Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Aktenzeichen 1 KN 777/01) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. September 2001 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragsgegnerin beimisst.
1. Die Frage, ob „Grundstückseigentümer antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO (sind), die nach In-Kraft-Treten des Bebauungsplanes Grundstücke aus dem Plangebiet erworben haben, und deren Interesse es ist, ihre Grundstücke plangemäß zu nutzen”, rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenso wenig wie die Frage, ob „sich in dieser Konstellation eine Antragsbefugnis aus dem Umstand ergeben (kann), dass die Gemeinde bei der Ermittlung der Verkehrslärmbelastung, der das Plangebiet ausgesetzt ist, die vorhandene Belastung nicht richtig ermittelt, sondern als zu niedrig eingeschätzt hat”. Die Antragsgegnerin zeigt insoweit keinen Klärungsbedarf auf, der nur in einem Revisionsverfahren befriedigt werden kann. Die von ihr angesprochenen Auslegungszweifel lassen sich auf der Grundlage der bisherigen Senatsrechtsprechung unschwer ausräumen.
Der Senat hat mehrfach bestätigt, dass antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht bloß sein kann, wer im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks ist. Auch der Grundstückserwerber kann berechtigt sein, einen Normenkontrollantrag zu stellen, sobald der Besitz sowie Nutzungen und Lasten auf ihn übergegangen sind und der Antrag auf Eigentumsumschreibung beim Grundbuchamt gestellt oder zu seinen Gunsten eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen worden ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 25. März 1996 – BVerwG 4 NB 2.96 – und vom 27. Oktober 1997 – BVerwG 4 BN 20.97 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 113 und 122). Ist der Eigentumsübergang endgültig vollzogen worden, so gilt dies erst recht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. August 2001 – BVerwG 4 BN 43.01 – NVwZ 2001, 1282).
Eine Rechtsverletzung kommt stets dann in Betracht, wenn sich der Eigentümer gegen eine bauplanerische Festsetzung wendet, die unmittelbar sein im Plangebiet gelegenes Grundstück betrifft. Dies beruht auf der Erwägung, dass es sich bei den Regelungen eines Bebauungsplans um Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG handelt. Beschränkungen, die sich hieraus für die Nutzung des Grundeigentums ergeben, braucht der Eigentümer nur hinzunehmen, wenn der nach § 10 BauGB als Satzung erlassene Plan rechtmäßig ist. Ob dies der Fall ist, kann er im Normenkontrollverfahren überprüfen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. März 1998 – BVerwG 4 CN 6.97 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 123; Beschluss vom 22. August 2000 – BVerwG 4 BN 38.00 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 142). Ob der Eigentümer von den nachteiligen Wirkungen von Festsetzungen bereits bei In-Kraft-Treten des Bebauungsplans betroffen wird oder als Grundstückserwerber erst nachträglich in die Eigentümerposition einrückt, spielt für die Antragsbefugnis keine entscheidende Rolle. Wie aus § 1 Abs. 1 BauGB zu ersehen ist, bilden den Regelungsgegenstand bauplanerischer Festsetzungen die bauliche und die sonstige Nutzung der im Plangebiet gelegenen Grundstücke. Die durch den Bebauungsplan vermittelte baurechtliche Qualität hängt nicht von den jeweiligen Eigentums- oder Besitzverhältnissen ab. Rechtsbeeinträchtigungen als Folge nachteiliger Festsetzungen kann, solange der Plan Geltung für sich beansprucht, ein wechselnder Kreis von Personen erleiden, dem als Eigentümer, dinglich Nutzungsberechtigter, Mieter oder Pächter nebeneinander oder nacheinander Rechte an einem bestimmten Grundstück zusteht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 11. November 1988 – BVerwG 4 NB 5.88 – und vom 18. Mai 1994 – BVerwG 4 NB 27.93 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 30 und 90). Wendet sich der Grundeigentümer im Wege der Normenkontrolle gegen den Bebauungsplan, so ist es für die Antragsbefugnis ohne Belang, ob er die Absicht hat, das Grundstück selbst zu nutzen, zu veräußern, zu vermieten oder zu verpachten.
Eine Rechtsverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann sich daraus herleiten lassen, dass Grundstücke, die kraft planerischer Festsetzung dem Wohnen dienen, durch die Planung Verkehrslärmbelastungen ausgesetzt werden, die das zumutbare Maß überschreiten. Die Rechtsordnung verhält sich gegenüber den Belangen des Verkehrslärmschutzes und ihrer Relevanz für die Bauleitplanung nicht neutral. Dass der Gesetzgeber insoweit einen Schutzbedarf anerkennt, machen die §§ 3, 41 ff. und 50 BImSchG sowie § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 und § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB deutlich. Die Sicherung gesunder Wohnverhältnisse gehört zu den Belangen, denen bei der Aufstellung eines Bebauungsplans Rechnung zu tragen ist. Schutzadressat sind alle Personen, die von der Zweckbestimmung des § 4 Abs. 1 BauNVO erfasst werden, unabhängig davon, wer der Eigentümer der Wohngrundstücke ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1999 – BVerwG 4 CN 1.98 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 136; Beschluss vom 18. März 1994 – BVerwG 4 NB 24.93 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 88). Auch wenn sich das Grundeigentum in der Hand der planenden Gemeinde befindet, versteht es sich von selbst, dass der Gesichtspunkt, die Wohnbevölkerung vor schädlichen Verkehrslärmbeeinträchtigungen zu bewahren, Teil des Abwägungsmaterials ist. Übereignet die Gemeinde die ihr gehörigen Flächen, so ist die Eigentümerposition, die dem Erwerber zufällt, in ihrer Wehrfähigkeit nicht deshalb eingeschränkt, weil sie von einer Voreigentümerin abgeleitet ist, die als Trägerin der Planung nicht befugt wäre, den von ihr erlassenen Bebauungsplan im Wege der Normenkontrolle überprüfen zu lassen.
Der Senat hätte keinen Anlass, sich in dem erstrebten Revisionsverfahren mit der Frage auseinanderzusetzen, von welchem Grad der Beeinträchtigung ab Verkehrsgeräusche in die planerische Abwägung einzustellen sind. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass abwägungsrelevant auch Lärmeinwirkungen sein können, die nicht die Schwelle erreichen, bei deren Überschreiten nach den einschlägigen technischen Regelwerken Lärmschutzmaßnahmen zwingend geboten sind. Außer Betracht bleiben dürfen Lärmbelästigungen nur unter der Voraussetzung, dass sie im Sinne der seit der Grundsatzentscheidung vom 9. November 1979 – BVerwG 4 N 1.78 u.a. – (BVerwGE 59, 87) vielfach bestätigten Senatsjudikatur als geringfügig einzustufen sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. Februar 1992 – BVerwG 4 NB 11.91 – und vom 28. November 1995 – BVerwG 4 NB 38.94 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 63 und 109). Hierzu weitere Betrachtungen anzustellen, würde das anhängige Verfahren indes keine Gelegenheit bieten. Nach den vom Normenkontrollgericht getroffenen, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen werden im Planbereich nicht nur die Orientierungswerte der DIN 18005, Bl. 1, sondern sogar die Grenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung überschritten. Es bedarf keiner Bekräftigung in einem Revisionsverfahren, dass Lärmbeeinträchtigungen in einer solchen Größenordnung den Rahmen des Zumutbaren eindeutig sprengen.
2. Der Senat hätte keinen Anlass, in dem erstrebten Revisionsverfahren zu der von der Antragsgegnerin aufgeworfenen Frage Stellung zu nehmen, ob die Auffassung der Vorinstanz zutrifft, dass hier eine „Antragsbefugnis” auch deswegen vorliege, „weil eine Nichtigerklärung des Bebauungsplanes für das laufende zivilrechtliche Verfahren von Nutzen sei”. Das Normenkontrollgericht hat es als rechtserhebliche Tatsache gewertet, „dass das Landgericht Hannover durch Beschluss vom 5. Juli 2001 den Rechtsstreit zum Aktenzeichen 16 O 1821/00 bis zur rechtskräftigen Entscheidung des vorliegenden Normenkontrollverfahrens ausgesetzt hat, weil die Frage der Wirksamkeit des Bebauungsplanes für die Entscheidung des zivilrechtlichen Rechtsstreits Bedeutung haben könne”. Es hat diesen Umstand aber nicht, wie die Beschwerde fälschlich meint, im Rahmen der Antragsbefugnis erörtert, sondern unter dem Blickwinkel des Rechtsschutzinteresses thematisiert. Bei dieser Prüfung hat es sich von der Erkenntnis leiten lassen, dass das Rechtsschutzbedürfnis auch im Normenkontrollverfahren als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung neben die Antragsbefugnis tritt und nach eigenständigen Kriterien zu beurteilen ist. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Senats ist das Normenkontrollgericht in diesem Zusammenhang der Frage nachgegangen, ob die Antragstellerin sich entgegenhalten lassen muss, den gerichtlichen Rechtsschutz deshalb unnütz in Anspruch zu nehmen, weil sie ihre Rechtsstellung mit der begehrten Entscheidung nicht verbessern kann (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 10. März 1998 – BVerwG 4 CN 6.97 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 123; Beschlüsse vom 22. September 1995 – BVerwG 4 NB 18.95 – und vom 8. Februar 1999 – BVerwG 4 BN 55.98 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 108 und 130). Die Antragsgegnerin legt nicht dar, in welcher Richtung die Spruchpraxis, der die Vorinstanz gefolgt ist, der Präzisierung bedürfen sollte.
Hiervon abgesehen, würde sich eine eingehendere Erörterung auch aus dem Grunde erübrigen, weil das Normenkontrollgericht das Rechtsschutzbedürfnis nicht bloß mit dem Argument bejaht hat, eine dem Normenkontrollantrag stattgebende Entscheidung könne der Antragstellerin „für ein zivilrechtliches Verfahren von Nutzen sein”. Das Normenkontrollurteil ist in diesem Punkt doppelt begründet. Nach Ansicht der Vorinstanz ist das Rechtsschutzbedürfnis „unabhängig” von der ersten Erwägung auch deshalb zu bejahen, „weil nicht auszuschließen ist, dass der Rat der Antragsgegnerin bei Antragsstattgabe zumindest für die bislang unbebauten Planbereiche eine neue Planungsentscheidung treffen wird”. Hierfür führt das Normenkontrollgericht den Gesichtspunkt ins Feld, dass die Antragsgegnerin den für den Planungsraum charakteristischen Nutzungskonflikt zwischen dem Ruhebedürfnis der Wohnbevölkerung und dem Verkehrslärm nicht auf Dauer wird ungelöst lassen können. Mit dieser Begründung bewegt sich das Oberverwaltungsgericht auf der durch die Senatsrechtsprechung vorgezeichneten Linie. Danach fehlt einem Normenkontrollantrag das Rechtsschutzbedürfnis nur dann, wenn unzweifelhaft ist, dass der Antragsteller seinem Ziel, ein Grundstück nach seinen Vorstellungen baulich zu nutzen, selbst dann auf unabsehbare Zeit nicht näher kommen kann, wenn der Bebauungsplan für nichtig erklärt wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 1993 – BVerwG 4 NB 50.92 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 79). Die Beschwerde lässt es damit bewenden, der Würdigung der Vorinstanz entgegenzutreten, sie legt indes nicht dar, inwiefern ihre Kritik geeignet sein könnte, einen Problemgehalt aufzuweisen, der über den konkreten Fall hinausreicht und dadurch der Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO verleiht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 14 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1, § 73 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Paetow, Halama, Gatz
Fundstellen
Haufe-Index 706578 |
BauR 2002, 1199 |
ZfBR 2002, 493 |
BRS-ID 2002, 19 |