Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 26.09.2013; Aktenzeichen 29 K 83.11) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 75 500 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin begehrt dem Grunde nach eine Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz (NS-VEntSchG) hinsichtlich einer früheren Beteiligung des jüdischen Aktionärs S. an der „Brauerei …” in D. In der Liste über die Aktienhinterlegung zur Teilnahme an der Generalversammlung des Unternehmens vom 13. Februar 1937 war eine Beteiligung des S. in Höhe von nominell 25 800 RM verzeichnet. Nach vorliegenden Unterlagen soll S. nach dreiwöchiger Haft am 6. Februar 1942 in einem KZ umgekommen sein. Er wurde laut Erbschein des Amtsgerichts Schöneberg vom 29. Januar 1963 von seiner Ehefrau …, die ausweislich eines weiteren Erbscheins desselben Gerichts vom 15. Februar 1963 am 8. Mai 1945 verstarb, und den beiden Töchtern beerbt. Das von der Klägerin verfolgte Begehren, die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom 15. Februar 2011 zu verpflichten festzustellen, dass der Klägerin wegen des Verlustes der Beteiligung des Herrn S. an der „Brauerei …” in D. in Höhe von nominell 25 800 RM Aktien dem Grunde nach eine Entschädigung nach Maßgabe des NS-VEntschG zusteht, hat das Verwaltungsgericht mit dem hier angegriffenen Urteil vom 26. September 2013 abgewiesen.
Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde der Klägerin, die sich allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft, hat keinen Erfolg. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 17. August 2009 – BVerwG 6 B 9.09 – NVwZ 2009, 1569 und vom 9. September 2011 – BVerwG 8 B 15.11 – juris). Daran fehlt es hier.
Die erste von der Klägerin in der Beschwerde aufgeworfene Frage:
„Kann die Anwendung der Vermutungsregel des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG auf eine rechtsgeschäftliche Übertragung eines Vermögenswertes damit verneint werden, dass zur Person des Erwerbers und zur von diesem erbrachten Gegenleistung nichts bekannt sei und deshalb eine bloß treuhänderische Übertragung nicht ausgeschlossen werden könne?”
ist für das angestrebte Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich und damit nicht klärungsbedürftig. Denn in dieser Frage wird unterstellt, dass eine rechtsgeschäftliche Übertragung des in Rede stehenden Vermögenswertes stattgefunden hat und dass dadurch ein Vermögensverlust eingetreten ist, hinsichtlich dessen Verursachung die Vermutungsregel des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG anzuwenden ist. Das Verwaltungsgericht hat aber bereits keinen Vermögensverlust im Sinne von § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG feststellen können (UA S. 6 ff.). Konkrete Informationen über den Verbleib der Aktien nach der Anmeldung zur Hauptversammlung vom 13. Februar 1937 hätten nicht ermittelt werden können. Es fehle an jeglicher Information zum Schicksal dieser Vermögenswerte ab Februar 1937. Durchgreifende Verfahrensrügen hat die Klägerin gegen diese vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen nicht erhoben.
Auch die zweite in der Beschwerde aufgeworfene Frage:
„Ist eine ‚Wahlfeststellung’ dergestalt zulässig, dass ein Vermögenswert (hier: Aktien) entweder durch ein der Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG unterliegendes Rechtsgeschäft aus dem Vermögen des Verfolgten ausgeschieden ist oder von einer späteren Legalenteignung nach der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 (RGBl. I S. 722) betroffen war?”
ist in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig.
Gemäß § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG wird zugunsten des Berechtigten ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust nach Maßgabe des II. Abschnitts der Anordnung BK/0 (49) 180 der Alliierten Kommandantur Berlin vom 26. Juli 1949 (VOBl. für Groß-Berlin I S. 221) – REAO – vermutet. Danach begründet die Verfolgteneigenschaft zugunsten des Berechtigten die Vermutung, dass ein Vermögensverlust durch in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 abgeschlossene Rechtsgeschäfte verfolgungsbedingt war (§ 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 REAO). Die Regelung erfasst nach ständiger Rechtsprechung aber nur „Rechtsgeschäfte” und die „Aufgabe” der Vermögensgegenstände (vgl. u.a. Beschlüsse vom 14. November 1996 – BVerwG 7 B 286.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 95 = juris Rn. 4 f. und vom 16. Dezember 2010 – BVerwG 8 B 17.10 – ZOV 2011, 81 = juris Rn. 11). Die Vermutungsregel bezieht sich dagegen nicht auf das Vorliegen eines Vermögensverlustes selbst. Hierfür gelten die allgemeinen Beweisregeln (Beschlüsse vom 29. Juli 2005 – BVerwG 7 B 21.05 – juris Rn. 3 und vom 16. Dezember 2010 a.a.O., Urteil vom 31. August 2006 – BVerwG 7 C 16.05 – Buchholz 428 § 31 VermG Nr. 12). Soweit keine anderweitige gesetzliche Regelung getroffen ist, geht die Unerweislichkeit von Tatsachen, aus denen eine Partei ihr günstige Rechtsfolgen herleitet, grundsätzlich zu ihren Lasten. Dies gilt auch bei der Anwendung des § 1 VermG (vgl. u.a. Beschluss vom 1. November 1993 – BVerwG 7 B 190.93 – Buchholz 112 § 1 VermG Nr. 11 und Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 11 [insoweit nicht abgedruckt] = aber juris Rn. 3; Urteile vom 24. März 1994 – BVerwG 7 C 11.93 – BVerwGE 95, 289 ≪294≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 20 m.w.N., vom 31. August 2006 – BVerwG 7 C 16.05 – Buchholz 428 § 31 VermG Nr. 12 und vom 16. Dezember 2010 a.a.O.).
Das Verwaltungsgericht ist im Rahmen seiner tatrichterlichen Würdigung des Sach- und Streitstandes im angegriffenen Urteil zu dem Ergebnis gelangt, dass es vorliegend an jeglicher Information zum Verbleib und zum Schicksal der hier in Rede stehenden Vermögenswerte (Aktien des S.) ab Februar 1937 fehlt. Das Verwaltungsgericht hat nicht nur erwogen, ob eine treuhänderische Übertragung der Aktien erfolgt sein könnte. Es hat zudem festgestellt, dass bis Ende 1937/Anfang 1938 ein Verkauf von – wie hier – börsennotierten Aktien über die Börse – und damit regelmäßig zum angemessenen Preis – auch für jüdische Aktionäre noch ohne Weiteres möglich gewesen sei (UA S. 8). Durchgreifende Verfahrensrügen gegen diese Feststellungen hat die Klägerin mit ihrer Beschwerde nicht erhoben.
Es bedarf angesichts dessen nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, dass ein Vermögensverlust durch einen Zwangsverkauf der Aktien oder eine Enteignung oder ein Vermögensverlust auf andere Weise im Sinne von § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG nicht einfach im Wege einer „Wahlfeststellung” unterstellt werden darf. Um einen Vermögensverlust durch eine „Legalenteignung” nach der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 feststellen zu können, hätte jedenfalls ermittelt und festgestellt werden müssen, dass das Aktienpaket nicht bereits vorher anderweitig aus dem Vermögen des Verfolgten ausgeschieden war.
Auch die dritte mit der Beschwerde angeführte Frage:
„Überspannt es die Beweisanforderungen, wenn von einem jüdischen Antragsteller – der das Eigentum an einem Aktienpaket seines Rechtsvorgängers im Jahre 1937 nachgewiesen hat – verlangt wird nachzuweisen, dass sein Rechtsvorgänger die Aktien nicht auf einen Treuhänder übertragen hat, bevor die Voraussetzungen der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz eingetreten sind (Deportation)?”
wirft keine höchstrichterlich noch ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts auf, die in dem angestrebten Revisionsverfahren zu klären wäre. Die Klägerin geht insoweit bereits von falschen Voraussetzungen aus. Das Verwaltungsgericht hat von ihr nicht den Nachweis einer Nicht-Übertragung der Aktien durch ihren Rechtsvorgänger auf einen Treuhänder verlangt. Es hat vielmehr im Rahmen der Prüfung des Verbleibs und des Schicksals der Aktien des S. nach dem 13. Februar 1937 lediglich auf die Möglichkeit hingewiesen, dass an Stelle eines Vermögensverlustes im Sinne des Vermögensrechts (§ 1 Abs. 1 NS-VEntschG i.V.m. § 1 Abs. 6 VermG) auch andere Möglichkeiten in Betracht gezogen werden müssen. Neben einem freihändigen Verkauf der börsennotierten Aktien über die Börse hat es dabei unter anderem auch eine Übertragung an einen Treuhänder ohne vermögensrechtliche Schädigung des Eigentümers der Aktien erwogen. Das ändert aber nichts daran, dass es für den Erfolg des Klagebegehrens allein darauf ankam, ob die Klägerin nach den einschlägigen Beweisregeln einen Vermögensverlust durch Zwangsverkauf, Enteignung oder auf andere Weise (§ 1 Abs. 6 VermG) nachweisen konnte, auf den dann hinsichtlich der Verfolgungsbedingtheit die Vermutungsregel des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG hätte Anwendung finden können.
Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 und § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (GA Band I Blatt 39), gegen die die Beteiligten keine Einwände erhoben haben.
Unterschriften
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert, Dr. Deiseroth, Dr. Rudolph
Fundstellen