Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf von Familienasyl und -flüchtlingsschutz infolge des Todes des Stammberechtigten
Leitsatz (amtlich)
Mit dem Tod des Stammberechtigten "erlischt" im Sinne von § 73a Satz 2 und 3 AsylG dessen Asylberechtigung und Flüchtlingseigenschaft.
Verfahrensgang
VG Gießen (Urteil vom 14.10.2022; Aktenzeichen 6 K 2801/19.GI.A) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 14. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin, eine im Jahr 1950 geborene eritreische Staatsangehörige, wendet sich gegen den Widerruf der Zuerkennung ihrer Familienflüchtlingseigenschaft und ihrer Anerkennung als Familienasylberechtigte; hilfsweise begehrt sie die Verpflichtung der Beklagten, ihr den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
Rz. 2
Im Oktober 2015 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) der Klägerin - abgeleitet von deren Ehemann - die Familienflüchtlingseigenschaft zu und sie als Familienasylberechtigte an. Nach dem Tod des Ehemannes im Jahre 2016 widerrief das Bundesamt im Juni 2019 die der Klägerin zuerkannte Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1) und deren Anerkennung als Asylberechtigte (Ziff. 2). Mit dem Tod des Stammberechtigten erlösche auch der von diesem abgeleitete Schutzstatus des Familienangehörigen. Der Klägerin könne auch nicht aus anderen Gründen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden. Zugleich lehnte das Bundesamt die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ab (Ziff. 3). Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass ihr bei Rückkehr die Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Bestrafung drohte. Indes liege ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor (Ziff. 4), da es der betagten Klägerin nicht möglich wäre, in Eritrea ihr Existenzminimum zu sichern.
Rz. 3
Das Verwaltungsgericht hat die gegen Ziffer 1 bis 3 dieses Bescheides erhobene Klage abgewiesen. Die Asylberechtigung und die Flüchtlingseigenschaft des Ehemannes der Klägerin seien als höchstpersönliche, nicht übertragbare Rechtspositionen mit dessen Tod erloschen. Zur Auslegung des in den Widerrufsbestimmungen verwendeten Begriffs "erlischt" sei nicht ausschließlich auf die in § 72 AsylG aufgeführten Erlöschenstatbestände zu rekurrieren, sondern der allgemein übliche Sprachgebrauch zugrunde zu legen. Einer Analogie zu § 72 AsylG bedürfe es daher nicht. Eine Notwendigkeit, den Tod des Schutzberechtigten gesondert zu regeln, bestehe nicht, weil es sich hierbei um eine Selbstverständlichkeit, folgend aus der Höchstpersönlichkeit der Rechtsposition, handle. Die Klägerin sei auch nicht aus anderen Gründen als Asylberechtigte anzuerkennen. Ebenso wenig sei ihr aus anderen Gründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Weder habe ihr zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus Eritrea eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung gedroht noch habe sie eine solche im Falle einer Rückkehr nach Eritrea in absehbarer Zukunft zu besorgen. Die Ablehnung der Zuerkennung des subsidiären Schutzes sei nicht zu beanstanden.
Rz. 4
Zur Begründung ihrer von dem Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision führt die Klägerin aus, das angegriffene Urteil beruhe auf der Verletzung von § 72 AsylG. Dieser könne keine Anwendung finden, da die in ihm aufgezählten Erlöschenstatbestände abschließend seien. Eine Erweiterung im Wege einer Analogie verbiete sich, da eine Regelungslücke nicht vorliege. Der Tod des Stammberechtigten lasse eine solche auch nicht gewissermaßen planwidrig entstehen. Der Gesetzgeber habe eine analoge Anwendung nicht ermöglichen wollen. Der Inhalt der Vorschrift müsse daher als abschließend angesehen werden.
Rz. 5
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die Sprungrevision der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i. V. m. § 141 Satz 1 i. V. m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) entschieden, dass der Widerruf der Zuerkennung der Familienflüchtlingseigenschaft (1.) und der Anerkennung der Familienasylberechtigung (2.) der Klägerin rechtmäßig ist und die Klägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus hat (3.).
Rz. 7
Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist gemäß § 77 Abs. 1 AsylG der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist. Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind allerdings zu berücksichtigen, wenn das Verwaltungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - diese zu berücksichtigen hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Die Rechtslage ist daher auf der Grundlage des Asylgesetzes (AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2022 zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren (BGBl. I S. 2817), sowie der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337 S. 9, ber. ABl. 2017 L 167, S. 58) und der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180 S. 60) zu beurteilen.
Rz. 8
1. Der Widerruf der Familienflüchtlingseigenschaft ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rz. 9
Er findet seine Grundlage in § 73a Satz 3 AsylG. Danach ist die Zuerkennung des internationalen Schutzes (1.1.) unter anderem für den Fall zu widerrufen, dass der internationale Schutz des Ausländers, von dem die Zuerkennung abgeleitet worden ist, erlischt (1.2.) und dem Ausländer nicht aus anderen Gründen internationaler Schutz zuerkannt werden könnte (1.3.).
Rz. 10
1.1. Der Klägerin wurde die Flüchtlingseigenschaft, abgeleitet von ihrem Ehemann, gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 AsylG zuerkannt.
Rz. 11
1.2. Die Flüchtlingseigenschaft des Ehemannes der Klägerin ist infolge seines Ablebens erloschen (a). Höherrangiges Recht steht dem Erlöschen nicht entgegen (b).
Rz. 12
a) Der Tod des Stammberechtigten bewirkt ein Erlöschen seiner Flüchtlingseigenschaft.
Rz. 13
aa) Der Wortlaut des § 73a Satz 3 AsylG steht dem nicht entgegen.
Rz. 14
Von dem natürlichen Sprachgebrauch des Verbs "erlischt" ist nicht nur das Erlöschen infolge des Eintritts eines Erlöschensgrundes im Sinne des § 72 Abs. 1 Satz 1 AsylG, sondern auch das Erlöschen des internationalen Schutzes infolge des Versterbens des Stammberechtigten gedeckt. Demgegenüber könnte der Fachsprachgebrauch nahelegen, die Bedeutung des Verbs "erlischt" auf den Eintritt eines Erlöschensgrundes im Sinne des § 72 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu beschränken, da das Verb in einer Aufzählung mit den Partizipien "widerrufen" und "zurückgenommen" verwendet wird, deren Bedeutung im Lichte von § 73 AsylG zu sehen ist.
Rz. 15
In diese Richtung mag auch weisen, dass § 73a Satz 3 AsylG auf das Erlöschen des internationalen Schutzes des Stammberechtigten und somit nicht auf den Fortbestand der Verknüpfung als Familienangehöriger eines Flüchtlings, sondern auf den Wegfall der Schutzberechtigung des Stammberechtigten abhebt. Indes ist der Norm nicht zu entnehmen, dass sie ein Erlöschen des internationalen Schutzes mit dem Eintritt des Todes des Stammberechtigten ausschließt. Vielmehr ist das Erlöschen des Status mit dem Versterben des Statusinhabers eine Selbstverständlichkeit, deren gesetzliche Regelung weder der Rechtskundige noch der juristische Laie erwartet.
Rz. 16
bb) Einem weiten Verständnis des Begriffs "erlischt" im Sinne des § 73a Satz 3 AsylG steht in systematischer Hinsicht auch nicht § 72 Abs. 1 Satz 1 AsylG entgegen, dem zufolge unter anderem die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erlischt, wenn der Ausländer eindeutig, freiwillig und schriftlich gegenüber dem Bundesamt auf sie verzichtet oder auf seinen Antrag die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat.
Rz. 17
Die Norm ist mit dem Gesetz vom 21. Dezember 2022 zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren (BGBl. I S. 2817) an Art. 45 Abs. 5 RL 2013/32/EU angepasst worden. Der Hinweis der Begründung des Gesetzentwurfs, nach Art. 45 Abs. 5 Satz 1 und 2 RL 2013/32/EU erlösche eine Zuerkennung des internationalen Schutzes als solche von Rechts wegen nur in den beiden dort genannten Fällen (BT-Drs. 20/4327, S. 40), führt im vorliegenden Kontext nicht weiter. Zwar ordnet auch Art. 45 Abs. 5 Satz 1 und 2 RL 2013/32/EU ein Erlöschen des internationalen Schutzes mit dem Eintritt des Todes des Ausländers nicht an. Einer solchen ausdrücklichen Regelung bedurfte es indes auch auf unionsrechtlicher Ebene nicht. Die Flüchtlingseigenschaft ist ein höchstpersönliches Recht, das seinem Wesen nach der Person des Flüchtlings anhaftet. Sie ist weder übertragbar noch erblich. Mit dem Tod des Statusinhabers geht sie unter und nicht im Wege der Gesamt- oder der Einzelrechtsnachfolge auf andere Personen über (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. September 2000 - 1 B 49.00 - Buchholz 11 Art. 116 GG Nr. 28 S. 5). Ihr Erlöschen zeitgleich mit dem Ableben des Statusinhabers ist, wie vorstehend ausgeführt, eine Selbstverständlichkeit, deren ausdrücklicher Regelung es nicht bedarf.
Rz. 18
cc) Die Erstreckung des Begriffs "erlischt" im Sinne des § 73a Satz 3 AsylG auf den Fall des Todes des Stammberechtigen trägt dem Grundgedanken des Asylrechts Rechnung, dass Schutz nur für den Fall gewährt wird, dass es der Schutzgewährung auch bedarf.
Rz. 19
Sowohl der internationale Familienschutz wie auch das Familienasyl gründen maßgeblich auf der regelhaften Vermutung, dass Verfolgerstaaten nicht selten dazu neigen, im Zusammenhang mit Maßnahmen gegen ein Familienmitglied auch Repressalien gegen dessen Ehegatten oder (minderjährige) Kinder zu ergreifen, und dass diesen in einer solchen besonderen Gefährdungssituation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit das gleiche Schicksal droht (BVerwG, Urteile vom 27. April 1982 - 9 C 239.80 - BVerwGE 65, 244 ≪249 f.≫, vom 2. Juli 1985 - 9 C 35.84 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 34 S. 101, vom 26. April 1988 - 9 C 28.86 - BVerwGE 79, 244 ≪246≫ und vom 21. Januar 1992 - 9 C 66.91 - BVerwGE 89, 315 ≪319≫). Verstirbt der stammberechtigte politische Gegner, so ist ein weiterer schutzrelevanter Zugriff auf dessen Familienangehörigen keineswegs sicher ausgeschlossen. Indes ist hinsichtlich eines solchen Zugriffs nicht mehr von der Fortgeltung einer Regelvermutung auszugehen. § 73a Satz 3 AsylG trägt einer fortbestehenden Gefährdung eines Familienangehörigen im Einzelfall vielmehr dadurch Rechnung, dass die Zuerkennung des internationalen Familienschutzes nur zu widerrufen ist, wenn dem Ausländer nicht aus anderen Gründen internationaler Schutz zuerkannt werden könnte. Erfüllt der Familienschutzberechtigte im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt die Voraussetzungen für eine Schutzgewährung, so scheidet ein Widerruf des Familienschutzes nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift aus. § 73a Satz 3 AsylG verlagert die Beurteilung des Fortbestands einer zunächst aus Gründen der Verfahrensvereinfachung im Kontext von § 26 AsylG nicht überprüften individuellen Verfolgungsgefährdung damit auf den Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung, was in der Sache der Situation des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG entspricht.
Rz. 20
Eine Rechtfertigung, den Familienangehörigen eines verstorbenen Stammberechtigten gegenüber dem Familienangehörigen eines Stammberechtigten, dessen Schutzberechtigung infolge des Verzichts auf die Flüchtlingseigenschaft oder des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit erloschen oder aber widerrufen oder zurückgenommen wird, durch die Zuerkennung eines jenseits des § 73a Satz 1 AsylG unwiderruflichen Schutzrechts zu begünstigen, ist nicht zu erkennen. Dies gilt umso mehr, als auch der Stammberechtigte selbst zu Lebzeiten den Beendigungsgründen der §§ 72 ff. AsylG unterliegt. Der abgeleitete Familienasylberechtigte würde anderenfalls eine Position "erben", die der Stammberechtigte und andere Flüchtlinge niemals hätten (so bereits OVG Saarlouis, Urteil vom 18. September 2014 - 2 A 231/14 - juris Rn. 24; VG Hamburg, Urteil vom 29. März 2017 - 1 A 2464/15 - juris Rn. 36; ähnlich VG Arnsberg, Urteil vom 5. Februar 2016 - 3 K 2897/14.A - UA S. 8 f.).
Rz. 21
Dieses Normverständnis trägt der grundsätzlichen Akzessorietät des internationalen Familienschutzes angemessen Rechnung (vgl. nur Hailbronner, in: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Juni 2023, § 26 AsylG Rn. 47) und beugt einer anderenfalls eintretenden "Versteinerung" des internationalen Familienschutzes vor. Erlischt die Flüchtlingseigenschaft des Stammberechtigten mit dessen Tod, so soll infolge dieses Ablebens auch der Familienflüchtlingsschutz des Angehörigen keinen Bestand haben, sofern diesem nicht aus anderen Gründen Flüchtlingsschutz zuerkannt werden kann. Es obliegt dem Familienangehörigen nach dem Tod des Stammberechtigten, das (Fort-)Bestehen einer Verfolgungsgefährdung innerhalb des Widerrufsverfahrens geltend zu machen.
Rz. 22
Ein Widerruf des Familienflüchtlingsschutzes infolge des Todes des Stammberechtigten läuft auch nicht den mit der Schaffung dieses Instituts verfolgten integrationspolitischen Zielsetzungen (vgl. BT-Drs. 11/6960 S. 29 f.) zuwider. Die mit deren Realisierung einhergehende gewisse Verselbständigung des Status der Familienangehörigen vollzieht sich nicht im Asyl-, sondern maßgeblich im Aufenthaltsrecht durch die Gewährung eigenständiger befristeter und unbefristeter Aufenthaltsrechte. Der Widerruf der Familienflüchtlingseigenschaft infolge des Todes des Stammberechtigten hat indes nicht gleichsam automatisch auch den Widerruf einer dem Ausländer erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG zur Folge. Ein solcher Widerruf nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG steht vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde. Der Gesetzgeber hat die Ausübung dieses Ermessens nicht an bestimmte Vorgaben geknüpft. Zwar kommt dem öffentlichen Interesse an der Beendigung des ursprünglich an den Schutzstatus anknüpfenden Aufenthalts regelmäßig besonderes Gewicht zu (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2003 - 1 C 13.02 - BVerwGE 117, 380 ≪384≫). Dieses kann jedoch im Einzelfall durch entgegenstehende Interessen des Ausländers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwunden werden. Die bei einer Ausweisung zu berücksichtigenden Umstände des § 53 Abs. 2 AufenthG sowie die Grundrechte und die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes können Veranlassung für ein Absehen von dem Widerruf geben. Besondere Bedeutung ist in diesem Zusammenhang dem Gesichtspunkt einer wirtschaftlichen und sozialen Integration beizumessen (VGH Mannheim, Urteil vom 26. Juli 2006 - 11 S 951/06 - ZAR 2006, 414 ≪415 f.≫; OVG Lüneburg Beschluss vom 5. März 2007 - 10 ME 64/07 - juris Rn. 5).
Rz. 23
dd) Die historisch-genetische Auslegung des § 73a Satz 3 AsylG zwingt zu keinem anderen Normverständnis.
Rz. 24
Soweit in der Begründung des Entwurfs des Gesetzes vom 21. Dezember 2022 zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren hervorgehoben wird, dass die Aufzählung der in § 73a Satz 3 AsylG aufgeführten Gründe für einen Widerruf des internationalen Schutzes für Familienangehörige abschließend sei (BT-Drs. 20/4327, S. 41), zielt diese Feststellung darauf, dass ein Rückgriff auf nicht in § 73a Satz 3 AsylG erfasste Aufhebungsgründe oder gar auf § 49 VwVfG ausgeschlossen ist. Dass die Entwurfsgeber indes beabsichtigten, auch ein von dem Begriff "erlischt" mitumfasstes Erlöschen des Flüchtlingsschutzes des Stammberechtigten mit dessen Tod auszuschließen, lässt sich der Entwurfsbegründung nicht entnehmen. Dass der Widerruf des internationalen Familienschutzes allein für den Fall des Erlöschens des Status des Stammberechtigten nach Maßgabe des § 72 Abs. 1 Satz 1 AsylG, nicht jedoch auch infolge des Todes des Stammberechtigten vorgesehen werden sollte, drängt sich ob der anderenfalls bewirkten weitgehenden Versteinerung des Flüchtlingsschutzes der Familienangehörigen nicht auf.
Rz. 25
Nichts anderes ist auch der Begründung der Vorgängervorschrift des § 73 Abs. 2b Satz 3 AsylG in der Fassung des Gesetzes vom 19. August 2007 zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BGBl. I S. 1970, ber. BGBl. 2008 I S. 992) zu entnehmen. Die seinerzeitige Intention der Bundesregierung, den Widerruf des Familienflüchtlingsschutzes für die Fälle vorzusehen, in denen der Stammberechtigte seinen Schutzstatus "wieder verloren" hat, widerstreitet einem auch das Ableben des Stammberechtigten erfassenden Verständnis des Begriffs "erlischt" in dieser Norm nicht.
Rz. 26
Ein solches Verständnis ist dem asylrechtlichen Widerrufsrecht auch keineswegs fremd. Bereits unter der Geltung des § 7a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 des bis zum 30. Juni 1992 gültigen Gesetzes über das Asylverfahren vom 16. Juli 1982 (BGBl. I S. 946) war der Wegfall der Familienasylberechtigung nicht auf den Wegfall der Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter beschränkt, sondern konnte auch in einem Wegfall der "Gewährungsvoraussetzungen" gründen, sofern der Familienangehörige nicht aus eigenem Verfolgungsvorbringen anzuerkennen war (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 48.91 - BVerwGE 88, 326 ≪330 f.≫).
Rz. 27
b) Dieses den Tod des Stammberechtigten einbeziehende Verständnis des Begriffs "erlischt" in § 73a Satz 3 AsylG steht mit höherrangigem Recht im Einklang. Weder Verfassungs- (aa) noch Unions- (bb) noch Völkerrecht (cc) begründen eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, Familienangehörigen eines verstorbenen Stammberechtigten unabhängig von einer diesen drohenden Gefahr der Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens dauerhaft asylrechtlichen Schutz zu gewähren (vgl. bereits BVerfG, Beschlüsse vom 19. Dezember 1984 - 2 BvR 1517/84 - NVwZ 1985, 260, vom 3. Juni 1991 - 2 BvR 720/91 - NVwZ 1991, 978 und vom 14. Dezember 2000 - 2 BvR 517/99 - juris Rn. 3).
Rz. 28
aa) § 73a Satz 3 AsylG trägt dem Verbot, den Ausländer in einen Verfolgerstaat abzuschieben, angemessen Rechnung. Er stellt sicher, dass ein Widerruf des Familienflüchtlingsschutzes nur erfolgen darf, wenn die von dem Familienangehörigen vorzubringenden Verfolgungsgründe eine Beibehaltung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu rechtfertigen vermögen. Diese Verfolgungsgründe können im Zusammenhang mit der vormaligen Verfolgung des Stammberechtigten stehen und dessen Tod überdauern; sie können aber auch eigenständiger Natur sein. Das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte sind verpflichtet, entsprechende Verfolgungsgründe im Rahmen der Widerrufsentscheidung zu berücksichtigen (vgl. in anderem Kontext auch VGH Kassel, Beschluss vom 5. August 2011 - 6 A 583/11.Z.A. - juris Rn. 12).
Rz. 29
bb) Nach Art. 45 Abs. 5 RL 2013/32/EU erlischt die Zuerkennung des internationalen Schutzes als solche von Rechts wegen nur in den beiden dort genannten Fällen des eindeutigen Verzichts und des Erwerbs der Staatsangehörigkeit des jeweiligen Mitgliedstaats, sofern die Mitgliedstaaten dies beschließen. Der Tod des Stammberechtigten findet in dieser und anderen unionsrechtlichen Bestimmungen keine Erwähnung. Dies verwundert indes nicht, da das Erlöschen in Bezug auf den verstorbenen Stammberechtigten, wie vorstehend ausgeführt, eine Selbstverständlichkeit darstellt, die keiner Regelung bedarf. Dass das Unionsrecht den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft des Familienangehörigen eines verstorbenen Flüchtlings nicht regelt, folgt bereits aus dem Umstand, dass es das Institut des internationalen Familienschutzes nicht kennt. Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU verpflichtet die Mitgliedstaaten allein dazu, Familienangehörigen der Person, der die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, die in den Art. 24 bis 35 genannten Leistungen zu gewähren.
Rz. 30
cc) Völkerrecht begründet das Verbot der Zurückweisung in den Verfolgerstaat. Art. 1 Abs. C GFK regelt nicht abschließend diejenigen Fälle, in denen eine Person, auf die die Bestimmungen des Art. 1 Abs. A GFK zutreffen, nicht mehr unter dieses Abkommen fällt. Der Tod des Stammberechtigten findet auch hier keine Erwähnung, da das Erlöschen in Bezug auf den verstorbenen Stammberechtigten keiner Regelung bedarf und auch das Völkerrecht die Gewährung internationalen Familienschutzes nicht kennt.
Rz. 31
1.3. Gemäß § 73a Satz 3 AsylG scheidet der Widerruf der Zuerkennung der Familienflüchtlingseigenschaft aus, wenn dem Familienangehörigen aus anderen Gründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen wäre.
Rz. 32
Die Tatsache, dass es sich bei der Rechtsstellung aus § 26 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 AsylG um eine vollwertige Flüchtlingseigenschaft handelt, hat zur Folge, dass die hiermit einhergehende Rechtsstellung nicht bereits allein dann zu widerrufen ist, wenn eine für die Gewährung des Familienasyls erforderliche einfachgesetzliche Voraussetzung wegfällt, sondern erst für den Fall, dass der Angehörige des Schutzes vor Verfolgung nicht mehr bedarf. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass ein etwaiges Verfolgungsvorbringen ungeprüft bliebe (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 48.91 - BVerwGE 88, 326 ≪331 f.≫).
Rz. 33
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, der Klägerin habe weder zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus Eritrea flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung gedroht, noch habe sie eine solche im Falle einer Rückkehr nach Eritrea in absehbarer Zukunft zu besorgen. Die Klägerin sei im Jahre 2013 legal aus Eritrea ausgereist; ihrem Vorbringen seien keine Gründe zu entnehmen, die für eine drohende Verfolgung im oben genannten Sinne sprächen. Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht im Einklang mit § 77 Abs. 2 AsylG zur Vermeidung von Wiederholungen den als zutreffend gewürdigten Ausführungen und der Begründung des Bundesamtes in dem mit der Klage angefochtenen Bescheid gefolgt. Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß § 137 Abs. 2 VwGO an die tatrichterlichen Feststellungen des Vorinstanzgerichts gebunden.
Rz. 34
2. Der Widerruf der Anerkennung als Familienasylberechtigte ist ebenfalls rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er findet seine Grundlage in § 73a Satz 2 AsylG, dem zufolge die Anerkennung als Asylberechtigter unter anderem für den hier aus den Gründen zu 1. vorliegenden Fall zu widerrufen ist, dass die Anerkennung des Asylberechtigten, von dem die Anerkennung abgeleitet worden ist, erlischt und der Ausländer nicht aus anderen Gründen als Asylberechtigter anerkannt werden könnte.
Rz. 35
3. Ohne Verstoß gegen § 4 Abs. 1 AsylG hat das Verwaltungsgericht zudem angenommen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Aus dem Umstand, dass der Widerruf des Familienflüchtlingsschutzes und der Anerkennung als Asylberechtigte rechtmäßig ist, hat das Verwaltungsgericht gefolgert, dass auch die in Ziffer 3 des angegriffenen Bescheides getroffene ablehnende Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht aufzuheben sei. Im Übrigen ist es auch insoweit im Einklang mit § 77 Abs. 2 AsylG zur Vermeidung von Wiederholungen den als zutreffend gewürdigten Ausführungen und der Begründung des Bundesamtes in dem mit der Klage angefochtenen Bescheid gefolgt. Dies ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 36
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG. Gründe für eine Abweichung nach § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
Fundstellen
Haufe-Index 16142971 |
NVwZ 2024, 172 |
DÖV 2024, 247 |
InfAuslR 2024, 128 |
InfAuslR 2024, 3 |
InfAuslR 2024, 5 |
JZ 2024, 45 |
VR 2024, 144 |
ZAR 2024, 51 |
ZAR 2024, 86 |
NPA 2024, 0 |
SächsVBl. 2023, 2 |