Entscheidungsstichwort (Thema)
Informationszugangsrechte. „in-camera”-Verfahren. fachgesetzliche Geheimhaltungsgründe. Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses. Entscheidungserheblichkeit. Beweisbeschluss. förmliche Verlautbarung
Leitsatz (amtlich)
Streitigkeiten um Informationszugangsrechte führen nicht gleichsam automatisch zur Verlagerung in das „in-camera”-Verfahren. Ob es zur Beurteilung des Geheimhaltungsbedarfs als Erkenntnishilfe der streitigen Akten bedarf, hängt vom Zuschnitt der Geheimhaltungsgründe ab.
Normenkette
VwGO § 99
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 21.08.2008; Aktenzeichen 13a F 11/08) |
Tenor
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. August 2008 wird geändert. Der Antrag des Klägers wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 5 000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der Kläger ist Rechtsanwalt und als Verfahrensbevollmächtigter im Bereich des Hochschulzulassungsrechts tätig. Mit der diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden, gegen die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) gerichteten Klage wendet er sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2005 und begehrt auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) die Übermittlung bestimmter, näher bezeichneter Protokolle über Sitzungen des Verwaltungsausschusses und des Beirats sowie bestimmter Unterausschüsse und Arbeitsgruppen der ZVS. Nach Hinweis des Gerichts der Hauptsache, dass es keines förmlichen Beschlusses zur Entscheidungserheblichkeit der bislang nicht vorgelegten und von der Beklagten verweigerten Unterlagen bedürfe, gab der Beigeladene mit Schreiben vom 11. März 2008 eine Sperrerklärung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ab. Mit Beschluss vom 21. August 2008 hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass die Weigerung der Beklagten rechtmäßig ist. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 2
Die statthafte und im Übrigen zulässige Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Sie hat keinen Erfolg, da der Antrag des Klägers gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO – derzeit – unzulässig ist. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat verkannt, dass dem Begehren des Klägers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der behördlichen Vorlageverweigerung nicht entsprochen werden kann. Der begehrten Feststellung steht entgegen, dass es nach dem derzeitigen Verfahrensstand an einer förmlich verlautbarten Entscheidung des Gerichts der Hauptsache zur Entscheidungserheblichkeit der nicht zugänglich gemachten Akten und an einer darauf gründenden Ermessensentscheidung der gemäß § 99 Abs. 2 Satz 6 VwGO beigeladenen obersten Aufsichtsbehörde fehlt.
Rz. 3
Der Antrag eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung des Fachsenats im selbstständigen Zwischenverfahren, ob die Verweigerung rechtmäßig ist, setzt voraus, dass das Gericht der Hauptsache deren Entscheidungserheblichkeit bejaht hat. Ob bestimmte Urkunden oder Akten der Vorlagepflicht des § 99 Abs. 1 VwGO unterliegen, entscheidet das Gericht der Hauptsache. Dies geschieht in der Weise, in der das Gericht der Hauptsache auch sonst seiner Pflicht zur Erforschung des entscheidungserheblichen Sachverhalts vom Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO) nachkommt (Beschluss vom 9. November 1962 – BVerwG 7 B 91.62 – BVerwGE 15, 132 ≪133≫ = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 3). Beruft sich die Behörde auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit der Akten, muss das Gericht der Hauptsache zunächst darüber entscheiden, ob es die zurückgehaltenen Unterlagen benötigt, um den entscheidungserheblichen Sachverhalt umfassend aufzuklären. Denn für den Zwischenstreit über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung muss klargestellt sein, was er zum Gegenstand haben soll. Dazu bedarf es gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 358 ZPO grundsätzlich eines Beweisbeschlusses des Gerichts der Hauptsache, weil die Beweisaufnahme ein besonderes Verfahren erfordert (Beschlüsse vom 24. November 2003 – BVerwG 20 F 13.03 – BVerwGE 119, 229 ≪230 f.≫ = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 36, vom 22. Januar 2004 – BVerwG 20 F 6.03 – juris Rn. 4, vom 27. Februar 2004 – BVerwG 20 F 18.03 – und vom 12. Januar 2006 – BVerwG 20 F 12.04 – BVerwGE 125, 40 ≪42≫ = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 39). Zwar hat der Senat in seiner früheren Rechtsprechung auch eine prozessleitende Verfügung als ausreichend zur Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit angesehen (Beschluss vom 15. August 2003 – BVerwG 20 F 3.03 – BVerwGE 118, 352 ≪354 f.≫). In der Folgezeit hat der Senat die Anforderungen an eine förmliche Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit jedoch präzisiert (Beschluss vom 17. März 2008 – BVerwG 20 F 42.07 – juris Rn. 5) und klargestellt, unter welchen Voraussetzungen eine Abgabe des Verfahrens an den nach § 189 VwGO zuständigen Fachsenat zulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Senats genügt ein formelhafter Beschluss, in dem schlicht darauf hingewiesen wird, dass die Vorlage der streitigen Verwaltungsvorgänge als entscheidungserheblich angesehen wird, ebenso wenig wie eine allgemein gehaltene Abgabeverfügung (Beschluss vom 17. März 2008 a.a.O. Rn. 5) oder sie begleitende Äußerungen (Beschluss vom 17. März 2008 a.a.O. Rn. 7). Durch die Angabe des Beweisthemas verlautbart das Gericht der Hauptsache, dass es diese Tatsachen als erheblich ansieht. Je nach Fallkonstellation wird das Hauptsachegericht sich aber nicht auf die Angabe des Beweisthemas beschränken können, sondern Anlass haben, in den Gründen des Beschlusses zur Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall – sei es mit Blick auf die Zulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens, sei es unter Darlegung der materiellrechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs – Stellung zu nehmen (Beschluss vom 22. Januar 2009 – BVerwG 20 F 5.08 – juris Rn. 2).
Rz. 4
Nur ausnahmsweise ist ein Beweisbeschluss oder eine förmliche Äußerung des Gerichts der Hauptsache zur Klärung der rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die Entscheidung des Rechtsstreits dann entbehrlich, wenn die zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind (stRspr; vgl. nur Beschluss vom 5. Februar 2009 – BVerwG 20 F 3.08 – juris Rn. 4). Zweifelsfrei ist die Entscheidungserheblichkeit, wenn die Entscheidung des Verfahrens zur Hauptsache von der allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden Frage abhängt, ob die Akten bzw. Aktenteile, wie von der Behörde geltend gemacht, geheimhaltungsbedürftig sind. Allein aus dem Umstand, dass Streitgegenstand des Verfahrens zur Hauptsache die Pflicht zur Vorlage der Behördenakten ist, folgt nicht, dass es zwingend der Einsicht in die zurückgehaltenen Akten bedarf. Streitigkeiten um Informationszugangsrechte führen nicht gleichsam automatisch zur Verlagerung in das „in-camera”-Verfahren. Ob es zur Beurteilung des Geheimhaltungsbedarfs als Erkenntnishilfe der streitigen Akten bedarf, hängt vom Zuschnitt der Geheimhaltungsgründe ab. Insofern ist zu differenzieren. Werden materiellrechtliche Geheimhaltungsgründe geltend gemacht, also Gründe, die sich unmittelbar aus dem Inhalt der Akte ergeben, liegt es regelmäßig auf der Hand, dass sich nur durch Einsichtnahme in die Akten verlässlich klären lässt, ob der Geheimhaltungsgrund vorliegt. Eine solche Konstellation liegt nach der Rechtsprechung des Senats insbesondere in den Fällen vor, in denen die Behörde die Akten etwa aus Gründen der Staatssicherheit – weil das Bekanntwerden dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde – oder zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen oder zum Schutz von personenbezogenen Daten – weil der Inhalt seinem Wesen nach geheim gehalten werden muss – zurückhält. Anders kann sich die Lage darstellen, wenn die Geheimhaltungsgründe – unabhängig vom Inhalt der Akten – darauf zielen, die Art und Weise des Zustandekommens behördlicher Akten zu schützen, mithin dem Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses dienen. In diesen Fällen ist das Gericht der Hauptsache zunächst gehalten, die maßgeblichen Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Norm(en) auszulegen, mithin eine Rechtsauffassung zur tatbestandlichen Reichweite der Geheimhaltungsgründe zu bilden und zu prüfen, ob es auf dieser Grundlage das Vorliegen der geltend gemachten Geheimhaltungsgründe bejahen oder verneinen kann. Wie der vorliegende Fall anschaulich verdeutlicht, hängt es maßgeblich von der Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen der lediglich prozedural und nicht inhaltlich ausgerichteten Geheimhaltungsgründe – hier der in § 7 Abs. 3 IFG NRW verwendeten Begriffe „Abschluss des jeweiligen Verfahrens” und „Ergebnisse” (vertraulicher Beratungen i.S.d. § 7 Abs. 1 IFG NRW) – ab, ob ein Geheimhaltungsgrund vorliegt. Ob die weite Auslegung der Begriffe seitens des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts überzeugt, die im vorliegenden Fall dazu führt, dass dem geltend gemachten Informationsanspruch vollumfänglich fachgesetzliche Geheimhaltungsgründe gemäß § 7 IFG NRW entgegenstehen, hat der Senat nicht zu beurteilen. Auch das Gericht der Hauptsache ist daran nicht gebunden. Es verhält sich vielmehr umgekehrt: Die verlautbarte Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache entfaltet Bindungswirkung für den Fachsenat. Eine andere Beurteilung durch den Fachsenat kommt nur dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist (Beschlüsse vom 28. März 2006 – BVerwG 20 F 1.05 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 40 und vom 21. Februar 2008 – BVerwG 20 F 2.07 – BVerwGE 130, 236 Rn. 13 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 46). Ob das Gericht der Hauptsache in tatsächlicher Hinsicht über hinreichende Angaben verfügt, um in Anlegung seines Rechtsmaßstabs den Einzelfall – ohne Akten – zu entscheiden, kann auch davon abhängen, welche Angaben die aktenverweigernde Stelle bei der Ablehnung des Anspruchs gemacht hat. Je nach Fallkonstellation kann das Gericht der Hauptsache Anlass haben, die aktenverweigernde Stelle um Auskunft etwa über die Art und Weise des Zustandekommens der behördlichen Akten, hier beispielsweise hinsichtlich der Modalitäten der Protokollführung zu bitten. Das zielt nicht auf eine Glaubhaftmachung des Geheimhaltungsgrunds. Denn es genügt nicht, dass ein Geheimhaltungsgrund hinreichend plausibel und nachvollziehbar dargelegt wird. Ein solcher Ansatz würde der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht gerecht (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 – 1 BvR 385/90 – BVerfGE 101, 106, 122 f.). Gemeint sind vielmehr Fälle, in denen die Tatsachengrundlage unstreitig ist, mithin von den Verfahrensbeteiligten insoweit auch kein Klärungsbedarf geltend gemacht wird. Ob es – wie im vorliegenden Fall – als verlässliche Tatsachengrundlage genügt, dass die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 8. Dezember 2005 angegeben hat, bei den begehrten Unterlagen handele es sich um Niederschriften, die einerseits „Sitzungsergebnisse”, also das Ergebnis der Beratungen, andererseits auch den wesentlichen Inhalt der Beratungen, also den Beratungsverlauf wiedergeben, hat das Gericht der Hauptsache zu entscheiden. Wird die Frage verneint, genügt es aber nicht, pauschal auf die Notwendigkeit einer Einsicht in die Akten zu verweisen. Vielmehr bedarf es einer Darlegung, warum das Gericht der Hauptsache auf der Grundlage seiner maßgeblichen Rechtsauffassung meint, dass die Tatsachengrundlagen für einen Ausspruch über die Entscheidungserheblichkeit nicht hinreichen. Eine solche Feststellung fehlt bislang. Das wird das Gericht der Hauptsache nachzuholen haben.
Rz. 5
Eine förmliche Verlautbarung über die Entscheidungserheblichkeit ist auch nicht ausnahmsweise deswegen entbehrlich, weil der Beigeladene bereits eine Sperrerklärung abgegeben hat, in der er neben der Darlegung der fachgesetzlichen Geheimhaltungsgründe auch Gesichtspunkte einer Abwägung i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO angeführt hat. Unabhängig davon, ob die Sperrerklärung den Anforderungen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO genügt, vermag eine vorgreifliche Ermessensentscheidung das Fehlen einer Verlautbarung zur Entscheidungserheblichkeit nicht zu kompensieren. Das Erfordernis der förmlichen Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit vor Abgabe an den Fachsenat gewährleistet, dass die oberste Aufsichtsbehörde auf dieser Grundlage in die gesetzlich geforderte Ermessensabwägung eintreten kann. Die oberste Aufsichtsbehörde ist wegen Art. 19 Abs. 4 GG in besonderem Maße gefordert, die sich im Verfahren der Hauptsache gegenüberstehenden Rechtspositionen der Beteiligten in die Ermessensabwägung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO einzustellen. Dazu ist es – abgesehen von eindeutigen Fallkonstellationen, zu denen der vorliegende Fall nicht gehört – unerlässlich, dass die Entscheidungserheblichkeit der Aktenvorlage durch Beschluss des Gerichts der Hauptsache förmlich feststeht (Beschlüsse vom 17. März 2008 – BVerwG 20 F 42.07 – juris Rn. 7 und vom 22. Januar 2009 – BVerwG 20 F 5.08 – juris Rn. 5).
Rz. 6
Die Kostenentscheidung folgt aus auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Werts des Streitgegenstands beruht auf § 52 Abs. 2 GKG. Von der Erhebung von Gerichtskosten für dieses Verfahren wird gemäß § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG abgesehen.
Unterschriften
Dr. Bardenhewer, Dr. Bumke, Buchheister
Fundstellen
Haufe-Index 2241502 |
VR 2010, 34 |