Entscheidungsstichwort (Thema)
Inanspruchnahme. Baulandgesetz 1984. unlautere Machenschaften. Verfahrensverstöße nach DDR-Recht. Nichtbeteiligung der Eigentümer. unterlassene Erbenermittlung. unterbliebene Pflegerbestellung. Spätphase der DDR
Leitsatz (amtlich)
Für den Zeitraum zwischen dem Rücktritt des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker am 18. Oktober 1989 und der Verlautbarung des Schreibens des Staatssekretärs im Ministerium der Finanzen und Preise sowie des Leiters des Amtes für Rechtsschutz des Vermögens der DDR an den ersten Stellvertreter der Vorsitzenden der Räte der Bezirke vom 26. Januar 1990 kann die Frage, ob formale Verstöße gegen die Vorschriften des Baulandgesetzes der DDR als manipulativ zu werten sind, nur unter umfassender Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles beantwortet werden. Die Festlegung eines Stichtages, wie der 18. Oktober 1989, kommt insoweit nicht in Betracht (Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 12. Mai 2000 – BGH V ZR 47/99 – NJW 2000, 2419; vgl. Beschluss vom 3. Juli 2001 – BVerwG 8 B 37.01 – ZOV 2001, 360 f.).
Normenkette
VermG § 1 Abs. 1 Buchst. a, b, Abs. 3
Verfahrensgang
VG Weimar (Entscheidung vom 25.10.2000; Aktenzeichen 1 K 2887/98.We) |
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 25. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Tatbestand
I.
Die Kläger begehren als Mitglieder einer Erbengemeinschaft die Rückübertragung des 260 qm großen Grundstücks L.straße 8 in D./Thüringen. Ursprüngliche Eigentümer des Grundstücks waren die Eheleute L. und J. S., die Rechtsvorgänger der Kläger. Das Grundstück wurde durch Beschluss des Rates des Kreises E. vom 4. Oktober 1989 nach vorausgegangenem Antrag des VEB Dienstleistungsbetriebes D. auf der Grundlage des § 12 des Baulandgesetzes der DDR zum Zwecke der „Durchführung der planmäßigen Baumaßnahme Haus der Dienste” zugunsten Volkseigentums mit Wirkung vom 1. November 1989 entzogen. Als Rechtsträger wurde der genannte VEB eingesetzt. Die Grundstücksumschreibung in das Eigentum des Volkes erfolgte am 28. Dezember 1989. Für das Grundstück wurde eine Entschädigung in Höhe von 1 700 Mark beim Kreisgericht Erfurt hinterlegt.
Durch Schreiben vom 28. September 1990 und vom 13. März 1997 beantragten die Kläger die Rückübertragung des streitbefangenen Grundstücks. Im Rahmen der Anhörung vor dem Vermögensamt haben die Kläger im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass bei der Enteignung fast sämtliche Vorschriften des Baulandgesetzes der DDR missachtet worden seien. Weder seien Erwerbsverhandlungen durchgeführt noch sei ein Treuhänder für die Eigentümer mit unbekanntem Aufenthalt bestellt worden. Aus den Unterlagen ergäbe sich auch weder ein Inanspruchnahmeantrag noch die Art oder Weise der Bekanntmachung eines betreffenden Beschlusses. Zudem seien die Eheleute L. und F. S. zur Zeit der Inanspruchnahme längst verstorben gewesen und die Kläger zu 3 und 4 hätten schon damals in dem kleinen Ort D. gelebt. Die Klägerin zu 3 habe als Beschäftigte des genannten VEB mehrfach mit dessen Geschäftsführer über das Grundstück gesprochen, der die Erbverhältnisse deshalb genau gekannt, aber gleichwohl das Enteignungsverfahren eingeleitet und durchgezogen habe, um noch kurz vor der Wende das Grundstück zu entziehen.
Den Rückübertragungsantrag lehnte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos. Die im November 1998 erhobene, auf Rückübertragung des streitbefangenen Grundstücks gerichtete Klage haben die Kläger im Wesentlichen damit begründet, dass wegen der Verstöße gegen das Baulandgesetz von einer unlauteren Machenschaft auszugehen sei. Der mit der Inanspruchnahme angestrebte Enteignungszweck sei im Übrigen nie verwirklicht worden. Es sei zwar ein Neubau errichtet worden, jedoch auf dem Nachbargrundstück.
Durch Urteil vom 25. Oktober 2000 hat das Verwaltungsgericht die Klage im Wesentlichen mit folgender Begründung abgewiesen: Ernstliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unlauteren Machenschaft lägen nicht vor. Ausweislich der Begründung des Inanspruchnahmebeschlusses habe man das streitbefangene Grundstück für weitere Baumaßnahmen der Gemeinde zur Erweiterung des auf dem Nachbargrundstück bereits vorhandenen Dienstleistungszentrums benötigt. Dass dieses Vorhaben später nicht verwirklicht worden sei, belege nicht das Fehlen entsprechender Bauabsichten, sondern sei allein auf die Umbruchsituation in der DDR nach der Wende zurückzuführen. Es gebe auch keinen Anlass für die Annahme, dass ein anderer Zweck damit hätte verdeckt werden sollen. Das Fehlen eines Inanspruchnahmeantrages könne ausgeschlossen werden, da im Inanspruchnahmebeschluss vom 4. Oktober 1989 und in einem weiteren Schreiben dieser Antrag erwähnt worden sei. Anderweitige Verfahrensmängel wie etwa die Nichtbeteiligung der Eigentümer am Inanspruchnahmeverfahren würden nicht die Annahme einer willkürlichen Enteignung oder Manipulation rechtfertigen. Auch der Zeitpunkt der Enteignung gäbe nichts dafür her. Der aktive Entscheidungs- und Willensbildungsprozess der am Enteignungsverfahren beteiligten Organe sei vor dem Sturz Honeckers am 18. Oktober 1989 eingeleitet und abgeschlossen gewesen. Unerheblich sei der Eintritt der Wirksamkeit der Inanspruchnahme erst am 1. November 1989, da bereits alle Dinge vorher in Gang gesetzt worden seien. Eine genaue Einzelfallprüfung unter Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze bei der Inanspruchnahme von Auslands- bzw. Westeigentum sei erst durch das Schreiben des Staatssekretärs im Ministerium der Finanzen und Preise und Leiters des Amtes für den Rechtsschutz des Vermögens der DDR an den ersten Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates der Bezirke vom 26. Januar 1990 nötig gewesen. Der abweichenden Auffassung des Bundesgerichtshofs folge die Kammer nicht.
Dagegen richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision der Kläger, mit der sie ihren bisherigen Rechtsstandpunkt vertiefen. Die Kläger beantragen,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 25. Oktober 2000 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landratsamtes Gotha, Amt zur Regelung offener Vermögensfragen, vom 8. Oktober 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 5. Oktober 1998 zu verpflichten, das Grundstück L.straße 8 in D. (Grundbuch von D., Band 17, Bl. 1411, Flur 9, Flurstück 17) an sie in Erbengemeinschaft zurückzuübertragen.
Der Beklagte beantragt unter Verteidigung des angegriffenen Urteils,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Der Oberbundesanwalt beteiligt sich nicht am Verfahren.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen der hier in Betracht kommenden Schädigungstatbestände des § 1 Abs. 1 Buchst. a und b sowie Abs. 3 VermG verneint, sodass den Klägern kein Rückübertragungsanspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG zustehen kann.
1. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Schädigungstatbestand einer sog. entschädigungslosen Enteignung und Überführung in Volkseigentum gemäß § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG verneint. Diese Regelung setzt voraus, dass „bereits nach den einschlägigen Vorschriften der DDR für bestimmte Enteignungsmaßnahmen eine Entschädigung generell ausgeschlossen war” (stRspr; vgl. Urteil vom 24. März 1994 – BVerwG 7 C 16.93 – BVerwGE 95, 284 ≪288≫). Das Baulandgesetz der DDR vom 15. Juni 1984, das der vorliegenden Grundstücksinanspruchnahme zugrunde liegt, sah in § 18 Abs. 1 ausdrücklich eine Entschädigung entsprechend den Rechtsvorschriften und damit dem Entschädigungsgesetz vom gleichen Tage (GBl der DDR 1984 I, S. 209) vor. Die Nichtfestsetzung oder Nichtauszahlung der Entschädigung im Einzelfall ist hierbei unerheblich und kann allenfalls einen Restitutionsanspruch hinsichtlich der vorenthaltenen Entschädigung begründen (vgl. Urteil vom 24. März 1994 – BVerwG 7 C 16.93 – a.a.O.; Urteil vom 28. April 1999 – BVerwG 8 C 5.98 – Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 1 – insoweit nicht in BVerwGE 109, 81 abgedruckt – und Urteil vom 25. Juli 2001 – BVerwG 8 C 3.01 – ZOV 2001, 416). Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts wurde im Übrigen eine Entschädigung zugunsten der Rechtsnachfolger der ursprünglichen Eigentümer in Höhe von 1 700 Mark entsprechend der vorausgegangenen Wertermittlungsüberprüfung des Bausachverständigen M. vom 19. Oktober 1988 festgesetzt. Desgleichen ist der genannte VEB als künftiger Rechtsträger zur Einzahlung dieses Betrages auf ein Konto des Rates des Kreises aufgefordert, ein Antrag auf Annahme der Hinterlegung dieses Betrages beim staatlichen Notariat E. am 22. Januar 1990 auch gestellt und ein entsprechender Betrag hinterlegt worden. Weshalb die Auszahlung letztlich unterblieben ist, kann nach der o.g. Rechtsprechung offen bleiben.
2. Auch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG hat das Verwaltungsgericht zu Recht verneint. Diese Regelung betrifft nur solche Fälle, in denen „in bewusster Abkehr von den ansonsten für Bürger der DDR geltenden Vorschriften Entschädigungsbestimmungen zur Anwendung kamen, die den diskriminierenden Zugriff auf das Eigentum erleichtern sollen”. Als typischer Fall gelten dafür die sog. Ministerratsbeschlüsse von 1976 und 1977 wonach bei Grundstücken von Eigentümern aus kapitalistischen Staaten und West-Berlin anders als für DDR-Bürger eine allein am Ertragswert orientierte und damit zu geringeren Entschädigungsbeträgen führende Rechnungsmethode vorgeschrieben war (stRspr; vgl. Urteil vom 24. März 1994 – BVerwG 7 C 11.93 – BVerwGE 95, 289 ≪292≫; Urteil vom 28. April 1999 – BVerwG 8 C 3.98 – Buchholz 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 4). Anhaltspunkte für die Anwendung derartiger oder anderweitiger diskriminierender Entschädigungsbestimmungen sind, wie das Verwaltungsgericht zu Recht betont hat, vorliegend weder seitens der Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere entsprach die Festsetzung des Entschädigungsbetrages der Wertermittlung des Bausachverständigen M., der ausgehend von einer früheren Wertermittlung und der Preisverfügung Nr. 3/87 den Sachwert der baulichen Anlagen und des Bodens ermittelt hat und nicht etwa diskriminierend gegenüber den sog. Westeigentümern auf den infolge der staatlichen Mietpreispolitik bei Mietgrundstücken besonders niedrigen Ertragswert abgestellt hat.
3. Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend die Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 3 VermG verneint. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts betrifft dieser Schädigungstatbestand der unlauteren Machenschaften nur solche Vorgänge, bei denen im Einzelfall in manipulativer, sittlich vorwerfbarer Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR auf bestimmte Vermögenswerte zugegriffen wurde. Ein derartiges qualifiziertes Einzelfallunrecht liegt nicht vor, wenn bei dem Erwerbsvorgang – gemessen an den in der DDR gültigen Rechtsvorstellungen und den sie tragenden ideologischen Grundsätzen – alles mit „rechten Dingen zugegangen” ist. Nicht ausreichend ist deshalb bei der grundsätzlich an den Einzelumständen orientierten Beurteilung die einfache Rechtswidrigkeit eines Eigentumsentzugs unterhalb der Schwelle der Willkürlichkeit (Urteil vom 29. September 1993 – BVerwG 7 C 42.92 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 9; Urteil vom 25. Juli 2001 – BVerwG 8 C 3.01 – ZOV 2001, 416, sowie Urteil vom 11. Januar 2001 – BVerwG 7 C 2.00 – Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 22). Erfolgt die Inanspruchnahme aufgrund der Aufbaugesetzgebung der DDR, wie vorliegend nach dem Baulandgesetz vom 15. Juni 1984, so sind zwei Fallgruppen unlauterer Machenschaften denkbar. Einmal liegt eine unlautere Machenschaft vor, wenn der Enteignungszweck nur vorgeschoben wurde, um eine von vornherein bestehende anderweitige Verwendung zu verschleiern. Zum andern ist von einer unlauteren Machenschaft auszugehen, wenn der wahrheitsgemäß angegebene Inanspruchnahmezweck offenkundig von keiner Rechtsgrundlage gedeckt sein konnte, also nur der äußere Schein einer gesetzmäßigen Vermögensentziehung begründet werden sollte.
Beide Fallgestaltungen sind im Falle der Kläger nicht einschlägig. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür und wurde von den Klägern auch nicht behauptet, dass der im Inanspruchnahmebeschluss angegebene Zweck „Durchführung der planmäßigen Baumaßnahme – ‚Haus der Dienste’” offenkundig nicht durch § 12 des Baulandgesetzes von 1984 gedeckt war. Auch für die Mutmaßung, der Enteignungszweck sei bloß vorgeschoben worden, um „in letzter Minute” noch ein Grundstück enteignen zu können, ergeben sich keine Anhaltspunkte aus dem vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt. Das Fehlen des Inanspruchnahmeantrages findet eine einfache Erklärung darin, dass die vorliegenden Unterlagen insgesamt unvollständig sind. Mit Ausnahme der Originalunterlagen betreffend die Anordnung 2 für das Vermögen der 1926 bzw. 1919 geborenen Verwandten der Rechtsvorgänger der Kläger handelt es sich ausschließlich um Ablichtungen aus dem Inanspruchnahmevorgang. Revisionsrechtlich einwandfrei hat das Verwaltungsgericht aus der im Inanspruchnahmebeschluss enthaltenen Bezugnahme auf den Inanspruchnahmeantrag des VEB Dienstleistungsbetriebes, aber auch aus der Erwähnung des Antrages im Schreiben des Rates, Abteilung Finanzen – staatliches Eigentum ausgeschlossen, dass ein derartiger Antrag niemals vorgelegen habe und dessen Existenz damit nur vorgetäuscht worden sei. Ebenso wenig folgt aus dem Fehlen entsprechender Bauplanungsunterlagen das Vortäuschen des Inanspruchnahmezwecks. Auch insoweit ist darauf zu verweisen, dass die vorliegenden Unterlagen nur einen Auszug aus dem gesamten Inanspruchnahmevorgang darstellen. Für die Absicht der Erweiterung des Dienstleistungszentrums im Wege eines zweiten Bauabschnitts spricht zudem das Vorbringen der Kläger selbst, wonach die damals beim VEB beschäftigte Klägerin zu 3 von deren Geschäftsführer wegen des Erwerbs des Streitgrundstücks angesprochen worden sei und dieser dabei von Erweiterungs- und Grundstücksrundungsabsichten gesprochen habe.
Revisionsrechtlich ist auch gegen die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts nichts zu erinnern, dass aus der Nichtdurchführung von Baumaßnahmen noch nicht darauf geschlossen werden könne, dass diese zu keiner Zeit beabsichtigt gewesen seien. Die Erklärung des Geschehens mit der Umbruchsituation nach der Wende ist vielmehr nahe liegend und verstößt weder gegen Erfahrungssätze noch gegen Denkgesetze.
Schließlich ist auch mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass dem Inanspruchnahmeverfahren vorliegend keine solchen Mängel anhafteten, dass von einer willkürlichen bzw. manipulativen Inanspruchnahme im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG ausgegangen werden könnte. Zwar hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 12. Mai 2000 – BGH V ZR 47/99 – (VIZ 2000, 494 ff.) die allerdings nicht entscheidungstragende Auffassung vertreten, dass Enteignungen auf der Grundlage des Baulandgesetzes der DDR nach dem 18. Oktober 1989, also dem Rücktritt des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, unter bewusster Nichtbeteiligung der Westeigentümer grundsätzlich als Schädigungsmaßnahme im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG zu werten seien. In diesem Zusammenhang hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 3. Juli 2001 – BVerwG 8 B 37.01 – (ZOV 2001, 360 f.) darauf hingewiesen, dass diese Ausführungen ausschließlich mit dem Urteil des Senats vom 28. April 1999 – BVerwG 8 C 5.98 – (BVerwGE 109, 81 ff. = Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 1) begründet werden, das aber eine derartige Aussage für den Zeitraum vor Verlautbarung des Schreibens des Staatssekretärs im Ministerium der Finanzen und Preise vom 26. Januar 1990 (abgedruckt in ZOV 1996, 416) gerade nicht enthält, und dass es nicht den tatsächlichen Verhältnissen in der DDR entsprach, dass unmittelbar mit dem Rücktritt Honeckers am 18. Oktober 1989 eine Veränderung in der Verwaltungspraxis eingetreten ist. Für die Zeit vor dem 26. Januar 1990 kann die Frage, ob formale Verstöße gegen die Vorschriften des Baulandgesetzes über die Beteiligung und Bekanntgabe der Inanspruchnahmebescheide als manipulativ zu werten sind, nur unter umfassender Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Falles beantwortet werden (vgl. Beschlüsse des Senats vom 1. August 2000 – BVerwG 8 B 144.00 – und vom 3. Juli 2001 – BVerwG 8 B 37.01 – a.a.O.).
Das Verwaltungsgericht hat in Anwendung dieser Rechtsprechung eine unlautere Machenschaft für den vorliegenden Fall revisionsrechtlich unbedenklich verneint. Zutreffend hat es darauf abgestellt, dass der aktive Entscheidungs- und Willensbildungsprozess der am Enteignungsverfahren beteiligten Organe bereits vor dem Rücktritt Honeckers eingeleitet und auch durch den am 4. Oktober 1989 erlassenen Inanspruchnahmebeschluss abgeschlossen war und sich damit die Enteignung gewissermaßen als „Selbstläufer” darstellte. Insoweit ist unerheblich, dass die Inanspruchnahme erst nach dem 1. November 1989 wirksam werden sollte und die Beschwerdefrist von vier Wochen nach Bekanntgabe noch lief bzw. mangels Bekanntgabe an die Kläger als Erben noch nicht begonnen hatte. Denn der Umstand, dass die Inanspruchnahme sich gegen verstorbene bzw. die unbekannten Erben richtete, kann nur dann Bedeutung erlangen, wenn der hoheitliche Zugriff hierdurch erst hätte ermöglicht oder zumindest erleichtert werden sollen, da die Identität des Eigentümers selbst regelmäßig belanglos ist (Beschluss vom 20. August 2001 – BVerwG 8 B 136.01 – n.v.). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine Erbenermittlung im vorliegenden Fall bewusst unterlassen wurde, um die Inanspruchnahme überhaupt erst zu ermöglichen oder zu erleichtern, sind von den Klägern weder vorgetragen, noch vom Verwaltungsgericht festgestellt worden, ohne dass hiergegen Verfahrensrügen seitens der Kläger erhoben worden sind. Im Hinblick auf die Unvollständigkeit des Inanspruchnahmevorgangs ist zudem nicht feststellbar, dass eine Erbenermittlung zwecks Durchführung der in §§ 11 und 12 Abs. 1 Baulandgesetz 1984 vorgesehenen Erwerbsverhandlungen nicht zumindest vergeblich versucht wurde. Aus dem Hinweis in der Wertermittlungsüberprüfung des Bausachverständigen M. vom 19. Oktober 1988 auf den Zweck der Überprüfung, nämlich „Verkauf an VEB”, wird zudem deutlich, dass ein rechtsgeschäftlicher Erwerb zumindest beabsichtigt war. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass es sich bei den etwaigen verfahrensrechtlichen Mängeln um eine sog. einfache Rechtswidrigkeit unterhalb der Schwelle der Willkürlichkeit handelt, die die Annahme einer unlauteren Machenschaft nicht zu stützen vermag.
Auch aus dem Unterlassen einer Pflegerbestellung gemäß § 105 Abs. 1 des Familiengesetzbuches der DDR vom 20. Dezember 1965 lässt sich nicht die Annahme einer gezielten Manipulation rechtfertigen, um den Grundstückserwerb zu ermöglichen oder zumindest zu erleichtern. Abgesehen davon, dass es zweifelhaft ist, ob überhaupt ein persönliches oder gesellschaftliches Fürsorgebedürfnis für die Bestellung eines Pflegers zum Zwecke des Verkaufs an den VEB hätte bejaht werden können (vgl. Urteil vom 29. Januar 1998 – BVerwG 7 C 60.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 136), hätte dies im Hinblick auf den festgestellten, höchstzulässigen Kaufpreis von 1 700 Mark den staatlichen Behörden bzw. dem VEB keinerlei Vorteil gebracht, sodass ein Interesse an einer derartigen Manipulation nicht erkennbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Sailer, Krauß, Golze
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 12.12.2001 durch Jesert Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
VIZ 2002, 340 |
ZAP 2002, 572 |
NJ 2002, 380 |