Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Wiedereinsetzung. Prozesskostenhilfe. Rechtsanwalt der Wahl. Beiordnung
Leitsatz (amtlich)
Im sog. Anwaltsprozess gehört die Benennung eines Rechtsanwalts ihrer Wahl (vgl. § 121 Abs. 1 ZPO) ebenso zu den Pflichten einer Prozesskostenhilfe beantragenden Partei wie die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 117 Abs. 2 ZPO. Die Benennung kann jedoch im Unterschied zu dem ordnungsgemäßen Prozesskostenhilfeantrag, der innerhalb der Klage- bzw. Rechtsmittelfrist zu stellen ist, noch innerhalb der durch die Prozesskostenhilfebewilligung ausgelösten Wiedereinsetzungsfrist (§ 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO) nachgeholt werden.
Normenkette
VwGO § 60 Abs. 1, § 67 Abs. 1, § 166; ZPO §§ 117, 121
Verfahrensgang
VG Potsdam (Urteil vom 29.07.2003; Aktenzeichen 7 K 1729/99) |
Tenor
Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für die Revisionsinstanz bewilligt.
Gründe
Auf seinen Antrag ist dem Kläger Prozesskostenhilfe für die Revisionsinstanz zu bewilligen. Er hat dargetan, dass er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die beabsichtigte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 29. Juli 2003 hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
1. Der Kläger hat durch Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und Vorlage entsprechender Belege (§ 117 Abs. 2 ZPO) nachgewiesen, dass er die Kosten für die Prozessführung nicht aufbringen kann.
2. Die beabsichtigte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint auch nicht mutwillig; sie kann noch in zulässiger Weise eingelegt werden (a) und bietet auch materiellrechtlich Aussicht auf Erfolg (b).
a) Zwar ist die in § 133 Abs. 2 Satz 1 VwGO bestimmte Beschwerdefrist von einem Monat mittlerweile versäumt. Dem Kläger kann jedoch für die noch einzulegende Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist gewährt werden, weil er bislang ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war (§ 60 Abs. 1 VwGO). Das folgt aus dem Umstand, dass er nicht selbst in der Lage ist, die Kosten für die Prozessführung in der Revisionsinstanz aufzubringen. Da der Senat erst mit dem vorliegenden Beschluss über den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe entscheidet, dauert dieses Hindernis bis zum heutigen Tage an.
aa) Ist – wie hier – einer Partei wegen ihrer Mittellosigkeit die fristgerechte Einlegung eines Rechtsmittels durch einen Rechtsanwalt (§ 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht zuzumuten, so darf allerdings Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO nur dann gewährt werden, wenn die Partei bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist ein vollständiges Prozesskostenhilfegesuch mit allen dazugehörigen Unterlagen eingereicht hat und dieses lediglich nicht innerhalb der Frist beschieden worden ist (vgl. Beschluss vom 23. Mai 1985 – BVerwG 7 C 4.85 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 147; BSG, MDR 1974, 965; BGH, MDR 1989, 720; ferner: Meyer, NJW 1995, 2139; Redeker/v. Oertzen, VwGO, 13. Aufl. § 60 Rn. 9; Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 60 Rn. 17, 35). Denn nur unter diesen formellen Voraussetzungen hat die Partei alles getan, was von ihr zur Wahrung der Frist erwartet werden konnte, und ist es gerechtfertigt, die dennoch eingetretene Fristversäumnis als unverschuldet anzusehen. Das der Rechtsverfolgung entgegenstehende Hindernis der Mittellosigkeit entfällt, wenn das Gericht dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stattgibt, weil die mittellose Partei dadurch in die Lage versetzt wird, das Rechtsmittel einzulegen und zu diesem Zweck einen Prozessvertreter zu beauftragen. Zugleich beginnt die in § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO bestimmte Wiedereinsetzungsfrist von zwei Wochen zu laufen, innerhalb derer gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO die Einlegung des Rechtsmittels nachgeholt werden muss (vgl. Beschluss vom 2. April 1992 – BVerwG 5 B 50.92 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 177).
Welche Unterlagen und Angaben der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe enthalten muss, ergibt sich aus § 117 ZPO. Danach ist dem Antrag eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst entsprechenden Belegen beizufügen (§ 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Dabei hat die mittellose Partei sich eines Vordrucks zu bedienen (§ 117 Abs. 3 ZPO). Außerdem ist in dem Antrag das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen (§ 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Diesen Anforderungen hat der Kläger rechtzeitig genügt. Seinem Prozesskostenhilfegesuch waren zwar zunächst nicht die Erklärung nach § 117 Abs. 2 ZPO und die zugehörigen Belege beigefügt. Er hat jedoch diese Unterlagen nach entsprechender Aufforderung durch das Gericht bis zum Ablauf der Beschwerdefrist nachgereicht.
bb) Der Umstand, dass der Kläger innerhalb der Rechtsmittelfrist zwar einen ordnungsgemäßen Prozesskostenhilfeantrag gestellt, nicht aber – obwohl das Gericht ihn auch über diese Notwendigkeit belehrt hatte – den ihm beizuordnenden Rechtsanwalt benannt hat, steht der Gewährung der Wiedereinsetzung nicht entgegen.
Wie sich aus § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergibt, muss sich der Kläger bei der beabsichtigten Rechtsverfolgung vor dem Bundesverwaltungsgericht durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule vertreten lassen. Gemäß § 121 ZPO wird der mittellosen Partei, wenn die Vertretung durch Anwälte vorgeschrieben ist, im Zusammenhang mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe “ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet”. Daraus folgt, dass im sog. Anwaltsprozess die Benennung des beizuordnenden Rechtsanwalts ebenso zu den Pflichten der Prozesskostenhilfe beantragenden Partei gehört wie die Vorlage der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemäß § 117 Abs. 2 ZPO. Nur im Falle, dass die Partei keinen zur Vertretung bereiten Anwalt findet, wird ihr auf Antrag durch den Vorsitzenden ein von diesem zu bestimmender Rechtsanwalt beigeordnet (§ 121 Abs. 5 ZPO).
Im Unterschied zu dem Erfordernis eines sowohl ordnungsgemäßen als auch fristgerechten Prozesskostenhilfeantrags muss die mittellose Partei zur Erhaltung ihres Wiedereinsetzungsanspruchs nach § 60 VwGO den ihr beizuordnenden Rechtsanwalt nicht schon innerhalb der Rechtsmittelfrist benennen (ebenso VGH Mannheim, DÖV 2002, 579; a.A. OVG Münster, DVBl 2001, 1226). Denn mit einer solchen Fristbindung auch der Benennungspflicht würde ihr der Zugang zur Rechtsmittelinstanz in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert (vgl. BVerfGE 69, 381 ≪385≫), weil durch eine spätere Benennung weder Allgemeininteressen noch die berechtigten Belange des Rechtsmittelgegners ernstlich beeinträchtigt werden:
Hat die mittellose Partei innerhalb der Rechtsmittelfrist das nach Maßgabe von § 117 ZPO vollständige Prozesskostenhilfegesuch angebracht, so hat sie damit die Grundlage für die gerichtliche Prozesskostenhilfeentscheidung geschaffen. Das Gericht ist in die Lage versetzt, die in § 114 ZPO normierten Voraussetzungen – Mittellosigkeit der Partei und Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung – zu beurteilen. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, so steht im Anwaltsprozess gemäß § 121 ZPO zugleich fest, dass ein Rechtsanwalt beizuordnen ist; eines Beiordnungsantrags bedarf es dazu nicht. Wird der Rechtsanwalt benannt, so erweist sich dessen Beiordnung als eine selbstverständliche Folgeentscheidung, die für das Gericht nicht mit einem weiteren Prüfungsaufwand verbunden ist. Unter diesen Umständen erscheint es geboten, von der mittellosen Partei die Benennung des Rechtsanwalts nicht schon stets bei der Beantragung von Prozesskostenhilfe innerhalb der Rechtsmittelfrist – und damit gewissermaßen vorsorglich für den Fall des Erfolgs ihres Antrags – zu erwarten, sondern ihr stattdessen auch die Nachholung der Benennung zu einem späteren Zeitpunkt, und zwar selbst und gerade noch nach der Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu gestatten. Denn das Gesetz verlangt nicht, dass die Beiordnung des Rechtsanwalts stets mit der Bewilligung der Prozesskostenhilfe verbunden wird; es lässt vielmehr auch eine nachträgliche Beiordnung zu.
Nennenswerte Verzögerungen, die dem an der Beendigung des Schwebezustands interessierten Rechtsmittelgegner nicht zuzumuten und auch dem Gedanken der Rechtssicherheit abträglich sind, sind mit einer solchen nachträglichen Beiordnung nicht verbunden. Hat die mittellose Partei den Beschluss erhalten, mit dem ihr Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, so wird es ihr nicht schwer fallen, einen Rechtsanwalt zu finden, der sie vertritt. Dieser weiß, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussichten auf Erfolg bietet und dass der Staat seine Vergütung gewährleistet. Legt er das Rechtsmittel innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist ein, so ist zwar die Entscheidung des Gerichts über den Prozesskostenhilfeantrag um die bislang ausstehende Beiordnung zu ergänzen. Dies wirft aber keine Schwierigkeiten auf und führt insbesondere nicht zur Verzögerung der Sachentscheidung über das Rechtsmittel selbst.
Durch die Zulassung der Anwaltsbenennung nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird die mittellose Partei nicht gegenüber einem bemittelten Rechtsmittelführer ungerechtfertigt bevorzugt. Letzterer muss durch einen die Frist wahrenden Anwaltsschriftsatz das Rechtsmittel einlegen. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts ist ihm zuzumuten, weil er – anders als die mittellose Partei – dazu finanziell imstande ist und das sich im Unterliegensfalle realisierende Kostenrisiko tragen kann. Die mittellose Partei muss hingegen anstelle der rechtzeitigen anwaltlichen Rechtsmitteleinlegung bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist ein ordnungsgemäßes Prozesskostenhilfegesuch einreichen. Hinzukommen muss – nach Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe – die Nachholung der anwaltlichen Rechtsmitteleinlegung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist. Erst aufgrund der Bewilligung der Prozesskostenhilfe hat die mittellose Partei die Gewissheit, dass die beabsichtigte
Rechtsverfolgung nicht an ihrer Mittellosigkeit scheitert und dass sie auf Kosten des Staates einen Rechtsanwalt mit der Einlegung des Rechtsmittels und der weiteren Prozessführung beauftragen kann.
Die Rechtslage stellt sich auch dann nicht wesentlich anders dar, wenn die vom Gesetzgeber in § 121 Abs. 5 ZPO geregelte Möglichkeit mitbedacht wird, dass die mittellose Partei trotz Bemühungen keinen vertretungsbereiten Rechtsanwalt findet. Sofern nach der Bewilligung der Prozesskostenhilfe wider Erwarten dieses zusätzliche Hindernis bei der Rechtsverfolgung eintritt, hat die mittellose Partei bis zum Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist einen Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts durch den Vorsitzenden gemäß § 121 Abs. 5 ZPO zu stellen und dabei geltend zu machen, sie habe alles ihr Zumutbare getan, um sich durch einen Anwalt vertreten zu lassen (vgl. zu der mit § 121 Abs. 5 ZPO vergleichbaren Vorschrift des § 78 b ZPO Beschluss vom 28. Juli 1999 – BVerwG 9 B 333.99 – NVwZ-RR 2000, 59). Der Vorsitzende kann in einem solchen Fall alsbald nach der Antragstellung den Anwalt bestimmen und der mittellosen Partei beiordnen. Zwar wird zu diesem Zeitpunkt regelmäßig nicht nur die Rechtsmittelfrist, sondern darüber hinaus auch die Wiedereinsetzungsfrist verstrichen sein. Doch nimmt auch diese doppelte Fristversäumnis dem von dem beigeordneten Anwalt einzulegenden Rechtsmittel nicht von vornherein die Erfolgsaussichten. Denn das Gericht wird unter den genannten Voraussetzungen neben der Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist zusätzlich die ebenfalls fristgebundene Wiedereinsetzung in die weiterhin verstrichene Wiedereinsetzungsfrist in Betracht zu ziehen haben (vgl. dazu Beschluss vom 5. September 1985 – BVerwG 5 C 33.85 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 149). Der Rechtsstreit bleibt mithin auch im Falle eines ausnahmsweise nachträglich erforderlich werdenden Beiordnungsantrags gemäß § 121 Abs. 5 ZPO nicht auf unabsehbare Zeit in der Schwebe.
b) Die noch einzulegende Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat auch in der Sache Aussicht auf Erfolg. Aus dem angefochtenen Urteil und dem sonstigen Akteninhalt ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht die ständige Senatsrechtsprechung zum abgestuften Prüfungsverfahren in Kriegsdienstverweigerungssachen und zur Notwendigkeit der förmlichen Vernehmung des Kriegsdienstverweigerers als Partei unbeachtet gelassen hat (vgl. dazu etwa Beschluss vom 7. September 1995 – BVerwG 6 B 32.95 – Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 7 sowie Beschluss vom 24. September 2003 – BVerwG 6 B 34.03 – jeweils m.w.N.).
Unterschriften
Bardenhewer, Büge, Graulich
Fundstellen
ZAP 2004, 697 |
DÖV 2004, 537 |
DVBl. 2004, 836 |