 5 B 7.10 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 94 S. 11 ≪S. 11 f.≫ m.w.N.). Diesen Anforderungen trägt die Beschwerde nicht ausreichend Rechnung.
Rz. 5
Weder die Beschwerdebegründung noch die Sitzungsniederschrift lassen erkennen, dass in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht auf eine entsprechende Sachverhaltsaufklärung hingewirkt oder gar ein förmlicher Beweisantrag im Sinne von § 86 Abs. 2 VwGO gestellt worden ist. Ebenso wenig legt die Beschwerde dar, warum sich dem Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsansicht und des ihm zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorliegenden Tatsachenmaterials eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen.
Rz. 6
bb) Die vom Kläger behauptete Verletzung des § 114 VwGO rechtfertigt nicht die Annahme eines Verfahrensmangels.
Rz. 7
Ein solcher ist nur anzunehmen, wenn gegen eine Vorschrift verstoßen wird, die den äußeren Verfahrensablauf regelt, nicht aber dann, wenn die Vorinstanz eine Vorschrift missachtet hat, die den inneren Vorgang der richterlichen Rechtsfindung bestimmt. § 114 Satz 1 VwGO regelt in Ergänzung von § 113 Abs. 1 und 5 VwGO die Grenzen der materiellen Befugnis der Verwaltungsgerichte, die behördliche Ermessensausübung zu kontrollieren. Überschreitet ein Gericht diese Grenzen, liegt darin ein materiellrechtlicher Fehler, der im Anwendungsbereich des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO unbeachtlich ist (Beschluss vom 11. März 2009 – BVerwG 4 BN 7.09 – juris Rn. 6).
Rz. 8
b) Der Kläger hat das Vorliegen der Voraussetzungen einer Revisionszulassung wegen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht ausreichend dargelegt.
Rz. 9
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisherigen revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14). Dazu bedarf es auch der substantiierten Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung und bereits ergangener einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. Beschlüsse vom 11. August 2006 – BVerwG 1 B 105.06 – Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 20 Rn. 2 und vom 5. Juni 2013 – BVerwG 5 B 11.13, 5 PKH 14.13 – juris Rn. 2, jeweils m.w.N.).
Rz. 10
Daran gemessen kommt die Zulassung der Revision hinsichtlich der als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Fragen
“Ist es zulässig, dass im Verwaltungsprozess um die Kündigungszustimmung eines behinderten Menschen dann, wenn das Integrationsamt nicht nachweislich die Nichtdurchführung eines Präventionsverfahrens als Abwägungsmaterial gesehen und zugrundegelegt hat, das Gericht aus seiner Sicht prüft, ob bei gehöriger Durchführung des Präventionsverfahrens die Möglichkeit bestanden hätte, die Kündigung zu vermeiden? Kann das Gericht auf diese Weise die Ermessensentscheidung des Integrationsamtes stützen oder gar heilen, wenn das Integrationsamt den Aspekt der Unterlassung eines Präventionsverfahrens nicht erkennbar in seine Überlegungen mit eingestellt hat?”
“Ist die Kündigungszustimmung des Integrationsamtes ohne weiteres ermessensfehlerhaft, wenn das Integrationsamt nicht nachweislich geprüft hat, ob der Arbeitgeber ein Präventionsverfahren durchgeführt hat[?]”
nicht in Betracht.
Rz. 11
Dies folgt schon daraus, dass sich diese Fragen in einem Revisionsverfahren nicht stellen würden. Ihnen liegt die Annahme zugrunde, das Integrationsamt habe den Umstand, dass ein Präventionsverfahren nicht durchgeführt wurde, vernachlässigt. Dies entspricht nicht den tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil. In den Urteilsgründen wird unter anderem dargelegt, das Integrationsamt sei offenbar davon ausgegangen, dass auch ein Präventionsverfahren wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit des Klägers sinnlos sei. Dieser Erwägung ist entgegen der Ansicht des Klägers die Feststellung zu entnehmen, dass das Integrationsamt das Fehlen eines Präventionsverfahrens berücksichtigt hat. Diese Tatsachenfeststellung ist – wie aufgezeigt – von dem Kläger nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen und deshalb für den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindend. Mithin müsste der Senat von ihr in einem Revisionsverfahren ausgehen.
Rz. 12
Davon abgesehen erweist sich die Rüge auch deshalb als nicht ausreichend begründet, weil es insoweit an der erforderlichen Auseinandersetzung mit der zu § 84 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (Art. 1 des Gesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl I S. 1046), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 2012 (BGBl I S. 2598) – SGB IX – ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung fehlt. Gemäß § 84 Abs. 1 SGB IX schaltet der Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 SGB IX genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann (so genanntes Präventionsverfahren). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts ist geklärt, dass die Durchführung eines Präventionsverfahrens zwar keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Zustimmungsentscheidung des Integrationsamtes nach § 85 SGB IX ist, dieses Verfahren jedoch bei der Ermessensentscheidung des Integrationsamtes über die Zustimmung zur Kündigung nach § 85 SGB IX und unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegebenenfalls zulasten des Arbeitgebers zu berücksichtigen ist, wenn bei gehöriger Durchführung des Präventionsverfahrens die Möglichkeit bestanden hätte, die Kündigung zu vermeiden (vgl. Beschluss vom 29. August 2007 – BVerwG 5 B 77.07 – Buchholz 436.62 § 84 SGB IX Nr. 1 Rn. 5; BAG, Urteil vom 7. Dezember 2006 – 2 AZR 182/06 – BAGE 120, 293 Rn. 27). Das Unterbleiben des Präventionsverfahrens steht einer Kündigung dann nicht entgegen, wenn die Kündigung auch durch dieses Verfahren nicht hätte verhindert werden können. Ist das Integrationsamt nach eingehender Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Zustimmung zur Kündigung zu erteilen ist, kann nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX hätte die Kündigung verhindern können (vgl. BAG, Urteil vom 7. Dezember 2006 a.a.O. Rn. 27 f.). Mit dieser auch dem angegriffenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts (UA S. 19 f.) im Kern zugrunde liegenden Rechtsprechung setzt sich die Beschwerdebegründung nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gebotenen Weise auseinander. Insbesondere fehlt es an Erwägungen dazu, ob sich aus dieser Rechtsprechung zumindest Anhaltspunkte für die Beantwortung der vom Kläger aufgeworfenen Fragen ergeben.
Rz. 13
2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.
Rz. 14
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
Unterschriften
Vormeier, Dr. Störmer, Dr. Häußler
Fundstellen