Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 23.06.2020; Aktenzeichen 1 KN 179/17) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2020 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 40 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die der Antragsteller ihr beimisst.
Rz. 2
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 ≪91≫ und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - ZfBR 2020, 173 Rn. 4).
Rz. 3
1. Die Beschwerde möchte grundsätzlich klären lassen,
ob das Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB) bei der Überplanung eines bereits beplanten Gebiets verlangt, dass der Rat zur Kenntnis nimmt, welche über die genehmigten bzw. realisierten Nutzungen hinausgehenden (lärmintensiveren) Nutzungsmöglichkeiten der geltende Bebauungsplan zulässt.
Rz. 4
Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Sie ist in der Rechtsprechung des Senats bereits beantwortet, soweit sie rechtsgrundsätzlicher Klärung zugänglich ist.
Rz. 5
§ 1 Abs. 7 BauGB bestimmt, dass bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind. § 2 Abs. 3 BauGB ergänzt dieses materiell-rechtliche Abwägungsgebot um die Verfahrensanforderung (siehe § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB), dass die abwägungserheblichen Belange zu ermitteln und zu bewerten sind. Zu ermitteln, bewerten und gegeneinander sowie untereinander gerecht abzuwägen sind alle Belange, die in der konkreten Planungssituation nach Lage der Dinge in die Abwägungsentscheidung eingestellt werden müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Dezember 1969 - 4 C 105.66 - BVerwGE 34, 301 ≪309≫ und vom 5. Mai 2015 - 4 CN 4.14 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 136 Rn. 14; Beschluss vom 12. Juni 2018 - 4 B 71.17 - ZfBR 2018, 601 Rn. 5). Dabei hat die Gemeinde die Nachteile einer Planung für einen planunterworfenen Eigentümer (oder Erbbauberechtigten) zu berücksichtigen. Schränkt sie bestehende Baurechte ein, muss sie diese Tatsache in die Abwägung einstellen (BVerwG, Urteil vom 23. November 2016 - 4 CN 2.16 - BVerwGE 156, 336 Rn. 12 m.w.N.).
Rz. 6
Weitergehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie geht davon aus, der Rat der Antragsgegnerin habe nicht zur Kenntnis genommen, welche über die genehmigten bzw. realisierten Nutzungen hinausgehenden lärmintensiveren Nutzungsmöglichkeiten der Vorläuferbebauungsplan zugelassen habe. Dies geht an den Feststellungen der Vorinstanz vorbei. Danach lag dem Rat der Antragsgegnerin der Vorgängerbebauungsplan vor und war den Ratsmitgliedern bekannt, dass eine Nutzung auch unter Geltung dieses Plans nicht unbegrenzt möglich war (UA S. 7). Die Annahme der Beschwerde, die Festsetzungen des Bebauungsplans seien für ein durchschnittliches Ratsmitglied ohne Erläuterungen durch die Verwaltung nicht verständlich, findet in den tatsächlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils keine Stütze und beschränkt sich auf eine Urteilskritik im Einzelfall, die nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung führt.
Rz. 7
2. Hinsichtlich der Frage,
ob die Wirksamkeit einer immissionsbezogenen Regelung in einem Vorläuferbebauungsplan offenbleiben darf, wenn diese für ein Gewerbegebiet durch eine emissionsbezogene Festsetzung ersetzt wird und das Normenkontrollgericht keine Feststellung zu der Frage trifft, ob ohne die bisherige Festsetzung auf einem Gewerbegrundstück eine größere Lärmerzeugung möglich gewesen wäre, als es die neue bauplanungsrechtliche Festsetzung zulässt,
fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts sah der Vorgängerbebauungsplan für das Grundstück des Antragstellers und für die seinerzeit nördlich dieses Grundstücks festgesetzten Gewerbegebiete eine Lärmgrenze von 60 dB(A) entlang einer im Plan festgesetzten Messlinie vor (UA S. 7). Das Oberverwaltungsgericht hat die Wirksamkeit dieser Festsetzung offengelassen, weil sie nur die ohnehin gegebene und an dem Ruhebedürfnis der nordöstlich und östlich vorhandenen Wohnbebauung orientierte Beschränkung der Nutzungsmöglichkeit nachgezeichnet habe und die nunmehr festgesetzten Lärmkontingente für das Grundstück des Antragstellers damit nicht zu einer erstmaligen Beschränkung gegenüber einer zuvor gegebenen unbegrenzten Ausnutzungsmöglichkeit des Grundstücks führten (UA S. 8). Die Beschwerde legt nicht dar, warum es dennoch auf die von ihr aufgeworfene Frage entscheidungserheblich ankommen soll.
Rz. 8
3. Die Beantwortung der Frage,
ob und inwieweit eine bauplanerische Satzungsnorm, die das zulässige Emissionsverhalten von Gewerbebetrieben auf 60 dB(A) tags/45 dB(A) nachts begrenzt, eine rechtlich einschränkende Regelung darstellt im Vergleich zu einer Satzungsregelung, die das Immissionsverhalten von Gewerbebetrieben dahingehend festlegt, dass höchstens 60 dB(A) tags/45 dB(A) nachts auf die der Messlinie gegenüberliegenden Gebiete einwirken dürfen beziehungsweise, ob und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen eine Festsetzung zu Immissionsgrenzwerten auf eine Festsetzung zu Emissionsgrenzwerten umgestellt werden dürfe,
setzt u.a. schalltechnische Feststellungen voraus, die nur im jeweiligen Einzelfall anhand der konkreten Festsetzungen im Bebauungsplan von dem Tatsachengericht getroffen werden können. Eine allgemein klärungsfähige Frage des revisiblen Rechts ist damit nicht aufgezeigt.
Rz. 9
4. Hinsichtlich der Frage,
ob ein im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses aufgestelltes Wohnnutzungskonzept einer Grundstückserwerberin und ein städtebaulicher Vertrag bei der Frage zu berücksichtigen sind, ob die Festsetzung eines Mischgebiets zwischen einem Gewerbegebiet und einem Wohngebiet einen "Etikettenschwindel" darstellt,
ist die Entscheidungserheblichkeit nicht dargelegt. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Entscheidungserheblichkeit der Frage feststeht (BVerwG, Beschluss vom 28. April 2020- 4 B 49.18 - juris Rn. 6 ff. m.w.N.). Die Beschwerde trägt vor, die Aufstellung des Bebauungsplans sei erfolgt, weil die Antragsgegnerin der Beigeladenen eine Wohnnutzung an einem ehemaligen Gewerbestandort ermöglichen wolle. Die Beigeladene habe bereits zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses ein bestimmtes Nutzungskonzept erstellt, welches mit der Antragsgegnerin abgestimmt gewesen sei und zu einem städtebaulichen Vertrag geführt habe.
Rz. 10
Zu Inhalt und Zustandekommen des städtebaulichen Vertrages und eines Nutzungskonzepts hat das Oberverwaltungsgericht indes keine Feststellungen getroffen, sondern vielmehr angenommen, dass eine mischgebietstypische Nutzung jedenfalls in den als Einheit zu betrachtenden Gebieten MI 3 und MI 4 möglich und nach der Begründung des Bebauungsplans auch gewollt sei (UA S. 8).
Rz. 11
5. Die Beschwerde hält schließlich für grundsätzlich klärungsbedürftig,
unter welchen Voraussetzungen mehrere im selben Bebauungsplan festgesetzte Teilbereiche mit gleicher Gebietsart im Sinne der Baunutzungsverordnung als ein Baugebiet anzusehen sind.
Rz. 12
Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Die Beschwerde wirft keine Rechtsfrage auf, sondern strebt eine Fallsammlung im Stile eines juristischen Kommentars an. Das ist nicht Aufgabe eines Revisionsverfahrens (BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 2017 - 4 BN 27.17 - juris Rn. 7).
Rz. 13
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
KomVerw/LSA 2023, 27 |
FuBW 2022, 455 |
FuHe 2022, 360 |
FuNds 2022, 423 |
KomVerw/B 2023, 26 |
KomVerw/MV 2023, 20 |
KomVerw/S 2023, 27 |
KomVerw/T 2023, 24 |