Entscheidungsstichwort (Thema)
Wehrdienst. Befreiung. Dritt-Brüder-Regelung. Zeitsoldat. freiwillig verlängerter Wehrdienst. Gleichbehandlung
Leitsatz (amtlich)
Die “Dritt-Brüder-Regelung” nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG verstößt auch mit Blick darauf nicht gegen den Gleichheitssatz, dass Soldaten auf Zeit in der ehemaligen NVA sich auf mindestens drei Jahre zum Wehrdienst verpflichten mussten.
Zur Vereinbarkeit der ausschließlich Männer betreffenden Wehrpflicht mit der Richtlinie 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen.
Normenkette
EWGRL 207/76; GG Art. 3 Abs. 2-3; WPflG § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 3; VwGO § 132 Abs. 2 Nrn. 1, 3
Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 26.02.2002; Aktenzeichen 23 A 16.01) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. Februar 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf die Grundsatz- (1.) und Verfahrensrüge (2.) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist weder hinsichtlich der Geltung und Auslegung von § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG (a), noch hinsichtlich eines etwaigen Verstoßes gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht (b) gegeben, denn die aufgeworfenen Fragen sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt.
Die Beschwerde ist der Ansicht, das Bundesverwaltungsgericht habe sich zwar mit der Verfassungsmäßigkeit der sog. Dritt-Brüder-Regelung in § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG bereits auseinander gesetzt, habe aber den Aspekt, dass Zeitsoldaten mit der Mindestverpflichtungsdauer von drei Jahren in der ehemaligen DDR keine qualitativ oder quantitativ höherwertigen Vorteile gehabt hätten als Zeitsoldaten in der Bundesrepublik mit der Mindestverpflichtungsdauer von zwei Jahren, unberücksichtigt gelassen, so dass die Frage, ob die Norm aus diesem Grunde verfassungswidrig sei, nach wie vor einer höchstrichterlichen Klärung bedürfe.
Das Bundesverwaltungsgericht hat wiederholt entschieden, dass es sich bei der sog. Dritt-Brüder-Regelung in § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG um eine abschließende Regelung handelt, die auch mit Blick auf die deutsche Vereinigung und die Situation in den neuen Bundesländern keine im Wege der Analogie ausfüllungsbedürftige Lücke enthält und mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist (Urteil vom 14. März 1997 – BVerwG 8 C 22.96 – Buchholz 448.0 § 11 WPflG Nr. 40; Beschluss vom 2. Juni 2000 – BVerwG 6 B 29.00 – Buchholz 448.0 § 11 WPflG Nr. 42). § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG ist eine zugleich typisierende und differenzierende Regelung. Wenn der Gesetzgeber im Rahmen der sog. Dritt-Brüder-Regelung Grundwehrdienst und Zivildienst von der jeweiligen gesetzlichen Dauer stets, Wehrdienst von Soldaten auf Zeit aber nur bei einer Höchstdauer von zwei Jahren berücksichtigt wissen will, so bringt er damit zum Ausdruck, dass er einen länger dauernden Wehrdienst bei dieser Soldatengruppe nicht mehr ausschließlich als Dienst an der Gemeinschaft, sondern als am individuellen beruflichen Fortkommen orientierte Tätigkeit wertet, welche eine familienpolitisch motivierte Privilegierung nicht gebietet (Beschluss vom 2. Juni 2000, a.a.O.). Dies gilt auch für den aufgrund freiwilliger Verpflichtung länger als zwei Jahre als Zeitsoldat geleisteten Wehrdienst in der DDR. Auch wenn die kürzeste mögliche Verpflichtungszeit in der NVA drei Jahre betragen hat, ändert das nichts daran, dass eine Verpflichtung als Zeitsoldat in der DDR berufliche und finanzielle Vorteile mit sich brachte, die den nur Grundwehrdienst leistenden Wehrpflichtigen verschlossen waren (Urteil vom 14. März 1997, a.a.O.). Der Gesetzgeber hat sich daher im Rahmen des ihm auch mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG eingeräumten Gestaltungsspielraums dafür entschieden, bei der “Dritt-Brüder-Regelung” in der Bundesrepublik und der DDR geleisteten Wehrdienst gleich zu behandeln. Ein Bruder, der in der Bundesrepublik länger als zwei Jahre als Soldat auf Zeit Wehrdienst geleistet hat, bleibt im Rahmen von § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG ebenso unberücksichtigt wie ein Bruder, der in der DDR länger als zwei Jahre Soldat auf Zeit war. Dies bedeutet freilich, dass die auf Zeitsoldaten bezogene Variante der Regelung bei Geschwistern, die in der DDR Wehrdienst geleistet haben, wegen der Mindestverpflichtungsdauer von drei Jahren nicht zum Tragen kommt. Die Erwägung des Gesetzgebers ging ersichtlich dahin, dass eine freiwillige Dienstverpflichtung bei einer verhältnismäßig kurzen Dauer von nicht mehr als zwei Jahren eine noch starke Affinität zur staatsbürgerlichen Belastung mit dem Grundwehrdienst beinhaltet, während bei freiwilligen Verpflichtungen von längerer Dauer – seien sie in der DDR oder in der Bundesrepublik erfolgt – das berufliche Fortkommen im Vordergrund stand. Diese Bewertung des Gesetzgebers ist mit Rücksicht auf dessen Einschätzungsprärogative auch dann als sachlich gerechtfertigt hinzunehmen, wenn eine andere, den Besonderheiten im Beitrittsgebiet eher entgegenkommende Beurteilung ebenfalls vertretbar gewesen wäre.
Die Beschwerde hält ferner für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die einseitig zu Lasten von Männern bestehende Wehrpflicht nicht gegen die Richtlinie 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen vom 9. Februar 1976 (ABl EG Nr. L 39 S. 40) verstoße. Auch diese Frage kann die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung des Rechtsstreits nicht rechtfertigen.
Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 10. November 1999 – BVerwG 6 C 30.98 – (BVerwGE 110, 40, 57) unter Bezugnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Oktober 1999 – Rs. C-273/97 – (NJW 2000, 499) festgestellt, dass Fragen der Wehrpflicht nicht dem Anwendungsbereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts und damit auch nicht demjenigen der Richtlinie 76/207/EWG unterfallen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass das Gemeinschaftsrecht zwar Frauen auf ihren Wunsch den Zugang zur Beschäftigung in den Streitkräften eröffne, weil in derartigen Fällen wegen ihrer wirtschaftlich-sozialen Aspekte die klassischen Regelungsmaterien des Gemeinschaftsrechts berührt seien, dass es aber in Fragen der Wehrpflicht an einem solchen die Regelungsbefugnis der Gemeinschaft begründenden rechtlichen Bezug fehle. Der Rechtsauffassung des Senats liegt mithin die Erwägung zugrunde, dass die allgemeine Wehrpflicht als staatsbürgerliche Pflicht in einem thematischen Gegensatz zu dem im Gemeinschaftsrecht geregelten Zugang zur Beschäftigung steht und dass sie daher – auch in Anbetracht des Umstandes, dass öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Richtlinie 76/207/EWG einbezogen sind – kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne der Richtlinie darstellen oder begründen kann. Der Kläger setzt sich mit der Rechtsauffassung des Senats nicht auseinander und legt insbesondere nicht dar, dass und aus welchen Gründen die ausschließlich Männer betreffende Wehrpflicht gleichwohl mit der Richtlinie unvereinbar sein soll. Ein über die vorliegende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinausweisender Bedarf nach grundsätzlicher Klärung der Rechtslage ist daher nicht ersichtlich.
Die Beschwerde bleibt auch hinsichtlich des gerügten Verfahrensverstoßes (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ohne Erfolg. Sie rügt, das Verwaltungsgericht sei im Tatsächlichen davon ausgegangen, dass ein Zeitsoldat der NVA mit einer Mindestverpflichtungsdauer von drei Jahren erhebliche Vorteile gehabt habe. Es habe weiterhin angenommen, dass einem Zeitsoldaten der Bundeswehr mit einer zweijährigen Dienstzeit keine entsprechenden Vorteile erwachsen seien. Diese unrichtigen Annahmen des Verwaltungsgerichts seien durch keinerlei tatsächliche Erhebungen untermauert. Es liege insoweit ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht des § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor.
Dem kann nicht gefolgt werden. Die Amtsermittlungspflicht ist abhängig von dem angewandten materiellen Recht. Das Verwaltungsgericht hat zur Auslegung von § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 WPflG eine Rechtsauffassung vertreten, zu welcher das Bundesverwaltungsgericht – wie bereits voranstehend zitiert – ausgeführt hat, die Nichtberücksichtigung von Dienstzeiten oberhalb von zwei Jahren im Rahmen der sog. Dritt-Brüder-Regelung bringe zum Ausdruck, dass ein länger dauernder Wehrdienst vom Gesetzgeber nicht mehr ausschließlich als Dienst an der Gemeinschaft, sondern als am individuellen beruflichen Fortkommen orientierte Tätigkeit gewertet werde, welche eine familienpolitisch motivierte Privilegierung nicht gebiete (Beschluss vom 2. Juni 2000, a.a.O.). Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung kam es auf die von der Beschwerde verlangte Tatsachenaufklärung nicht an. Der Kläger übersieht in diesem Zusammenhang den Unterschied zwischen Tatsachenfeststellungen des Gerichts bei der Rechtsanwendung und Tatsachenbewertungen des Gesetzgebers bei der Normgebung. Hier geht es um Letzteres. Insoweit musste sich dem Verwaltungsgericht eine Sachaufklärung schon deswegen nicht aufdrängen, weil die Plausibilität der Bewertung des Gesetzgebers mit Rücksicht auf dessen Einschätzungsprärogative in der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht in Zweifel gezogen worden war.
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Unterschriften
Bardenhewer, Büge, Graulich
Fundstellen