Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 15.07.2003; Aktenzeichen 8 S 630/03) |
Tenor
Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15. Juli 2003 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 70 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss leidet an Verfahrensmängeln, auf denen er beruhen kann. Die Klägerin beanstandet zu Recht einen Verstoß gegen § 130a VwGO sowie eine Verkürzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Eine Entscheidung über die Berufung ohne mündliche Verhandlung setzt nach § 130a Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO voraus, dass die Beteiligten vorher gehört werden. Das Beschlussverfahren nach § 130a VwGO hat im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes Ausnahmecharakter. Gesetzlicher Regelfall und Kernstück auch des Berufungsverfahrens ist die mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 1 VwGO). Hiervon dispensiert § 130a VwGO. Das ist nur hinnehmbar, wenn die gesetzlich vorgeschriebene Anhörung kompensatorische Wirkungen entfaltet. Um diesen Zweck erfüllen zu können, muss sie strengen Anforderungen genügen. Die Beteiligten dürfen nicht im Unklaren darüber gelassen werden, wie das Gericht zu entscheiden beabsichtigt. Sie müssen der Anhörungsmitteilung entnehmen können, ob die Berufung in vollem Umfang oder teilweise als begründet oder unbegründet angesehen wird. Von diesem Erfordernis kann lediglich dann abgesehen werden, wenn sonstige Umstände eindeutige Rückschlüsse darauf zulassen, wie das Gericht die Erfolgsaussichten einschätzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 – BVerwG 9 C 39.99 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 49).
Das Anhörungsschreiben vom 16. Juni 2003 wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Es bietet keine Aufschlüsse über den voraussichtlichen Prozessausgang. Ein entsprechender Hinweis war nicht entbehrlich. Das vorausgegangene Verfahren bot keine Anhaltspunkte dafür, dass die Berufung der Beklagten Erfolg haben werde. Die Berufungszulassung beruhte ausschließlich auf der Erwägung, dass der Mangel, der dem Bebauungsplan wegen des vom Verwaltungsgericht festgestellten Verstoßes gegen § 3 Abs. 2 BauGB anhaftete, inzwischen behoben worden war. Zwischen den Beteiligten wurde im Berufungsverfahren indes darüber gestritten, ob der Plan an weiteren Fehlern leide. Die Klägerin hatte keinen Anlass, die Anhörungsmitteilung vom 16. Juni 2003 als Signal dafür zu verstehen, durch ergänzendes Vorbringen der drohenden Klageabweisung vorzubeugen.
Der hierin liegende Verstoß gegen § 130a VwGO ist nicht deshalb irrelevant, weil die Klägerin mit Schriftsatz vom 30. Juni 2003 in Anknüpfung an ihre Ausführungen in der Berufungserwiderung vom 12. Mai 2003 nochmals Stellung genommen hat. Bei dieser Gelegenheit wiederholte sie nicht lediglich ihr früheres Vorbringen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 11. Oktober 1996 – BVerwG 6 B 32.96 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 374). Sie vertiefte ihren Vortrag; der Schriftsatz enthielt überdies auch zwei unbedingt gestellte Beweisanträge. Das Berufungsgericht hat es versäumt, sich mit diesen Anträgen auseinander zu setzen.
Darin liegt zwar kein Verstoß gegen § 86 Abs. 2 VwGO. Stellt ein Beteiligter nach Zugang der Anhörungsmitteilung Beweisanträge, so ist diese auf das Verfahren mit mündlicher Verhandlung zugeschnittene Vorschrift nicht anwendbar (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. November 1994 – BVerwG 8 B 176.94 – und vom 18. Juni 1996 – BVerwG 9 B 140.96 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nrn. 12 und 16). Dies entbindet das Gericht aber nicht von der Verpflichtung, rechtliches Gehör zu gewähren. Das geschieht in der Regel dadurch, dass es den Beteiligten durch eine erneute Anhörungsmitteilung i.S. des § 130a i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die unverändert beabsichtigte Verfahrensweise hinweist und auf diesem Wege zum Ausdruck bringt, dass es dem Beweisantrag nicht nachgehen werde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Februar 1993 – BVerwG 11 B 12.92 – Buchholz 310 § 133 VwGO ≪n.F.≫ Nr. 10). Durch dieses Erfordernis wird ebenso wie durch § 86 Abs. 2 VwGO sichergestellt, dass sich das Gericht vor der Sachentscheidung über die Entscheidungserheblichkeit des Beweisantrages schlüssig wird. Gleichzeitig wird dem Beteiligten, dem durch das erneute Anhörungsschreiben vor Augen geführt wird, dass das Gericht eine Beweiserhebung nicht für erforderlich hält, die Möglichkeit eröffnet, sich auf diese prozessuale Lage einzustellen und seinen Sachvortrag zu ergänzen oder zu erweitern (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. August 1995 – BVerwG 3 B 7.95 – Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 91 – und vom 21. Januar 2000 – BVerwG 9 B 614.99 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46). Eine weitere Anhörung erübrigt sich nur dann, wenn der Beweisantrag unsubstantiiert oder aus sonstigen Gründen rechtlich unerheblich ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18. Juni 1996 – BVerwG 9 B 140.96 – und vom 11. Oktober 1996 – BVerwG 6 B 32.96 – a.a.O.). Auch in diesem Falle aber darf das Gericht den Antrag nicht gänzlich außer Acht lassen. Vielmehr muss es im Rahmen der Sachentscheidung darlegen, aus welchen prozessrechtlichen Erwägungen es sich erübrigte, ihm weiter nachzugehen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. April 1999 – BVerwG 8 B 150.98 – und vom 27. Dezember 2001 – BVerwG 1 B 361.01 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nrn. 37 und 56).
Dieser Verpflichtung ist das Berufungsgericht nicht nachgekommen. Die Beweisanträge der Klägerin werden in dem angefochtenen Beschluss nicht erwähnt. Diese Unterlassung lässt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, sie seien so unsubstantiiert oder für die Entscheidung so offensichtlich unerheblich gewesen, dass sie hätten unberücksichtigt bleiben dürfen. Der unter Beweis gestellten Tatsache, dass es Einzelhandelsbetriebe, die nur der Versorgung der Beschäftigten in einem bestimmten Gewerbegebiet mit Lebensmitteln und Drogeriewaren zum Ge- und Verbrauch während der Tätigkeit im Gewerbegebiet dienen, in der wirtschaftlichen und sozialen Realität nicht gibt, hat das Berufungsgericht freilich insofern Rechnung getragen, als es zugunsten der Klägerin unterstellt hat, dass es für die textliche Festsetzung Ziffer 2.4 an einer Rechtsgrundlage fehle. Dagegen ist es bei der Erörterung der Frage, ob ein etwaiger Wegfall der Ziffer 2.4 den in Ziffer 1 der textlichen Festsetzungen vorgesehenen Einzelhandelsausschluss unberührt lässt, dem Vorbringen der Klägerin nicht gerecht geworden. Für den Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben führt es die planerische Absicht der Beklagten ins Feld, ein auf “höherwertige Nutzungen” beschränktes Gewerbegebiet zu schaffen, das neben dem Dienstleistungssektor solchen produzierenden Betrieben zur Verfügung steht, die, wie etwa die Anfertigung von Mustern oder speziellen Modulen im IT-Bereich, der Nanotechnik und der Biotechnologie, hiermit vereinbar sind. Die Klägerin macht demgegenüber geltend, dass sich das Planungsziel, das Gebiet vornehmlich der Büronutzung und der Erbringung von Dienstleistungen vorzubehalten, mit den durch den Bebauungsplan rechtlich eröffneten Nutzungsmöglichkeiten nicht erreichen lässt. Sie gibt unter Hinweis darauf, dass das Spektrum der zulassungsfähigen Betriebe, das u.a. außer Vergnügungsstätten alle Gewerbebetriebe umfasst, die i.S. von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO allgemein zulässig sind, zu bedenken, dass der Plan weithin Raum auch für die Verwirklichung “minderwertiger” Nutzungen lässt. Der Bemerkung des Berufungsgerichts, dass es die Beklagte in der Hand habe, “mit dem Instrumentarium des § 15 BauNVO mit dem Gebietscharakter nicht vereinbare Ansiedlungen zu verhindern”, setzt die Klägerin in Anknüpfung an ihre im Schriftsatz vom 30. Juni 2003 unter Beweis gestellte Behauptung, der Bebauungsplan sei kein geeignetes Mittel für die Abwehr “minderwertiger” Nutzungen, die Feststellung entgegen, dass in dem Gebiet außer Autohäusern und Tankstellen sonstige Gewerbebetriebe vorhanden sind, die nicht in dem vom Berufungsgericht verstandenen Sinne als “hochwertige” Nutzungen angesehen werden können. Sie werte die Ziffer 2.4 der textlichen Festsetzungen als Beleg dafür, dass das Plangebiet nicht von jeglicher Einzelhandelsnutzung hat freigehalten werden sollen, darüber hinaus aber auch als Indiz dafür, dass die Beklagte sich der Einzelhandelsthematik in anderer Weise angenommen hätte, wenn ihr bewusst gewesen wäre, dass sich der von ihr eingeschlagene Weg als nicht gangbar erweist.
Auf der Grundlage des dieser Problematik gewidmeten Beweisantrages im Schriftsatz vom 30. Juni 2003 hatte das Berufungsgericht Anlass, den Sachverhalt unter dem von der Klägerin angesprochenen Blickwinkel näher zu prüfen. Die angefochtene Entscheidung, die insoweit jegliche Auseinandersetzung vermissen lässt, genügt in diesem Punkt nicht dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Dieser Verstoß stellt einen absoluten Revisionsgrund i.S. des § 138 Nr. 3 VwGO dar (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. November 1994 – BVerwG 1 B 42.94 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 11 und vom 19. April 1999 – BVerwG 8 B 150.98 – a.a.O.). Da es aus diesem Grunde nicht darauf ankommt, ob sich die Entscheidung des Berufungsgerichts sonst als richtig erweist, macht der Senat im Interesse der Verfahrensbeschleunigung nach § 133 Abs. 6 VwGO von der Möglichkeit Gebrauch, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Halama, Prof. Dr. Rojahn
Fundstellen