Entscheidungsstichwort (Thema)
Beteiligungsrechte des Gesamtvertrauenspersonenausschusses bei der Verlängerung der Experimentierklausel für Langzeitkonten
Leitsatz (amtlich)
Dem Gesamtvertrauenspersonenausschuss steht ein Vorschlagsrecht für grundsätzliche Verwaltungsvorschriften in Bezug auf Langzeitkonten im Sinne des § 17 SAZV a.F. zu.
Tenor
Es wird festgestellt, dass das Bundesministerium der Verteidigung das Vorschlagsrecht des Antragstellers bei der Behandlung von dessen Vorschlag vom 16. Juli 2020 verletzt hat, soweit dieser sich auf Übergangsbestimmungen für die Verlängerung oder die Abwicklung von Langzeitkonten nach § 17 der Soldatenarbeitszeitverordnung durch Erlass bezogen hat.
Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.
Tatbestand
Rz. 1
Der Antragsteller rügt die Verletzung seiner Beteiligungsrechte hinsichtlich eines Vorschlages zur Verlängerung der Experimentierklausel für Langzeitkonten.
Rz. 2
§ 17 Soldatenarbeitszeitverordnung (SAZV) in der nach § 24 Abs. 2 SAZV bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung sah die Erprobung von Langzeitkonten vor. Nach dieser Experimentierklausel konnte das Bundesministerium der Verteidigung Arbeitsbereiche bestimmen, in denen Soldatinnen und Soldaten Zeitguthaben über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren längstens bis zum 31. Dezember 2020 ansparen und für zusammengefasste Freistellungszeiten verwenden konnten.
Rz. 3
Die Norm hatte folgenden Wortlaut:
"§ 17 Erprobung von Langzeitkonten
(1)1Das Bundesministerium der Verteidigung kann Arbeitsbereiche bestimmen, die für die Erprobung von Langzeitkonten in Betracht kommen.2Langzeitkonten sind personenbezogene Arbeitszeitkonten zum Ansparen von Zeitguthaben, die für zusammengefasste Freistellungszeiten verwendet werden können.3Langzeitkonten werden unabhängig von einer Erfassung der dienstlichen Anwesenheit nach § 16 Absatz 7 Satz 1 geführt.
(2)1Für Soldatinnen auf Zeit und Soldaten auf Zeit und für Berufssoldatinnen und Berufssoldaten, denen die Führung eines Langzeitkontos gestattet worden ist, kann die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf Antrag um bis zu 3 Stunden verlängert werden, wenn die Verlängerung für die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben angemessen und zweckmäßig ist.2Die Differenz zwischen der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit und der tatsächlich geleisteten wöchentlichen Arbeitszeit wird dem Langzeitkonto gutgeschrieben, soweit die tatsächlich geleistete wöchentliche Arbeitszeit nicht über die nach Satz 1 verlängerte Arbeitszeit hinausgeht.3§ 5 Absatz 5 und § 6 Absatz 1 bleiben unberührt.4Satz 1 gilt nicht für
1. Soldatinnen und Soldaten, die jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können, sowie
2. Soldatinnen und Soldaten, deren regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nach § 5 Absatz 1 Satz 1 verkürzt worden ist.
(3) Dem Langzeitkonto können auf Antrag auch gutgeschrieben werden:
1. Ansprüche auf Dienstbefreiung für befohlene, angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit im Umfang von bis zu 40 Stunden im Jahr,
2. nach Stunden zu berechnender Erholungsurlaub bis zu dem in § 7a der Erholungsurlaubsverordnung vorgesehenen Umfang und
3. über das Minimum an Gesundheits- und Arbeitsschutz hinausgehende Ansprüche auf Freistellung vom Dienst aus Diensten nach § 30c Absatz 4 des Soldatengesetzes.
(4)1Zeitguthaben können über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren und längstens bis zum 31. Dezember 2020 angespart werden.2Auf dem Langzeitkonto können höchstens 1 400 Stunden angespart werden.
(5)1Der Ausgleich für das Zeitguthaben wird durch Freistellung gewährt, wobei Geld- und Sachbezüge fortgezahlt werden.2Der Antrag auf Freistellung kann aus dienstlichen Gründen abgelehnt werden.3In diesem Fall ist der Soldatin oder dem Soldaten mitzuteilen, in welchem anderen Zeitraum eine Freistellung im beantragten Umfang möglich ist.4Drei Jahre vor Erreichen einer besonderen Altersgrenze ist die Freistellung nur in Form von Teilzeit möglich, wobei Teilzeit im Blockmodell, also die den Arbeitstag ausfüllende Zusammenfassung von Teilzeitanteilen einerseits und Freizeitanteilen andererseits, ausgeschlossen ist.
(6) Soldatinnen und Soldaten, denen die Führung eines Langzeitkontos gestattet worden ist, können ein Zeitguthaben auf dem Gleitzeitkonto nicht in den nächsten Abrechnungszeitraum übertragen.
(7) Näheres regelt das Bundesministerium der Verteidigung."
Rz. 4
Vorgaben für die Ausführung der Erprobung von Langzeitkonten sind in Nr. 501 ff. ZDv A-1420/34 "Anwendung der Verordnung über die Arbeitszeit der Soldatinnen und Soldaten" enthalten.
Rz. 5
Mit E-Mail vom 23. Juni 2020 erhielt der Antragsteller eine Möglichkeit zur Stellungnahme zur Evaluierung der Langzeitkontenregelung des § 17 SAZV.
Rz. 6
Unter dem 16. Juli 2020 unterbreitete der Antragsteller in seiner "Stellungnahme im Wege der förmlichen Beteiligung - hier: Erprobung von Langzeitkonten nach § 17 der Soldatenarbeitszeitverordnung" den Vorschlag, die Experimentierklausel für Langzeitkonten bis zum 31. Dezember 2021 zu verlängern und den betroffenen Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Umsetzung der Vorgaben zur Vereinbarung von Familie und Dienst dieses bis zum Ende des 3. Quartals mitzuteilen. Sollten die Langzeitkonten nicht weitergeführt werden, sollte dies den Betroffenen mit den Abwicklungsmodalitäten zum gleichen Termin mitgeteilt werden.
Rz. 7
Im Bundesministerium der Verteidigung wechselte im Juli 2020 die Zuständigkeit für arbeitszeitrechtliche Regelungen. Infolge eines Büroversehens wurde der Vorschlag des Antragstellers durch das danach zuständige Referat nicht bearbeitet.
Rz. 8
Als sich abzeichnete, dass eine Neufassung von § 17 SAZV nicht unmittelbar im Anschluss an sein Außerkrafttreten mit dem 31. Dezember 2020 in Kraft treten würde, wurde eine untergesetzliche Übergangsregelung durch das für die ZDv A-1420/34 zuständige Referat vorbereitet und hierzu eine förmliche Beteiligung des Antragstellers eingeleitet. Mit E-Mail vom 11. November 2020 wurde der Antragsteller um schnellstmögliche Stellungnahme zu einer beabsichtigten Weisung für den Umgang mit Langzeitkonten in der Übergangszeit zwischen dem Außerkrafttreten des § 17 SAZV und dem Inkrafttreten einer Neuregelung gebeten. Diese Weisung wurde aber schlussendlich nicht erteilt.
Rz. 9
Vielmehr entschied der Staatssekretär zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im November oder Dezember 2020, dass die Experimentierklausel in der SAZV rückwirkend bis zum 30. Juni 2021 verlängert werden solle. Daraufhin wurde durch einen Erlass der für die arbeitszeitrechtlichen Regelungen und für die ZDv A-1340/20 zuständigen Referate des Bundesministeriums der Verteidigung vom 17. Dezember 2020 die Experimentierklausel in § 17 Abs. 4 in Verbindung mit § 24 Abs. 2 SAZV unverändert bis zum 30. Juni 2021 verlängert. Eine entsprechende Änderung der SAZV werde rückwirkend zum 1. Januar 2021 in Kraft gesetzt. Bis dahin könnten bereits bestehende Genehmigungen zur Führung von Langzeitkonten nach den bisherigen Regelungen in § 17 SAZV verlängert und die Einrichtung neuer Langzeitkonten genehmigt werden. Die Führung der Konten, das Ansparen und die Entnahme von Zeitguthaben erfolge auf Basis der Regelungen im Kapitel 5 der ZDv A-1420/34. Dort bestimmte Fristen würden entsprechend verlängert. Neuregelungen zu den Langzeitkonten sollten voraussichtlich ab dem 1. Juli 2021 in Kraft gesetzt werden.
Rz. 10
Über diesen an zahlreiche Dienststellen der Bundeswehr verteilten Erlass wurde auch der Antragsteller am 17. Dezember 2020 nachrichtlich informiert.
Rz. 11
Mit Schreiben vom 18. November 2020 beschwerte sich der Antragsteller beim Staatssekretär dagegen, dass auf seinen Vorschlag zur Erprobung von Langzeitkonten nach § 17 SAZV nicht reagiert worden sei, wies auf einen entsprechenden Gremienbeschluss hin und beantragte die - unter dem 3. Dezember 2020 auch erteilte - Zusage der Kostenübernahme für die anwaltliche Vertretung. Die fristwahrend eingelegte Beschwerde wurde unter dem 19. Januar 2021 durch die Bevollmächtigte des Antragstellers daraufhin ergänzend begründet. Das Bundesministerium der Verteidigung stellte mit Schreiben vom 29. Januar 2021 ein Recht des Antragstellers auf förmliche Beteiligung in Abrede und erläuterte, dass dieser im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Schreiben vom 17. Dezember 2020 ausreichend informiert worden sei. Daraufhin stellte der Antragsteller unter dem 23. Februar 2021 nochmals ausdrücklich Antrag auf Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, den das Bundesministerium der Verteidigung mit einer Stellungnahme vom 23. April 2021 dem Senat vorlegte.
Rz. 12
Der Antragsteller macht geltend, das Rechtsschutzbedürfnis für seinen Rechtsbehelf ergebe sich daraus, dass sein Vorschlag nicht für die volle vorgeschlagene Dauer und ohne Bezugnahme auf den Vorschlag umgesetzt worden sei. Es bedürfe der beantragten Feststellung, damit das Vorschlagsrecht, dessen Umfang bestritten werde, künftig beachtet würde. Es gehe nicht um Vorbereitung oder Erlass von Rechtsvorschriften oder norminterpretierende Verwaltungsvorschriften ohne eigenen Regelungscharakter. Vielmehr sei eine eigenständige Maßnahme des Ministeriums vorgeschlagen, deren Art aber offengelassen worden. Dass eine vergleichbare Regelung Gegenstand einer Verordnung sei, sei unbeachtlich. Die Dauer der Experimentierklausel sei eine Grundsatzregelung im Sinne von § 38 Abs. 3 Satz 3 SBG. Sie unterliege ihrem Inhalt nach gemäß § 25 Abs. 3 Nr. 8 und Nr. 10 SBG sowie § 25 Abs. 3 Nr. 1 SBG der Beteiligung. Hilfsweise folge das Vorschlagsrecht aus § 25 Abs. 2 SBG. Hiernach wäre ein Verfahren nach § 23 SBG, hilfsweise nach § 22 SBG durchzuführen gewesen.
Rz. 13
Der Antragsteller beantragt,
festzustellen, dass bezüglich der Erprobung der Langzeitkonten das Vorschlagsrecht des Gesamtvertrauenspersonenausschusses gemäß § 38 Abs. 3 SBG i.V.m. § 23 SBG besteht und gemäß den gesetzlichen Vorgaben umzusetzen ist,
hilfsweise festzustellen, dass bezüglich der Erprobung der Langzeitkonten das Vorschlagsrecht des Gesamtvertrauenspersonenausschusses gemäß § 38 Abs. 3 SBG i.V.m. § 22 SBG besteht und gemäß den gesetzlichen Vorgaben umzusetzen ist.
Rz. 14
Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Rz. 15
Zweifelhaft sei bereits die Identität zwischen dem Vorschlag und dem Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Jedenfalls fehle ein Feststellungsinteresse. Insbesondere liege keine Wiederholungsgefahr vor. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf eine förmliche Beteiligung. Der Vorschlag betreffe § 17 Abs. 4 SAZV, so dass nach § 38 Abs. 3 Satz 5 SBG der Anwendungsbereich von § 38 Abs. 3 Sätzen 3 und 4 SBG nicht eröffnet sei. Der Erlass vom 17. Dezember 2020 habe keinen eigenständigen Regelungsgehalt, weise lediglich auf die beabsichtigte Verlängerung der Experimentierklausel in der SAZV hin. Es handele sich auch dem Inhalt nach nicht um eine der Beteiligungspflicht unterliegende Maßnahme. Die Anwendungsbereiche von § 25 Abs. 3 Nr. 8, Nr. 10, § 25 Abs. 2 Nr. 1 SBG seien nicht eröffnet.
Rz. 16
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung hat dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Rz. 17
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.
Rz. 18
1. Der Antrag ist zulässig.
Rz. 19
a) Der Antragsteller hat konkrete Anträge formuliert. Diese sind im Lichte seines Sachvortrages so auszulegen, dass seinem Begehren nach einer gerichtlichen Prüfung in der Sache möglichst umfangreich Rechnung getragen werden kann (§ 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i.V.m. § 86 Abs. 3 VwGO). Hiernach ist zunächst festzuhalten, dass Gegenstand des Rechtsstreites allein die Frage ist, ob die Behandlung des Vorschlages des Antragstellers vom 16. Juli 2020 dessen Beteiligungsrechte - nämlich sein Vorschlagsrecht aus § 38 Abs. 3 Satz 3 SBG - verletzt. Nicht Gegenstand des Rechtsstreites ist der Erlass vom 17. Dezember 2020. Dass es dem Antragsteller allein um die Behandlung seines - unstreitig infolge eines Büroversehens nicht bearbeiteten - Schreibens vom 16. Juli 2020 geht, ergibt sich nicht nur aus dem Vortrag im gerichtlichen Verfahren, sondern auch aus dem - als Beschwerde bezeichneten, vom Bundesministerium der Verteidigung aber zutreffend als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewerteten - Schreiben vom 18. November 2021, mit dem die Kostenübernahme für die anwaltliche Vertretung beantragt worden ist. Im Hinblick auf diese Bestimmung des Verfahrensgegenstandes ist die Zulässigkeit des Antrages - entgegen dem Vortrag des Bundesministeriums der Verteidigung - nicht deshalb zweifelhaft, weil es an der Identität zwischen dem Vorschlag und dem im gerichtlichen Verfahren verfolgten Vorschlagsrecht fehlen würde. Gegenstand der Feststellung kann nur sein, ob im Hinblick auf den konkreten Vorschlag vom 16. Juli 2020 ein Vorschlagsrecht bestanden hat, das durch das Vorgehen des Bundesministeriums der Verteidigung verletzt wurde. Ein entsprechendes Begehren ist dem Antrag im Lichte seiner Begründung zumindest auch zu entnehmen. Da der Antragsteller nicht bestreitet, kein Beteiligungsrecht hinsichtlich von Änderungen der SAZV zu haben, ist Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens nur, ob der Vorschlag einen Vorschlag für Verwaltungsvorschriften enthält und ob dieser korrekt behandelt worden ist.
Rz. 20
b) Der Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten ist eröffnet (BVerwG, Beschluss vom 30. April 2020 - 1 WB 23.19 - PersV 2020, 423 Rn. 15 m.w.N.). Der Antragsteller kann im Verfahren vor den Wehrdienstgerichten die Verletzung seines Vorschlagsrechts aus § 38 Abs. 3 Satz 3 SBG rügen.
Rz. 21
c) Das Bundesverwaltungsgericht ist sachlich zuständig. Der Antragsteller kann gemäß § 21 Abs. 1 WBO unmittelbar die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragen, denn sein Vorschlag richtete sich unmittelbar an das Bundesministerium der Verteidigung und betrifft dessen eigene Regelung.
Rz. 22
d) Der Antragsteller ist antragsbefugt. Er macht geltend, dass das Bundesministerium der Verteidigung sein Vorschlagsrecht aus § 38 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 23, § 22 SGB verletzt habe, indem es seinen Vorschlag weder umgesetzt, noch mit ihm erörtert oder ihm die Gründe für die unterbliebene Umsetzung mitgeteilt habe.
Rz. 23
e) Der Antragsteller ist unstreitig ordnungsgemäß durch seinen Sprecher auf der Grundlage eines Plenumsbeschlusses vertreten.
Rz. 24
f) Der Feststellungsantrag ist statthaft (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 30. August 2019 - 1 WB 27.18 - Buchholz 449.7 § 21 SBG Nr. 1 Rn. 22 und vom 30. April 2020 - 1 WB 23.19 - PersV 2020, 423 Rn. 18). Hier steht im Hinblick auf den Vorschlag vom 16. Juli 2020 ein konkretes Anlassverfahren im Raum, das den konkreten Sachverhalt bestimmt, aus dem sich das feststellungsfähige Rechtsverhältnis ergibt.
Rz. 25
g) Der Antragsteller hat ein Feststellungsinteresse. Das konkrete Anlassverfahren ist über den Einzelfall hinaus geeignet, die rechtlichen Anforderungen an das Vorschlagsrecht nach § 38 Abs. 3 Satz 3, § 22, § 23 Abs. 1 Satz 3, § 25 Abs. 2 SBG weiter zu klären (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. August 2019 - 1 WB 27.18 - Buchholz 449.7 § 21 SBG Nr. 1 Rn. 23). Das schutzwürdige Bedürfnis hierfür folgt zum einen aus dem Umstand, dass mit dem Ablauf des Jahres 2021 der streitgegenständliche Vorschlag des Antragstellers im Wesentlichen erledigt ist. Die Rechtsschutzmöglichkeiten des Antragstellers dürfen nicht dadurch verkürzt werden, dass durch den bloßen Zeitablauf vollendete Tatsachen geschaffen werden. Dass hier kein bloß akademischer Streit um das Vorschlagsrecht in Rede steht, ergibt sich zum anderen bereits daraus, dass die Verlängerung der Experimentierklausel für Langzeitarbeitszeitkonten noch nicht in eine Novellierung der SAZV eingeflossen ist, insoweit also weitere Vorschläge des Antragstellers ohne weiteres möglich sind und ein Interesse an einer rechtlichen Klärung begründen.
Rz. 26
h) Der Antrag ist auch fristgerecht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. März 2012 - 1 WB 29.11 - Rn. 17 und vom 30. April 2020 - 1 WB 55.19 - Buchholz 449.7 § 39 SBG Nr. 2 Rn. 17) gestellt. Der Antragsteller hatte frühestens durch die E-Mail vom 11. November 2020 Anlass zu erkennen, dass das Bundesministerium der Verteidigung seinen Vorschlag vom 16. Juli 2020 nicht aufgreifen und diesen auch nicht mit ihm erörtern wollte, da durch diese E-Mail eine Anhörung zu einer von seinem Vorschlag abweichende Weisung erfolgte. Daraufhin hatte er innerhalb der Monatsfrist (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 und § 6 WBO) fristwahrend einen Rechtsbehelf eingelegt.
Rz. 27
2. Der Antrag ist auch begründet.
Rz. 28
Das Bundesministerium der Verteidigung war verpflichtet, den streitgegenständlichen Vorschlag förmlich nach § 38 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 22 SBG zu behandeln. Dies ist unstreitig unterblieben.
Rz. 29
a) Soweit der streitgegenständliche Vorschlag auf eine Änderung des § 24 Abs. 2 SAZV abzielte, mit der das Außerkrafttreten des § 17 SAZV a.F. herausgeschoben werden sollte, stand dem Gesamtvertrauenspersonenausschuss allerdings kein Vorschlagsrecht zu. Bei der Vorbereitung von Gesetzen und Rechtsverordnungen steht § 38 Abs. 3 Satz 5 SBG einem Beteiligungsrecht des Antragstellers entgegen. Das Bundesministerium der Verteidigung durfte davon ausgehen, dass dies - zumindest auch - Gegenstand des Vorschlages war, der insoweit daher auch kein förmliches Beteiligungsrecht des Antragstellers auslöste.
Rz. 30
Der Vorschlag vom 16. Juli 2020 nimmt ausdrücklich Bezug auf die Regelung der Langzeitkonten in § 17 SAZV und deren Auslaufen zum 31. Dezember 2020. Damit nimmt er Regelungen einer Rechtsverordnung in Bezug, zu deren Evaluierung der Antragsteller mit der im Bezug genannten E-Mail auch angehört worden war. Die vorgeschlagene Verlängerung der Experimentierklausel ist unmittelbar durch eine Änderung der Rechtsverordnung, die ihre Geltung zeitlich eingrenzt, zu erreichen. Er enthält damit - zumindest auch und in erster Linie - den Vorschlag, die Bestimmungen der Rechtsverordnung entsprechend zu ändern.
Rz. 31
b) § 38 Abs. 3 Satz 3 SBG eröffnet aber ein Vorschlagsrecht wegen des weiteren Inhaltes des Schreibens vom 16. Juli 2020.
Rz. 32
Das Schreiben bezieht sich nicht nur auf die in § 24 Abs. 2 SAZV geregelte Geltungsdauer des § 17 SAZV. In ihm sind auch Anregungen zur Information der Betroffenen enthalten, die sowohl die Umsetzung des Verlängerungsvorschlages als auch den Fall betreffen, dass die Experimentierklausel nicht verlängert wird. Informationspflichten oder -obliegenheiten des Dienstherrn gehen aber über das in §§ 17, 24 SAZV Geregelte hinaus. Insoweit zielt der Vorschlag schon nicht notwendig auf eine Änderung der Rechtsverordnung. Es werden für den Fall der Änderung und für den Fall des bislang vorgesehenen Auslaufens der Langzeitkontenregelung im Interesse der Betroffenen Änderungen angeregt, die erkennbar nicht Inhalt der Rechtsverordnung werden sollten, wenn auch eine solche Option bestanden hätte. Vielmehr lag insoweit von Anfang an eine Regelung im Erlasswege im Bereich des Möglichen und damit vom Vorschlag Umfassten.
Rz. 33
Weder in diesem Punkt noch zur Verlängerung der Geltungsdauer der Experimentierklausel äußert sich der Vorschlag zu dem Weg, auf dem er rechtssetzungstechnisch umgesetzt werden sollte. Da sich Teile des Vorschlages nicht auf konkrete Regelungsinhalte der damals geltenden SAZV bezogen und für unterschiedliche Umsetzungswege offen waren, musste das Bundesministerium der Verteidigung den konkreten Vorschlag jedenfalls dann als Initiative für eine Verwaltungsverfahrensvorschrift verstehen, wenn und sobald es selbst eine solche erwägt bzw. erlässt. Wenn der Dienstherr selbst eine untergesetzliche, verwaltungsintern wirkende Regelung prüft, muss er einen für ein solches Verständnis offenen Vorschlag des Antragstellers in seine Prüfung einbeziehen und mit diesem erörtern, wenn der Vorschlag inhaltlich ein Beteiligungsrechte auslösendes Sachgebiet betrifft.
Rz. 34
Hier hatte der Dienstherr zum einen bereits selbst eine untergesetzliche Übergangsregelung erwogen, die er dem Antragsteller mit Schreiben vom 11. November 2020 zum Zwecke der Beteiligung übersandt hatte. Zum anderen hat er aber auch mit dem - vom Bundesministerium der Verteidigung ausdrücklich als allgemeingültigen Erlass bezeichneten - Runderlass vom 17. Dezember 2020 eine Verwaltungsvorschrift zur Verlängerung der Experimentierklausel erlassen. Soweit dieser Runderlass Grundsatzregelungen enthält, die ihrem Inhalt nach der Beteiligung unterliegen, war ein für diesen Regelungsweg offener Vorschlag des Antragstellers in die Prüfung einzubeziehen und den sich insoweit aus § 38 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 22 SBG ergebenden Rechten des Antragstellers Rechnung zu tragen.
Rz. 35
aa) Entgegen der Rechtsauffassung des Bundesministeriums der Verteidigung zielte der Vorschlag auch auf eine - dem Runderlass vom 17. Dezember 2020 vergleichbare, aber inhaltlich nicht identische - Grundsatzregelung im Sinne des § 38 Abs. 3 SBG (vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Beschlüsse vom 30. April 2020 - 1 WB 23.19 - PersV 2020, 423 Rn. 23 ff. und - 1 WB 55.19 - Buchholz 449.7 § 38 SBG Nr. 2 Rn. 27 ff m.w.N.). Daher war es für den Dienstherrn auch geboten, diesen Vorschlag des Antragstellers mit diesem zu erörtern und wegen der Abweichung von dem Vorschlag den Rechten aus § 22 Abs. 2 und 3 SBG Rechnung zu tragen, soweit der Vorschlag inhaltlich der Mitbestimmung unterfiel.
Rz. 36
Der vorgeschlagene Runderlass hatte gestaltende bzw. regelnde Wirkung und erschöpft sich nicht in einem Hinweis auf eine beabsichtigte Normsetzung und der Erläuterung von deren Auswirkungen. Der Vorschlag zielte auf die Festlegung eines Stichtages (Ende des 3. Quartals), bis zu dem die betroffenen Soldatinnen und Soldaten über die Fortgeltung der Langzeitkonten oder die Notwendigkeit ihrer Auflösung informiert werden sollten; diese Stichtagsregelung hatte den Sinn, den Betroffenen eine angemessene Zeit für eine sinnvolle Disposition über ihre Zeitguthaben einzuräumen. Insoweit hatte er konstitutive Bedeutung und gestaltende Wirkung.
Rz. 37
Diese hatte er auch, soweit er - insoweit vergleichbar dem Runderlass vom 17. Dezember 2020 - eine übergangsweise Verlängerung der Experimentierklausel durch Verwaltungsvorschrift vorschlug, bis eine (rückwirkende) Änderung der Rechtsverordnung in Kraft treten konnte. Insoweit erschöpft sich entgegen der Einschätzung des Bundesministeriums der Verteidigung nämlich auch der Runderlass vom 17. Dezember 2020 nicht in einem Hinweis auf die beabsichtigte rückwirkende Änderung des § 24 Abs. 2 SAZV. Denn er enthält auch Arbeitsanweisungen für die zuständigen Stellen, die deren Entscheidungen in dem Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2021 und der rückwirkenden Inkraftsetzung der beabsichtigten Rechtsänderung steuern sollten.
Rz. 38
bb) Der Vorschlag betraf inhaltlich einen Sachbereich, für den das Soldatenbeteiligungsgesetz dem Gesamtvertrauenspersonenausschuss nach § 38 Abs. 3 Satz 3 SBG ein Vorschlagsrecht zubilligt. Dies ist bei Grundsatzregelungen im personellen, sozialen oder organisatorischem Bereich vorgesehen, sofern das Gesetz in diesen Bereichen der Vertrauensperson ein Vorschlagsrecht einräumt.
Rz. 39
aaa) § 25 Abs. 2 Nr. 1 SBG räumt der Vertrauensperson allerdings kein Vorschlagsrecht betreffend Langzeitkonten ein.
Rz. 40
Die Gestaltung des Dienstbetriebes im Sinne von § 25 Abs. 2 Nr. 1 SBG betrifft die Art und Weise des Dienstbetriebes. Erfasst sind alle Anordnungen, die auf Art, Umstände und Umfang des Dienstes einwirken (Gronimus, SBG, 1. Aufl. 2021, § 25 SBG Rn. 11 f.; Meder, in: Wolf/Meder, SBG, Stand 2018, § 25 Rn. 23). Einrichtung und Ausgestaltung von Langzeitarbeitszeitkonten sind hiervon nicht umfasst. Denn sie sind nicht Teil der Organisation innerdienstlicher Abläufe, schaffen vielmehr - neben etwa der Besetzung zugewiesener Dienstposten und den durch die fragliche Dienststelle zu erfüllenden Aufgaben - eine der Voraussetzungen, denen bei der Organisation des Dienstbetriebes Rechnung zu tragen ist. Das Mitbestimmungsrecht nach dieser Norm erfasst nur die konkrete Ausgestaltung dienstlicher Abläufe, nicht auch alle Faktoren, die die Gestaltung von Art und Weise des Dienstbetriebes potentiell beeinflussen können. Dass der durch Langzeitkonten ermöglichte Zeitausgleich und in ihrem Kontext mögliche Mehrarbeit faktisch die Möglichkeit der Berücksichtigung betroffener Soldaten bei der Gestaltung des Dienstbetriebes beschränken oder auch erweitern können, reicht für ein Mitbestimmungsrecht nach dieser Norm nicht aus. Dies gilt auch für Urlaubs- und Arbeitszeitregelungen, für die spezielle Mitbestimmungstatbestände in § 25 Abs. 3 SBG bestehen. Diese wären weitgehend überflüssig, würde der mittelbare Einfluss auf die Gestaltung des Dienstbetriebes bereits den Mitbestimmungstatbestand des § 25 Abs. 2 Nr. 1 SBG eröffnen.
Rz. 41
bbb) Ein Vorschlagsrecht eröffnet auch § 23 Abs. 1 Satz 3 SBG i.V.m. § 25 Abs. 3 Nr. 10 SBG nicht.
Rz. 42
Maßnahmen zur Verhütung von Dienst- und Arbeitsunfällen bzw. sonstigen Gesundheitsbeschädigungen sind lediglich solche Maßnahmen, die gezielt für Zwecke des Arbeits- und Gesundheitsschutzes eingeführt werden. Bloße arbeitsschützende Nebeneffekte lösen das Beteiligungsrecht nicht aus (Wolf, in: Wolf/Meder, SBG, Stand 2018, § 25 Rn. 115). Die Erprobung von Langzeitkonten dient der Flexibilisierung von Arbeitszeit im Interesse der sie nutzenden Soldaten. Diese können angesparte Zeitkonten für familiäre Zwecke, die Fortbildung oder längere Erholungsphasen nutzen (vgl. Nr. 501 ZDv A-1420/34). Dies kann im Einzelfall auch der Förderung der Gesundheit betroffener Soldaten dienen. Dies ist allerdings nur einer der möglichen Nebeneffekte der Regelung, nicht ihre Regelungsabsicht. Dass bei der Ansparung von Zeitguthaben durch Mehrarbeit zudem dem Arbeits- und Gesundheitsschutz Rechnung zu tragen ist, betrifft nicht die Regelungsabsicht hinter der Erprobung von Langzeitkonten, sondern die Grenzen ihrer Ausgestaltung. Der vom Antragsteller in Bezug genommene "Schutz vor Überbelastung" ist nicht Ziel der Regelung, vielmehr ermöglicht sie es Betroffenen zeitliche Mehrbelastungen einzugehen, um durch angesparte Zeitguthaben private Zwecke flexibel verfolgen zu können. Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn man in den Blick nimmt, dass der Antragsteller eine einjährige Verlängerung der Erprobungsphase in den Blick genommen hat. Weder die Erprobung als solche noch ihre Dauer dienen primär der Wahrung des Gesundheitsschutzes der betroffenen Soldaten, sondern der Schaffung von Erkenntnissen durch eine Evaluierung, auf welche die Entscheidung über die dauerhafte Einführung von Langzeitkonten gegründet werden kann.
Rz. 43
ccc) § 23 Abs. 1 Satz 3 SBG in Verbindung mit § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 SBG eröffnet jedoch ein Mitbestimmungs- und Vorschlagsrecht.
Rz. 44
Der Begriff der Maßnahmen, die der Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst dienen, erfasst der Art der Maßnahme nach jedenfalls die in Abschnitt 3 des Gesetzes zur Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr (SGleiG) angeführten Maßnahmen, während die im Wort "dienen" zum Ausdruck kommende Zweckbindung verlangt, dass die Vereinbarkeit von Familie und Dienst entweder der erklärte Zweck der Maßnahme ist oder diese sich unausweichlich auf dieses Ziel regelnd auswirkt (Gronimus, SBG, 1. Aufl. 2021, § 25 Rn. 92). Neben Regelungen zur Arbeitszeit, Teilzeitbeschäftigung und familienbedingter Beurlaubung sind damit auch Regelungen zu sonstigen Rahmenbedingungen familiengerechten Dienstes im Sinne von § 12 SGleiG erfasst. Die Möglichkeit, durch Langzeitkonten Zeitguthaben anzusparen, schafft eine derartige Rahmenbedingung, die nach Nr. 501 ZDv A-1420/34 ausdrücklich auch der Ermöglichung zusammengefasster Phasen bezahlter Freistellung zu familiären Zwecken, etwa für die Kinderbetreuung oder die Pflege, dienen soll. Vor diesem Hintergrund überzeugt der Vortrag des Bundesministeriums der Verteidigung, Langzeitkonten beeinträchtigten durch die erhöhte Arbeitsbelastung in der Ansparphase das Familienleben, nicht. Vielmehr ermöglichen sie - dezidiert zur Förderung familiärer Pflichten - eine flexible Arbeitszeitgestaltung und dienen damit - neben anderen Zwecken unausweichlich auch - der Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Rz. 45
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.
Fundstellen
Haufe-Index 15151939 |
JZ 2022, 390 |