Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 20.07.2022; Aktenzeichen 29 K 368.18) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. Juli 2022 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Klägerin begehrt die Feststellung ihrer Entschädigungsberechtigung für den verfolgungsbedingten Verlust der Anteile an dem Unternehmen Z. GmbH.
Rz. 2
An dem Unternehmen waren die M. AG, M. F. sowie A. D. und - nach dessen Tod 1937 - seine Erben in unterschiedlichem Umfang beteiligt. Im Jahr 1938 verkauften die Gesellschafter ihre jeweiligen Geschäftsanteile an die Bergwerksgesellschaft G. v. G. In allen Verträgen wurden die jeweiligen Veräußerer als Juden im Sinne der nationalsozialistischen Gesetzgebung bezeichnet.
Rz. 3
Mit Bescheid vom 29. November 2018 lehnte das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (im Folgenden: Bundesamt) die Anträge der Klägerin auf Rückgabe oder Entschädigung des Unternehmens ab und behielt die Feststellung der Berechtigung der Klägerin hinsichtlich der genannten Unternehmensbeteiligungen einem gesonderten Bescheid vor. Mit Bescheid vom 26. November 2019 lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerin auf Rückübertragung oder Entschädigung wegen des Verlusts der Beteiligungen ab.
Rz. 4
Der hiergegen gerichteten Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Da keine Anmeldung originär Berechtigter vorliege, gelte die Klägerin gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG als Berechtigte. Die Veräußerung der Gesellschaftsanteile stelle einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust durch Zwangsverkäufe im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG dar. Die Klägerin habe den Anspruch auch wirksam angemeldet. Allerdings sei lediglich der Verlust des Geschäftsanteils des A.D. nach § 30 Abs. 1 Satz 1 VermG wirksam angemeldet worden, da nur dieser, nicht jedoch der Verlust der beiden anderen Geschäftsanteile von der Globalanmeldung ANM-3 der Klägerin erfasst werde. Deren Anmeldung mit Schreiben vom Januar 2000 sei jedoch in entsprechender Anwendung des § 1 Abs. 1a NS-VEntschG als ausreichend anzusehen. Eine unmittelbare Anwendung von § 1 Abs. 1a Satz 1 und 2 NS-VEntschG scheide aus, weil die Geschäftsanteile zwar mit Schreiben vom Januar 2000 benannt worden seien, die Klägerin aber nicht ausdrücklich Entschädigung gewählt habe. Darauf könne die Beklagte sich jedoch nicht berufen, da der Klägerin wegen einer unzutreffenden behördlichen Auskunft zur Notwendigkeit einer solchen Erklärung insoweit Nachsicht zu gewähren sei.
Rz. 5
Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde der Beklagten.
Rz. 6
Die Beschwerde ist unbegründet. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 ≪n. F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Rz. 7
1. Die von der Beklagten aufgeworfene Frage,
"Muss eine Akte, auf die in der Globalanmeldung 3 der Klägerin/Beschwerdegegnerin Bezug genommen wird, einen Hinweis auf einen konkreten Schädigungstatbestand enthalten oder ist es ausreichend, dass sich aus der Akte ein Sachverhalt ergibt, der auf eine mögliche Schädigung hindeutet bzw. der das Vorliegen einer Schädigung vermuten lässt?",
würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz beide Anforderungen erfüllt sind.
Rz. 8
Das Verwaltungsgericht hat hinsichtlich des Gesellschaftsanteils von A. D. und seiner Erben festgestellt, dass die von der Globalanmeldung ANM-3 der Klägerin in Bezug genommenen Akten einen Hinweis auf einen konkreten Schädigungstatbestand - nämlich den Totalverlust des Vermögens mit dem Widerruf der Einbürgerung - enthalten. Damit ergibt sich aus diesen Akten zugleich ein Sachverhalt, "der auf eine mögliche Schädigung hindeutet bzw. der das Vorliegen einer Schädigung vermuten lässt".
Rz. 9
Sofern die Beklagte ihre Frage dahin verstanden wissen will, ob eine wirksame Anmeldung durch die Globalanmeldung ANM-3 voraussetzt, dass sich aus den dort in Bezug genommenen Akten und Unterlagen Hinweise auf den tatsächlich verwirklichten Schädigungstatbestand ergeben, besteht kein revisionsrechtlicher Klärungsbedarf, weil diese Frage ohne Weiteres anhand der allgemein anerkannten Auslegungsregeln unter Berücksichtigung der bereits ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung - verneinend - aus dem Gesetz zu beantworten ist.
Rz. 10
Nach der Entstehungsgeschichte (vgl. BT-Drs. 12/2944 S. 55) und dem Sinn und Zweck des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG setzt ein fristwahrender Restitutionsantrag nach § 30 Abs. 1 Satz 1 VermG voraus, dass die Anmeldung hinsichtlich der Person des Berechtigten und in Bezug auf den zurückverlangten Vermögenswert individualisierbar ist. Sie muss den Antragsgegenstand so genau bezeichnen, dass zumindest im Wege der Auslegung ermittelt werden kann, was der Antragsteller beansprucht. Dazu genügt wegen der Möglichkeit nachträglicher Konkretisierung nach § 31 Abs. 1b VermG, dass die Angaben in der Anmeldung zu einem bestimmten Vermögenswert oder bestimmten Vermögenswerten hinführen und damit deren späteren Austausch oder die Möglichkeit einer späteren Substantiierung durch einen beliebigen Vermögenswert ausschließen. Die Globalanmeldung - Anmeldung 3 - vom 22. Dezember 1992 (ANM-3) mit den ihr beigefügten Anlagen entspricht diesen Anforderungen, soweit sie auf bestimmte Akten und Unterlagen verweist, aus denen sich der beanspruchte Vermögenswert und das Eigentum eines Juden ergeben (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Oktober 2003 - 7 C 62.02 - BVerwGE 119, 145 ≪152 ff.≫, vom 3. November 2005 - 7 C 24.04 - Buchholz 428 § 30a VermG Nr. 34 Rn. 23 und vom 13. Dezember 2006 - 8 C 3.06 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 39 Rn. 20). Diese Voraussetzungen sind unter anderem erfüllt, wenn sich aus den Akten ein Anstoß oder Hinweis ergibt, dass sie eine Entziehung oder einen Zwangsverkauf eines jüdischen Vermögenswertes zum Gegenstand haben und dass dieser im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen belegen sein kann (BVerwG, Urteile vom 24. November 2004 - 8 C 15.03 - BVerwGE 122, 219 ≪229≫, vom 13. Dezember 2006 - 8 C 3.06 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 39 Rn. 20 und vom 28. November 2007 - 8 C 12.06 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 41 LS u. Rn. 20 ff.). Dagegen ist nicht erforderlich, dass der Anmeldung bereits eine schlüssige Darlegung der tatsächlich eingetretenen Schädigung zu entnehmen ist. Ob, in welcher Weise und zu welchem Zeitpunkt eine Schädigung des Vermögenswertes im Sinne des § 1 VermG eintrat, ist als Voraussetzung der Begründetheit des Antrags im Verwaltungsverfahren nach § 31 Abs. 1 VermG von Amts wegen zu klären (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. August 2016 - 8 B 26.15 - juris Rn. 6). Erneuten oder weiteren Klärungsbedarf zeigt die Beschwerdebegründung dazu nicht auf.
Rz. 11
2. Die weiter aufgeworfene Frage,
"Ist die vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung zur Nachsichtgewährung in den Fällen einer Versäumnis der Anmeldefrist nach §§ 30 und 30a VermG auch auf Fälle der Anmeldung/Präzisierung nach § 1 Abs. 1a NS-VEntschG anwendbar?",
ist ebenfalls nicht klärungsbedürftig, da sie sich ohne Weiteres auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung bejahen lässt.
Rz. 12
Dort ist anerkannt, dass sich Behörden unter bestimmten engen Voraussetzungen nicht auf den Ablauf einer die weitere Rechtsverfolgung abschneidenden oder die Anspruchsberechtigung vernichtenden Ausschlussfrist berufen dürfen. Diese Ausnahmen lassen sich nicht allgemeingültig, sondern nur für den Regelungsbereich, in dem die Ausschlussfrist gilt, und im Blick auf die ihr dort zugemessene Funktion bestimmen. Im Bereich des Vermögensrechts ist eine solche Ausnahme jedenfalls dann anzunehmen, wenn erstens die Versäumung der Anmeldefrist auf staatliches Fehlverhalten bei der Anwendung von Rechtsvorschriften zurückzuführen ist, ohne deren korrekte Beachtung der Anmelder seine Rechte nicht wahren kann, und wenn zweitens durch die Berücksichtigung der Zweck des § 30a VermG nicht verfehlt würde (BVerwG, Urteile vom 28. März 1996 - 7 C 28.95 - BVerwGE 101, 39 ≪45≫ m. w. N. und vom 29. Juli 2009 - 8 C 8.08 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 44 Rn. 26).
Rz. 13
Diese aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen abgeleitete Rechtsprechung lässt sich ohne Weiteres auch auf die Fristen des § 1 Abs. 1a NS-VEntschG übertragen. § 1 Abs. 1a Satz 1 NS-VEntschG bezieht sich ausdrücklich auf die Anmeldefrist nach § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG und bewirkt, dass diese einem allein auf Entschädigung beschränkten Anspruch nicht mehr entgegengehalten werden kann. Gleichzeitig regelt § 1 Abs. 1a NS-VEntschG in Satz 1 eine Frist für die abschließende Konkretisierung noch nicht benannter Vermögenswerte sowie in Satz 2 eine Frist für die unbedingte und eindeutige Beschränkung des Anspruchs auf Entschädigung im Fall zuvor bereits benannter Vermögenswerte (vgl. BT-Drs. 15/5576 S. 5). Damit dient die Vorschrift in ähnlicher Weise wie § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG der Schaffung von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.
Rz. 14
Dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Bezeichnung des Vermögensgegenstands nach § 1 Abs. 1a NS-VEntschG höheren Anforderungen unterliegt als bei einem Antrag nach § 30 VermG, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Dies hat weder Einfluss auf den dargestellten Zusammenhang der Fristen in § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG und § 1 Abs. 1a NS-VEntschG noch auf den Sinn und Zweck der letztgenannten Frist.
Rz. 15
3. Schließlich führen auch die für den Fall der Bejahung der vorherigen Frage gestellten weiteren Fragen,
"Liegt ein staatliches Fehlverhalten, welches den Betroffenen an der Wahrung einer Ausschlussfrist hindert, nur dann vor, wenn eine Behörde eine pflicht- oder rechtswidrige Handlung vornimmt oder unterlässt oder kann ein solches staatliches Fehlverhalten bereits in einer auslegungsbedürftigen Mitteilung der Behörde bestehen?
Mit anderen Worten:
Liegt ein staatliches Fehlverhalten, welches den Betroffenen an der Wahrung einer Ausschlussfrist hindert, bereits dann vor, wenn eine Behörde eine rechtliche Mitteilung abgibt, die vom Empfänger in einer Weise gewürdigt werden kann, die sich später nach höchstrichterlicher Klärung als unzutreffend erweist?",
nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Rz. 16
In ihrer ersten Fassung würde sich die Frage im angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Das Verwaltungsgericht ist nicht davon ausgegangen, dass das zur Nachsichtgewährung führende staatliche Fehlverhalten hier (allein) in einer auslegungsbedürftigen Mitteilung der Behörde besteht. Vielmehr hat es den behördlichen Schreiben an die Klägerin vom 6. März und 4. April 2007 eine klare, rechtlich unzutreffende Auskunft zu der Frage entnommen, ob die Klägerin ihr Restitutionsbegehren hinsichtlich der bereits angemeldeten Unternehmensbeteiligungen noch ausdrücklich auf Entschädigung beschränken müsse.
Rz. 17
In der zweiten Fassung bedarf die Klärung der Frage nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass eine behördliche Auskunft richtig, klar, unmissverständlich und vollständig gegeben werden muss, so dass der Empfänger der Auskunft entsprechend disponieren kann. Für die Frage, ob eine amtliche Auskunft richtig und sachgerecht ist, kommt es entscheidend darauf an, wie sie von dem Empfänger aufgefasst wird und werden kann und welche Vorstellungen zu erwecken sie geeignet ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1980 - III ZR 23/79 - NJW 1980, 2573 ≪2574≫ m. w. N.). Jedenfalls bei behördlichen Mitteilungen zur Entbehrlichkeit von weiteren zur Wahrung einer materiellen Ausschlussfrist erforderlichen Verfahrenshandlungen an den Bürger kommt dem Umstand, dass die Fehlerhaftigkeit der Auskunft den Beteiligten erst nach höchstrichterlicher Klärung der Rechtslage bewusst geworden sein mag, keine Bedeutung zu.
Rz. 18
4. Auch die weiteren Ausführungen der Beklagten zur Fehlerhaftigkeit des angegriffenen Urteils im Hinblick auf die notwendige Unterscheidung zwischen dem Unternehmen und den Anteilen an dem Unternehmen sind nicht geeignet, zur Zulassung der Revision zu führen. Sie sind nach Art einer Berufungsbegründung abgefasst. Ein Revisionszulassungsgrund lässt sich ihnen nicht entnehmen.
Rz. 19
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15853041 |