Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Aktenzeichen 6 A 10182/99) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. November 1999 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Klägerin ist seit November 1995 als Rechtsanwältin zugelassen und seit dem 1. Dezember 1995 in der Kanzlei ihrer Mutter als angestellte Rechtsanwältin mit einem damals vereinbarten Bruttogehalt von 1 000 DM monatlich beschäftigt. Sie ist Mitglied des beklagten Versorgungswerks und wendet sich gegen ihre Veranlagung zu Beiträgen für die Jahre 1995 und 1996. Der Beklagte zog sie jeweils zu dem satzungsmäßigen Mindestbeitrag heran. Dieser beträgt bei Mitgliedern, deren Einkommen geringer ist als drei Zehntel der Beitragsbemessungsgrenze der Angestelltenversicherung, drei Zehntel des Regelpflichtbeitrags.
Der Beklagte setzte gegen sie mit Bescheid vom 21. Dezember 1995 einen Beitrag von 435,24 DM für Dezember 1995 und monatlich 460,80 DM für 1996 fest. Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein, den der Beklagte mit Bescheid vom 30. September 1996 zurückwies. Die Klage mit dem Ziel der Aufhebung der Bescheide wies das Verwaltungsgericht Trier mit Urteil vom 28. Mai 1998 ab. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat auf die von ihm zugelassene Berufung dieses Urteil geändert und der Klage stattgegeben. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Die der Veranlagung zu Grunde liegende Satzungsregelung des Beklagten verstoße gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Der durch das Grundrecht geschützte Freiheitsraum könne auch durch Vorschriften berührt werden, die zwar nicht unmittelbar die berufliche Betätigung beträfen, aber infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet seien, die Berufsfreiheit zu beeinträchtigen. Das treffe namentlich auf normativ auferlegte Geldleistungspflichten zu, wenn sie infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stünden und objektiv eine berufsregelnde Tendenz aufwiesen und sich konkret feststellen lasse, wer von den Auswirkungen der Norm oder ihrer Anwendung unmittelbar in der Berufsfreiheit betroffen werde. So liege es hier. Die Mitgliedschaft im beklagten Versorgungswerk sei nach § 2 Abs. 1 Satz 1 RAVG die zwangsläufige Folge der Zulassung als Rechtsanwalt. Daher müsse die mit ihr verbundene Pflicht zur Beitragsleistung von jedem Assessor bei Stellung eines Zulassungsantrags bedacht werden. Der Mitgliedsbeitrag habe damit tatsächlich Auswirkungen auf die Berufsfreiheit, so dass ein enger Zusammenhang zwischen der Geldleistungspflicht und der Berufsausübung bestehe. Die Festlegung des Mindestbeitrags sei zwar nicht auf die Berufswahl bezogen, mache insbesondere auch nicht in aller Regel die Ausübung des Berufs eines Rechtsanwalts wirtschaftlich unmöglich, regele aber einen Aspekt der Berufsausübung, der die Berufstätigkeit einer bestimmten Gruppe innerhalb des Berufsstands spürbar einschränke, und komme damit einem Eingriff in die Berufswahl nahe. Dies sei bei 10,98 % (1995) bzw. 12,89 % (1996) der Mitglieder des Beklagten der Fall, die für den Mindestbeitrag ein Drittel oder mehr ihres Einkommens aufwenden müssten. Ein Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung, der einem Eingriff in die Freiheit der Berufswahl nahe komme, könne nicht mit jeder vernünftigen Erwägung des Gemeinwohls gerechtfertigt werden, sondern nur mit Allgemeininteressen, die so schwer wögen, dass sie den Vorrang vor der Berufsbehinderung verdienten. Bei dieser Beurteilung seien die weite Gestaltungsfreiheit des Normgebers auf dem Gebiet der Sozialordnung und sein Einschätzungs- und Prognosevorrang zu beachten. Die Festlegung eines Mindestbeitrags sei zwar grundsätzlich geeignet und erforderlich, um die Ziele zu erreichen, die der Gesetzgeber mit der Einführung eines berufsständischen Versorgungswerks verfolgt habe. Eine Pflichtversorgung der Rechtsanwälte und ihrer Angehörigen trage zur Erhaltung eines leistungsfähigen Anwaltsstands und damit zur Sicherung einer funktionsfähigen Rechtspflege bei, da die Unabhängigkeit des Anwalts durch dessen wirtschaftliche Absicherung gestärkt werde. Der Mindestbeitrag in der festgelegten Höhe sei aber unverhältnismäßig im engeren Sinn, weil die Grenzen der Zumutbarkeit überschritten seien. Auf die wirtschaftliche Belastbarkeit eines abgrenzbaren Teils der Berufsgruppe werde keine genügende Rücksicht genommen. Je geringer das Einkommen der Mitglieder sei, desto höher werde die prozentuale Belastung durch den Mindestbeitragssatz. Der Anteil der wegen geringer Einkünfte relativ hoch belasteten Rechtsanwälte sei hinreichend groß und bestimmbar und stelle angesichts der Entwicklung in der Anwaltschaft auch keine atypische Gruppe dar. Durch den einkommensunabhängigen Mindestbeitrag würden Berufsanfänger und diejenigen Rechtsanwälte unverhältnismäßig belastet, die wegen Kinderbetreuung lediglich einer Teilzeitarbeit nachgingen. Die besondere Belastung dieser Gruppen sei nicht zur Erzielung der Wirtschaftlichkeit des Versorgungswerks geboten. Denn niedrigere Beiträge führten zu einer entsprechend geringeren Versorgung. Auch zur Deckung des Verwaltungsaufwandes sei diese Belastung nicht notwendig. Ein infolge eines geringeren Mindestbeitrags höherer Verwaltungsaufwand falle nicht derart ins Gewicht, dass der derzeitige Mindestbeitrag unabdingbar sei. Der Aspekt der Sicherstellung einer standesgemäßen Mindestversorgung rechtfertige nicht den hohen Mindestbeitrag. Denn auch eine nicht auskömmliche Sicherung sei nicht sinnlos und könne als Ergänzung einer anderweitigen Versorgung dienen. Zudem komme eine Aufbesserung der Rentenanwartschaften durch höhere Beitragszahlung in anderen Phasen des Berufslebens in Betracht. Der Gesichtspunkt der Stärkung der Leistungskraft der Anwaltschaft müsse angesichts der schwerwiegenden Belastung der gering verdienenden Anwälte zurücktreten. Das Solidaritätsprinzip, demgemäß möglichst alle Rechtsanwälte zu der Erfüllung der Versorgungsaufgabe beitragen sollten, besage nicht, dass eine Gruppe von Rechtsanwälten überproportional belastet werden dürfe. Die Anwendung der betreffenden Satzungsbestimmung führe in einer beachtlichen Vielzahl von Fällen zu unbilligen Härten. Deshalb seien nach der Satzung mögliche Billigkeitsmaßnahmen, die auf atypische Einzelfälle beschränkt seien, nicht geeignet, die Festlegung des Mindestbeitrags noch als grundgesetzkonform anzusehen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die mit Beschluss des Senats vom 28. März 2000 zugelassene Revision des Beklagten, mit der dieser die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt. Das beklagte Versorgungswerk macht zur Begründung geltend:
Die Festsetzung eines Mindestbeitrags werde allgemein als zulässig angesehen. Das Berufungsgericht habe den Mindestbeitrag für unzulässig gehalten, wenn er ein Drittel des beitragspflichtigen Einkommens ausmache, ohne sich mit der Ermittlung dieses Einkommens auseinander zu setzen. Das sei jedoch erforderlich. Es müsse berücksichtigt werden, dass Freiberufler einen weiten Spielraum bei der Gestaltung ihrer betrieblichen Ausgaben und damit ihres Gewinns hätten. Das Verhältnis des Mindestbeitrags zum steuerrechtlich relevanten Einkommen besage also nichts über die berufsspezifische Auswirkung des Beitrags. Ein Rechtsanwalt, der auf Dauer weniger als 1 500 DM vor Steuern verdiene, könne ohnehin seinen Lebensunterhalt nicht aus der anwaltlichen Tätigkeit bestreiten. Beiträge zur allgemeinen Renten- und Krankheitskostenversicherung könnten ebenfalls ein Drittel eines geringen Einkommens erreichen. Es dürfe auch nicht außer Betracht bleiben, ob ein Mitglied des Versorgungswerks anderweitige Einkünfte habe. Außerdem müsse beachtet werden, dass die Anzahl der Rechtsanwälte stetig ansteige. Das zeige, dass diese nicht durch den Mindestbeitrag von der Berufsausübung abgehalten würden. Der Mindestbeitrag solle zu einer angemessenen Altersversorgung des Rechtsanwalts beitragen, die seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege diene und es ihm auch ermögliche, bei Erreichen der Altersgrenze aus dem Berufsleben auszuscheiden und jüngeren Kräften Platz zu machen. Das Finanzierungssystem des Versorgungswerks nach dem sog. offenen Plan-Deckungsverfahren erfordere eine Heranziehung grundsätzlich aller Rechtsanwälte. Es könne nach versicherungsmathematischen Grundsätzen nur bei einem stetigen Neuzugang und Mindestertrag des angesammelten Vermögens ordnungsgemäß ablaufen.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil verstößt gegen revisibles Recht. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beitragsfestsetzung, insbesondere der vom Berufungsgericht verneinten Verfassungsmäßigkeit der maßgebenden Satzungsbestimmung, erfordert weitere tatsächliche Feststellungen, die dem Revisionsgericht verwehrt sind (§ 137 Abs. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für die Veranlagung ist nach den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts § 6 Abs. 1 des Landesgesetzes über die rheinland-pfälzische Rechtsanwaltsversorgung (Rechtsanwaltsversorgungsgesetz – RAVG –) vom 29. Januar 1985 (GVBl S. 37) in Verbindung mit § 23 Abs. 4 der Satzung des Beklagten, des Versorgungswerks der rheinland-pfälzischen Rechtsanwaltskammern, vom 21. August 1985 (StAnz 1986 S. 345) mit späteren Änderungen. Nach § 6 Abs. 1 RAVG darf der Pflichtbeitrag den jeweiligen Höchstbeitrag der Angestelltenversicherung nicht übersteigen; die Satzung kann einen Mindestbeitrag vorsehen. Nach § 6 Abs. 2 RAVG kann die Satzung vorsehen, dass einem Mitglied unter bestimmten Voraussetzungen Beitragsermäßigung gewährt werden kann, u.a. wenn es erstmals als Rechtsanwalt zugelassen worden ist, längstens bis zum Ablauf von fünf Jahren nach der Zulassung; bei einer Beitragsermäßigung darf der Pflichtbeitrag nicht weniger als drei Zehntel des Höchstbeitrags betragen. Nach den weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts beträgt nach § 23 Abs. 4 der Satzung der Mindestbeitrag für Mitglieder mit einem Einkommen bis zu drei Zehntel der Beitragsbemessungsgrenze der Angestelltenversicherung drei Zehntel des Regelpflichtbeitrags. Der monatliche Regelpflichtbeitrag ist ein bestimmter prozentualer Anteil der Beitragsbemessungsgrenze der Angestelltenversicherung.
2. Das Oberverwaltungsgericht hat § 23 Abs. 4 der Satzung als ungültig angesehen, weil diese Vorschrift mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei, soweit sie die Veranlagung zu einem einkommensunabhängigen Mindestbeitrag ermöglicht und fordert. Damit hat das Berufungsgericht Bundesrecht angewandt. Insoweit ist eine revisionsgerichtliche Prüfung nach § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zulässig und geboten. Dabei ist für die revisionsgerichtliche Prüfung grundsätzlich der Inhalt der irrevisiblen Bestimmungen des Landesrechts maßgeblich, den das Oberverwaltungsgericht ermittelt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (vgl. Urteil vom 23. August 1994 – BVerwG 1 C 18.91 – BVerwGE 96, 293 ≪295≫). Ersichtlich geht dabei das Oberverwaltungsgericht davon aus, dass der Mindestbeitrag nicht bereits durch das Landesgesetz angeordnet worden ist. Der in § 6 Abs. 2 Satz 2 RAVG genannte Satz von drei Zehnteln des Höchstbeitrags bezieht sich auf die Möglichkeit der Beitragsermäßigung nach § 6 Abs. 2 RAVG, nicht auf den Mindestbeitrag nach § 6 Abs. 1 RAVG. Die Beitragsermäßigung kann in den Fällen gewährt werden, in denen einkommensabhängige Beiträge erhoben werden; sie kommt angesichts des § 6 Abs. 2 Satz 2 RAVG hingegen nicht in Betracht, wenn der Mindestbeitrag erhoben wird. Die gesetzliche Begrenzung der Beitragsermäßigung besagt also nicht, dass der Gesetzgeber einen Mindestbeitrag von drei Zehnteln des Regelpflichtbeitrags für zulässig erachtet hat.
3. Die Satzungsregelung über den Mindestbeitrag ist daraufhin zu prüfen, ob sie Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.
a) Der erkennende Senat hat bisher nicht ausdrücklich die Frage entschieden, ob Vorschriften, welche die Höhe der Beiträge zu berufsständischen Versorgungswerken betreffen, den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG berühren; er hat dies aber für möglich erachtet (vgl. Urteil vom 29. Januar 1991 – BVerwG 1 C 11.89 – BVerwGE 87, 324 ≪325≫; Beschlüsse vom 4. Juli 1995 – BVerwG 1 B 89.95 – Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 29, S. 21 und vom 25. Oktober 1995 – BVerwG 1 B 103.95 – Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 31, S. 25). Er bejaht nunmehr diese Frage im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss vom 10. November 1998 – 1 BvR 2296/96, 1081/97 – BVerfGE 99, 202 ≪211≫). Danach ist Art. 12 Abs. 1 GG vorrangig als Maßstab für die verfassungsrechtliche Prüfung der Zulässigkeit einer an die Berufstätigkeit anknüpfenden finanziellen Last heranzuziehen. Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit der beruflichen Betätigung. Der Schutzbereich dieses Grundrechts ist, wie aus der Erwähnung von Berufswahl, Wahl von Ausbildungsstätte und Arbeitsplatz sowie Berufsausübung folgt, umfassend. Andererseits schützt das Grundrecht aber nur vor solchen Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind. Es genügt nicht, dass eine Rechtsnorm oder ihre Anwendung unter bestimmten Umständen Rückwirkungen auf die berufliche Tätigkeit entfaltet. Ein Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit liegt erst dann vor, wenn die Norm, auf die eine sich auf die Berufstätigkeit auswirkende Maßnahme gestützt ist, berufsregelnde Tendenz hat. Dazu muss sie nicht die Berufstätigkeit unmittelbar betreffen. Der Berufsbezug kann auch gegeben sein, wenn eine Norm die Rahmenbedingungen für die Berufsausübung gestaltet. Das gilt namentlich für normativ auferlegte Geldleistungspflichten. Sie berühren Art. 12 Abs. 1 GG dann, wenn sie infolge ihrer Ausgestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben (vgl. zu alledem BVerfG, Urteil vom 8. April 1997 – 1 BvR 48/94 – BVerfGE 95, 267 ≪302≫ m.w.N.). So liegt es hier.
b) Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG müssen – wovon auch das Berufungsgericht ausgegangen ist – mit je nach ihrer Wirkung unterschiedlich wichtigen Gründen gerechtfertigt sein. Ansonsten verstoßen sie gegen das genannte Grundrecht. Kommt eine die Berufsausübung betreffende Regelung einer Berufswahlregelung nahe, kann sie nicht mit jeder vernünftigen Erwägung des Gemeinwohls, sondern nur mit Allgemeininteressen gerechtfertigt werden, die so schwer wiegen, dass sie den Vorrang vor der Berufsbehinderung verdienen (BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 1987 – 1 BvR 1086/82 u.a. – BVerfGE 77, 84 ≪106≫). Dabei ist allerdings die weite Gestaltungsfreiheit des Normgebers auf dem Gebiet der Sozialordnung und dessen Einschätzungs- und Prognosevorrang zu beachten.
c) Art. 12 Abs. 1 GG muss in seinem Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 1 GG gesehen werden. Er kann verletzt sein, wenn durch eine Berufsausübungsregelung, die im Ganzen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, innerhalb der betroffenen Berufsgruppe nicht nur einzelne, aus dem Rahmen fallende Sonderfälle, sondern bestimmte Gruppen typischer Fälle ohne zureichenden Grund wesentlich stärker als andere belastet werden (BVerfG, Beschlüsse vom 17. Oktober 1984 – 1 BvL 18/82 u.a. – BVerfGE 68, 155 ≪173≫ und vom 28. November 1997 – 1 BvR 324/93 – NJW-RR 1999, 134). Aus einer typisierenden Regelung folgende geringfügige Ungleichbehandlungen, gewisse Härten oder Ungerechtigkeiten sind allerdings hinzunehmen (BVerfG, Beschluss vom 28. November 1997, a.a.O.). Der Senat hat in seinem Urteil vom 29. Januar 1991, a.a.O., S. 331) ausgeführt, dass der nach § 6 Abs. 2 Satz 2 RAVG ermäßigte Beitrag zwar in einzelnen Fällen zu einer unzumutbaren Belastung führen möge, da er unabhängig vom Einkommen des Mitglieds drei Zehntel des Höchstbeitrags betrage, dass diesen Fällen aber durch die zusätzlich eingreifende Härteregelung Rechnung getragen werden könne. Das Oberverwaltungsgericht hat im vorliegenden Verfahren ausgeführt, dass von der hier zu prüfenden Mindestbeitragsregelung (§ 6 Abs. 1 RAVG i.V.m. § 23 Abs. 4 der Satzung) nicht nur wenige atypische Fälle betroffen sind, sondern eine beachtliche Anzahl von Rechtsanwälten. Unbeschadet der Frage, ob das Berufungsgericht diese Feststellung unter Anlegung eines zutreffenden Beurteilungsmaßstabes getroffen hat, besteht jedenfalls Anlass zu prüfen, ob sich die Vorschrift über den Mindestbeitrag auf eine in der dargelegten Weise bestimmte Gruppe von Mitgliedern unzumutbar auswirkt und deshalb Einzelfallregelungen nicht ausreichen, um einer unangemessenen Belastung zu begegnen. Zwar enthält § 26 Abs. 4 der Satzung in der ab 1. Januar 1990 geltenden Fassung durch Verweisung auf § 76 Abs. 2 SGB IV eine Regelung über Stundung, Niederschlagung und Erlass von Beiträgen, wie das Berufungsgericht ausgeführt hat. Derartige Maßnahmen können jedoch nur in besonders gelagerten Fällen eingreifen. Wenn in der dargestellten Weise Gruppen typischer Fälle vorhanden sind, muss dem der Normgeber in einer der Gruppensituation gerecht werdenden Weise Rechnung tragen.
d) Liegt ein normativer Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG vor, entsprechen die dem Normgeber dafür gesetzten Grenzen im Ergebnis regelmäßig denjenigen aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16. November 1982 – 1 BvL 16/75 und 36/79 – BVerfGE 62, 256 ≪274≫ und vom 6. Dezember 1988 – 1 BvL 5,6/85 – BVerfGE 79, 212 ≪218≫). Ein solcher Eingriff kann also, wenn er eine einer Berufswahlregelung nahe kommende Berufsausübungsregelung darstellt, nur mit Gründen gerechtfertigt werden, die so schwer wiegen, dass sie die Berufsbehinderung rechtfertigen.
4. Nach diesen Maßstäben ist weder die Anordnung einer Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk noch grundsätzlich die Bestimmung eines einkommensunabhängigen Mindestbeitrags zu beanstanden. Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts lassen aber nicht die Beurteilung zu, ob der Mindestbeitrag in Höhe von drei Zehnteln des Regelpflichtbeitrags eine oder mehrere Gruppen von Mitgliedern des Beklagten unverhältnismäßig hoch belastet. Sie schließen dies aber auch nicht aus.
a) Die gesetzliche Anordnung der Pflichtmitgliedschaft hat eine allein auf die Rechtsanwälte bezogene und damit bereichsspezifische Wirkung. Das Oberverwaltungsgericht hat dem Landesrecht entnommen, dass Mitglieder des Versorgungswerks grundsätzlich alle Mitglieder der Rechtsanwaltskammern Koblenz und Zweibrücken sind. Die Rechtsanwaltskammern werden nach § 60 BRAO in der 1995 und 1996 geltenden Fassung durch die in dem Bezirk eines Oberlandesgerichts zugelassenen Rechtsanwälte gebildet. Damit ist die Mitgliedschaft in dem beklagten Versorgungswerk grundsätzlich zwingend mit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verbunden. Die Pflichtmitgliedschaft bezweckt die Pflichtversorgung der Rechtsanwälte und dient durch deren wirtschaftliche Absicherung der Erhaltung eines leistungsfähigen Anwaltsstandes. Sie ermöglicht es zugleich, dass die Rechtsanwälte bei Erreichen eines bestimmten Lebensalters aus der aktiven Berufstätigkeit ausscheiden und der nachfolgenden Generation Platz machen. Damit verfolgt die Pflichtmitgliedschaft legitime Zwecke und ihre Anordnung hält sich innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers. Ein Gemeinwohlbelang von hoher Bedeutung ist auch die finanzielle Stabilität des Versorgungsträgers. Maßnahmen, die ihr zu dienen bestimmt sind, können auch dann gerechtfertigt sein, wenn sie für die Betroffenen zu fühlbaren Einschränkungen führen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 449/82 u.a. – BVerfGE 70, 1 ≪30≫). Der Senat ist demgemäß stets von der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Pflichtmitgliedschaft und der Anordnung eines Mindestbeitrags ausgegangen (vgl. Urteil vom 29. Januar 1991, a.a.O.; Beschluss vom 21. Februar 1994 – BVerwG 1 B 19.93 – Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 25).
b) Die Festlegung des Mindestbeitrags durch die Satzung des Beklagten betrifft nicht die Berufswahl. Der Mindestbeitrag kann zwar von Bedeutung sein, wenn ein Assessor vor der Entscheidung steht, sich als Rechtsanwalt niederzulassen. Er stellt aber keine Berufszugangsregelung dar. Der Beruf des Rechtsanwalts kann weiterhin gewählt werden und bleibt bei der hier gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise, die auf den entsprechenden Berufs- oder Wirtschaftszweig abstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985, a.a.O.), auch wirtschaftlich sinnvoll. Die Berufsaufnahme wird, wie das Oberverwaltungsgericht darlegt, auch regelmäßig nicht faktisch ausgeschlossen. Je nach der Höhe kann die Bestimmung eines Mindestbeitrags jedoch einer Berufswahlregelung nahe kommen, wenn sie eine Rahmenbedingung für die Berufsausübung so gestaltet, dass dadurch ein grundsätzliches Ziel jeder Berufstätigkeit, die Erlangung eines angemessenen Einkommens, deutlich verfehlt werden kann. Allein aus dem Umstand, dass trotz der bestehenden Regelung der Beruf des Rechtsanwalts in den betreffenden Kammerbezirken gewählt und ausgeübt wird, kann entgegen der Auffassung des Beklagten nicht abgeleitet werden, dass der Mindestbeitrag keine nennenswerte berufsregelnde Auswirkung habe. Wie die Klägerin mit Recht darlegt, lässt sich aus der Anzahl der Berufsausübenden nichts über diejenige der Interessenten ableiten, die durch eine den Beruf regelnde Bestimmung von der Wahl des Berufs des Rechtsanwalts abgehalten worden sein könnten.
c) Zur Ermittlung einer durch die Mindestbeitragsregelung besonders betroffenen Gruppe von Mitgliedern des Beklagten genügt die vom Berufungsgericht aus dem bloßen Verhältnis des Beitrags zu dem Einkommen gewonnene Abgrenzung nicht. Das Verdikt der Verfassungswidrigkeit der Mindestbeitragsregelung des Beklagten ist nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil ein nicht unerheblicher Anteil der Rechtsanwälte lediglich ein Einkommen in Höhe des Dreifachen des Mindestbeitrags hat. Diese Grenzziehung ist nicht aus vorrangigem Recht ableitbar und berücksichtigt auch nicht genügend den Gestaltungsspielraum des Normgebers. Sie beachtet zudem nicht, dass sich die davon betroffenen Rechtsanwälte in einer unterschiedlichen Berufssituation befinden können. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass sich unter den Mitgliedern des Beklagten mit einem derart geringen Einkommen im Sinne des § 23 der Satzung in Verbindung mit §§ 14 und 15 SGB IV Rechtsanwälte befinden, die auf Dauer kein auskömmliches Einkommen aus der Anwaltstätigkeit (mehr) erzielen können bzw. wollen. In Betracht kommen insoweit etwa Mitglieder, die vermögend sind, anderweitige Einkünfte erzielen oder gegen Ende der beruflichen Betätigung nur noch in reduziertem Umfang arbeiten. Wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erläutert hat, liegt der Beitragserhebung nach Maßgabe des § 23 der Satzung das Arbeitseinkommen bzw. Arbeitsentgelt speziell aus der anwaltlichen Tätigkeit zugrunde. Dies bewirkt, dass Rechtsanwälte, die diesen Beruf zulässigerweise nicht als alleinigen ausüben, nur mit ihrem aus der anwaltlichen Tätigkeit erzielten Einnahmen erfasst werden. Angestellte Rechtsanwälte, die in einem weiteren Angestelltenverhältnis tätig sind und insofern der gesetzlichen Sozialversicherungspflicht unterliegen, werden gemäß § 24 der Satzung ebenfalls nicht mit ihrem vollen Einkommen berücksichtigt. Es erscheint auch möglich, dass zu der vom Berufungsgericht ermittelten Anzahl von Rechtsanwälten, die ein Drittel und mehr ihres Einkommens für den Mindestbeitrag aufwenden müssen, Rechtsanwälte gehören, die ihre Arbeitskraft aus anderen Gründen, etwa zur Vorbereitung auf die Erlangung eines akademischen Grades, nur eingeschränkt zur Verfügung stellen. Derartige Unterschiede in der Berufssituation lassen es nicht zu, allein aus der Relation von Beitrag und Einkommen eine Gruppe von Rechtsanwälten zu bilden, die durch die Mindestbeitragsregelung in unverhältnismäßiger Weise betroffen sein könnten.
d) Die Ermittlung besonders betroffener Gruppen hat vielmehr an typischen, durch einzelfallbezogene Härteregelungen nicht mehr hinreichend zu erfassenden Bedingungen anzusetzen, unter denen der Beruf des Rechtsanwalts ausgeübt wird. Dabei muss allerdings vermieden werden, durch zu starke Differenzierung die Bildung von Gruppen gänzlich zu verhindern. Die bereits vom Gesetz oder der Satzung berücksichtigten Sondersituationen können einen Anhalt bieten. So könnten Berufsanfänger (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 RAVG) oder Kinder erziehende Mitglieder des beklagten Versorgungswerks (vgl. § 23 Abs. 6 der Satzung in der am 25. Juni 1997 beschlossenen Fassung) Gruppen in dem dargelegten Sinn sein. Sind derartige Gruppen in typischer Berufssituation befindlicher Rechtsanwälte zahlenmäßig von dem erforderlichen Gewicht, muss festgestellt werden, ob und in welchem Umfang die Beitragsbelastung die Berufsausübung beeinträchtigt. In diesem Zusammenhang kann das Verhältnis von Beitrag und Einkommen von Bedeutung sein, ohne dass einer starren Verhältniszahl ausschlaggebendes Gewicht beigemessen werden darf. Stellt sich heraus, dass etwa Berufsanfänger in den ersten fünf Berufsjahren in relevantem Umfang unter die Mindestbeitragsregelung fallen und dadurch erheblich belastet werden, ist es erforderlich, Feststellungen darüber zu treffen, in welchem Umfang die betroffenen Rechtsanwälte typischerweise Perioden geringeren Einkommens auf sich nehmen, weil sie nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten deutlich höhere Einkünfte erwarten dürfen. Das Berufungsgericht wird klären müssen, ob es zur typischen Situation von Berufsanfängern gehört, gewisse wirtschaftliche Schwierigkeiten vorübergehend tragen zu können, insbesondere auch mit Blick auf Beitragszahlungen der hier in Rede stehenden Art, denen eine Gegenleistung in Gestalt des Erwerbs von Versorgungsansprüchen gegenübersteht. Dazu werden Feststellungen darüber getroffen werden müssen, ob es eine signifikante Anzahl von Berufsanfängern gibt, die aus wirtschaftlichen Gründen die Berufsausübung auf Dauer aufgeben müssen, ob es dem typischen Verlauf der Dinge entspricht, dass Berufsanfänger nach einer gewissen Zeit ihre Einkünfte so steigern können, dass sie aus der Mindestbeitragsregelung herausfallen, oder ob und in welchem Umfang Anfangsschwierigkeiten typischerweise namentlich durch – berufsnahe oder sonstige – anderweitige Erwerbstätigkeit überwunden werden.
e) Kommt das Oberverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass eine oder mehrere Gruppen von in vergleichbarer beruflicher Situation befindlichen Rechtsanwälten durch die Mindestbeitragsregelung auch unter Berücksichtigung der typischen Berufssituation innerhalb der Gruppe übermäßig belastet werden, ist nach den dargestellten Maßstäben unter Beachtung des Einschätzungsspielraums des Normgebers zu prüfen, ob dies aus gewichtigen Gründen gerechtfertigt ist. Dabei ist zu beachten, dass das Gewicht der für die Beitragsbelastung sprechenden Gründe umso größer sein muss, je höher der Mindestbeitrag ist. In diesem Zusammenhang kann unter Berücksichtigung des jeweiligen Finanzierungssystems die Frage einbezogen werden, ob und in welcher Höhe andere Versorgungswerke Mindestbeiträge fordern und wodurch etwaige höhere Beiträge des beklagten Versorgungswerks veranlasst sind. Zu berücksichtigen ist weiter, ob die Mindestbeitragsregelung bei dem gewählten Finanzierungssystem aus versicherungsmathematischen Gründen, namentlich auch zur Deckung des Risikos der Berufsunfähigkeit und der Hinterbliebenenversorgung, erforderlich ist. Dabei ist ungeachtet des bereits erwähnten Einschätzungsspielraums des Normgebers darauf Bedacht zu nehmen, dass das von der Satzung angestrebte Niveau der Versorgungsleistungen nicht in unverhältnismäßiger, vom Prinzip der Solidargemeinschaft nicht mehr gerechtfertigter Weise gerade durch die Mindestbeiträge der geringverdienenden Berufsanfänger und Kinder erziehenden Rechtsanwälte gesichert wird.
5. Die Entscheidung über die Kosten muss der Schlussentscheidung vorbehalten bleiben.
Unterschriften
Dr. Paetow, Dr. Mallmann, Dr. Hahn, Richter, Beck
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 05.12.2000 durch Battiege Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen