Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Aktenzeichen 10 S 1405/99) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 22. Mai 2001 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 51 129 EUR (entspricht 100 000 DM) festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin betreibt in Baden-Württemberg ein Zwischenlager nebst Anlagen zur Vorbehandlung von zur Verbrennung bestimmten Beseitigungs-Abfällen. Sie möchte festgestellt wissen, dass sie nicht zur Andienung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zur Beseitigung verpflichtet und die Beklagte nicht berechtigt ist, die ihr angedienten Abfälle der für deren Verbrennung vorgesehenen zentralen Entsorgungseinrichtung des Landes zuzuweisen. Der Feststellungsantrag wurde vom Verwaltungsgericht als unbegründet abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die zugelassene Berufung der Klägerin zurückgewiesen, weil die in der einschlägigen Sonderabfallverordnung Baden-Württemberg vom 20. Dezember 1999 (GBl S. 683) i.d.F. der Änderungsverordnung vom 23. Mai 2000 (GBl S. 459) – SAbfVO 1999 – bestimmte Andienungspflicht und die dort geregelte Zuweisungsbefugnis mit höherrangigem Recht vereinbar und die Voraussetzungen einer Befreiung von der Andienungspflicht nicht gegeben seien. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die dagegen erhobene Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde hält für klärungsbedürftig, ob die Sonderabfallverordnung 1999 noch der Sicherstellung der umweltverträglichen Beseitigung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle diene oder ob das nicht mehr der Fall sei, weil sich die abfallwirtschaftliche Situation so geändert habe, dass die Entsorgungssicherheit auch durch andere Anlagen hinreichend gewährleistet sei und damit die Andienungspflicht nur noch der Auslastung vom Land vereinbarter Kontingente diene. Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.
Der Senat hat in seinem Vorlagebeschluss vom 29. Juli 1999 – BVerwG 7 CN 2.98 – Buchholz 451.90 Nr. 178 im Einzelnen dargelegt, dass die in § 3 Abs. 1 Satz 1 der Sonderabfallverordnung Baden-Württemberg vom 12. September 1996 (GBl S. 586) i.d.F. der Änderungsverordnung vom 26. Januar 1998 (GBl S. 73) – SAbfVO 1996 – geregelte Andienungspflicht mit § 13 Abs. 4 Satz 1 KrW-/AbfG vereinbar ist, weil sie dem in dieser Vorschrift bestimmten Ziel der Sicherstellung der umweltverträglichen Abfallbeseitigung dient. Für § 4 Abs. 1 SAbfVO 1999 gilt nichts anderes. Die in dieser Vorschrift geregelte Andienungspflicht stimmt mit der Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 SAbfVO 1996 überein. Sie verfolgt ebenso wenig wie jene wirtschaftliche Erwägungen. Die Andienungspflicht ist nach wie vor Mittel zu dem eigentlichen umweltpolitischen Zweck, der Verantwortung des Landes für eine ordnungsgemäße Beseitigung der auf seinem Gebiet anfallenden Abfälle gerecht zu werden. Die Fortdauer dieser Verantwortung wird nicht in Frage gestellt, wenn sich das von der Andienungspflicht erfasste Abfallvolumen seit der im Jahr 1994 konzipierten Entsorgungslösung des Landes Baden-Württemberg verringert hat. Ein solcher Effekt ist die Folge der technisch und wirtschaftlich bedingten Verbesserung einer ressourcenschonenden Abfallverwertung, die gegenüber der Abfallbeseitigung vorrangig ist. Dass diese Entwicklung noch nicht absehbar war, als das Land sein die Andienungspflicht einschließendes Konzept zur Gewährleistung der Entsorgungssicherheit für besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Beseitigung durch Abschluss des Vertrags zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und der AVG Abfallverwertungs-Gesellschaft mbH in Hamburg („Hamburg-Vertrag”) ins Werk gesetzt hat, stellt die Beschwerde nicht in Abrede. Ebenso wenig gibt sie Anlass zu Zweifeln an der bereits im genannten Vorlagebeschluss des Senats dargelegten Annahme, dass im Jahr 1994 keine Baden-Württemberg näher gelegene Anlage im In- oder Ausland zur Verfügung stand, die zu gleichwertigen oder gar besseren ökologischen und ökonomischen Bedingungen eine langfristige Entsorgungssicherheit durch rechtsverbindliche Einräumung von Verbrennungskapazitäten in der erforderlichen Größenordnung hätte gewährleisten können.
Entgegen der Auffassung der Beschwerde verfehlt die in § 4 Abs. 1 SAbfVO 1999 fortgeschriebene Andienungspflicht das Ziel der Sicherstellung einer umweltverträglichen Beseitigung auch dann nicht, wenn bei Erlass dieser Verordnung der Rückgang des andienungspflichtigen Abfallvolumens erkennbar war und mangels hinreichender Kapazitätsauslastung näher gelegene, technisch gleichwertige Anlagen zur Verbrennung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zur Beseitigung zur Verfügung standen. Die Effizienz staatlicher Abfallwirtschaftsplanung im Bereich der zur thermischen Beseitigung bestimmten besonders überwachungsbedürftigen Abfälle setzt auch angesichts der beträchtlichen Investitionskosten für die Errichtung und den Betrieb moderner Verbrennungsanlagen voraus, dass die Entsorgungssicherheit langfristig und nachhaltig gewährleistet ist. Die 15-jährige Laufzeit des anstelle der Errichtung einer Abfallverbrennungsanlage in Baden-Württemberg geschlossenen „Hamburg-Vertrags” war darum nicht zu lang bemessen. Die Ungewissheit über die künftige Entwicklung der Menge besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zur Beseitigung und der Schaffung gleichwertiger neuer Entsorgungskapazitäten entband das Land Baden-Württemberg nicht von seiner Verantwortung, die Entsorgung der auf seinem Gebiet anfallenden Abfälle dauerhaft sicherzustellen. Es musste sein Entsorgungskonzept auf der Grundlage einer Prognose entwickeln. Das ist unter Ausschöpfung der seinerzeit zugänglichen Erkenntnisquellen geschehen. Das Konzept beruht damit auf hinreichend abgesicherten Annahmen über die Erfordernisse einer ordnungsgemäßen Abfallbeseitigung. Eine nachträgliche Änderung der Sachlage zwingt nicht zu einer vorzeitigen Änderung einer vertraglich gesicherten Planung, wenn der Aufgabenträger von der Notwendigkeit einer langfristigen vertraglichen Bindung ausgehen durfte und die von ihm wahrzunehmende Verantwortung zur Sicherstellung der umweltverträglichen Abfallbeseitigung fortbesteht. Der Grundsatz der Rechtssicherheit schließt den Schutz der aufgrund vertretbarer Prognose getroffenen Investitions- und Dispositionsentscheidungen ein. Dass die ordnungsgemäße Abfallbeseitigung auch anderweitig sichergestellt werden kann, steht dem nicht entgegen; denn die Befugnis der Länder zur Regelung von Andienungs- und Überwachungspflichten für besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Beseitigung (§ 13 Abs. 4 Satz 1 KrW-/AbfG) ist nicht in dem Sinne subsidiär, wie es in § 13 Abs. 4 Satz 2 KrW-/AbfG für die Andienung von Abfällen zur Verwertung bestimmt ist.
2. Die Beschwerde möchte ferner geklärt wissen, ob die in § 5 Abs. 1 SAbfVO 1999 vorgesehenen Ausnahmen von der Andienungspflicht und die in § 5 Abs. 2 SAbfVO 1999 eröffnete Befreiungsmöglichkeit geeignet sind, den Belangen der andienungspflichtigen Abfallbesitzer und Abfallerzeuger in einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügenden Weise Rechnung zu tragen.
Nach § 5 Abs. 1 SAbfVO 1999 besteht unter bestimmten Voraussetzungen keine Andienungspflicht bei Überlassung von Abfällen an andienungspflichtige Abfallbeförderer oder -entsorger oder an Inhaber einer Zuweisung der Beklagten, bei Entsorgung in dafür zugelassenen betriebseigenen Alt-Anlagen in Baden-Württemberg sowie in Fällen der Beauftragung Dritter oder der Pflichtenübertragung i.S. der §§ 16 bis 18 KrW-/AbfG. Nach § 5 Abs. 2 SAbfVO 1999 kann die Beklagte von der Andienungspflicht befreien, wenn Gründe des Wohls der Allgemeinheit dies erfordern oder die Andienungspflicht zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Vorschriften als ein Regelungssystem gewürdigt, „das einerseits dem überragenden öffentlichen Interesse an der langfristig gesicherten ordnungsgemäßen Entsorgung der hier in Rede stehenden Abfälle Rechnung trägt und andererseits Rücksicht nimmt auf Grundrechtsbetroffene und deren legitime wirtschaftliche Interessen”. Er hat die Vorschriften auf der Grundlage revisionsrechtlich bindender Auslegung von Landesrecht als mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar beurteilt. Sein rechtlicher Ansatz stimmt mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überein (vgl. Urteil vom 27. Mai 1981 – BVerwG 7 C 34.77 – BVerwGE 62, 224 ≪226 ff.≫; Urteil vom 4. August 1983 – BVerwG 7 C 2.81 – BVerwGE 67, 321 ≪325 f.≫; Urteil vom 13. April 2000 – BVerwG 7 C 47.98 – Buchholz 451.221 § 13 KrW-/AbfG Nr. 5).
Die in diesem Zusammenhang von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen geben keinen Anlass zu weiterer rechtsgrundsätzlicher Klärung. Eine für besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Beseitigung geltende Andienungsregelung darf Ausnahmen und Befreiungen auf enge Voraussetzungen beschränken, um das mit ihr angestrebte Ziel einer langfristigen Sicherung der umweltverträglichen Entsorgung zu erreichen. Das überwiegende öffentliche Interesse an einer solchen Entsorgung von Beseitungs-Abfällen rechtfertigt auch eine entsprechende Beschränkung des Wettbewerbs. Ein Normgeber, der auf diese Weise Gefährdungen der Entsorgungssicherheit und des Vorrangs der Verwertung vorbeugen will, hält sich im Rahmen des ihm hierbei eingeräumten Beurteilungsspielraums. Demgemäß ist der Senat bereits in seinem Beschluss vom 29. Juli 1999 a.a.O. davon ausgegangen, dass die unbeschränkte Zuweisung der in Baden-Württemberg anfallenden Sonderabfälle im Rahmen der im „Hamburg-Vertrag” vereinbarten Mindestmenge dem Zweck der gebotenen umweltverträglichen Beseitigung entspricht und damit verhältnismäßig ist.
3. Die Beschwerde wirft schließlich die Frage auf, ob die in dem dargelegten Sinne strikte, Ausnahmen und Befreiungen auf atypische Sonderfälle beschränkende Andienungsregelung mit Art. 5 der Richtlinie 75/442/EWG (Abfallrahmenrichtlinie ≪AbfRRL≫), insbesondere mit dem in dessen Absatz 2 bestimmten Prinzip der Nähe vereinbar ist.
Diese Frage hat der Senat für die Sonderabfallverordnung 1996 bereits in seinem Beschluss vom 29. Juli 1999 a.a.O. im bejahenden Sinn beantwortet, in dem es, anders als im vorliegenden Fall, um eine Beseitigungsalternative im Ausland ging. Danach ist das Prinzip der Nähe nicht isoliert zu betrachten, sondern auch zu berücksichtigen, dass Art. 5 Abs. 2 AbfRRL das Prinzip der Nähe mit einem Eignungskriterium verknüpft, das ein hohes Niveau des Gesundheits- und Umweltschutzes gewährleisten soll. Diesem Erfordernis wurde bei Abschluss des „Hamburg-Vertrags” in verhältnismäßiger Zuordnung widerstreitender Ziele Rechnung getragen, weil zu jenem Zeitpunkt eine vergleichbar kurzfristig zu realisierende Alternative in günstigerer Entfernung nicht zur Verfügung stand. Für Abfälle, die zur Beseitigung im Inland bestimmt sind, kommt dem Prinzip der Nähe nach Maßgabe des Gebots der Kohärenz zwischen der nationalen und der gemeinschaftlichen Regelung (Art. 13 Abs. 2 der EG-Abfallverbringungsverordnung) eine richtunggebende Bedeutung insofern zu, als die innerstaatliche Regelung bestimmten „Mindestkriterien” entsprechen muss, um ein hohes Schutzniveau für Umwelt und menschliche Gesundheit zu gewährleisten (vgl. Urteil vom 13. April 2000 a.a.O.). Darauf hat bereits der Verwaltungsgerichtshof zutreffend hingewiesen. Dass angesichts der nach wie vor maßgeblichen Situation bei Abschluss des „Hamburg-Vertrags” im Jahr 1994 auch die Andienungsregelung der Sonderabfallverordnung 1999 dieser Voraussetzung genügt, ist hiernach nicht zweifelhaft. Ihre Vereinbarkeit mit der Abfallrahmenrichtlinie ist darum zu bejahen, ohne dass es hierfür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Auch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof kommt mit Blick auf dessen Urteil vom 13. Dezember 2001 – Rs. C-324/99 – nicht in Betracht.
Die in diesem Zusammenhang von der Beschwerde aufgeworfene weitere Frage, ob die Befreiungsregelung des § 5 Abs. 2 SAbfVO 1999 europarechtskonform dahin auszulegen ist, „dass von einer Zuweisung von Abfällen zu weit entfernten Anlagen abgesehen wird, wenn erheblich näher gelegene Entsorgungsanlagen in gleicher Weise oder sogar besser geeignet sind, bei der Entsorgung ein hohes Niveau des Gesundheits- und Umweltschutzes zu gewährleisten”, betrifft die Auslegung nicht revisiblen Landesrechts und rechtfertigt schon aus diesem Grund nicht die Zulassung der Revision. Davon abgesehen setzt sich die Beschwerde mit der eingehenden Begründung des Verwaltungsgerichtshofs, der die Frage unter Einschluss ihrer europarechtlichen Bezüge verneint hat, nicht näher auseinander, sondern stellt dem ihre eigene Rechtsauffassung entgegen. Damit lässt sich der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht begründen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 73 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Franßen, Kley, Herbert
Fundstellen